Steuermacherei und über die Art und Weise, wie sie von den verbündeten Regierungen ungeachtet ihrer feierlichen Er­klärungen hingenommen wird. Die ganze innerpolitische und parteipolitische Lage erscheint von Grund aus verändert, und man sieht nur das eine mit Sicherheit voraus, daß wir schweren und stürmereichen Zeiten entgegengehen. Das was sich jetzt begibt und begeben hat, die Zertrümmerung des Blocks durch die Konservativen und deren Bund mit dem Zentrum und den Polen, wird sich an ihren Urhebern gewiß einmal rächen; allein das ist ein schwacher Trost für das Volk, das die Zeche für diese Macht- und Jnteressen- politik zu zahlen hat. Wohl ist den Konservativen kaum in dieser Lage. Das Zentrum ist nun wieder obenauf und kann Ansprüche stellen; es denkt gar nicht daran, aus die Ausübung und den Genuß der Macht, die ihm zugefallen ist, zu verzichten. So lange die Konservativen noch nicht den entscheidenden Schritl getan, noch nicht die Brücken zum Block hinter sich abgebrochen haben, so lange war das Zen­trum den Konservativen durchaus zu Willen und tat ge­wissermaßen alles, was es ihnen an den Augen absehen konnte. Aber fortan hat das Zentrum die Führung in der neuen Mehrheit, und die Konservativen müssen es sich ge­fallen lassen, die zweite Violine zu spielen. Das wird nicht immer bequem sein, und es wird auch nicht immer den Wünschen und Interessen der Kon­servativen entsprechen; aber so gehl es : wenn einer einmal schuldig geworden ist, muß er sich dem Genossen der Tat, wenn dieser stärker ist, fügen. Auch die Polen werden die Rechnung Präsentieren. Denn aus Patriotismus und Vaterlandsliebe haben die wahrhaftig nicht mit­gemacht: sie haben den Konservativen und dem Zentrum geholfen, um den Fürsten Bülow und seine den Polen unbequeme Politik zu stürzen und um für die Gefälligkeit und Unterstritzung von den Konservativen und dem Zentrum Ge­genleistungen zu erhalten. Worin diese Gegen­leistungen bestehen sollen, braucht nicht erst ge­sagt zu werden: in einer Milderung der Polen- polrtik Preußens. Das alles aber ist für die Konservativen fatal, oder kann fatal werden.

Dazu kommt, und das ist das Schlimmste, daß sich im eigenen Lager eine hochgradige Un­zufriedenheit mit der Fraktionspolitik bemerkbar macht. Eine ganze Reihe von Austritten aus der Partei ist bereits erfolgt, und es fehlt nicht an sehr entschiedenen Einspruchskundgebungen.

Ein Glück für die Partei, daß es nicht zu einer Auflösung des Reichstags kommt. Aber die Wirkungei? dieser Politik werden dalnit nicht aus der Welt geschafft. Die konservativen Ma­cher haben sonst starke Nerven; aber es scheint doch, als ob ihnen nicht ganz geheuer mehr wäre.

Darauf läßt eine nervöse Reizbarkeit ihrer Presse schließen. Mit den gewagtesten Mitteln wird es so hinzustellen versucht, als ob die Konservativen nicht Schuld an der Krisis seien, insbesondere auch nicht Schuld an dem Rücktritt des Fürsten Bülow. Aber die Tatsachen reden eine zu eindringliche Sprache. Unterdessen bemüht man sich, ein Kompromiß zwischen der Regierung und der neuen Mehrheit zustande zu bringen. Es wird zweifellos auch zustandegebracht werden, aber es hat sich doch herausgestellt, daß es trotz der Bereit­willigkeit der Konservativen nun mit sich reden zu lassen, schwieriger ist, als man dachte. Die Regierung, wenn sie sich schon so weit herbeiläßt, der neuen Mehrheit sich anzu- oertrauen, kann mit ihren Zugeständnissen doch über eine be­stimmte Grenze nicht hinaus. Andererseits scheint aber das Zentrum nicht gewillt, sich in seinem Entgegenkonimen zu übereilen; es gefällt ihm, die andern ein wenig zappeln zu lassen. Was an Ersatzsteuern ausgemacht wird, steht dahin! Ueber die Verhandlungen wird der Schleier tiefen Geheim­nisses gebreitet, auf daß keine Störung eintrete. Daß es sehr minderwertige Steuern sein werden, die schließlich zutage kommen, unterliegt allerdings kaum noch einem Zweifel. Im Reichstage ist mittlerweile im Galopp gearbeitet worden, und zwar durchaus nach den Heften der neuen Mehrheit. Es hat sich gezeigt, daß nun, wo der entsprechende Schritt einmal erfolgt ist, die Reichspartei und die Wirtschaft!. Ver­einigung in genügender Stärke mit der neuen Mehrheit gehen, so daß keinerlei Gefahr vor Zwischenfüllen zu be­fürchten ist. Das Brausteuergesetz ist nach den Beschlüssen der Kommission angenommen worden, und das ist noch das beste und einwandfreieste von allen. Schlimm aber ist es schon, daß auch die Tabaksteuer in der Gestalt der Kom­missionsbeschlüsse Annahme fand. Staatssekretär Sydow fand zwar, daß, wenn schon die von der Regierung beantragte Banderolesteuer keine Aussicht habe, die von der Mehrheit vorgeschlagene Wertsteuer immer noch besser sei als die Ge­wichtssteuer. Um der Sache ein Mäntelchen umzuhängen, wurde dann noch ein vom Zentrum gestellter Antrag auf Unterstützung arbeitslos werdender Arbeiter der Tabakindu- strie angenommen, nachdem ein weitergehender Antrag der Sozialdemokratie abgelehnt worden war. War schon die Debatte bei der Tabaksteuer heftig, so wurde sie bei der Be­ratung über die Branntweinsteuer geradezu stürmisch. Der Branntwein ist es sozusagen, der die Konservativen zu ihrem Bunde mit dem Zentrum verführt hat. Hier legte das Zentrum, das seine Leute kannte, den Köder aus, indem es den Konservativen nicht nur die Fortdauer derLiebesgabe"

Schwarzwälder Sonntagsblatt.

das ist die Steuerermäßigung für das den einzelnen Brenne­reien zugeteilte Kontingent, zusicherte, sondern diese Liebes­gabe noch erweiterte. Die Regierung wollte ein Zwischen­handelsmonopol, aber sie gibt sich auch mit dem zufrieden, was die Mehrheit an dessen Stelle zu setzen beliebt und was im wesentlichen darauf hinausgeht, daß an Stelle des Staats­monopols ein Privatmonopol, das der Spirituszentrale, ge­setzt wird. Alle Einwendungen dagegen haben nichts ge­holfen ; maßgebend war und blieb das Interesse der land­wirtschaftlichen Brennereien. Die Kommissionsfassung wurde angenommen. Dagegen wurde die von der neuen Mehrheit ausgeheckte Parfümeriesteuer abgelehnt; die Mehrheit selbst hatte einsehen müssen, daß es damit nicht gehe. Ein unge­mein charakteristisches Moment war, als der Staatssekretär Sydow im Laufe der Debatte über das Branntweinsteuer­gesetz die Wendung gebraucht: Die Regierung steht auf dem Standpunkt. Ein gewaltiges Gelächter erhob sich auf der Linken, und man hörte Rufe wie:Die Regierung hat ja überhaupt keinen Standpunkt, sie ist ja umgefallen." Der Präsident schwang in dem Lärm die Glocke dermaßen, daß der Klöppel herausslog. Es war ein wahrer Hexensabatt. Am Mvntag dieser Woche kam dann die Vorlage über das Erbrecht des Staates an die Reihe. Die Mehrheit machte

ihm so völlig den Garaus, daß auch davon nichts in die 3. Lesung hinübergeht. Abgelehnt wurde, und das ist be­sonders vom württembergischen Standpunkt aus sehr erfreulich, die von der Regierung ebenfalls vorgeschlagene Flaschenweinsteuer; dagegen wurde die Erhöhung der Schaumweinsteuer angenommen und alles gemäß den Kommissionsbeschlüssen. So war es im Reichstage. Ein Wort bleibt noch zu sagen über die verbündeten Regier­ungen. Sie haben viele und berechtigte Kritik erfahren wegen ihrer schwächlichen, jede Autorität untergrabenden Haltung. Es ist auch davon die Rede gewesen, daß sie den Fürsten Bülow im Stich gelassen und so seinen Rücktritt mit ver­schuldet haben. Namentlich gegen Bayern sind in dieser Beziehung Vorwürfe erhoben worden. Daraufhin ist vom Staatssekretär v. Bethmann-Hollweg namens des Bundes­rats im Reichstag die Erklärung abgegeben worden, daß der Bundesrat unter sich und mit dem Fürsten Bülow völlig einig sei und daß keine Differenzen und Verstimmungen vor­handen seien. Aber einen großen Eindruck hat diese Er­klärung nickt gemacht. Die Tatsache, daß die verbündeten Regierungen entgegen ihren förmlichen Erklärungen sich mit der Ablehnung der Erbanfallsteuer abgefunden haben und die Finanzreform in ganz veränderter Gestalt entnehmen wollen, läßt sich nicht aus der Welt schaffen. Auch die Tatsache nicht, daß Fürst Bülow wegen dieses Verlaufs der Dinge zurücktritt. Ob er selbst schon sich nicht zu dem Ent­schlüsse aufraffen konnte, den Kampf aufzunehmen, oder ob er davon abgesehen hat, iveil er von vornherein im Klaren war, daß er bei den verbündeten Regierungen damit keinen Anklang finden werde, muß dahin gestellt bleiben. Fürst Bülow geht, sobald die Finanzreform erledigt ist, was schon sehr bald der Fall sein wird. Er hat am Dienstag bereits den einzelstaatlichen Ministerpräsidenten und Finanz­ministern, die zu einer entscheidenden Bundesratssitzung nach Berlin gekommen waren, und den sonstigen Buudesratsbe- vollmächtiglen ein Abschiedsessen gegeben. Wer sein Nach­folger werden wird, das ist immer noch die Frage, über die sich die Kombinationspolitiker die Kopse zerbrechen.

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Landesnachrichten. ^

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Hochdorf, 9. Juli. (Einges.) Von ruchloser, unbe- ! kannter Hand wurde in der Nacht vom 6. auf 7. ds. Mts. ' in dem Bienenstand des Konrad Waidelich ein Bienenschwarm, ' von dem noch nicht sicher festgestellt war, wem derselbe ge­höre, durch Schwefel erstickt. Die Tat wurde erst am Mittwoch vormittag spät entdeckt und waren leider durch den - strömenden Regen die Fußspuren des Täters schon zu sehr ! verwischt. Eine exemplarische Prügelstrafe wäre für eine - solche Heldentat die angemessenste Belohnung.

' Göttelfingen, 9. Juli. Von den bürgerlichen Kollegien wurde einstimmig beschlossen eine dritte Schn Istele zu ! errichten und ein neues SchulHaus mit 2 Schulsälen, einer Lehrer- und einer Unterlehrerwohnung zu erstellen.

- Calw, 9. Juli. Nach dem Vorgang anderer Städte hat der Verschünerungsverein den auf dem Marktplatz laufen­den Brunnen mit einem hübschen Pflanzenschmuck versehen lassen. Die an den Konsumverein liefernden Bäcker hüben ihren Vertrag gekündigt. Der Verein bezieht nun von auswärts das Brot und treffen in der Woche an 3 bestimmten Tagen Sendungen ein. Der Grund für die Kündigung soll in den höheren Mehlpreisen liegen, die es den Bäckern unmöglich machten, einen größeren Rabatt zu gewähren. Die Bienenzüchter sind mit dem heurigen - Honigertrag sehr zufrieden. Die Bienen haben ungemein viel Honig eingetragen und entschädigen den Imker reichlich für den Ausfall im letzten Jahr.

jj Tübingen, 9. Juli. Der 16jährige Maurerlehrling Eugen Vollmer von Rotienburg, der am 17. Mai aus ,

einem geringfügigen Streit seinem Kameraden mit dem j

Messer einen Stich in den Hals versetzte und ihn dadurch !

lötete, wurde heute wegen seiner rohen Tat zu Ist's Jahren !

Gefängnis verurteilt. '

ss Mnrrhard, 9. Juli. Aus einer kleinen Ursache mußte die 60jährige Rosine Wieland aus Hinterbüchelberg ihr Leben lassen. Ende vorigen Monats drang ihr ein Distel- j dorn in einen Finger. Wie so oft bei derartigen Verletzungen j wurde der Sache keine Beachtung geschenkt, bisBlutver- giftung hinzutrat, der die Frau nach schwerem Leiden er- - legen ist.

js Berlin, 9. Juli. In der heutigen Reichstagssitzung teilt Präsident Graf Stolberg mit, daß Graf Zeppelin den Reichstag zu einem Besuch in Friedrichshasen für Anfang September eingeladen habe.

* Berlin, 9. Juli. Der Kanzler wird dem Kaiser in diesen Tagen Vortrag über die R e ich s fin a n z r e f or m und die Frage des Nachfolgers halten. Der Vortrag findet voraussichtlich in Berlin statt.

Der neue Kanzler.

* Berlin, 9. Juli. Die Wahl des neuen Kanzlers ist bereits erfolgt. Doch wird die Ernennung vor der Ver­tagung des Reichstages aus erklärlichen Gründen nicht be­kannt gegeben. Fürst Bülow wird schon am Mittwoch das Reichskanzlerpalais verlassen und die Gegenzeichnung des Finanzgesehes seinem Nachfolger überlassen. In gut unter­richteten Kreisen hält sich nach derNationalzeitung" mit Bestimmtheit das Gerücht, daß auch Sydow Rücktrittsgedanken an den Tag lege, und daß er lediglich einem Wunsch des Reichskanzlers entspreche, wenn er jetzt noch auf dem Posten ausharre.

Ausländisches.

Ij Zürich, 9. Juli. Seit vier Tagen herrschen schwere Gew itterst ü r m e in der ganzen Nordschweiz. Es schneit unaufhörlich und der Schnee reicht bis zu 1500 Metern herab. Die Berge sind in dichten Nebel gehüllt. Der Fremdenverkehr ist so gering, daß ernste finanzielle Kalamitäten befürchtet werden.

js Paris, 9. Juli. Zwischen dem Finanzminister Cail- laux und dem früheren Deputierten Bos fand heute Nach­mittag wegen der von Bos abgegebenen Ohrfeigen ein Pistolenduell mit 3maligem Kugelwechsel statt, das resultatlos endete.

jj Berlin, 9. Juli. Das Berliner Tageblatt berichtet von einem Konflikt zweier Deutscher in Paraguay nüt dem Polizeipräsidenten Arce in San Bernhardino. Als die Deutschen von Plessen und Kruse sich einer Restaurant­besitzerin, die von Arce zudringlich behandelt wurde, an- nahmen, requirierte Arce 3 Soldaten, ließ beide gefangen- neh m e n und mißhandelte sie ^mit der Reitpeitsche. Er wollte sie s o ga r e rs chi e ß e n lassen. Angeblich in­folge der Reklamation des deutschen Geschäftsträgers wurde Arce seines Amtes enthoben und in Hast genommen. Die Regierung hat ihr Bedauern ausgesprochen.

BorausKchtlicheS Wetter

am Sonntag, den 11. Juli: Wolkig, mäßig kühl, vereinzelte Regenfälle.