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Unparteiische Tageszeitung und Anzeigeblatt, verbreitet in den Gberamtsbezirken Nagold, Freudenstadt, Talw u. Neuenbürg.

«». L63.

Ausgabeort Altensteig-Stadt.

Freitag, de« 16. Juli.

Amtsblatt für Pfalzgrasenweiler.

1SÜS.

Fürst Bülow'S Lebewohl.

Nachdruck verboten.

Am dritten Mai dieses Jahres feierte Fürst Bülow seinen sechzigsten Geburtstag, seit Oktober 1900 ist er deut­scher Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident, nach­dem er sckon seit 1897 Staatssekretär im Reichsamt des Auswärtigen gewesen war, wozu man ihn von seinem bis ' dahin innegehabten Botschafterposten in Rom beruf. Fünf- ' unddreißig Jahre steht er im diplomatischen Dienst, und von diesen kann er allermindestens seine Klanzler-Jahre an Verantwortlichkeit, Arbeit und Anstrengung als Kriegsjahre rechnen. Aber auch wenn man alle diese Tatsachen in Be­tracht zieht, ein Staatsmann von sechzig Jahren ist kein aller Mann, der unbedingt Ruhe haben muß, und so hatten die meisten Deutschen wohl damit gerechnet, daß der vierte Kanzler mindestens bis zur Mitte der Sechzig oder bis zu ! den Siebzig das Steuerruder in der Reichspolitik führen

würde. Es ist anders gekommen, Fürst Bülow ward im - Verlauf seiner Blockpolitik von seinem bisherigen Glück ver­lassen, und er entschied sich dahin: Entweder ein Block- Kanzler oder gar keiner! Und nun geht er, verläßt sein Heim in der Wilhelmstraße zu Berlin, in dem vor ihm Bismarck, Caprivi und Hohenlohe des Reichskanzler-Amtes j Würde und Bürde getragen haben. Ob er mit seinen Sech­zig dauernd im Privatleben verharren wird? Nach jenem § bekannten Ohnmachts-Anfall im Reichstag zu Ostern 1906

s ist seine Gesundheit wieder völlig hergestellt, und es darf

! niemand behaupten, daß seiner später nicht noch einmal neue

! Aufgaben warten könnten. Fürst Bismarck wurde nach stmem Rücktritt zum Reichstagsabgeordneten gewählt, er- ' schien aber nie im Parlament. Warum sollte Bülow aber,

! wenn ihm ein Mandat angelragen würde, nicht unter den

Volksvertretern seinen Platz einnchmen?

Fürst Bülow war ein Diplomat in des Wortes höchster , Bedeutung. Er gebrauchte die Worte nicht, um seine eigent-

^ lichen Gedanken zu verhüllen, aber er gebrauchte sie, um

Gegensätze zu mildern, so weit es ihm nur möglich war.

^ Er tat es nach innen hin und nach außen. Er' unternahm

! in der Blockpolitik eine Aufgabe, an die Bismarck in seinen

! Reden wohl gerührt hatte, an die er aber nicht herantrat,

j Ter erste Kanzler war ein Volkserzieher; dazu fehlte Bülow

der Herrschergeist. Er war ein treuer Diener, aber eine i Stellung von der historischen Bedeutung Bismarck's gewinnt

' ein Staatsmann heute-wohl überhaupt nicht mehr. Und

daraus entstand in ihm eine Müdigkeit. Nicht, als ob ihm , das kaiserliche Vertrauen seit den November-Tagen 1908

gefehlt hätte, aber über seine Natur kann nicht jeder hinaus. Bismarck konnte es, Bülow nicht.

Geben wir ihm die Ehre, die er verdient. Er hat es schwer, bitterschwer gehabt. Das Kapitel Marokko-Frank- reich-England war ein tiefernstes und ohne Bülows kühle Politik hätten wir wahrscheinlich eine gehörige Rauferei er­lebt. Sein Meisterstreich war die deutsche Stellungnahme zu Oesterreich-Ungarn während der letzten Orientwirren. Mag man davon sagen, was man will, der deutsche Reichs­kanzler ließ mit einem Male die Schale der europäischen Kriegspartei in die Lüfte schnellen. Das war eine Leistung nach Bismarckscher Art, volle Entschlossenheit zu einem Punkte, wo alles darauf ankam.

Bernhard von Bülow war im Grunde seines Wesens ein moderner Mann, der Parteizwist lag seiner vornehmen und liebenswürdigen Natur fern, sonst hätte er das Experi­ment mit dem Block überhaupt nicht gemacht. Die Erfolge beim Abschluß der neuen Handelsverträge haben ihm den Gedanken zu einer Verschmelzung der Gegensätze von rechts und links eingegeben, und die letzten Reichstagswahlen haben chn darin bestärkt.

In den Armee- und Marine-Fragen, in der Kolonial- Polikik, in der Sozial-Resorm, in der Gewerbe-, Vereins­und Börsen-Gesehgebung sind während der Kanzlerschaft des Fürsten Bülow große Fortschritte gemacht worden. Es ist einem jeden gestattet, Kritik zu üben, es ist nicht leicht zu lagen, wie es anders und wie es besser hätte gemacht werden können. Wir haben teure Zeilen in Deutschland bekommen, aber wir sehen heute noch nichts von Einschränkung, wie in Notzeiten. In anderen Staaten, selbst im reichen England, ist es nicht besser, sondern eher schlimmer. Kurz und gut, wir dürfen mit vollem Recht das sagen, während Bernhard Bülow Kanzler war, fühlte der Deutsche sich geborgen.

Es ist dem scheidenden Kanzler nicht alles gelungen, was er gewollt hat, vielleicht hat er die Ermüdung, von

der oben gesprochen ist, mehr gespürt, wie andere sie an ihm zu bemerken glaubten, aber das wird von ihm die Ge­schichte sagen : Er hat das Größte gewollt und Vieles davon erreicht. Dafür ist ihm rechter Dank-uldig, denn, wie ja alle deutschen Reichskanzler, aus Auszeichnungen und äußeren Ehren hat sich Bülow nichts gemacht. Auch den wiederholt abgelehnten Fürstentilek nahm er nur auf aus­drücklichen Wunsch des Kaisers an. So geht Bülow, aber er geht in hohen Ehren und hatte er auch als Kanzler manche polnische Gegner, so sind sie doch heute bei seinem Abschied verschwunden. Bismarck wird vielleicht nie über­trumpft werden, ob Bernhard von Bülow so bald übertroffen werden wird, müssen wir abwarten.

Tagespolitik.

Eine französische Zeitschrift veröffentlicht Sine interessante Statistik der deutschen in Rußland. Nach ziemlich zu­treffender Schätzung ist die Zahl der in Rußland lebenden Deutschen auf anderthalb Millionen zu beziffern. Am kräftigsten blüht das Deutschtum bekanntlich in den baltischen Provinzen, es wohnen hier 229 000 Deutsche. Noch größer sind die deutschen Kolonien an der Weichsel, der Wolga und in Kutschurgan. Besonders in den Handelszentren des kultivierten Russisch-Polen ist das Deutschtum ansässig ge­worden. Ihre Zahl beträgt hier 550 000. Dazu kommen noch die verstreut im Lande lebenden Landsleute, sodaß im ganzen die Zahl von l'/z Millionen herauskommt. Erfreu­lich ist, daß die russischen Deutschen Sitte und Art des Vaterlandes bewahrt haben. Man sagt dem Deutschen eine Vorliebe für fremdes Wesen nach, und doch bewahrt nie­mand seine Eigentümlichkeiten in der Fremde so gut wie er!

Wie die PetersburgerRossija" meldet, mußte vnn der Abhaltung eines allslavischen Kongresses in Peters­burg Abstand genommen werden, da die russische Regierung ihre Zustimmung verweigerte. Infolgedessen wird in Peters­burg im kommenden November nur eine allskavische Kon­ferenz, also eine interne Besprechung der Führer stattfinden; dagegen ist beschlossen, den nächsten allslavischen Kongreß im Mai 1910 in Sofia abzuhalten. Dieser Beschluß beleuchtet recht bezeichnend die weiteren Absichten der allslavischen Pro­paganda. Bisher hat von einer Beteiligung der Bulgaren an der neupanslavischen Bewegung noch nichts verlautet. Entweder ist es inzwischen gelungen, auch dort Fuß zu fassen, oder es soll dies durch den Kongreß in der bulgarischen Hauptstadt erreicht werden. Offenbar haben sich die pan- slavistischen Führer die weitere Aufstachelung der Südslaven zur nächsten Aufgabe gestellt. Nach den Serben die Bul­garen ! Man spürt deutlich die Zusammenhänge der von Rußland ausgehenden allslavischen Propaganda mit der russi­schen Balkanpolitik.

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Nach einem dem Verein für das Deutschtum im Aus­land zugegangenen Bericht der deuts ch en Schule in Konstantinopel über das Schuljahr 190809 weist diese eine Schülerzahl von insgesamt 587 Schülern und Schülerinnen in der Oberrealschule und -höheren Mädchen­schule auf. Der Staatsangehörigkeit nach waren von diesen 136 Reichsdeutsche, 103 Oesterreicher und Ungarn, 31 Schweizer, 217 Ottomanen, 26 Italiener, 22 Griechen, 15 Rumänen, 9 Russen, 6 Spanier, 5 Franzosen, 4 Norweger, 4 Engländer, 3 Perser, 2 Montenegriner, 1 Bulgare, 1 Niederländer, 1 Belgier, 1 Nordamerikaner. 317 der Schüler hatten deutsch als Muttersprache. Dem Religionsbekenntnis nach waren 135 evangelisch, 109 römisch-katholisch, 51 grie­chisch-katholisch, 22 armenisch gregorianisch, 238 mosaisch, 23 Mohamedaner. Alle diese Ziffern zeigen, auf wie mannig­faltige und weite Kreise der verschiedenen Nationen und Be­kenntnisse durch die deutsche Schule in Konstantinopel der Einflußbereich der deutschen Kultur und Sprache ausgedehnt wird. Der Ausbau zur Oberrealschule mit 12jährigem Kur­sus schreitet weiter fort, im nächsten Jahre wird die Unter­prima angefügt werden. Ebenso wird im Jahre 1910 der Ausbau der Handelsabteilung vollendet sein. Im letzten Winter wurden Gratissprechkurse im Deutschen für Erwachsene eingerichtet, an denen sich vor allem junge Kaufleute fremder Nationalitäten beteiligten. Da es sich herausstellte, daß be­sonders unter den jungen türkischen Offizieren der Wunsch zur Erlernung der deutschen Sprache verbreitet war, richtete der

Schulrat auch für diese einen Kursus im Deutschen ohne sprachliche Vorkenntnisse ein, der von 16 Offizieren und Mi­litärärzten besucht wurde. Durch die revolutionären Wirren im April wurde diesem Unterricht ein vorzeitiges Ende be­reitet, doch wird er zweifellos im kommenden Winter neu ausgenommen werden.

In Persien sind die Dinge insofern in ein neues Stadium getreten, als die Nationalisten in Teheran einge­drungen sind. In den Straßen spielten sich Kämpfe ab. Alle Läden blieben geschloffen. Die bedrängten, um ihr Eigentum bangenden Kaufleute wandten sich an die fremden Gesandtschaften, diese sollen ihnen geraten haben, sich an die russische Regierung um Schutz zu wenden. Man wird jetzt abwarten müssen, ob die Nationallisten stark genug sind, ihre Absicht, den Schah zu entthronen, durchzusetzen. Der Schah war schon oftmals in kritischen Situationen, er wand sich stets aalglatt heraus. Rußland spricht ja auch immer sein Wort mit!

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Der Grenz st reit zwischen Bolivia und Peru nimmt recht ernste Formen an. Bekanntlich hat Argentinien das als Schiedsrichter in dem Streit um ein wirtschaftlich sehr wertvolles Territorium angerufen war, das letztere Peru zugesprochen, was seltsam genug! einen Stu.m der Entrüstung bei den Bolivianern hervorries. Die Re­gierung Bolivias kündigte an, daß sie den Schiedsspruch Argentiniens nicht annehme. Die Erregung in der Haupt­stadt La Paz gegen Peru und Argentinien ist so groß, daß die Gesandtschaften beider Staaten fortgesetzt vom Pöbel aufs ärgste belästigt werden. Die Sicherheitsorgane haben alle Gewalt über die entfesselte Volksleidenschaft verloren. Ja, man glaubt sogar, daß letztere die Regierung zu einem Kriege gegen Peru drängen wird.

Württrmbergifther Landtag.

j> Stuttgart, 14. Juli.

Die Zweite Kammer beschäftigte sich heute mit der Ein­gabe der Gemeinden Markgröningen, Möglingen und Lud­wigsburg um Erbauung einer normalspurigen Nebenbahn von Ludwigsburg nach Markgröningen durch den Staat und überwies die Eingabe der Regierung zur Berücksichtigung. Die Eingabe um Fortsetzung der Bahn bis Enzweihingen wurde der Staatsregierung zur Erwägung übergeben. In der Debatte kam man nochmals auf die konfessionelle Eisenbahnpolitik zu sprechen. Abg. Rembold- Aalen wies die gegen das Zentrum erhobenen Vorwürfe energisch zurück, was den Abg. Keil (Soz.) zu der Aeußerung veranlaßte, daß manche Bahnwünsche seitens der Regierung nur erfüllt wurden, um dem Zentrum den Mund zu stopfen. Ministerpräsident v. Weizsäcker stellte einen derartigen Handel bestimmt in Abrede. Er bedankte sich dafür, bei seinen sach­lichen Erwägungen auch noch die Konkurrenz der Parteien in Betracht zu ziehen. Würde man die Frage der Erbauung von Nebenbahnen mit der Politik verquicken, so würde die Verwaltung schlechte Geschäfte machen. Die Regierung ver­zichte darauf, sich zu kompromittieren und eine Kompromit- tierung würde ein solcher Vorgang sein. Der Antrag Gröber und Genossen betr. Gewährung eines Staatszuschuffes zu einer Schlachtviehversicherung zum Schutze gegen Verluste, welche durch Beanstandung des Fleisches bei der Fleischbe­schau entstehen, wurde abgelehnt. Nächste Sitzung morgen Vormittag 9- Uhr mit der T.-O. Finanzetat.

Landesnachrichten.

j! Calw, 14. Juli. Nächsten Samstag feiert Schultheiß Scholl in Unterreichenbach sein 40jähriges Amtsjubiläum. Die bürgerlichen Kollegien veranstalten eine öffentliche Feier.

js Rexingen OA. Horb, 14. Juli. Schreinermeister Lorenz Göttler und seine Familie wurden durch eine trau­rige Nachricht überrascht. Letzten Herbst rückte der .Sohn zum dritten Stammseebataillon ein. Dieses Frühjahr kam er nach Kiautschou. Am Sonntag abend kam die telegraphische Nachricht, daß der Sohn an Darmtyphus schwer erkrankt darniederliege und kurz darauf die weitere telegraphische Meldung, daß er am 9. Juli gestorben sei.