Württembergischer Landtag.
' Stuttgart, 24. März.
Nach einer fünfwöchigen Pause hat die Zweite Kammer gestern ihrePlenarberatungen wieder ausgenommen. Nach der Bekanntgabe des ziemlich umfangreichen Einlaufes wurde sofort in die Tagesordnung eingetreten, auf der etwa anderthalb Dutzend Eingaben, ausschließlich persönlichen Betreffs standen. Dem Antrag der Petitions- kommission gemäß wurde fast bei allen Eingaben Uebergang zur Tagesordnung beschlossen; nur eine erzielte „Kenntnisnahme', eine andere brachte es, wenn auch nur teilweise, sogar auf „Berücksichtigung". Im übrigen boten die Eingaben kein besonderes Interesse. — Heute wird mit der zweiten Lesung (Spezialdebatte) des Hauptfinanzetats begonnen, und zwar kommt zunächst der In ft i z elat an die Reihe.
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Die Zweite Kammer hält am nächsten Donnerstag des Feiertags wegen (Maria Verkündigung) keine Sitzung ab. Die Finanzkommission wird den freien Tag benützen um der Heilanstalt bei Weinsberg, sowie der dortigen Versuchsanstalt und Weinbauschule einen Besuch abzustatten. Auch die Minister v. Pischek und v. Fleichhauer werden dabei zugegen sein.
Landesnachrichten.
Altenfleig, 24. März.
" Postpaket-Verkehr. Vom 4. bis 11. April ds. Js. wird die Versendung mehrerer Pakete mittels einer Postpaketadresse sowohl' im inneren württemdergischen Verkehr und im deutschen Wechselverkehr, als auch im Verkehr mit dem Ausland — ausgenommen Argentinien — nicht zugelassen.
(Korr.) Pfalzgrafenweiler, 22. März. Ein vorgestern im hiesigen Sckwanensaale veranstalteter Gemeinde- abe n.d bot den Anwesenden einige genußreiche Stunden. Nach der Begrüßung durch Pfarrer Walker, hielt Vikar Weimer einen interessanten Vortrag über den wohlbekannten schwäbischen Pfarrer Flattich. Der Kirchenchor brachte verschiedene Gesänge zum Vortrag, wie auch Frau Pfarrer Walker und Frl. Paula Fez er mit zwei gut gesungenen Duetten zur Verschönerung des Abends beitrugen. Auch wechselten verschiedene gemeinschaftliche Gesänge mit denen des Kirchenchores ab. Sägewerksbesitzer Fez er dankle Herrn Pfarrer Walker noch am Schlüsse für die Veranstaltung und gab gleichzeitig dem Wunsch Ausdruck, daß noch weiter derartige Abende startfinden möchten.
' Calw, 22. März. Die Bestrebungen zur Erbauung einer Bahn von hier nach Herrenberg als Fort - setzung der Bahn Tübingen—Herrenberg sollen aufs neue ausgenommen werden. Vorbesprechungen mit den betreffenden Gäuorten haben stattgefunden und es soll in Bälde eine große Jntereffentenversammlung einberusen werden. In Betracht kommen die Orte Herrenberg, Afstätt, Kuppingen, Jesingen, Deckenpfronn, Dachtel, Gechingen, Stammheim und Calw.
Calmbach, OA. Neuenbürg, 23. März. Polizeidiener Roller ist, als er gegen einige Nachtruhestörer aus Höfen einschreiten wollt-, in den Hinterkopf und Rücken gestochen worden. Die Verletzungen find nicht gefährlich. Mit Hilfe des hinzugekommenen zweiten Polizeidieners und unter Benützung der blanken Waffe gelang es, weitere Ausschreitungen zu verhüten.
' Feldrennach, O.A. Neuenbürg, 23. März. Am Sonntag war hier Rekrutenball. Dabei trug einer der Burschen, ein Goldschmied, einen Revolver bei sich. Als er
mit seinem „Verhältnis", der Polisseuse Pauline Reißer, früh um halb 3 Uhr heimging, hantierte er so unvorsichtig mit der Waffe, daß sie losging und die Kugel die Reißer in den Oberschenkel traf. Das Mädchen liegt jetzt schwer verletzt zuhause. Der Bursche wurde verhaftet. Nach anderer Lesart soll es sich bei der Affäre nicht lediglich um Fahrlässigkeit handeln.
js Hopfau O.A. Sulz, 23 März. Laut „Schwarzw. Bote" ist der verwitwete 61 jährige Johannes Kaufmann im sogenannten Dobel Samstag abend, in der Dunkelheit die Treppe hinuntergestürzt. Er war sofort tot.
* Rottenburg, 23. März. Der hiesige Darlehenskassen verein hat gestern im Anzeigenteil des Rottenburger Anzeigers bekannt gegeben, daß der bisherige Kassier Kaufmann Reinhard Schnell von seinem Posten zurückgetreten sei. Diese Bekanntmachung gab Grund zu allerlei Gerüchten über Unstimmigkeiten in der Darlehenskasse. Die Kasse ist noch gestern von den Behörden beschlagnahmt worden und heute vormittag fand man den Kaufmann Schnell tot in seinem Baumgut vor. Er hatte Selbstmord verübt. Wie weit die Unregelmäßigkeiten gehen, ist noch nicht festgestellt.
' Reutlingen, 21. März. Gestern wurde der 39. Jahrgang der hiesigen La nd wirt s ch aft l i ch e n W i n t er- schule mit der üblichen feierlichen Schlußprüfung beendet. Besucht wurde die Schule in dem abgeschlossenen Kurse von 66 jungen Landwirten; das ist die höchste Besuchsziffer seit Bestehen der Anstalt.
jj Reutlingen, 23. März. Eine Aushilfskellnerin aus Stuttgart ist gestern mittag im hiesigen Wartsaal des Bahnhofs von einem Schlaganfall betroffen worden und nach kurzer Zeit gestorben.
Schafhausen, OA. Böblingen, 21. März. Nette Frücht chen sind drei hiesige Schulbuben, von denen zwei am nächsten Sonntag konfirmiert werden sollten. Seit etwa ^4 Jahren plünderten sie regelmäßig die Opferbüchsen und entwendeten einen Gesamtbetrag von 90—100 Mark. In frechster Weise'holten sie die Opferbüchsen aus der Sakristei, in der sie allerdings unbegreiflicherweise in einem unverschlossenen Kasten aufbewahrt worden waren, und leerten sie. Von dem Gelds kauften sie Schleckwaren. Allgemein fiel das geringe Opfer aus, obwohl von seiten des Geistlichen die Gemeinde wiederholt zum Opfern ermahnt wurde. Am letzten Sonntag nun wurden die Bürschchen bei ihrem unsauberen Handwerk überrascht.
js Ehingen a. D., 23. März. In Rugertshofen ist der Rechner der Tarlehnskässe unter Zurücklassung eines Defizits von 15 000 Mark geflohen.
jj Bodnegg, O.A. Ravensburg, 23. März. In der Nacht vom 18. auf 19. d. Mts. ist dem Bauer Josef Beutele in Gesnauwiesen aus seinem Schweinestall ein junges M astschwein im Wert von 70 Mk. gestohlen worden. Anderen Tags wurden einige Hundert Meter vom Stall entfernt der abgeschnittene Kopf, die Füße und ein Teil der Eingeweide des Schweines gefunden. Dem hiesigen Landjäger ist es nach zweitägiger Fahndung gelungen, die Diebe zu ermitteln und ihnen das noch vorhandene, bereits einge- 'alzene Fleisch abzunehmen.
js Kißlegg, 23. März. Sonntag abend fiel die Frau des Zimmermeisters Riedißer eine steinerne Treppe hinunter in den Keller, erlitt einen Schädel bruch und war in einer Stunde tot.
js Jsntz, 23. März. Gestern früh wurde der bei Heinr. Mayer, Lohfabrik, beschäftigte Dienstknecht Michael Dorn von Kimatshofen tot in der Tenne aufgefunden. Es wird vermutet, daß er abgestürzt ist, doch sind sichere Anhaltspunkts nicht vorhanden. Dem Verunglückten wird das Zeugnis eines braven, fleißigen Mannes gegeben.
js Friedrichshafe«, 23. März. Wie aus München verlautet, ist beim dortigen Kriegsministerium die Nachricht eingetroffen, daß „Z 1", günstigeres Wetter vorausgesetzt, am 24. März, den angekündigten Besuch in München abstatten werde. Auf dem Oberwiesenfeld soll eine Landung erfolgen.
js Pforzheim, 23. März. Hier streiken seit gestern die Schneidergesellen.
js Pforzheim, 23. März. Die kürzlich im benachbarten Ottenhausen entdeckte Golds chnipslergeschichte in die zunächst das Goldarbeiterehepaar Kiefer in Ottenhausen verwickelt worden war, spielt auch nach Stuttgart hinüber. Sie hat dort am 19. ds. zur Verhaftung der Juweliere Jaques Zimmer und dessen Sohnes Julius Zimmer in der Hauptstätterstraße 37 geführt. Es Handel! sich hier wieder um Beträge von gegen 20 000 Mk., um die Pforzheimer Bijouteriefabriken bestohlen wurden. Die beiden Zimmer standen schon lang im Verdacht, sich der Goldhehlerei schuldig gemacht zu haben. ^
js Pforzheim, 23. März. Zu der Verhaftung der beiden Stuttgarter Juweliere, die mit dem Pforzheimer Golddieb Kiefer in Verbindung standen, erfahren wir weiter, daß der ältere Zimmer gestanden hat, er habe für ca. 40 000 Mk. und sein Sohn, der zugleich eine Vergoldungs- und Versilberungsanstalt betreibt, für etwa 20 000 Mk. Goldabfälle an Scheideanstalten in Pforzheim, Stuttgart, Gmünd und Frankfurt a. M. abgegeben. Der alte Zimmer hat ferner eingeräumt, daß er dem Kiefer für 6000—10 000 Mk. halbfertige Ware und Abfälle abgekauft habe.
js Ans Baden, 23. März. An säumige Unternehmer wurden von seiten der allgemeimen O rtskr ankenka sjsje Freiburg in einem Monat nicht weniger als 180 Pfändungen beantragt. Auch ein Zeichen der Krise. — Einen verwegenen Ausbruch nahmen in vergangener Nacht zwei Häftlinge aus dem Mannheimer K re i s g e f än g nis. Sie gelangten auf noch nicht festgestellte Weise aufs Dach und ließen sich mit Hilfe von Leintüchern am Blitzableiter auf das anstoßende Anwesen herab, von wo aus sie den Boden erreichten. Wie das „M. Tagblatt" hört, handelt es sich um die beiden Falschmünzer Philipp Brunner, Bürstenmacher und Jakob Spanier, Schlosser, beide 32 Jahre alt, die in der letzten Schwurgerichtsperiode zu drei Jahren und einem Jahr sechs Monaten Gefängnis verurteilt worden waren.
Hamburg, 23. März. Ein außerordentlich seltener Fall ist die Verhaftung und Anklage des 29jährigen Hamburger Schiffsrheders Ahrens, Mannschaften auf von ihm gecharterten Handelsfahrzeugen zum Zweck der Herbeiführung des künstlichen Untergangs dieser Schiffe bedungen zu haben, um die Versicherungsprämien einstreichen zu können. Zwei Schiffe sind durch solche Verbrechen vernichtet, aber es ist, da die Katastrophen in der Nähe der Küsten erfolgten, kein Schaden an Menschenleben vorgekommen.
MM
js Paris, 23. März. In der Deputiertenkammer brachte der Finanzminister heute eine Vorlage ein, nach der dem Marineminister für das Jahr 1909 ein Kredit von 30 Mill. Frcs. eröffnet wird.
* London, 23. März. „Evening News" meldet, der Führer der englischen Südpolar-Expedition, Leutnant Shack- leton habe sich dem Südpol aufungefähr hundert Meilen genähert.
* Täbris, 23. März. In der Nacht von Sonntag auf Montag überfielen die Nationalisten in Maralan, östlich von Täbris, eine vorgeschobene Abeilung der Trup-
M cL . i el - n, t M
Das Wahre ist eine Fackel, aber eine ungeheure, deswegen suchen wir alle nur blinzelnd so daran vorbeizukommen, in Furcht sogar, uns zu verbrennen. (Reihe.
Steinmetzstratze Nr. 111
Moderner Kriminalroman von Hans Hy an.
Fortsetzung. Nachdruck verboten.
Wer Berthold Fallgrube besann sich schnell. Er erinnerte sich an jenen Augenblick, als er mit dem Nachtwächter zusammen vor der Tür der Sebaldschen Kontorräume stand und, cm den Türgriff fassend, seine Hand jwich wieder zurückzog, weil der Messinggriff voll feuchten klebrigen Blutes gewesen war. Er mußte da entweder
^and instinktiv an der Weste abgewischt oder aber nachher beim Hineingehen in die Wohnung mit dem Stoff den Messtngknopf berührt haben. Das sagte er dem Kommissar zetzt. Der lachte ihn aus . . . Warum er nicht lieber gleich angabe, er hätte den Ermordeten mal umdrehen wollen und sich dabei mit Blut beschmiert?
Mso jedenfalls bestreiten Sie Ihre Schuld?"
Mit einem Lächeln, das den Beamten wütend machte, erwiderte Fallgrabe: Sie, haben ja gar kein Recht, von meiner Schuld zu reden. Und ich werden Ihnen das bald beweisen Herr Kommissar, daß Ihre Vermutungen falsch sind."
Durch diese Sicherheit des Verhafteten selbst etwas aus seiner zuversichtlichen Haltung gebracht, erwiderte der Kommissar:
„Na, das werden wir ja sehen! Vorläufig haben Sie jedenfalls Zeit, darüber nachzubenken, ob Sie es doch für geratener halten, ein offenes Geständnis abzulegen... Es braucht ja nicht gerade ein Raubmord vorzuliegen...
es können ja andere Motive in Frage kommen, und in solchen Fällen tut das offene Geständnis bei der richterlichen Beurteilung manchmal sehr viel. Aber natürlich darf das Geständnis nicht etwa so zustande kommen, daß der Angeklagte schon völlig überführt dasteht . . . Also überlegen Sie sich das, Sie! . .. Und ich gebe Ihnen den guten Rat..."
„Ich danke bestens für Ihre Ratschläge", unterbrach der Versicherungsbeamte den Kommissar, „aber ich brauche sie in der Tat nicht! Ich weiß ganz allein, was ich zu tun und zu lassen habe."
„Na, dann müßten Sie jedenfalls wissen, daß Sie sich hier anständig und bescheiden zu betragen haben!" polterte Herr Schultz.
„Das weiß ich, aber ich weiß auch, daß ich mir von niemanden das Recht meiner Verteidigung schmälern oder auch zu irgendwelchen Aussagen bestimmen lasse! . ."
Der Kommissar, offenbar schwer begreifend, murmelte etwas, dann drückte er auf den elektrischen Klingelknopf an seiner Seite und sagte zu dem hereiutretenden Beamten:
„Führen Sie den Gefangenen ab!"
Ruhig ging Berthold Fallgräbe mit. Er kam wieder in die Zelle, aus der aber jetzt der Mann, mit dem er sich vorher unterhalten hatte, verschwunden war. Und bald daraus wurde er aufgefordert, sich bereit zu machen zum Wege nach dem Untersuchungsgefängnis.
Auch dorthin gelang es ihm, für sein Geld in einer Droschke befördert zu werden.
Aber es war doch ein merkwürdiges Gefühl, als die Beamten ihm die Stahlketten um die Handgelenke legten und er mit gefesselten Händen über die Korridore nach dem mächtigen Hof in die Droschke gebracht wurde.
Erna Seebald saß am Fenster der Wohnstube und hatte ihren Stickrahmen vor sich, in den ein Tischläufer eingespcmut Und zur Hälfte schon mit Blumengirlanden in farbiger Seide bestickt war. Jetzt aber ruhten ihre Hände im Schob, und ihre dunklen Augen schweiften! zum Fenster hinaus, nach dem Hinterhause hin, wo unten in den Werkstätten die Arbeiter in ihren gipsbcstaubten Röcken aus- und eingingen.
Das Mädchen war über den Tod ihres zärtlich gehievten Bruders noch lange nicht getröstet, aber der Schmerz in ihrer Brust war stiller geworden, und seltener als ziwvr röteten sich ihre Augenlider von Tränen. Daß sie jetzt , eine reiche Erbin war und mit ihrem Gelds sich alle möglichen Genüsse erkaufen konnte, das war es wahrlich nicht, woran sie dachte. Eine unbestimmte Sehnsucht, aus diesem Hause fortzukommen, quälte sie, und doch wieder überkam es sie wie Angst bei dem Gedanken, daß mkt ihrem Fortgange von hier, wo sie ihr ganzes bisheriges verbracht hatte, auch all die lieben Erinnerungen schwinden würden an den einzigen Menschen, den sie wirklich lieb gehabt hatte, der ihr mehr als ein Bruder, der ihr Vater und Mutter zugleich gewesen war.
Weswegen wollte sie also fort? Sie ängstigte sich vor der Beantwortung dieser Frage, die sie doch immer wieder peinigte.
Und als sollte ihr die Antwort gleich in leibhaftiger Gestalt zuteil werben, klopfte es und herein trat der Werkführer Karl Stange.
Heute machten seine stets ein wenig linkischen Bewegungen Erna nicht wie sonst lächeln, sie vermutete hin .er dieser Schüchternheit Forderungen und Ansprüche, die sie nie und nimmer erfüllen wollte.
Ach, schon zu Lebzeiten ihres Bruders war dieses Begehr an sie herangetreten und das Schlimmste war, daß sie wußte, ihr Bruder selbst stehe des Werkführers Wünschen nicht unsympathisch gegenüber.
August Seebald hatte viel Unglück in seinem Leben gehabt und, obwohl er sich darüber nie zu jemand geäußert hatte, schien es, als hätten ihm besonders die Frauen sehr Wehgetan und sein Leben frühzeitig verbittert. Das war wohl auch der Grund, weswegen er nicht geheiratet hatte. Aber gelitten hatte der Bruder sicher unter der Ehelosigkeit, die eine fortwährende Einsamkeit bedingte, die ihn hinderte, jemand zu haben, dem gegenüber er sich ganz aussprechen und dessen Herz er zum Behälter der eigenen Sorgen und Kümmernisse hätte machen können.
Der Meister hatte immer wieder gesagt, daß Erna sich auf jeden Fall verheiraten solle. Erwiderte sie darauf.