1877.

Fernsprecher Nr. 11.

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NnparLsiische Tageszeitung und Anzeigeblatt, verbreitet in den Gberamtsbezirken Nagold, Freudenstadt, Lalw u. Neuenbürg.

KN. 132

Ausgabeort Alteusteig-Stadt.

Donnerstag, den 10. Juni.

Amtsblatt für Pfalzgrafenweiler.

1909.

BiS z«M letzten Mann und Schilling,

England wird Dreadnoughts bauen, so lange es einen Schilling zu ihren Kosten und einen Mann für ihre Be­satzung Hai, und wenn das Mutterland sich erschöpf! hat, dann wird es an seinen Kolonien einen Rückhalt haben." Das sind nicht etwa die Worte irgend eines chauvinistischen Londoner Zeitungsblattes, sondern die öffentlich getanen Aeußerungen des früheren liberalen Premierministers Rose- bery, also eines Angehörigen derjenigen Partei, die verhält­nismäßig die friedfertigste in ganz England ist. Und daher ist die Rede des Lord Rosebery ein so wichtiges Dokument für die im britischen Reiche herrschende Stimmung, daß man sie tiefer hängen und zur dauernden Erinnerung festhallen muß! Was nützen dieser Stimmung gegenüber alle die wohl­gemeinten Bemühungen deutscher wie englischer Menschen­freunde, eine Annäherung zwischen den beiden stammver­wandten Nationen herbeizuführen! Angehörige der parla­mentarischen Arbeiterpartei Englands weilen in Berlin, mehr als 100 englische Geistliche treffen am heutigen Mittwoch in der Reichshaupistadt ein, deren Sradtväter soeben erst von einerAnnäherungs-Reise" zurückgekehrt sind. Aber was will das alles bedeuten gegenüber den selbst von den be­sonnensten Kreisen jenseits des Aermelkanals geteilten Ueber- zcugung, England müsse und werde Kriegsschiffe bauen bis zu dem letzten Schilling und Mann ? Nichts, garnichts ! Das ist traurig, aber wahr!

Und diese kolossalen Rüstungen betreibt England nicht etwa, weil der politische Horizont voller Wetterwolken hängt. Lord Rosebery erklärte im Gegenteil, es liege für einen Kriegs­ausbruch kein tatsächlicher Grund vor. Aber Deutschland Laut Kriegsschiffe, Rosebery hat dies nicht ausdrücklich gesagt, aber mehr als deutlich genug erkennen lassen, und daher dürfe England nicht ruhen. Er sprach zu den aus den ver­schiedenen britischen Kolonien nach London gekommenen Ver­tretern der Presse, die über die europäischen Verhältnisse naturgemäß weniger genau unterrichtet sind, und die auf Roseberys Worte hin in der Heimat nun in flammenden Reden die Gefahr schildern werden, in der das Mutterland schwebt, und die an den Patriotismus ihrer Landsleute appellieren werden, der gemeinsamen Heimat nach Kräften beizustehen. In der ganzen Welt wird auf diese Weise Deutschland als der Friedensstörer hingestellt werden, der ! das gute, harmlose England nötigt, sich selbst bis auf den ! letzten Mann und Schilling zur Verieidigung seiner Grenzen und seiner Ehre wie eine Zitrone auszupresfen. Da die ! englischen Kolonien über den ganzen Erdball ausgebreitet sind, so wird möglicherweise auch die deutsche Handelsflagge > unter dem durch die Worte Roseberys hervorgerufenen Ein­druck zu leiden haben.

Gegen derartige Brunnenvergiftungen, und um solche ° handelt es sich, gibt es leider kein Mittel. Daß die deutsche ' Kriegsflotte der englischen nicht gefährlich werden kann, weiß man in London sehr wohl. Man will dem deutschen Reiche dort aber nicht einmal gestatten, seine Küsten gegen Angriffe von der See her zu schützen. Trotz feiner gewaltigen mari­timen Ueberlegenheit wendet England auch noch alljährlich verschiedene hundert Millionen für die Vergrößerung seiner , Kriegsmarine mehr aut als Deutschland. Erst dieser Tage ! wurde festgestellt, daß sich das englische Marine-Budget für i das Etatsjahr 1909'10 auf 807,9 Millionen Frcs. beläuft, während das deutsche sich auf 493 Millionen Frcs. be- ! schränkt. Die deutschen ^ Schiffsbauteu bewegen sich auch i streng im Rahmen des Flottengesetzes, und auch im deut- * schen Flottenverein bindet man sich an die Grenzen dieses Gesetzes, wie soeben erst wieder in Kiel festgestellt wurde, I und wie es dort auch auf der Hauptversammlung des deut­schen Flottenvereins, Prinz Heinrich, der Bruder unsers 1 Kallers, gefordert hatte.

! Also Deutschland gibt den Engländern keinen gerecht­

fertigten Grund zu Kriegsbesorgnisfen, wenn England es gleichwohl für geboten erachtet, bis zum letzten Mann und Schilling zu rüsten und auch die Kolonien in seinen Rüst­ungsrummel hineinzuziehen, so tut es das aus freien Stücken und wahrscheinlich nicht, um dem Frieden zu dienen.

Tagespolitik.

Der gefchäftsführende Ausschuß der württember- gischen Nationalliberalen billigte die Haltung der

nationalliberalen Reichstagsfraktion in Sachen der Finanz- rcsorm und namentlich auch deren Nicht-Beteiligung au der Beratung über die Besitzsteuer-Anträge der Konservativen und des Zentrums in der Finanzkommission des Reichstags.

Gegen die von Zentrum und Konservativen beschlossene Besteuerung von Wertpapieren, die sogen. Kotierungssteuer, als eine für das wirtschaftliche Leben des deutschen Reiches gefahrdrohende und höchst bedenkliche Maßnahme haben sich Blätter aus fast allen Parteilagern mit großer Energie ausgesprochen. Die Nordd. Mg. Ztg. gibt auf mehr als drei Spalten die ablehnenden Stimmen aus 15 Blättern aller Parteischattierungen wieder, wobei sie hervorhebt, daß die von allen diesen Blättern gegen die Ko- tierungssteuer vorgebrachten Gründe überzeugend seien. Man kann aus diesem Verhalten des Organs des Reichskanzlers mit Sicherheit darauf schließen, daß die Verbündeten Re­gierungen auch heute noch einen ablehnenden Standpunkt gegenüber der Kotierungsfteuer einnchmen. Von anderer Seite wird den Konservativen zu Gemüte geführt, sie er­schütterten durch ihre Haltung in der Frage der Reichs­finanzreform die Position des Reichskanzlers Fürsten von Bülow, dessen Sturz in England wie in Frankreich hoch­willkommen geheißen werden würde. Worauf sich dieser Wunsch des Auslandes stützen sollte, ist nicht recht zu er­kennen, Venn Fürst Bülow ist sowohl gegenüber der eng­lischen wie der französischen Regierung stets sehr liebens­würdig aufgetreten, wenn er sich auch natürlich von keiner die Butter hat vom Brote nehmen lassen.

Das V r a nn t w ei n ft eu er ge s e tz erscheint laut Nat.-Ztg." gefährdet, wenn die von der Finanzkommission beschlossene Jnlandsteuer auf Riech- und Schönheitsmittel nicht fallen gelassen wird. Es gilt dem Blatte zufolge als ausgeschlossen, daß die Verbündeten Regierungen ohne ein­gehende Prüfung und Vernehmung von Sachverständigen dieser in die Interessen des Kleingewerbes so tief eingreifenden Steuer ihre Zustimmung erteilen werden. Man wird daher die Bestimmung ausheben und die Regierung um die Ein­bringung einer Vorlage über die Besteuerung von Parfümerien und Geheimmitteln ersuchen müssen. Diese Vorlage käme für die gegenwärtige Reform allerdings zu spät, es ließe sich aber vielleicht ein Ausgleich durch die Zuckerstreuer er­möglichen.

Nachdem die Nordd. Allg. Ztg. zur bevorstehenden zwei Kaiser-Begegnung festgestellt hatte, daß (die Zusammenkunft im baltischen Meere keine Veränderung in den Grundlinien der europäischen Politik bedeute, daß sie aber den Willen des deutschen Kaisers wie des Zaren be­kunde, die persönlichen Beziehungen der Monarchen wie das gute Einvernehmen zwischen beiden Reichen zu pflegen und zu fördern, wendete sich die Köln. Ztg. gegen die deutschen Blätter, welche die Kaiserbegegnung lieber unterlassen ge­sehen hätten. Wenn nun behauptet werde, so sagt u. a. die Kölnerin, daß der Kaiser mit der Reise ein zu weites Entgegenkommen zeige, so dürfe auch darauf hingewiesen werden, daß der Kaiser dem Zaren einen Besuch schuldig ist, und daß er daher selbstverständlich einer Einladung gern Folge leiste. Deutschland hat den Wunsch, mit Rußland in regelmäßigen Beziehungen zu leben. Es wäre unter solchen Umständen eine Torheit gewesen, die freund­schaftliche Einladung auszuschlagen. Tie russischen Blätter sagen in Uebereinstimmung mit den besonneneren Londoner Organen, die Begegnung sei für die Friedenser­haltung wichtig, werde aber ohne Einfluß auf die Politik der Kabinette bleiben. Tie panslawistischen Petersburger sowie die deutsch-feindlichen Londoner Blätter fahren fort, ihre Leser mit finsteren Anschlägen der deutschen Politik zu unter­halten.

Dreadnoughts! heißt auch inFrankreich die Parole. Am Montag beschloß der oberste Flottenrat endgültig über das Flottenprogramm. Er forderte bis zum Jahre 1919 nicht weniger als 45 große Panzerschiffe, darunter 12 erst­klassige. Die Neubauten, die sich auf zehn Jahre verteilen, erfordern einen Aufwand von 3000 Millionen Francs!

Eine holländische Verstimmung gegen Eng­land macht sich bemerkbar. Bekanntlich wird von eng­lischer Seite eine geographische Expedition nach niederländisch- Neuguinea ausgerüstet und die Holländer meinen sehr rich­tig, daß es eigentlich ein Unding ist, wenn in einer ihrer Kolonien englische Forscher herumlaufen und Bergen, Seen und Flüssen englische Namen geben sollen.

Tie englischen Geistlichen, die am Montag Dover verließen, treffen am heutigen Mittwoch in Cuxhafen ein. Tie Vertreter der parlamentarischen Arbeiterpartei Englands, die auch eine sehr herzliche Begrüßung des Staatssekretärs v. Bethmann-Hollweg ernteten, haben Berlin wieder verlassen und gehen über Bremerhaven der Heimat zu. Tie betreffenden Abordnungen meinen es ja gewiß sehr gut, aber wir können uns nun einmal nicht helfen, und nach der Roseberyschen Rede schon garnicht, der Erfolg ent­spricht dem großen Aufwands nicht.

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In Schweden fanden aus Anlaß der 100. Wieder­kehr des Jahrestages der Einführung der Verfassung überall Nationalfeiern statt.

Wttrttembergischer Landtag.

* Stuttgart, 8. Juni.

Die Zweite Kammer begann heute die Beratung des Eisenbahnbaukredrtgesetzes. In Art. 1 werden als weitere Raten für die im Bau begriffenen sieben staat­lichen Nebenbahnen 8145 000 Mk. bestimmt. Die Kom­mission beantragt Zustimmung. Für die Bahn Tübingen- Herrenberg werden als Schlußrate 1 300 000 Mk. ge­fordert. Ministerpräsident v. Weizsäcker teilte mit, daß die Teilstrecke Herrenberg-Pfäffingen am 10. August eröffnet werden wird und bemerkte weiter auf einige Ausführungen Lieschings (Vp.), das Programm der Regierung sei: rascher Ausbau der begonnenen Nebenbahnen, Verschiebung künftiger Bauten auf längere Perioden unter gleichzeitiger gesetzlicher Fixierung derjenigen Nebenbahnbauten, hinsichtlich denen be­stimmte Zusicherungen bereits gegeben worden sind. Die Regierung denke grundsätzlich nicht daran, den Nebenbahn­bau für die Zukunft einzustellen. Sie erkenne an, daß hier kräftig vorgegangen werden müsse. Die Forderung wurde genehmigt, ebenso nach kurzem Referat des Abg. Körner (B.K.) die von 1 Million als dritte Rate für die Bahn Schorndorf-Welzheim, weiterhin ohne Debatte 2 750 000 Mk. als 3.,Rate für die Bahn Göppingen-Gmünd, 800000 Mk. als zweite Rate für die Bahn Böblingen-Dettenhausen, und 900 000 Mk. als 2. Rate für die Bahn Balingen-Schöm­berg. Maier-Rottweil (Z.) empfahl den raschen Ausbau dieser Bahn, der vom Minister zugesagt wurde. Auf eine Anfrage des Abg. Haußmann (V.) teilte Direktor v. Stieler mit, daß die Bahn im Sommer 1911 eröffnet werden könne. Tie Bahn Jsny-Seltmanns, für die als 2. und letzte Rate 455 000 Mk. gefordert wurden, wird im Oktober fertig sein. Als 2. und letzte Rate wurden schließlich noch 940 000 Mk. für die Bahn Weikersheim-Röttingen und Bieberehren- Creglingen genehmigt. Art. 2 : 150 000 Mk. als erste Rate für den württ. Teil einer Bahn von Sontheim nach Gundel­fingen wurde nach einem längeren Referat des Abg. Andre (Z.) und nachdem Graf (BK.) die Heranziehung des Bezirks Heidenheim zu den Grunderwerbungskosten bedauert hatte, ange­nommen. In Act. 3 werden als ferner zu bauende Bahnen aufge­zählt: Buchau-Riedlingen,Bretten-Kürnbach,Maulbronn Bahn­hof-Stadt, Biberach-Uttenweiler, Böblingen-Renningen und Spaichingen-Nusplingen. Auf das Referat des Abgeordneten Rembold-Gmünd (Z.) sprach Minister v. Weizsäcker seine Freude darüber aus, daß von der volkswirtschaftlichen Kom­mission der Gedanke, weitere Bahnprojekte hier anzugliedern, zurückgestellt worden ist. Gröber (Z.) trat für die Bahn Riedlingen-Buchau ein, Rösler (D. P.) für die Bahn Bretten- Kürnbach, v. Balz (D. P.) beantragte den gleichzeitigen Aus­bau der Strecke Kürnbach-Leonbronn. Bedauerlich sei aller­dings die Schmalspurigkeit der Zabergäubahn. Sie sollte beseitigt werden. Durch Annahme seines Antrags werde einer alten Eisenbahntragödie ein Ende gemacht. Die Abg. Körner und Dr. Nübling (B. K.) beantragten, die Regierung möge den Bau der Strecke Kürnbach-Leonbronn erwägen. Eine solche Zusage habe Präsident v. Stieler bereits gemacht. Rembold-Gmünd (Z.) betonte, Faß eine jFortsetzung der