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M. 1.28.
Gssechelb Mk< 1.88
Unparteiische Tageszeitung und Anzeigeblatt, verbreitet in den Gberamtsbezirken Nagold, Keudenstadt, Lalw u. Neuenbürg.
M. 175.
Ansgabeort Alteusteig-Stadt.
Freitag, de« 30. Juli.
Amtsblatt für Psalzgrafemveiler.
LWS.
Di, Mf-Kabyl-n.
,Lr-kik' ist ein arabisches Wort und bedeutet angebautes und fruchtbares Land, gewöhnlich an den Ufern eines Flusses oder am Rande einer Wüste. In der Kabylensprache bedeutet „Rif" so viel wie Ufer. Die Ausdehnung des Rifs am Mittelländischen Meer beträgt ungefähr 230 Km. Die Breite ist sehr verschieden — mährend sie in der Mitte 180 Km. erreicht, beschränkt sie sich an der westlichen Grenze auf 80 und an der östlichen auf 60 Km. Die Zahl der Bewohner schätzt der Franzose Moulieras auf über 1200 000, die der kriegsfähigen Männer nach den verschiedensten Berichten aus 250 000. Von allen Seiten durch die Natur gegen Angriffe geschützt, haben sich die Bewohner des Rif niemals unter ein fremdes Joch gebeugt, auch nicht unter das der marokkanischen Herrscher, deren Oberhoheit sie nur dem Namen nach und durch die Zahlung von Steuern anerkennen, die sie selbst als freiwillige Geschenke betrachten und deshalb auch keineswegs regelmäßig entrichten. Man könnte diese Geldsendungen der Rifkabylen an den Sultan von Marokko wohl den Spenden vergleichen, die der Pabst von frommen Katholiken aus allen Teilen der Erde empfängt.
Die Rif-Kabylen zerfallen in 30 Stämme, die fast alle der Berberrasse angehören und ein besonderes, dialektreiches Idiom für sich haben; die arabische Sprache ist unter ihnen ganz unbekannt. Einheitliche Verwaltungs- und Gerichtsbehörden kennen sie nicht; Bürgerkrieg und Blutrache sind bei ihnen an der Tagesordnung. Die Häuptlinge schalten und walten so lange willkürlich und zu ihrem eigenen Vorteil, bis sie verjagt oder ermordet werden, was, wie Moulieras schreibt, noch häufiger vorkommt als ein Ministerwechsel in Frankreich. An Fruchtbarkeit wird dieses Volk von wenigen der Erde übertroffen, sechs bis sieben Kinder und darüber sind in den Familien nichts Seltenes. Ein großer Kindersegen gilt einem Ehepaare als das höchste Glück auf Erden, eine unfruchtbare Frau wird geradezu verachtet und muß schließlich als Ausgestoßene zu ihren Eltern zurückkehren. Zu den billigen Freuden des Lebens kann man das Heiraten bei den Rif-Kabylen nicht rechnen, denn jede Frau muß gekauft werden und zwar für einen verhältnismäßig hohen Preis. Eine häßliche kostet 500 Franken, eine von mittleren Reizen 1000 bis 1500 Fr. und eine sehr hübsche bis zu 4 oder 5000 Franken. Außerdem muß der Bewerber die Aussteuer für die Braut beschaffen. Während diese zwischen 10 und 14 Jahren in den Ehestand einzutreten pflegt, hat der Bräutigam meist ein Alter von 15 bis 20 Jahren. Sittenreinheit herrscht faß in allen Stämmen als höchstes soziales Gebot. Die Sklaverei ist, im Gegensatz zu den übrigen mohammedanischen Völkern, bei den Rif-Kabylen unbekannt. Der Haß dieses merkwürdigen Volkes gegen die Spanier ist besonders an der Küste wild u. unversöhnlich, obschon es den letzteren bisher nur gelungen ist, sich auf einigen öden Felseninseln festzusetzen. Selbst in Friedenszeiten würde es keinem Eingeborenen einfallen, den spanischen Besatzungen der Inseln Lebensmittel irgendwelcher Art zu verkaufen, so daß für jene sogar Trinkwasser von Spanien eingeführt werden muß. Unter keinen Umständen wird es diesen verhaßten Fremdlingen gestattet, das Festland zu betreten, und um sie nötigenfalls mit Gewalt davon abzuhalten, werden die den spanischen Felseninseln gegenüberliegenden Küstenstriche Tag und Nacht von bewaffneten Posten bewacht, die die dort wohnenden Stämme abwechselnd zu stellen haben. Besonders scharf beobachtet wird der feindliche Felsen Nekür (Alhucemas); beständig stehen da hundert bewaffnete Rif-Kabylen auf der Wacht, die alle 30 Tage abgelöst werden. Ter Meereseinschnitt an jener Stelle heißt die „Bucht der Märtyrer", weil hier schon Tausende von Muselmännern im Kampfe für ihren Glauben und die Unabhängigkeit ihres Landes gesallen und am Ufer begraben sind.
Den Spaniern wird ihr abenteuerlicher „Feldzug" teuer zu stehen kommen und bis sie die Kabylen unterworfen haben, wenn dies überhaupt gelingt, wird mancher Spanier die Erde Marokkos noch mit seinem Blut tränken.
Württembergischer Landtag.
js Stuttgart, 28. Juli.
D ie Zweite Kammer nahm heute mit verlegener Heiterkeit unter Verzicht auf jede Debatte das Notgesetz zur Weitererhebung der Steuern in erster und zweiter Lesung
an, übergab eine Eingabe des Kaminsegergehilstnvereins um Teilung besonders großer Kehrbezirke und Vermehrung der Meisterstcllen der Regierung zur Berücksichtigung und knüpfte dann an einen Antrag, die Regierung zu ersuchen, im Bundesrat für eine baldige Regelung der Pensions- und Hinterbliebenenversicherung der Privatangestellten einzutreten eine beachtenswerte Selbstkritik. Gröber (Z.) wandte sich gegen die fortschreitende Neigung, Fragen, deren Entscheidung dem Reickstag zufällt und die für das Land kein spezielles Interesse haben, in diesem Hause zu erörtern, und wies auf die Gefährlichkeit der Annahme eines solchen Antrages ohne die genügenden Grundlagen hin. Liesching (V.) hieb in dieselbe Kerbe und gab zu, daß die Verhandlungen des Hauses deshalb immer weniger Interesse begegnen, weil zuviel Reichsfragen erörtert würden. Mehr Selbstbeschränkung hebe das Ansehen des Parlaments. Mattutat (Soz.) hielt den Vorrednern entgegen, daß auch ihre Parteien solche Anträge schon gestellt haben. Kraut (B. K.) gab zu, daß der Vorwurf, zwecklose, auf Reichstagsfragen sich beziehende Anträge gestellt zu haben, jeder Partei gemacht werden könne. Bei den Verhandlungen über solche Anträge komme so gut wie nichts heraus. Hieber (D. P.) schloß sich der Auffassung der Vorredner an. Haußmann (V.) empfahl mehr Selbstbeschränkung, namentlich im Wortemachen. Aus dem Haus erhob sich kein Widerspruch, als er soweit ging, zu sagen, es sei notwendig sich mit dem Gedanken zu befreunden, daß ein geschwätziges Parlament den Einfluß nicht hat, den es haben soll. Nach dieser, durch die tatsächlichen nachgerade unhaltbaren Verhältnisse notwendig gewordenen Debatte, die hoffentlich nicht ohne heilsame Wirkung sein wird, wurde ein Antrag Gröber, die dem obenerwähnten Antrag zugrunde liegende Eingabe der Regierung zur Erwägung zu übergeben, angenommen, womit dieser Antrag gefallen war. Nächste Sitzung Montag nachmittag. Die Tagesordnung wird vom Präsidenten bestimmt werden.
Landesnachrichken.
* Berichtigung. In einem Teil der gestrigen Auflage unseres Blattes ist am Schluß des Artikels „Schulpolitik auf der Kanzel?" ein Satzfehler stehen geblieben. Es muß dort statt württ. „ev." Geistlichkeit des Landes heißen.
Freudenstadt, 27. Juli. Vor dem hiesigen Schöffengericht kam heute die Strafsache gegen den Waldarbeiter G. M. von G. zur Verhandlung, der in leichtfertiger Weise und unter Außerachtlassung der gewöhnlichen Vorsicht in einem abgeholzten, mit Heidekraut und Gestrüpp bewachsenen Privatwald umherliegendes Reisig, das ihm bei den Kulturarbeiten hinderlich war, auf Haufen getragen und angezündet hat. In einem Falle sprang jedoch das Feuer auf den benachbarten Hochwald über und vernichtete ca. 35 Ar des Holzbestandes, wodurch ein Schaden von etwa 150 Mark entstanden ist. Nur dem Eingreifen anderer Waldarbeiter und der rasch herbeigeeilten Feuerwehr von G. war es zu danken, daß das Feuer keine größere Dimension angenommen hat. Bei den Löscharbeiten zog sich ein Arbeiter eine schwere Verletzung zu. Der Sachverständige äußerte sich dahin, daß es geradezu ein bodenloser Leichtsinn und vollkommen unverständlich sei, wie bei der damals Mai) herrschenden kolossalen Trockenheit ein Feuer im Wald gemacht werden konnte und dazu noch von einem Waldarbeiter. Das Urteil lautete wegen einer Uebertretung des Z 368 Ziffer 6 St.G.B. auf 3 Mk. Geldstrafe evtl. 1 Tag Haft, und wegen eines Vergehens der fahrlässigen Brandstiftung auf 30 Mk. Geldstrafe evtl. 1 Woche Gefängnis.. Auch hat der Angeklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gr.
js Wildbad, 28. Juli. Auf dem Postamt fehlt seit einigen Tagen ein Hilfsbote, der über Land ging und die empfangenen Gelder unterschlagen haben soll. Die Uniform ließ er in seiner Wohnung zurück. — Der Hausdiener eines hiesigen Gasthofbesitzers wurde verhaftet, weil er über Nacht seinem Prinzipal das Büffet erbrochen und einen größeren Geldbetrag gestohlen hat.
js Stuttgart, 28. Juli. Bei der heutigen Ziehung der Brackenheimer Kirchenbaulotterie fielen die Hauptgewinne auf folgende Nummern: 15,000 Mark auf Nr. 101887, 5000 Mk. auf Nr. 57 956, 2000 Mark auf Nr. 20 689, je 1000 Mk. auf Nr. 86 493, 9462, je 500 Mk. auf Nr. 4372, 29 646, 47 505, 102 103. (Ohne Gewähr.)
ff Gerabronn, 28. Juli. Einen nachahmenswerten Trick gegen die Konkurrenz der Wanderlager haben einige
hiesige Geschäftsleute unternommen. Durch Flugschriften kündigte ein Wanderlager hier und in den benachbarten Orten an, daß es aus acht Tage den Verkauf von Emailwaren und Haushaltungsgegenständen im „Bären" eröffnen und zu enorm billigen Preisen absetzen werde. Als Verkaufslokal diente nun allerdings nicht der Bären, sondern eine Remise in der Bahnhofstraße. Unter dem gleichen Dach sind aber drei solche Wagenremisen untergebracht, wovon den einen Teil das Wanderlager hat und nun mieteten die einschlägigen Geschäfte den andern Teil der Remise, so daß gegenwärtig die reinste Messe sich dort entwickelt. Das lausende Publikum hat nun Gelegenheit, die Waren und Preise des Wanderlagers mit denjenigen der ansässigen Geschäftsleute zu vergleichen und der Vergleich fällt nicht zu Ungunsten der ansässigen Geschäftsleute aus, denn dieselben verkaufen weit mehr wie das Wanderlager, das kaum auf die Kosten kommen dürfte. In ähnlicher Weise sollte man überall gegen die Konkurrenz der Wanderlager Vorgehen, da diese die ansässigen Geschäftsleute schwer schädigen.
js Vaihingen a. Enz, 28. Juli. Dem Fabrikarbeiter Albert Vosseler in Oberriexingen wurde für die mit eigener Lebensgefahr ausgeführte Rettung dreier Menschen vom Tode des Ertrinkens die Rettungsmedaille in Silber verliehen.
js Adolzhausen, AO. Mergentheim, 28. Juli. Ein fremder Händler bot einem hiesigen Einwohner für zwei Läuferschweine 105 Mark. Vater und Tochter hielten es aber für besser, die Borstentiere auf das Gewicht zu verkaufen. Die Parteien wurden auf den Preis von 53 Pfg. per Pfund lebendes Gewicht einig und der Verkäufer erhielt nun 47 Mark für beide Schweine.
js Friedrichshasen, 28. Juli. Mit der Gründung der deutschen Luftschiffschule in Friedrichshafen wird es nunmehr ernst. Letzter Tage weilte Generalleutnant z. Disp. von Nieder aus Mannheim, der Vorsitzende des deutschen Luftflottenvereins hier, um die Vorbereitungen zu treffen. Die Schule, für die der Luftflottenverein vom Preußischen Kriegsministerium einen Beitrag von 6000 Mark erhalten hat, soll mit acht jungen Leuten im Alter von etwa achtzehn Jahren am 1. Oktober errichtet werden.
Vorn „Z. S".
js Friedrichshafen, 28. Juli. Das Luftschiff Z. 2 ist zu einer neuen kurzen Probefahrt um ftz6 Uhr aufgestiegen.
jj Friedrichshafen, 28. Juli. Z. 2 ist um ^7 Uhr wieder gelandet. Nach dieser zweiten Probefahrt sind alle Bedingungen für die Abnahme des Luftschiffes erfüllt und das Luftschiff ist in das Eigentum des Reichs übergegangen. Der Aufstieg zu der Fahrt nach Frankfurt soll unter allen Umständen am Samstag früh 3 Uhr erfolgen.
js Köln, 28. Juli. Im Jndustriehasen fiel heute nachmittag ein 3jähriges Kind ins Wasser und ertrank. Zwei Knaben im Alter von 10 und 13 Jahren, die das Kind retten wollten, ertranken ebenfalls. — Wie der Köln. Ztg. aus Trier gemeldet wird, hat in Kerpich- hemmersdorf die Ehefrau des Gendarmen Landwehr ihr erblindetes 9jähriges Kind erdrosselt und die weißgekleidete Leiche auf eine Bahre gelegt. Die Frau erhängte sich dann selbst.
js Berlin, 28. Juli. Der Reichstag veröffentlicht die Ernennung des Unterstaatssekretär im preußischen Handelsministerium Richter zum Unterftaatssekretär im Reichsamt des Innern.
* Kiel, 28. Juli. Von der gestrigen Landung der Zarenfamilie vor Hemmelmark wird noch bekannt, daß wegen niedrigen Wasferstandes alle Mitglieder der Zarenfamilie von Matrosen durch das Wasser an das Land getragen werden mußten. Aus diesem Grunde wurde gestern abend bei der Abfahrt und heute morgen bei der neuerlichen Landung auch die Brücke bei Borby benutzt. Die Zarenfamilie bringt auch den heutigen Tag in Hemmelmark- zu. Das Wetter ist schlecht. Es regnet, und in der offenen EckernföDver Bucht stürmt es aus nordöstlicher Richtung. Die Abfahrt der Zarenfamilie nach Holtenau zur Durchfahrt durch den Kaiser Wilhelm-Kanal erfolgt Donnerstag früh. Das aus Anlaß des Zärenbesuches von den Sozialdemokraten in Kiel veranstaltete Protestmeeting, in dem der Landtagsabgeordnete Liebknecht-Berlin sprach, war von 10 000 Person«! besucht. Die Versammlung verlief sehr ruhig.