Schwarzwälder Sonntagsbl att.
Wochrn-Rundschau.
Jungliberaler Pertretertag.
Die württembergischen Jungliberalen haben am letzten Sonntag in Eßlingen ihren Vertretertag gehalten, der von fast allen Vereinen des Landes beschickt war. Nach dem Jahresbericht ist ein Zuwachs von 2 Vereinen und ca. 200 Mitgliedern zu verzeichnen. Aus den Verhandlungen ist hervorzuheben, daß ein Vorstandsantrag auf Beitritt zum Nationalverein für das liberale Deutschland zurückgezogen wurde, weil er keine Aussicht hatte, die erforderliche Dreiviertelmehrheit zu erhalten. Bei der sehr eingehenden Erörterung über die Volksschulnovelle herrschte Uebereinstimm- ung in dem Verlangen nach völliger Abschaffung der geistlichen Aufsicht. Ferner erklärte sich die Vertreterversammlung einstimmig für die Simultanschule; dabei wurde aber hervorgehoben, daß im Hinblick auf die obwaltenden Umstände, namentlich im Hinblick aus die Erste Kammer ein starres Festhalten an dem Prinzip der Simultanschule das Zustandekommen der Volksschulnovelle gefährden würde. Unter diesem Gesichtspunkte wurde auch die Haltung der Volkspartei in der Schulkommission getadelt. Jedenfalls sei aber zu wünschen, daß die fakultative Einführung der Simultanschule wesentlich erleichtert werde; sie von dem Vorhandensein einer Zahl von 300 Antragstellern abhängig zu machen, gehe zu weit. Im weiteren Verlause der Vertreterversammlung wurde auch die Reichsfinanzreform noch kurz berührt. Bei den Wahlen wurde Rechtsanwalt Dr. Wölz-Stuttgart zum Vorsitzenden gewählt; der seitherige Vorsitzende,
Kaufmann Stübler-Stuttgart, wird stellvertretender Vorsitzender. Tie nächste Versammlung soll in Stuttgart stattfinden. In einer öffentlichen Versammlung sprach Rechtsanwalt Jehle- Stuttgart über die auswärtige Politik, wobei er namentlich die verfassungsrechtliche Seite der letzten Krisis behandelte. Eine Resolution gegen das persönliche Regiment wurde mit 15 gegen 13 Stimmen abgelehnt, wobei jedenfalls mehr taktische als grundsätzliche Gründe im Spiel waren. Weiterhin wurde eine Entschließung zu Gunsten einer beschleunigten Durchführung der von der Regierung in Aussicht gestellten allgemeinen Neuregelung der Beamtengehälter gefaßt, und sodann noch eine Entschließung zur Reichsfinanzreform, worin insbesondere die Notwendigkeit von Ersparnissen betont wird.
Aus den Kommissionen.
Tie Volksschulkommission der Abgeordnetenkammer ist am 19. ds. in die zweite Lesung der Vorlage eingetreten. — In der volkswirtschaftlichen Kommission wurde bei einer Erörterung über das Wohnungswesen vom Minister v. Pischek die Mitteilung gemacht, daß ein Gesetzentwurf über die Einführung einer Wertzuwachssteuer in der Ausarbeitung begriffen sei und zwar handle es sich dabei nicht um eine staatliche, sondern um eine fakultative Gemeindesteuer. Diese Ankündigung des Ministers des Innern ist mit Genugtuung zu begrüßen, denn die Wertzuwachssteuer ist eine gesunde, eine notwendige Steuer.
Güterwagengemeinschast.
Tiefer Tage ist in einer zu Frankfurt a. M. abgehaltenen Konferenz von Vertretern der beteiligten Regierungen das Abkommen über die Güterwagengemeinschaft unterzeichnet worden, treten die süddeutschen Staaten dem schon längere Zeit be stehenden Staatsbahnwagenverband bei, der die preußischhessische Eisenbahngemeinschaft, die reichsländischen, mecklenburgischen und oldenburgischen Bahnen umschließt. Das Wesentliche des Abkommens liegt darin, daß die Güterwagen volle „Freizügigkeit" genießen und nicht, wie seither, leer nach ihrem Ursprungsland zurücklaufen müssen. Darin liegt eine große Vereinfachung des Betriebs, namentlich aber auch eine erhebliche Kostenersparnis. Die Ergänzung des Wagenparks wird durch ein Gemeinschaftsamt in Berlin besorgt. Die Güterwagengemeinschaft bleibt ganz erheblich hinter dem zurück, was seinerzeit auf Initiative unseres Königs von der württ. Regierung vorgeschlagen wurde: Schaffung einer vollen Betriebsgemeinschaft der deutschen Bahnen. Bayern wollte davon gar nichts, Preußen nur wenig wissen, und so mußte der Plan fallen gelassen werden. Das Ziel aber muß die Belriebsgemeinschaft bleiben, die Güterwagengemeinschaft ist nur eine Abschlagszahlung.
Ncichsfinanzrcform.
Ter Reichstag hat am Donnerstag voriger Woche die große Debatte über die Reichsfinanzreform begonnen und eine Serie von Sitzungen lang ist über diese brennende Frage, diese nationale 'Aufgabe gesprochen worden, soviel gesprochen worden, daß es einem ganz wirr wird, wenn man sich mitschanend zu vergegenwärtigen sucht, was alles gesagt worden ist. Aber das ist ja auch gar nicht nötig, denn auf Einzelheiten kommt es im Augenblick weniger an, als aus ein Resultat in großen Umrissen. Und dieses Resultat besteht darin, daß das Werk des Herrn Sydoiv gründlich zerzaust worden ist. Tic Abgeordneten haben sich durch den ungeheuren Aufwand von Worten, gedruckten und gesprochenen, zur Begründung der Vorlage nicht irre machen lallen, sie
ersterben nicht in Ehrfurcht, vor der finanzpolitischen Weisheit, die sich in der Finanzreform offenbart, sie sind vielmehr so respektlos, sich auf das eigene Urteil verlassen zu wollen. Wenn der Schatzsekretär auch hoch und teuer versichert, daß 500 Mill. jährlich unbedingt nötig sind und wohl gar noch nicht einmal langen — der Reichstag glaubt es nicht, will es jedenfalls zuvor genau nachrechnen. Und auch die „Mischung" des Steuerbuketts findet keine Gnade. Dem einen gefallen diese, dem andern jene Blumen nicht, und das Ergebnis ist, daß eS überhaupt kaum eine Blume gibt, die so, wie sie Herr Sydoiv in den Strauß gefügt, Anklang findet. Spiritusmonopol, Biersteuer, Zigarrenbanderolesteuer, Gas- und Elektrizitätssteuer, Jnseratensteuer, Nachlaßsteuer — alles stößt mehr oderweniger auf Gegnerschaft, teils überhaupt, teils in der vorgeschlagenen Form, und was diese Gegnerschaft schlimm macht, ist der Umstand, daß man meist nicht sieht, wie eine Mehrheit für die einzelnen Steuervorschläge zustande kommen soll. Freilich ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen, und in der Kommission und hinter den Kulissen wird man sich schon Mühe geben, Auswege zu suchen, Mehrheiten zusammenzubringen. Sintemal ja unbedingt etwas geschehen muß. Tie Finanzreform muß gemacht werden, unter allen Umständen, und sie wird gemacht werden. Nur wird sie zuletzt so äussehen, daß man aus das Werk Sydows ein Wort des Barons Mikosch (von dem man in vorgerückten Herrengesellschaften allerhand Schnurren er
Gründen, denn wer nicht viel hat, kann keine großen Sprünge machen. Aber in den wohlhabenden, namentlich aber in den reichen Kreisen ist in der Tat eine höchst ungesunde Neigung zu Aufwand und Luxus, zu äußerlichem Gepränge eingeriffen, und diese Neigung ist vom Nebel. Nach dem Reichskanzler sprach Staatssekretär Sydow, und er sprach vier Stunden lang, um auseinanderzusetzen, daß sein Werk gut sei und das Richtige treffe. Jeden einzelnen Steueroorschlag ging er durch, aber er vermiet dabei klüglich zu sagen, daß es nur so und nicht anders sein dürfe. Den Schluß machte ein Appell an die „leidenschaftliche Vaterlandsliebe". Und dann kommen die Redner aus dem Hause. Zunächst ein Konservativer Herr v. Richthofen. Er machte es gnädig mit dem Sydowschen Entwurf; nur von der 'Nachlaßsteuer wollen die Konservativen ganz und gar nichts wissen. Der folgende sozialdemokratische Redner Geyer aber ließ kein gutes Haar an der Reform; zwar ein Reichseinkommen- und Vermögenssteuer, das ist das sozialdemokratische Rezept.
Ein milder Richler war dann wieder der Redner der Reichspartei, Fürst Hatzfeldt. Er erklärte, daß ein Teil seiner Freunde gegen die Nachlaßsteuer ist und gegen ihre Verquickung mit einer Wehrsteuer erst recht. Der Abg. Raab von der Wirtschaftlichen Vereinigung zerzauste dagegen die ganze Vorlage und stellte ihr ein besonderes Programm entgegen. Zu Beginn des dritten Tags sprach Abg. Spahn
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Die Finanzdebatte im Reichstag.
Ani Bundesratstfich von links nach rechts: Skatzsekretär Sydow, Reichskanzler Fürst von Bülow. Am Präsident entis.fi: Graf Stoiberg-Wernigerode.
Danach
zählt), anwenden rann: „Armer Freund, wie hast Dir Dir verändert!" Jedenfalls kann man als Ergebnis der Generaldebatte feststellen, daß kein Stein aus dein anderen geblieben ist. Eingeleitet wurde dieDebattevomReichskanzler Fürst Bülow höchstselbst. Er zeigte sich dabei wieder frisch und mobil, als ein Mann, dem ein schwerer Stein vom Herzen gefallen ist. Nur die Witze fehlten, was freilich durchaus in der Sache liegt, denn die Reichssinanzreform eignet sich ganz und gar nicht zu feuilletonistischen Plaudereien. Fürst Bülow wartete noch mit verschiedenen Zahlen auf, ließ sich aber im klebrigen nicht auf Einzelheiten ein. Wirtschaftliche und finanzielle Probleme „liegen" ihm nicht. Dagegen fand er sehr ernste Worte über die Notwendigkeit einer gründlichen Reform der Finanzverhältmsse, namentlich auch im Hinblick aus die Machtstellung des deutschen Reichs. Er sprach es unumwunden aus, daß bisher ins Blaue hinein gewirtschaftet worden ist, daß man kavaliermäßig, aber nicht wie ein guter Hausvater zu Werke gegangen ist. Dadurch ist dann schließlich das graue Elend geworden, das jetzt nach Beseitigung schreit. Freilich, einen mildernden, erklärenden Umstand findet der Reichskanzler in der außerordentlichen, sprunghaften Entwicklung der gesamten staatlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Deutschlands. Nun aber sei es höchste Zeit Ordnung zu machen und an das zu denken, was in dem Worte liegt: Mensch, bezahle Deine Schulden. Und sodann sang Fürst Bülow das Lob der Sparsamkeit, der Einfachheit, der Schlichtheit. Nicht nur für das Reich, die Einzelstaaten, die Gemeinden, sondern auch für den einzelnen. „Ich nehme Niemanden aus", sagt er, und verständnisvoll nahm mau das hin, denn Vas Beispiel kommt von oben, sehr von oben, und die Rückkehr zur Einfachheit muß oben beginnen. Ganz unten und in den Mittelschichten hat man sich nicht allzusehr der Sparsamkeit und Einfachheit entwöhnt, aus sehr natürlichen
vom Zentrum. Er sagte, wie das so Gewohnhgit des Zentrums ist, noch nicht endgültig Ja oder Nein, ging im klebrigen aber mit nahezu allen Steuervorschlägen sehr böse um. Weinsteuer, Branntweinmonopol, Lichtsteuer, Nachlaß- steuer — alles nichts. Der nationalliberale Redner Paasche meinte allerdings, das Zentrum werde schon zu Gelegenheit mit sich reden lassen. Das Branntweinmonopol findet bei den Nationalliberalen keine Ablehnung, dagegen wünschen sie eine andere Form für die Tabakbesteuernng, für die An- zeigenstener, für die Nachlaßsteuer. Auch die Weinsteuer stößt hier auf Bedenken. Im klebrigen betonte Paasche die Notwendigkeit einer angemessenen Heranziehung des Besitzes, betonte auch das Sparsamkeitsprinzip. Der preußische Finanz- minister Frhr. v. Rheinbaben trat nun auf den Plan, um alle Gründe gegen direkte Reichssteuern vorzutragen, ohne aber sonderlich Eindruck zu machen. Der Redner der Freisinnigen Volkspartei Abg. Dr. Meiner bemängelt insbesondere die vorgeschlagene Festlegung der Matrikularbeiträge und die darin liegende Beschränkung des Budgetrechts des Reichstags. Er kritisierte ferner die verschiedenen Steuerentwürfe und trat für die Ersetzung der Nachlaßsteuer durch eine Vermögenssteuer ein. Aehnlich äußerte sich Schräder (sreis. Vereinigung^. Insbesondere verlangte er Ersparnisse bei der Heeres- und Marineverwaltung und bei der gesamten Verwaltung.^ Am Montag kam Abg. v. Payer (Volksp.) zu Wort. Er hielt eine große und recht kritisch gestimmte Rede, worin er namentlich die Frage untersucht, ob der Mehrbedarf wirklich 500 Millionen betrage. Payer verneint das und schätzt 300 Millionen. Auch er forderte Ersparnisse in Heer und Marine. Das Schicksal der Finanzreform scheine ihm von der Ersetzung der Nachlaßsteuer durch eine Reichsvermögensfteuer adzuhängen. Besonders entschieden erklärt er sich gegen die Flaschenweinsteuer, der eine allgemeine Weinstener bald Nachfolgen werde