Opserwilligkeit. Sie hat uns die volle Zuversicht auf die Kraft des deutschen Volkes gestärkt. Ehe sich das Jahr zum Winter neigte, haben wir die Freude gehabt, ein Zeppelinschiff, das umgebaute uuv verbesserte frühere Mo­dell, Luftfahrten erfolgreich ausführen zu sehen. Dem Bei­spiel des württ. Königspaares folgend, haben andere Fürst­lichkeiten sich dem Luftschiff anvertraut, wie der Bruder des Kaisers, Prinz Heinrich, und der deutsche Kronprinz, und der Kaiser selbst hat sich, nachdem das Luftschiff mit dem Kronprinzen an Bord ihn in Donaueschingen begrüßt hatte, am folgenden Tage (am 7. Novbr.) in Friedrichshafen das Werk des Grafen Zeppelin näher angesehen und bei dieser Gelegenhe t dem Erfinder den Schwarzen Adlerorden ver­liehen. Das Reich hat dann denZ. 1" übernommen. Graf Zeppelin aber, mit einem Stabe von Mitarbeitern, ist unverzüglich daran gegangen, aus den Mitteln der Nationalspende in Friedrichshafen eine große Luftschiff,verft «nzulegen, auf der er neue Schiffe bauen will. Wir, die wir das alles erlebt haben, dürfen von uns sagen: eine neue Epoche in der Kultnrentwicklnng ist angebrochen, der Sieg des menschlichen Geistes über die Luft, und nur sind dabei gewesen!

Von den politischen Angelegenheiten in unserem Lande mögen zwei hervorgchoben werden, die den'Landtag im verflossenen Jahre vornehmlich beschäftigt haben, die Bau ordnung und die Schulreform. Auch das sind ungemein wichtige Dinge und in ihrer Art von großer Bedeutung; sie zum Abschlüsse zu bringen, bleibt dem neuen Jahre Vorbehalten. Von wichtigen Personalveränderungen sind zu erwähnen einmal die zum Geburtstag des Königs erfolgte Ernennung des Herzogs Albrecht zum kommandierenden General des Xlli. Armeekorps an Stelle des Generals v. Fallois (wo­mit seit langer Zeit wieder ein Württemberger an die Spitze des württembergischen Armeekorps getreten ist), und sodann der Wechsel im Finanzministerium: Rücktritt des Finanz- minifters v. Zeyer und Ernennung des Hosvomänenkammer- präsideuten v. Geßler zum Finanzminister. Ueberschauen wir die Vorgänge in der Reichspolitik, so finden wir eine Fülle des Unerfreulichen, Beklagenswerten. Ein beispiel­loses, denkwürdiges Jahr, ein Jahr des Zusammenbruchs, des Zusammenbruchs einer Periode despersönlichen Regiments". Und das Schicksal hat es so gefügt, daß dieserZusammenbruch mit dem 20jährigen Regierungsjnbiläum des Kaisers zusammen- gefallen ist. Das ist besonders schmerzlich, so tragisch, für das deutsche Volk wie für den Kaiser. Er hat in unab-. läßigem, heißem Bemühen all sein Streben ans die Größe und Wohlfahrt des deutschen Reiches gerichtet und seine außerordentliche Intelligenz in den Dienst dieses Strebens gestellt, und das Ergebnis? Ein Fiasko innen und außen. Das macht, weil die Mittel und Wege nicht die richtigen waren, weil es unmöglich ist, die Geschicke eines großen Reiches rind Volkes in allem nach dem Wunsche und dein Willen eines Einzelnen zu lenken, und weil der Mangel an Stetigkeit, Geduld, Zielklarheit, die Abhängigkeit von wechseln­den Eindrücken und Stimmungen alles Strebens z,richte machten Das Seherauge des alten Bismarck, dessen Büste man am 18. Oktober, im zehnten Jahre nach seinem Tode in der Walhalla ausgestellt hat, der deutschen Ruhmeshalle, hat es kommen sehen und er hat es nicht an Warnungen fehlen lassen. Aber man achtete seiner nicht oder hatte nicht den Willen, nicht die Kraft, sich den Dingen cntgegenznstellen, und so ist cs eben gekommen, wie es kommen mußte. Die Veröffentlichung des sog. Kaiser-Interviews im Londoner Daily Telegraph hat zu Anfang November sozusagen dem Fasse den Boden ausgeschlagen. Diese Kaiser-Gespräche intimsten Charakters mit ihren offenherzigen Mitteilungen über geheime politische Dinge verursachten in der ganzen Welt gewaltiges Aufsehen und peinliches Befremden, nament­lich aueb deshalb, weil das Kaiser-Interview vor seinem Erscheinen das Kabinett des Reichskanzlers und das Aus­wärtige Amt passiert hatte. Die Veröffentlichung und das vollständige Versagen der amtlichen Organe erregten im deutschen Volke einen beispiellosen Sturm des Unwillens, und mit ungeheurer Kraft erscholl der Ruf: Bis hierher und nicht weiter! Von der äußersten Linken bis zur

äußersten Rechten war alles einmütig darin, daß es so, wie bisher, nicht weiter gehen könne, und in den denkwürdigen Reichstagsverhandlungen zu Anfang November machten sich die Volksvertretungen zum Dolmetsch dieser Stimmung. Am 17. Nov. fand dann in Potsdam eine Aussprache zwischen dem Reichskanzler und dem Kaiser statt, deren Ergebnis die Kundgebung im Reichsanzeiger bildete, daß der Kaiser seine vornehmste Ausgabe in der Sicherung der Stetigkeit der Reichspolitik unter Wahrung der versussnngs- mäßigen Verantwortlichkeit erblicke. Zugleich wurde dem Fürsten Bülow, der nach der Veröffentlichung des Kaiser- Interviews seine Entlassung angeboten hatte, das kaiserliche Vertrauen neu bestätigt. Damit war die schier unerträglich gewordene Spannung vorläufig beseitigt. Aber inan war weit entfernt davon, um alles wieder für schön und gut zu halten. Versprechungen sind gut, aber Einrichiungen sind besser. Die Forderung nach konstitutionellen Garantien, nach Schaffung eines Ministerverantwortlichkeitsgesehes, wurde mit großem Nachdruck erhoben. Der Reichstag verhandelte eingehend über die von verschiedenen Seiten eingebraümn Interpellationen und Anträge und verwies sie insgesamt an eine Keinmission. Was aus ihr herauskommen wird, steht dahin. Und wenn es trotz aller Hindernisse, die sich erheben, wegen der mangelnden Einigkeit der Parteien, be­sonders wegen der Gegnerschaft der Konservativen, ge-

Schwarzwäldcr

lingen sollte, im Reichstage bestimmte Beschlüsse herbeizu­führen, so ist es fraglich, ob der Bundesrat für sie zu gewinnen ist. Grundsätzlich ablehnend verhält er sich nach der im Reichstag abgegebenen Erklärung nicht. Aber sei dem wie ihm wolle: einer Wiederkehr der früheren Zustände wird in jedem Falle aus dem Volke heraus Widerstand ge­leistet werden. Man darf einstweilen annehmen, daß auch der Kaiser davon durchdrungen ist, den Empfindungen und dem Verlangen des Volkes Rechmpig zu tragen. Es hat freilich nicht an Elementen gefehlt und es wird daran nicht fehlen, die dem Kaiser glauben zu machen suchen, es sei ihm zu nahe getreten worden und es sei auf eine Beschrän­kung seiner Rechte, auf eine Demütigung abgesehen. Eine solcheKamarilla" kann Gefahren schaffen, aber man darf doch hoffen, daß dem Gewitter mit Hagelschlag, das iin vergangenen Jahre über Deutschland dahingegaugen ist, eine bessere Zeit folgen wird. Das Volk hat sich auf sich selbst besonnen und ist iune geworden, daß seine Geschichte nicht aus seiner Hand genommen werden dürfe. Und das ist viel. Es bedeutet einen Markstein.

In ursächlichem Zusammenhang mir den Verhältnissen, die zu den politischen Explosionen geführt haben, stehen auch die Begebenheiten, die sich an den NamenEulen­burg" knüpfen. Fürst Eulenburg, lange Jahre der nahe Vertraute des Kaisers, ist mit seinerTafelrunde" unschäd­lich gemacht worden, und das war gut. Denn sie haben Unheil genug gestiftet. Leider ist die Unschädlichmachung des Eulenburg'schen Kreises nicht ohne Aufwühlung eines Berges von Schinutz abgegangen. Maximilian Harden, der Herausgeber derZukunft", hat den Mut gehabt, den Augiasstall auszuräumen und die Lenre mit demnorm-

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der neue Präsident von Venezuela.

widrigen" Sexualempfinden aus der Umgebung des Kaisers zu vertreiben. Wir können es uns versagen, auf Einzel­heiten dieses Feldzuges und der damit zusammenhängenden Prozesse einzugehen. Fürst Eulenburg, schwer belastet, hat sich vor dem Schwurgerichte in Berlin wegen Meineids und Verleitung zum Meineid verantworten müssen, und er wäre wohl heute ein gerichtlich verurteilter Mann, wenn nicht sein Gesundheitszustand eine Beendigung des Prozesses ver­eitelt hätte.

Die Partcikonstellation, die vor zwei Jahren durch die Reichstagsauslösung geschaffen wurde, hat derBlock", allen pessimistischen Voraussagungen zum Trotz, im vergangenen Jahre seine Lebenskraft bewiesen. Nach unendlichen, heftigen Kämpfen ist das Neichsvereinsgesetz zustande gebracht worden, das für den größten Teil Deutschlands einen unzweifelhaften^ freiheitlichen Fortschritt bildet. Auch das Börsengesetz ist eineBlocksrucht". Im klebrigen freilich steht cs um die Blockpolitik nicht zum Besten, und es ist fraglich, ob sie die Erledigung der Reichssinanzresorm überdauern wird. Die nächsten Monate werden diesernationalen Ausgabe" hauptsächlich gewidmet sein. Das Finanzclcnd des Reichs schreit zum Himmel. 500 Millionen will die Regierung an neuen Steuern jährlich haben. Das ist keine Kleinigkeit, wahrhaftig nicht, und die Steuerentwürfe des Reichsschatz­amts werden heiß umstritten. Von der Erledigung der Steuerreform wird viel abhängen, nicht nur für die Finanz­verhältnisse des Reichs, sondern auch für die parteipolitische Gestaltung. Ehe wir dazu übergehen, einen Blick auf die Auswärtige Lage zu werfen, mag noch der Landtagswahlen in Preußen Erwähnung getan werden. Sie haben keine nennenswerte Acnderung in die Mehrheitsverhällniffe ge­bracht. Die Konservativen insbesondere haben ihren Be­sitzstand sogar noch gemehrt. Zum ersten Male hat ein Fähnlein Sozialdemokraten sieben an der Zahl, die sich gern als das Fähnlein der sieben Aufrechten fühlen das Dreiklasseuparlament betreten. Lauter als je zuvor hat sich der Ruf nach einer Reform des preuß. Wahlrechts er­hoben, und die Negierung hat durch die Thronrede und auch sonst die Notwendigkeit einer Reform anerkannt. Aber man will sich Zeit lassen, und man null nicht so weit gehen, wie die Liberalen fordern. Die preuß. Wahlrechtsfrage und überhaupt die politischen Verhältnisse in Preußen aber lasten wie ein Alb auf der gesamten Reichspolitik.

Unerfreulich wie die innere ist auch die auswärtige Lage. DaS Ergebnis der 20jährigen Periode nach Bismarck ist, daß wir uns in einer völligen Vereinsamung befinden, aber in keiner glänzenden. Der Dreibund allerdings besteht noch, aber er ist nicht mehr das, was er war. Jtalieir wird nur durch die Vernunft wenigstens äußerlich dabei ge­halten, aber sein Herz ist ganz ivo anders, bei den Welt­mächten, bei der englisch-französischen Gruppierung. Seine Politik besteht nur noch ausExtratouren", und es gibt keinen Menschen in Europa, der so naiv wäre zu glauben, daß im Ernstfälle auf Italien zu rechnen wäre. Immerhin ist auch dieses äußerliche Festhalten im Dreibund nicht ganz ohne Wert, denn sonst würde zwischen Oesterreich und Italien ein Verhältnis entstehen, das unaufhaltsam zum Kriege triebe. Oesterreich-Ungarn allein steht noch in alter Treue zu uns, ungeachtet der vielfachen Gegnerschaft, die das Bundesverhältnis bei den slawischen Nationalitäten findet. Auch von außen her werden unablässig Versuche gemacht, die habsbnrgische Monarchie von Deutschland zu trennen. Der König von England hat in diesem Sommer sich das besonders angelegen sein lassen; er ist aber beim Kaiser Franz Joseph der übrigens in diesem Jahre das 60jährige Regierungsjnbiläum feiern konnte damit ab­geblitzt. Anderswo haben die englischen Bemühungen da­gegen besseren Erfolg gehabt. Sogar Rußland ist nun mit England ein Herz und eine Seele, und die Periode der langjährigen Gegnerschaft und Feindschaft ist durch den Besuch des englischen Königspaars beim Zarenpaar in Reval feierlich abgeschlossen worden, wenigstens äußerlich und bis auf Weiteres. So sehen wir den Kreis um uns, bis auf die Lücke Oesterreich-Ungarns, geschlossen, und bei allem, was wir tun, stoßen wir ans Hindernisse, bei allem ist größte Behutsamkeit erforderlich. Hätten wir nicht unsere gewaltige, schlagfertige Wehrmacht, vor der man gottlob noch respektvolle Scheu empfindet, so würde es unS bald übel ergehen. Der deutsch-englische Gegensatz ist der Angel­punkt der gesamten europäischen Politik geworden. Und dabei gibt es nicht einmal Streirjragen zwischen Deutsch­land und England. Aber England fühlt sich durch den industriellen und kommerziellen Wettbewerb Deutschlands beeinträchtigt und erblickt in dem Anwachsen unserer Sec- wehr eine Gefahr, und das genügt, um es zu veranlasse!:, auf alle Weise denEmporkömmling" zu befehden, ihn einzuengen: Alle deutsch-englischen Verständigungsaktionen haben daran nichts geändert. Ehrlicherweise müssen wir einräumen, daß Deutschland an dieser unbehaglichen Ent­wicklung der Dinge nicht schuldlos ist. Das unstete, lärmende Wesen der deutschen Politik, das Spiel mit großen Wo.ten und großen Gebärden haben alle Welt mit Mißtrauen gegen uns erfüllt.

So sieht es um die internationale Stellung Denljcy- lands aus Auswärtige Erfolge gibt es auS ^em vergange­nen Jahre nicht zu buchen, wohl aber Mißerfolge. Da ist die marokkanische Frage, die seil mehreren Jahren, seit dem Kaiferbesnch in Tanger, zwischen Deutschland und Frankreich einen Spannungszuftand geschaffen hat, der zeitweise hart an den Rand des Krieges führte. Das ganze letzte Jahr ist davon ansgefüllt worden. Die Franzosen haben Schritt um Schritt ihre Macht in Marokko erweitert, sie haben Casablanca besetzt und einen Feldzug weit ins Innere ge­führt, sie haben der Akte von Algeciras ein Schnippchen geschlagen, und Deutschland hat nichts anderes getan, nichts anderes tun können, als ein saures Gesicht zu macheu. Daß schließlich Mulay Hafid die Oberhand über den von den Franzosen gänzlich in ihre Gewalt gebrachten Sultan Abdul Aziz erhielt, war kein Verdienst der deutschen Politik. In der Affäre der Fremdenlegionäre in Casablanca und des französischen Uebergriffs gegen Deutsche hat Deutsch­land einen Rückzug antrelen müssen. Die Sache ist an das Haager Schiedsgericht überwiesen worden, und man kann, wie die Dinge liegen, nicht umhin damit zu­frieden zu sein.

Die Sorge Europas ist jetzt nicht mehr die marokkanische, sondern die Balkansrage. Dort haben sich Dinge abgespielt, denen historische Bedeutung zukommt. Während die Kabinette über die Reformen in Makedonien verhandelten, eine Sache, die seil Jahrenschwebt", trat in der Türkei eine Revolution ein, die einzig in ihrer Art ist. Sie ging ohne Blutvergießen vor sich, ruhig und glatt. Die jnngtürtcsche Organisation Hatte sich in aller Stille der Gewalt über die wichtigsten Teile der Armee bemächtigt, und so blieb dem Sultan nichts anderes übrig, als dein Verlangen nach Wiederherstellung der Verfassung und Einberufung eines Parlaments nachzu­geben. Am 24. Juli erging die Verkündigung; cs war der Geburtstag der neuen Türkei. Ein paar Monate darauf aber folgten diesen Ereignissen andere, die in ihrer Ent­wicklung ganz Europa in Unruhe und Jorge versetzten. Am 3. Oktober erklärte sich das Fürstentum Bulgarien zu einem unabhängigen Königreich, und unmittelbar darauf vollzog Oesterreich-Ungarn die Annexion Bosniens und der Herzego­wina, jene türkischen Provinzen, die es vor 30 Jahren auf Grund des Berliner Vertrags besetzt,okkupiert" hatte. Das Eine wie das Andere, die Unabhängigkeitserklärung Bulgariens wie die Annexion Bosniens, änderte an den tatsächlichen Verhältnissen nichts, sondern war im Wesentlichen nur eine Sache der Form, ivenn gleich immerhin, was Bulgarien anbelangt, auch nebenher die Türkei materiell geschädigt wurde, durch die Beschlagnahme der Orientbahnstrecke in Bulgarien und durch den Wegfall des Tributs für die Provinz Ost- rumeliens. Bei der bosnischen Angelegenheit machte die Türkei sogar noch einen Geivinn, da Oesterreich den von ihm

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