Gegründet

1877.

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Sonntags-Anzeiger und Famrüen-Zeitung für die Bewohner des Schwarzwaldes.

Nr. 873.

Ansgabeort Altenstrig-StadL.

Sonntag, de« 81. November.

Amtsblatt für Pfalzgrasenweiler.

1S0V.

Wochen-Aundschau.

Die Wahl in Herrenberg.

Eine sehr interessante Wahl, die erste in Würt­temberg unter dem Zeichen der neuen Steuern, hat am letzten Samstag im Landtagswahlbezirk Her- renberg stattgefunden. Es handelte sich um den Ersatz des verstorbenen langjährigen Vertreters Oekonomierat Guoth, der, obwohl Mitglied des Bun­des der Landwirte, im Landtage der Deutschen Par­tei angehörte. Guoth war immer gemeinsamer Kan­didat der Deutschen Partei und des Bauernbunds und hatte nur belanglose Zählkandidaten gegen sich. Unterdessen sind die Verhältnisse in diesem Wahl­kreise wesentlich anders geworden. Er gehört zu jenen, von denen einst in der Deutschen (natl.) Par­tei geklagt wurde, daß der Bund der Landwirte einfach in die deutschparteilichen Oganisationenhi­neingesessen" sei. Das ist so gründlich geschehen, daß die Nationalliberalsn in diesem Wahlkreise eigentlich überhaupt keine Organisation mehr be­sitzen. Demgemäß erhoben jetzt die Bauernbündler Anspruch auf bas Mandat; die deutsche Par­tei konnte und wollte indessen den lange Jahre hindurch, wenn auch zuletzt nur durch das persönliche Ansehen des Abg. Guoth, inne­gehabten Sitz nicht ohne weiteres Preisgaben. Schließlich gelang es der Deutschen Partei nach mancherlei vergeblichen Versuchen einen Kandidaten zu finden, der zugleich die Eigenschaft hatte, Mit­glied des Bundes der Landwirte zu sein. Der Wahl­kampf war zuletzt außerordentlich heftig, je mehr sich zeigte, daß die Unzufriedenheit mit der Reichs­finanzreform auch hier die Wählerschaft gegen die Rechte aufgebracht hatte.

744 MM. Reichsanleihe.

Die Finanzkommission der Abgeordnetenkam­mer, die seit einiger Zeit wieder an der Arbeit ist, hat die Schaffung eines Eisenbahnreservefonds von 10 Mill. Mark beschlossen, der bestimmt ist, etwaige Fehlbeträge im Etat zu decken und Vorschüsse auf Anlehenskredite zu leisten. Dieser gewiß nützliche Fonds soll aus den Ueberschüssen der Eisenbahnen angesammelt werden, und da wird es wohl noch eine gute Weile dauern, bis die 10 Mill. beisam­men sind, denn mit den Ueberschüssen ist es einst­weilen noch schlecht bestellt. Uebrigens hatten wir auch schon früher einen derartigen Reservefonds. Er betrug 5 Mill., die von den mageren Jahren indessen völlig aufgefressen worden sind. Dis Fi- nanzkommission ging sodann über zur Beratung der Novelle zum Beamtengesetz. An der Vorlage wur­den recht einschneidende Aenderungen vorgenommen, so insbesondere bei der Bestimmung über die lebens­längliche Anstellung der auf vierteljährliche Kündig­ung eingestellten Beamten. Der Finanzminister er­hob gegen diese Aenderungen energisch, aber vergeb­lich Einwendungen.

744 Millionen Mark neuer Schulden stehen dem deutschen Reiche bevor. Ein Nachtragsetat in dieser Höhe wird dem Reichstage alsbald nach seinem Zu­sammentritt zugehen. 242 Mill. Mark sollen aller­dings bis zum Jahre 1913 gemäß dem letzten Fi- nanzgesetze wieder ausgemerzt sein. Es bleibt dann aber immer noch als dauernde Vermehrung der Reichsschulden rund 500 Mill. Mark. Damit wächst die gesamte Schuldenlast des Deutschen Reichs in

die fünfte Milliarde hinein. Diese gewaltige neue Schuldensumme bringt wieder einmalso recht zum Bewußtsein, in welch heilloser Weise seit Jahren, gewirtschaftet worden ist. Nun sind wir ja mit 500 Mill. Mark neuer Steuern beschenkt worden, aber diese sogenannte Finanzreform ist, das steht schon jetzt fest, wieder nicht im Stande, den Bedarf des Reichs zu decken und eine Sanierung der Finanz­verhältnisse herbeizuführen. Die neuen Steuern sind teilweise so schlecht und ungerecht wie möglich, und außerdem bleiben ihre Erträgnisse, wie es scheint, hinter den Berechnüngen zurück. Was Wunder, daß man schon wieder viel von einerFinanzreform" redet.

" Besuch am Kaiserhose.

Der österreichische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand war in dieser Woche mit seiner Gemahlin der Herzogin von Hohenberg, geb. Gräfin Chotek, zu Besuch am deutschen Kaiserhof. Man hat den Gästen dort einen sehr herzlichen, auszeichnenden Empfang bereitet, und man hat es verstanden, die Etikette­schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, daß dis Gemahlin des österreichischen Thronfolgers keine Prinzessinvon Geblüt" ist, unauffällig zu über­winden. In der Oeffentlichkeit ist von dem Besuche nicht viel Wesens gemacht worden, und die Presse hat nicht viel mehr als die Aeußerlichkeiteu berichtet. Das entspricht jedenfalls den Wünschen und der Natur des Erzherzogs Franz Ferdinand, der es nicht liebt, in der Oeffentlichkeit von sich reden zu machen. Dieses zurückhaltende Wesen nach außen hin hat es bewirkt, daß man bis auf den heuti­gen Tag noch nicht recht weiß, was man von dem Erzherzog zu halten und was inan von ihm später etwa zu erwarten hat. Eine Legende hat sich ge­radezu um seine Person gewoben. So viel scheint allerdings sicher, daß er ein gescheirer, energischer und zielbewußter Mann ist; die Beziehungen zu ihm, dem künftigen Herrscher der eng verbündeten Donaumonarchie zu pflegen, ist begreiflicherweise der Wunsch des Kaisers und entspricht auch den Interes­sen der deutschen Politik.

Eine Ausweisung aus Elsaß-Lothringen.

Die Verhältnisse im Reichslande Elsaß-Lothrin­gen haben sich in neuerer Zeit recht unerfreulich, ja bedenklich gestaltet. Man weiß nicht recht, wie es kam, aber die Tatsache ist nicht zu übersehen, daß sich die Einheimischen und die Eingewander­ten in einer Fremdheit und Gegensätzlichkeit gegen- überstehsn, die man kaum noch erwartet hätte. Mit einer auffälligen Ostentation wird in neuerer Zeit in der Oeffentlichkeit der Kult der Erinnerungen an die französische Zeit getrieben, und von jenseits der Grenze wird das ungemein wohlgefällig be­merkt und nach Kräften unterstützt. Letzthin nahm diese Stimmung bei der Enthüllungsfeier des Denk­mals für die gefallenen Franzosen in Weißenburg peinliche Formen an. Obgleich die deutschen Mili­tär- und Zivilbehörden sich in weitherziger Weise an der Feier beteiligten und auch sonst von deutscher Seite der Feier Unterstützung und Teilnahme ent­gegengebracht wurde, konnten sich die Französ- linge nicht enthalten, der Veranstaltung eine de­monstrative Spitze zu geben. Gerade dieses Vor­kommnis hat die Aufmerksamkeit wieder auf die Verhältnisse gelenkt und die Frage hervorgerufen, ob es nicht an der Zeit sei, den Entfremdungs­

und Hetzversuchen krästrger als bisher entgpgenzu- treten. Die reichsländische Regierung scheint ent­schlossen zu sein, etwas schärfere Saiten aufzuziehen. Sie hat in einem Falle, der sich kürzlich in Mül­hausen i. E. abspielte, mit einer Ausweisung ein­gegriffen. Dort gab es in dem vornehmen Restau­rant des Zentralhotels eines AbSnds einen großen Skandal. Eine Konzertkapelle wurde veranlaßt, die Marseillaise zu spielen, und ein Teil der Anwe­senden sang mit und klaschte demonstrativ Beifall. Als dann im Anschluß daran die deutsche Hymne gespielt wurde, gab es ein wüstes Gejohle, sodaß die in dem Lokal anwesenden Offiziere sich ent­fernten. Am gleichen Abend soll es dann noch im Weinrestaurant Fallstaff eine ähnliche Szene ge­geben haben. Als hauptsächlicher Anstifter wurde ein älterer und angesehener Kaufmann namens We­gelin festgestellt und da dieser schweizerischer Staats­angehöriger ist, so hat die Regierung in Straß- burg seine Ausweisung verfügt. Schweizer von Ge­burt ist Wegelin aber keinesfalls, sondern er stammt aus einer Mülhauser Jndustriellenfamilie und ge­hört zu jenen, die nach dem Kriege die schweize­rische Staatsangehörigkeit erwarben, um gegen die Annektion" zu protestieren und dem Militärdienst zu entgehen. Ein solcher Mann hätte wohl allen Grund gehabt, sich nichtmausig" zu machen; frei­lich soll er infolge eines Hochzeitsmahlsgut ge­launt" gewesen sein und man möchte das als mil­dernden Umstand geltend machen. Man kann es aber auch anders auslegen, dennim Wein liegt Wahr­heit", und außerdem hat ein Mann, der über die 50 hinaus ist, die Verpflichtung, sich auch in vor­gerückter Stimmung nicht in nationalen Pöbeleien zu ergehen. Dummejungenstreiche haben in diesem Alter keinen Kurs mehr. So braucht man mit dem Herrn Wegelin in Mülhausen nicht viel Mitleid zu haben. Hoffentlich dient die Maßregel, die ihn betroffen hat, ein wenig zur Abschreckung, denn es geht wirklich nicht, im Reichslande deutschfeind­liche Kundgebungen auf den Gassen und in den Wirtshäusern einreißen zu lassen.

Parteispaltung in Ungarn.

In der ungarischen Krisis, die nun schon an die sieben Monate dauert, ist plötzlich eine Wen­dung eingetreten, deren Folgen gar nicht abzusehen sind. Die Unabhängigkeitspartei, die im Parlament die Mehrheit besaß, hat sich nämlich gespalten. Die größere Hälfte hat sich dem bisherigen Parlaments­präsidenten v. Just angeschlossen und beharrt auf den extremen Forderungen gegenüber der Krone. Der bisherige Parteiführer Kossnth, der Handels­minister, sah sich in der Partei überstimmt, sodaß nichts anderes übrig blieb, als mit seinen Anhängern der alten Partei den Rücken zu keshren. Er hat unter dem Namen 48er Kossuthp'artei eine neue Par­tei gebildet, die sich an die anderen Parteien der bisherigen Koalition, insbesondere die Verfassungs­partei anlehnt und mit dieser zusammen im Par­lament eine Mehrheit gegen die alte Unabhängig­keitspartei zustande gebracht hat. Der Bildung einer- neuen Regierung aus dieser Mehrheit stellen sich indessen Hindernisse entgegen, da da die Krone sich einstweilen weigert, die nationalen Zugeständ­nisse zu machen, auf die auch die neue Koalition nicht verzichten will. Wahrscheinlich wird nichts anderes übrig bleiben, als Neuwahlen vorzuneh­men. Indessen ist die weitere Entwicklung der Dinge völlig ungewiß.