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Unparteiische Tageszeitung und Anzeigeblatt, verbreitet in den Gberamtsbezirken Nagold, Keudenstadt, Lalw u. Neuenbürg.

Mittwoch, d<« S. Juni

Amtsblatt für Psalzgraseuweiler.

19 VS.

Me viel Deutsche wauderrr jährlich a«S?

Ueber die deutsche Auswanderung, soweit sie von deut­schen Häfen aus stattfand, liegt jetzt eine abgeschlossene amt­liche Statistik vor, dis bis zum Jahre 1871 zurückreicht. Obwohl nun diese Statistik jeden Verkehr über Land wie auch über die Häfen Italiens und Österreichs außer acht läßt, kann man sie doch für den gesamten Auswandererver­kehr als maßgebend ansehen, da nur ein ganz geringer Bruch­teil der deutschen Auswanderer andere Wege einschlägt, als die Statistik berücksichtigt. Schon ein flüchtiger Blick auf die Tabelle zeigt, wie gewaltig der Menschenstrom, der in der Fremde sein Heil sucht, in den verschiedenen Jahren an- und abschwillt. Ein Auswaudererjahrzent, wie es Deutsch­land nur einmal in seiner Geschichte erlebt hat, war das Dezennium von 1881 bis 1890. In diesem Zeitraum schüttelten nicht weniger als 1 342 323 Deutsche den Staub ihres Vaterlandes von den Füßen. Diese Europamüdigkeit, die damals große Besorgnis erregte, hat sich nicht wiederholt; im Gegenteil, Amerika schien in jenem Jahrzehnt so viel Menschenmaterial aufgesogen zu haben, wie es selbst nicht verdauen konnte. Jedenfalls begannen bald nach der Massen­einwanderung die Landungsscherereien und wirtschaftlichen Krisen, die ein schnelles Zurückebben des Stromes zur Folge hatten. Augenblicklich scheint Deutschland aus dem Minimalpunkr seines Menscheuverlustes durch Auswan­derung angekommen zu sein, denn das letzte Jahr­zehnt von 1899 bis 1908 weist nur noch 275 825 Deutsche auf, die auswanderten, und das hinter uns liegende Jahr 1908 sah nur 19 883 Auswanderer. Wie massig wirken dagegen die Ziffern aus den achziger Jahren, wo jährlich beinahe ebenso viel Menschen Deutschland verließen wie jetzt in einem ganzen Jahrzehnt! So wanderteu allein im Jahre 1881 220 902 Deutsche aus.

Auffallend ist die Tatsache, daß die Auswanderungs- Hochflut sich alle zehn Jahre regelmäßig wiederholte, wie aus nachstehender Zahlenreihe ersichtlich ist. Es wanderten aus:

1872 . . 128152 Personen 1879 . . 35 888 Personen

1882 . . 203 585 1889 . . 96 070

1892 . . 116 339 1899 . . 24 323

Jedesmal zu Beginn eines neuen Jahrzehnts kommt der große Aufschwung, und am Ausgang der tiefe Absturz.

Das Ziel der meisten Auswanderer waren die Ver­einigten Staaten von Nordamerika, aber auch Britisch-Nord- amerika schien eine zeitlang eine starke Anziehungskraft aus­zuüben. Es wanderten dorthin 1871 nur 9 Deutsche aus, 1889 nur 88, und 3 Jahre darauf plötzlich über 6100. Die Zahl sank dann wieder ebenso jäh. Viele Deutsche suchen die neue Heimat auch in Brasilien, das sonst vor­wiegend die Zuflucht der Romanen ist. Die übrigen Erd­teile spielen nur eine ganz untergeordnete Rolle in der Auswandererstatistik, doch kehren auch hier die auffälligsten Schwankungen wieder. So wanderte noch 1875 nach Afrika nur ein einziger Deutscher aus, zwei Jahre später suchen schon 750 den schwarzen Erdteil auf, und 1889 verzeichnet die Tabelle nicht weniger als 2155 Deutsche, die nach Afrika fuhren, um dort ansässig zu werden. Gegen 20 Jahre hielten sich die Ziffern der Aus­wanderung nach Afrika auf der Höhe, immer über 1000, dann begann auch hier der starke Rückgang. Asien hat sich bei den heimatmüden Deutschen trotz seiner Größe nie eines rechten Ansehens erfreut. Im Jahre 1889 waren es 262 Deutsche, die nach Asien auswanderten, seit 1905 ist aber nur noch ein Deutscher dorthin ausgewandert. Weit be­liebter ist Australien, das 1883 mit 2104 Personen seine deutsche Hochflut hatte. Noch einige Daten über die Aus­wanderer des letzten Jahres, die nur die Ziffer 19 883 er­reichten. Von diesen waren dem Berufe nach 5804 land­wirtschaftliche und 5269 industrielle Arbeiter. Die Zahlen sind einander ziemlich gleich, so daß von einer besondern Europamüdigkeit in einem der beiden Berufszweige nicht geredet werden kann. Auffallend hoch ist dagegen die Zahl der dienenden Personen, die über den großen Teich gingen, um dort ein besseres Los zu suchen. Es waren 2028 Diener und Dienstmädchen, die allein 1908 auswanderten.

Die Mehrzahl der Auswanderer ging über Bremen und Hamburg. Stettin, das früher auch jährlich einige Tausend Auswanderer beförderte, hat seu 20 Jahren keinen einzigen Passagier dieser Art mehr gehabt. Natürlich wurden über die deutschen Häfen nicht bloß Deutsche, sondern auch viele Ausländer, besonders aus Rußland und Oesterreich, befördert.

Im ganzen gingen im vergangenen Berichtsjahre 104499 Personen aus andern Slaaten von den deutschen Häfen aus über den Ozean.

Viel besprochen ist die Tatsache, daß Tausende drüben nichts weiter taten, als daß sie sich so schnell wie möglich das Geld für die Heimreise verdienten, besonders in den letzten beiden Jahren war dies der Fall. So strömten 1907 aus dem Dollarlande 48403 und 1908 40 794 Deutsche zurück. Jetzt hat dieses Zurückstauen ein wenig nachgelassen und demgemäß die Auswanderung wieder zugenommen. Unter den Zurückgewanderren des letzten Jahres befinden sich 510, die überhaupt nicht landen dursten, weil sie falsche Angaben gemacht hatten, und 601, die keine Mittel besaßen.

Wenn nicht außerordentliche Krisen in Deutschland ein- treten, ist es wenig wahrscheinlich, daß wieder Masfenfluchten aus der Heimat eintreten, wie sie vor 20 Jahren vorge­kommen sind. Friedrich Otto.

Tagespolitik.

Der Reichskanzler Fürst Bülow war während der Pfingstzeit nicht untätig. Er hat über die Finanzreform nicht nur mit Führern der Reckten, sondern auch mit solchen der Linken verhandeln Der nationalliberale Abgeordnete Bafsermann wurde zum Kanzler berufen. Es handelte sich dabei, wie derFranks. Ztg." aus Berlin gemeldet wird, nicht um die sachliche Mitwirkung, sondern nur um den Namen der Liberalen für das Werk der Konservativen und des Zentrums, mit deren Rezept sich Fürst Bülow schon mehr vertraut gemacht hat. Aber nicht nur die Freisinnigen, sondern auch die große Mehrheit der Nationalliberalen und deren Anhänger im Lande in einem noch höheren Grade, sind sich, wie das gen. Blatt weiter schreibt, bewußt, daß die bevorstehende Enffcheidung sich um mehr und andres dreht, als um einzelne Steuergesetze, daß sie sich dreht um die Frage, ob in Deutschland Konservative und Agrarier wirtschaftlich und politisch tatsächlich herrschen sollen.

Tie Finanz ko mmission des Reichstags hat die zweile Lesung der Reformvorlage noch vor dem Feste erledigt. Sie hat dazu allerdings ein parlamentarisches Unikum, sogar den Pfingstsamstag, zu Hilfe genommen. Ihre positiven Leistungen erfolgten ohne die Mitwirkung der Liberalen. Die am Samstag vor dem Feste von der neuen Mehrheit gefaßten Beschlüsse über eine Mühlen-Umsatz- und Kohlen-Ausfuhr-Steuer wurden auch von den Regierungs- Vertretern als übereilt bezeichnet. Im übrigen hält man jedoch allgemein dafür, daß die verbündeten Regierungen die Finanzreform aus den Händen der neuen Mehrheit ent­gegennehmen werden. An eine Reichstags-Auflösung glaubt man nicht. Da das Plenum erst am 15. ds. Mts. wieder Zusammentritt, so fällt die Entscheidung erst in einigen Wochen. Die innerpolitische Lage ist äußerst kompliziert. Für den alten Block scheint keine Existenzmöglichkeit mehr zu bestehen. Und doch hat der Block während der überaus fleißigen Arbeit des gegenwärtigen Reichstags so viele wich­tige Gesetzentwürfe gemeinsam erledigt. Der jetzige Wirr­warr wird daher auch in weiten politischen Kreisen schmerz­lich empfunden, nicht am wenigsten von der Regierung und dem Reichskanzler Fürsten v. Bülow. Die konservativen Oxgane äußern sich sehr befriedigt über die Beschlüsse, die die Rumpf-Kommission für die Reichsfinanzreform nach dem Auszug der Freisinnigen und Sozialdemokraten faßte. So meint z. B. dieDeutsche Tagesztg." : Der erhöhte Teezoll bildet einen notwendigen und sachgemäßen Ausgleich für die Erhöhung des Kaffeezolls. Dieser Ausgleich ist umso berechtigter, als der Tee in Deutschland ganz vorzugsweise von der ärmeren Bevölkerung nicht genossen wird. Ein höherer Teezoll ist deshalb eine Forderung sozialer Gerech­tigkeit. Aus diesem Grunde wurde auch die Heraufsetzung auf lOO, statt wie zuerst vorgeschlagen auf 50, beantragt und beschlossen. Die Erhöhung des Kaffeezolles aber muß mn so mehr als erträglich gelten, als sie noch lange nicht an die Höhe in den meisten anderen größeren Staaten heranreicht. Die Steuer auf Beleuchtungsmittel und Zünd­waren ist in mäßigen Grenzen gehalten und kann in diesem Umfange sicher nickt als schwere Belastung gelten. Freilich wäre ein Zündholzmonopol besser gewesen als eine Zünd­holzsteuer. Die Besteuerung der Parfürmerien und Schön­

heitsmittel kann als reine Luxussteuer angesehen werden. Bei der gestaffelten Mühlen-Umsatzsteuer sowie bei dem Kohlen-Ausfuhrzoll handelt es sich um alte, wohldurchdachte Mittelstandsforderungen. Daß durch eine Mühlen-Umsatz­steuer in der beantragten Höhe der Mehl- und Brotpreis überhaupt fühlbar beeinflußt werden könnte, erscheint aus­geschlossen ; dafür wird aber die weitere Aufsaugung der Kleinmühlen verhindert werden. Der Kohlen-Ausfuhrzoll endlich wird nur außerordentlich leistungsfähige Schultern treffen, für die große Masse der Bevölkerung dagegen muß sich der Kohlenpreis infolge des Ausfuhrzolles selbstverständ­lich günstiger gestalten. Die andern leitenden konser­vativen Organe sowie diejenigen des Zentrums äußern sich wesentlich im gleichen Sinne. Ganz anders schallt das Echo dagegen aus dem liberalen Blätterwald; dort hört man sogar Stimmen, wonach die Arbeiten der Rumpf-Kom­mission an den beiden letzten Tagen vor dem Feste über­haupt keine Gültigkeit hätten. Da in einigen Fragen auch die Polen und die Mitglieder der Wirtschaftlichen Vereinig­ung eine von den Konservativen und dem Zentrum ab­weichende Meinung haben, so ist eine geschloffene Mehrheit für die Reichsfinanzreform bisher überhaupt nicht vorhanden.

MD ie deutsche-evangelische Katharinen­gemeinde in Petersburg, die bereits ein klassisches Gymnasium, ein Reformgymnafium, eine Realschule und eine Handelsschule, sämtlich mit deutscher Unterrichtssprache besitzt, wollte ihren Lehranstalten eine sechsklassige höhere Mädchenschule anfügen. Obwohl die Gemeinde in Peters­burg hoch angesehen ist und die besten Beziehungen besitzt, wurde ihr trotz aller erdenklichen Bemühungen vom Unter­richtsminister Schwarz die Konzession für deutsche Unter­richtssprache versagt, sodaß die Schule vorerst mit russischer Lehrsprache eröffnet werden mußte. Ferner hatte der Peters­burger Deutsche Verein für die Kinder deutscher Fabrikar­beiter an der Peripherie der Hauptstadt mit großen Opfern eine Elementarschule eröffnet; auch dieser ist die deutsche Unterrichtssprache nicht gestattet worden. Diese beiden Vorgänge zeigen mit erschreckender Deutlichkeit, daß das russische Deutschtum wieder schlimmen Zeiten entgegengeht. Vor dem Manifest des Zaren vom 17. Oktober 1905 hatten sämtliche Petersburger evangelischen deutschen Kirchenschulen deutsche Unterrichtssprache, und selbst in den Zeiten der härtesten baltischen Russifizierungspolitik wurde diese nicht angetastet! Heute, nachdem das Manifest des Zaren den Nationalitäten das Recht auf Unterricht in ihrer Unter­richtssprache zugesagt hat, stellt sich ein russischer Unter- richtsminifter dazu in offenen Gegensatz aus Rücksicht auf die deutsch-feindliche, nationalistische Stimmung im rus­sischen Volk.

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Ueber die Gründe der plötzlichen Abberufung des russischen Botschafters Sinojen und des fran­zösisch en B o tsch afters Conftans aus Konstanti­nopel waren recht interessante Mitteilungen gemacht worden. Der Exsultan Abdul Hamid sollte die beiden Herrn durch einen Vertrauensmann bestochen und dem Franzosen monat­lich 2000, dem Russen 1000 türk. Pfund ausgehändigt haben. Den mit äußerster Sorgfalt geführten Rechnungen wurden die Belege für diese Zuwendungen entnommen. Der Pariser Figaro glaubt nicht an die Bestechlichkeit der beiden Botschafter, sondern hält es für wahrscheinlich, daß diebische Palastbeamte die Beträge einsteckten und in die Geheim- Buchhaltung die Namen der Botschafter zur Deckung ihrer Manöver eingetragen hätten.

Landesnachrichten.

Alterrsteig, 1. Junt.

* Das Pfingstfest liegt hinter uns. Es war Heuer im wahren Sinn des Wortes ein liebliches Fest und in der Hauptsache werden wohl die meisten auf ihre Kosten ge­kommen sein und einige schöne sorgenlose Tage inmitten des Maienschmuckes und der herrlichen Natur erlebt haben. Ganz besonders sind diejenigen auf ihre Kosten gekommen, die Ausflüge nach Stuttgart und Umgebung gemacht und dort zu ihrer Ueberraschung und größten FreudeZ. 2" auf seiner Pfingstfahrt gesehen haben.