Gegründet
1877.
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Unparteiische Tageszeitung und Anzeigeblatt, verbreitet in den Oberamtsbezirken Nagold, Freudenstadt, Talw u. Neuenbürg.
»r. s»6.
Ansgabeort Altensteig-Stadt.
Gamstag, de« 5. Dezember.
Amtsblatt für Pfalzgrafenweiler.
19V8.
Weitere Sozial-Reformen.
Ter neue Gesetzentwurf über die Errichtung von Arbeiler- tammern, der vor acht Tagen im Reichstage eingegangen ist, ist seitdem einer eingehenden Kritik unterzogen worden. Wie es bei uns in Deutschland immer ist bei sozialpolitischen Reformen, Theoretiker und Praktiker stoßen hart aufeinander. Den Theoretikern geht der Entwurf noch nicht weit genug, sie verlangen u. a., daß die neuen Arbeits-Kammern auch für die in der Landwirtschaft und in den großen Staatsbetrieben beschäftigten Leute gelten sollen; die Praktiker meinen: Regt Euch doch nicht um Zukunftsfragen auf; laßt uns lieber vor allen Dingen dafür sorgen, daß wir wieder zu einem flotten Geschäft und genügendem Verdienst kommen. Die Freude an neuen Gesetzes-Paragraphen wird gering für Betriebs-Inhaber, die bei dem schlechten Geldeingange nicht wissen, wie sie die Unkosten aufbringen sollen. Gewiß soll reformatorische Tätigkeit nicht rosten, aber man darf auch die unerquickliche Lage so mancher Industrien und Geschäfte nicht als nebensächlich betrachten. Und darf nicht diese Frage noch aufgeworfen werden: Dem Nährstand werden durch die neuen Reichssteuern abermals erhebliche Lasten und Opfer zugemutet; was soll ihm dafür als Ersatz zu Teil werden? Bisher hat man am grünen Tische diese Angelegenheit einfach auf sich beruhen lassen.
Die Gesetzes-Vorlagen über die neuen Kammern, wie über alle weiteren sozialpolitischen Reformen müssen auch unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden: Sind sie vollauf geeignet, eine Gesundung und Befestigung des Nährstandes zu bewirken? Denn können sich die Betriebs-Inhaber nicht rühren, so haben auch Angestellte und Gewerbe-Gehilfen nichts, und wenn heute einem Prinzipal seine Tätigkeit noch verärgert werden soll, dann dankt er lieber. Auch zu bureaukratische Vorschriften passen nicht in unsere Verhältnisse von heute hinein, sie komplizieren nur, anstatt auf Vereinfachung hinzuarbeiten. Außerdem muß unbedingt auch das feststehen: Mit neuen Betriebslasten muß es einstweilen ein Ende haben! Die Reichssteuern kommen totsicher, wenn man auch noch nicht genau iveiß, in welcher Form, Zuschläge zu den Staatssteuern kommen ebenfalls ganz bestimmt in verschiedenen anderen Bundesstaaten, Kirchen- und Kommunalsteuern werden vielfach erhöht, die Kaufkraft des Publikums ist in rückläufiger Bewegung begriffen, die Auswärtige Lage ist nicht rosenrot. Daß man unter solchen Umständen erst ans tägliche nötige Brot und dann an wünschenswerte Ideale denken muß, ist eigentlich selbstverständlich.
Ganz besonders sollte man auch die ländlichen Arbeiter nicht in diese Kammern einbeziehen; den Leuten auf dem Lande liegt wirklich nichts am grünen Tisch, vielen Akten, Protokollen und Verhandlungen, namentlich nicht, wenn sie mit den Städtern vor ein und denselben Karren gestellt werden sollen. Ländliche und industrielle Arbeiter- Verhältnisse sind nun einmal unter keinen Hut zu bringen, oder es kämen Brot- und Fleischpreise, daß uns die Augen übergingen.
Tagespolitik.
Der neue Reichsetat balanziert trotz der Da und Dort bewiesenem Sparsamkeit mit 2865sz Mill. Mark doch mit einer Summe, die die vorjährige um mehr als 80 ft, Mill. Mark übersteigen. Daran ist nichts zu ändern; es handelt sich um die gesunde organische Entwicklung. „Die Räume wachsen, es dehnt sich das Haus." Die Schuldenlast war bis zum Oktober d. I. auf 4253 Vs Millionen Mark angeschwollen und war damit über den gleichzeitigen Stand des Vorjahrs um 253 Mill. Mk. hinaufgestiegen. Die Verzinsung dieser Schuld erfordert jährlich mehr als 171 Mill. Mk., oder über 16 Mill. Mk. mehr als im Vorjahr. Dieser Schuldenwirtschaft muß ein Ende gemacht werden. Die Reichsfinanzreform ist eine Notwendigkeit. Möchte sich für sie nur ein gangbarer Weg finden.
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Das Zustandekommen der Reichsfinanzreform, allerdings mit einigen Abänderungen gegen die Regierungsvorlage, erwartet die „Köln. Ztg." mit voller Bestimmtheit. Politisch wäre es richtig und da die Blockpolitik doch unmöglich schon jetzt aufgegeben werden kann, auch durchaus erforderlich, daß die Führer der im Block vereinigten Parteien schon vor den Kommissionsberatungen zusammentreten, um Klarheit darüber zu schaffen, ob ein wirkliches Zusammenarbeiten des Blocks zur Durchdringung einer umfassenden, dem finanziellen Bedürfnis des Reiches
genügenden Finanzresorm möglich ist, und auf welcher allgemeinen Grundlage. Es wäre höchst bedauerlich, wenn die Finanzreform in ihrer Gesamtheit, oder auch nur in ihren einzelnen Steuervorlagen von einer Zusallsmehrheit ab- hängen sollte.
Die Munition der französischen Flotte ist unzureichend. Zu Gerüchten, daß die Munitions- vorräle der französischen Flotte sehr mangelhaft seien, erklärte der Befehlshaber des Mittelmeergeschwaders, Admiral Germinet, angeblich mehreren Berichterstattern, daß diese Gerüchte bedauerlicherweise auf Wahrheit beruhen. Die Schiffe besäßen nur die Hälfte der vorgeschriebenen Vorräte, so daß sie nach dreistündigem Feuer genötigt wären, den Kamps aufzugeben. Ein Teil der Pariser Presse greift die Marineverwaltung an.
Deutscher Reichstag.
* Berlin, 3. Dez.
Die Verfassungsdebatte.
Am Bundesratstisch sind der Staatssekretär v. Bethmann Hollweg und Nieberding^ erschienen. Eingegangen ist eine Interpellation der Sozialdemokraten betr. die Ausführung des Vereinsgesetzes. Auf der Tagesordnung steht die Fortsetzung der Beratung der Anträge betr. die Abänderung der Verfassung und der Geschäftsordnung.
Abg. Gräf (Antis.): Der Forderung des sozialdemokratischen Antrages, wonach der Reichstag bei einer Kriegserklärung mit entscheiden soll, stimmen wir nicht zu. Ebenso unannehmbar ist für uns der sozialdemokratische Verfassungs- antrag, der u. a. für den Reichstag das Recht der Ernennung und Entlassung des Reichskanzlers fordert. Im übrigen halten wir die sogenannte moralische Verantwortlich- keck des Reichskanzlers tür eine hohle Phrase, wir verlangen eine juristische und politische Verantwortlichkeit. Hingegen sind wir für ein parlamentarisches System, wie es in England und Frankreich besteht, nicht zu haben. Wir halten den Grundsatz fest, daß einzig und allein eine starke Monarchie der geschichtlichen Entwicklung unseres Volkes entspricht. Beifall rechts.
Abg. Dr. Naumann (fts. Vgg.): Herr v. Tirksen hat gestern gemeint, daß das Budgetrecht des Reichstages ein Machtmittel des Reichstages sei, um politische Forderungen durchzudrücken. Komme man aber mit der Forderung einer solchen Budgetablehnung, dann wendet die Rdchte ein, man könne doch nicht einen Kulturfortschritt und eine nationale Aufgabe ablehnen wegen einer politischen Forderung. In Verfaffungssragen gibr es leider bei uns keine Mehrheitsbildung. Daß wir keine nationale Einheitspolitik haben, liegt daran, daß wir nicht eine so große politische parlamentarische Tradition haben wie diejenige, auf welche das französische und englische Parlament zurückblicken kann. Wir tragen die großen Lasten für Heer und Marine pro prckris. Was haben die großen Rüstungen aber für einen Zweck, wenn ivir wünschen müssen, daß sie niemals eingestellt werden? Wenn wir sehen, daß die Art wie Herr v. Kiderlen-Wächter die Geschäfte führt, typisch ist für die Geschäftsführung unserer Diplomatie? Die Geschichte der letzten Jahrzehnte zeigt, daß die Volksvertretung gegenüber dem Souveränitätsjyftem nicht genügend zur Geltung gekommen ist. Im Gegensatz zum Souveränitätssystem fehlt es dem Reichstag an allen ausführenden Faktoren. Unsere Aufgabe ist es daher zunächst, durch Aenderung der Geschäftsordnung die Macht des Präsidiums zu stärken. Dass Verantworllichkeitsgesetz ist eine allgemeine liberale Forderung, weil die Realverantwortlichkeit die Hauptsache ist. Deshalb können wir nicht darauf verzichten, daß die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers auch auf Handlungen des Kaisers sich erstreckt, welche die innere und äußere Politik zu beeinflussen geeignet sind und daß die Anklage wegen Verletzung der Reichsverfassung durch pflichtwidrige Handlungen und Unterlassungen erfolgen kann.
Binde wald (Refp.): Wir treten für die Anträge des Zentrums, der Freisinnigen und der Polen ein, weil wir die erweiterte Verantwortlichkeit des Reichskanzlers u. seines Stellvertreters für die dringendste moderne Forderung halten.
Abg. Singer (Soz.): Wir beantragen, unsere Ver- sassungsamräge einer besonderen Kommission von 28 Mitgliedern und unseren Geschäftsordnungsantrag der Geschäftsordnungskommission zu überweisen. Wir fordern Zustimmung des Reichstags bei Kriegserklärungen und eine Aenderung der geschäftlichen Behandlung unserer Interpellationen. Wenn
die Bewilligung von 500 Millionen neuer Steuern als nationale Tat hingestellt wird, so ist dies eine Verhöhnung des deutschen Volkes, gegen die wir protestieren. Wir müssen diese neue Belastung mit der Forderung nach konstitutionellen Garantien verquicken, sonst wird die ganze Aktion zur Komödie.
Dietrich (kons.): Die Stellung von Anträgen bei Interpellationen halten wir für bedenklich, weil es sich dabei meist um parteipolitische Fragen handelt. Ebensowenig billigen wir die Mitbestimmung des Reichstags bei Kriegserklärungen. Wir glauben nicht, daß seitens derjenigen, die hinter Singer stehen, in Momenten, wo über das Dasein oer Nation entschieden wird, dem Wohl des Vaterlandes Genüge geschehen ivird. Wir wünschen eine starke Verantwortlichkeit des Reichskanzlers im Interesse der Krone, wir sind aber der Meinung, daß nur eine solche Verantwortlichkeit haben. DE Hauptsache der Anträge liegt darin, daß die politische Verantwortlichkeit des Reichskanzlers in Paragraphen gefaßt werden soll. Das Recht der Einberufung und Schließung des Reichstags ist eines von den Rechten des Kaisers und des Bundesrats. Wir lehnen die Mitarbeit in der Kommission ab. Wir haben Vertrauen zu dem uns gegebenen Kaiserworte und wollen daran nicht deuteln.
Dr. Ricklin (Elsässer): Wir werden den Anträgen zustimmen, jedoch wünschen wir, daß der Reichskanzler nicht nur wegen eines Verstoßes gegen die Verfassung, sondern auch gegen die übrigen Gesetze, namentlich gegen das Wahlrecht belangt werden kann. — Damit schließt die Diskussion.
Namens der Freisinnigen empfiehlt in einem Schlußwort v. Payer (südd. Vp.) nochmals die Anträge der Freisinnigen. Es würde ein Fortschritt sein, wenn nach der Besprechung von Interpellationen ein Beschluß herbeigeführt würde. Den soz. Antrag betr. Zustimmung des Reichstages zu der Entscheidung über Krieg und Frieden halten wir für gänzlich aussichtslos.
Dziembowski empfiehlt den Antrag der Polen und verwahrt sich gegen den Vorwurf, daß seine Parteidurch nationalpolnische Interessen zu diesem Antrag veranlaßt worden sei.
Heine (Soz.) Unsere Anträge sind so klar gefaßt, daß sie unverändert angenommen werden können. Daß der Reichskanzler sich bisher der Veranwortlichkeit nicht entzogen hat, erkennen wir an, wesentlich ist aber, daß er verfassungsmäßig dazu gezwungen ist. Die Entrüstung über unseren Antrag, wonach der Reichskanzler zu entlassen sei, wenn der Reichstag es verlangt, ist nicht gerechtfertigt. Schon Bismarck hat es klar ausgesprochen, daß der Kanzler verschwinden muß, wenn dies der Reichstag wünscht.
Spahn (Ztr.) Wenn wir unseren Antrag nichl in Form eines Gesetzentwurfes eingebracht haben, so ist es deshalb geschehen, um bei einer etwaigen Ablehnung nicht dem Bundesrat die Möglichkeit zu geben, sich auf das Nichtzu- ftandekommen des Reichstagsbeschlusses zu berufen, um nun seinerseits überhaupt nicht mit einem Entwurf zu kommen. Nach einigen persönlichen Bemerkungen werden sämtliche Anträge an die aus 28 Mitglieder verstärkte G e s ch 8 f t s o r d n u n g s k o m m i s s i o n verwiesen. Nächste Sitzung : Freitag Nachmittag 2 Uhr T.-O.: Gewerbenovelle. — Schluß 7 Uhr.
Landesnachrichten.
Alterrfteig, 4. Dez.
* In den letzten Tagen fand beim K. Kameralamt hier die Amtsübergabe durch den seitherigen Amtsverweser Finanzamtmann Clauß an den neuernannten Kameralver- walter Fromlet unter Leirung des Oberfinanzrats Tr. Zeller vom K. Steuerkollegium statt.
Von der Eisenbahn. Bei dem reisenden Publikum war es bisher nach Einführung der 4. Wagenklasse, vielfach üblich, daß man mit Fahrkarten 4. Kl. kurzerhand in der 3. Wagenklaffe Platz nahm. In der ersten Zeit nach Einführung der 4. Kl. hat die Eisenbahnverwaltung vielfach eine Auge zugedrückt und bei der Kontrolle wurde nur darauf gesehen, daß die betr. Fahrgäste in der nächsten Station in ihre Wagenklasse umfliegen. Alsdann beschränkte man sich daraus, die Fahrgäste, die mit Fahrkarten der 4. Kl. in der 3. Kl. platznahmen, an der Endstation vorzuführen zur Nachzahlung des höheren Fahrgeldes. Neuerdings geht aber die Verwaltung gegen diejenigen Fahrgäste, die unberechtigterweise in einer höheren Wagenklasse Pl-- "chmen, mit großer Strenge v- r. Es wird nunmehr niäßig die in der Eisenbahnsahrordnung vorgesehene Strafe von 6 Mk. verhängt, wenn Fahrgäste mit Fahrkarten 4. Kl. in der 3. Kl. angetrofien werden.