Stadt und Bezirk.
Calw, 25. Mai 1912.
A Unglücksfall. Am Donerstag nachmittag widerfuhr einem für eine hiesige Baufirma fahrenden Knecht ein arges Mißgeschick. Als er mit seinem Fuhrwerk durch den Hof an einem dort stehenden Pritschenwagen vorbeifahren wollte, ging er unoor- sichtigerweise zwischen den beiden Wagen neben seinen Pferden. Dabei lenkten die Pferde zu dicht am andern Wagen vorbei, sodaß der Fuhrmann an diesen gedrückt und schwer verletzt wurde. Glücklicherweise standen die Pferde sofort, sonst wäre es um den Mann geschehen gewesen. Im Krankenhaus, wohin der Bedauernswerte sofort verbracht wurde, ist festgestellt worden, daß ihm das Nasenbein und einige Zähne eingedrückt wurden, desgleichen erlitt auch die Brust Verwundungen. Der Verletzte ist ledig und etwa 25 Jahre alt.
Hinweis. Wir möchten auch an dieser Stelle darauf aufmerksam machen, daß am Pfingstmontag im Vormittagsgottesdienst der Seemannspastor Blattmann aus Genua über die Seemannsmission Mitteilungen machen wird. Es wird dies gewiß vielen willkommen sein, die sich für das Werk der Seemannsmission interessieren (vergl. d. Anzeige).
2 eb. Mutmaßliches Wetter. Die verschiedenen über Europa liegenden Teilwirbel beginnen sich aufzulösen und es hat den Anschein, als ob sich wieder von Westen her ein, wenn auch zunächst noch schwacher Hochdruck über dem Festland entwickeln wollte. Da aber solche Antizyklonen erfahrungsgemäß von kurzer Dauer sind, so bleibt die Wetterlage veränderlich. Für die Pfingstfeiertage ist zwar aufheiterndes und meist trockenes, aber immer noch zu vereinzelten Gewitterstörungen geneigtes Wetter zu erwarten.
Nagold, 24. Mai. Bei den Turnübungen des Jünglingsvereins brach Stadtpfarrer Merz den Arm.
Württemberg.
Stuttgart, 24. Mai. Gewerkschaftssekretär Krug in Stuttgart tritt am 1. September von der Leitung des württembergischen Sekretariats des Eesamtver- bandes der christlichen Gewerkschaften Deutschlands zurück, um die Leitung des Parteisekretariates der Deutsch-Konservativen Württembergs zu übernehmen. Das Sekretariat lag bisher in den Händen des Abg. Schrempf, der aus Gesundheitsrücksichten seit einiger Zeit in seiner erfolgreichen Wirksamkeit als Parteisekretär gehemmt war, sich aber auch ferner im politischen Leben aktiv beteiligen wird. //
Stuttgart, 24. Mai. In Wangen wurde kürzlich ein „Waldheim" für die Arbeiterschaft eingeweiht. Der „ausgehungerte" Westmeyer hielt dabei die Festrede, über die in der „Schwäb. Tagw." zu lesen war: „Außerordentlich gut verstand es Redner, die Gegensätze diesseits und jenseits der Berge zu charakterisieren. Jenseits der Rotenberg mit seiner Grabkapelle, bergend die Ueberreste vergangener Pracht, Herrlichkeit und Macht. Diesseits frohe Menschen, kämpfend um Menschenwürde, Freiheit und Recht." Zu diesen ebenso hetzerischen als platten Geschmacklosigkeit enbemerkt heute der „Beobachter": „Was hat der tote König Wilhelm und seine Gemahlin
dem Genossen Westmeyer getan, daß er bei einem Waldfest sie zu einem vollständig verunglückten Vergleich aus ihrer Grabesruhe herauszerrte? Welches sollen denn die „Ueberreste vergangener Pracht, Herrlichkeit und Macht" sein? Wir meinen, wenn Wilhelm I. heute wieder sein Land überblicken könnte, er würde von „Ueberresten" nichts entdecken, sondern von einer glänzenden Entwicklung und einem machtvollen Aufschwung unter seinen Nachfolgern auf dem Throne, und er würde wie ehedem ausrufen: Es ist schwer, von einem solch schönen Lande zu scheiden. — Die kleine Episode in Wangen, von der die „Tagw." weitererzühlt, ist ein neuer Beweis dafür, wie den Agitatoren der Sozialdemokratie vom Schlage Westmeyers jedes Mittel zur Aufreizung recht ist und wie wenig natürlicher Takt und Anstand diesen Leuten zukommt."
Horb, 24. Mai. Der im Jahre 1837 gegründete hiesige „Liederkranz" begeht am 1. und 2. Juni das Jubiläum seines 75jährigen Bestehens. Aus diesem Anlaß findet am Sonntag, den 1. Juni, ein Festbankett im Lindenhof statt, bei dem verschiedene Männer- und gemischte Chöre zum Vortrag gelangen, Die Tübinger Militärkapelle hat ihre Mitwirkung zugesagt. Der zweite und eigentliche Festtag wird besonders glanzvoll begangen werden mit feierlichem Kirchgang, Orgelkonzert nebst Männerchor; Frühschoppen und Nachmittagskonzert auf dem oberen Marktplatz. Abends schließt ein Ball die ganze festliche Veranstaltung.
Rieth Oberamt Vaihingen a. E., 24. Mai.
Im Kalkwerk der Gräfin E. von Reischach wird gegenwärtig eine Brücke vom Steinbruch zum Ofen her gebaut. Gestern mittag kurz vor 12 Uhr fiel ein zum Aufstellen bestimmter Balken dem Zimmermann Marquardt von Hochdorf aus den Händen. Als Marquardt beiseite springen wollte, kam er dem Rand des Steinbruches zu nahe, sodaß er 4—5 Meter abstürzte. Bewußtlos wurde er vom Platze getragen und nach dem Bezirkskrankenhaus übergeführt. Ein schwerer Schädelbruch läßt an seinem Aufkommen zweifeln.
Göppingen, 24. Mai. Das als ertrunken gemeldete Kind soll nach einer Darstellung des „Hohenstaufen" einen Selbstmord begangen haben, was in Uhlingen das Tagesgespräch bilde. Das Blatt berichtet darüber: „Der Unglückliche war der Sohn des Schreiners K. Beer von Holzhausen. Er verließ am Mittwoch mittag das elterliche Haus und kehrte nicht mehr zurück. Er hat sich an dem Wehr der Bleicherei Uhingen in einen tiefen Kessel gestürzt und soll diese Absicht vorher geäußert haben, sodaß man einen Fingerzeig für die Nachforschungen hatte, doch hat man die Leiche erst nach langem Suchen gefunden. Der Knabe hatte bei einem Metzger einen „Peitschenstecken" gekauft und nicht bezahlt, weshalb er ihm nachging und dabei gewahrte, wie der Knabe die Wurst aß. Damit war erwiesen, daß die Wurst nicht für das elterliche Haus bestimmt war, weshalb der Metzger dem Knaben einen berechtigten Vorhalt machte, und ihm erklärte, er werde die Sache seinem Vater melden. Die Furcht vor Strafe beim Heimkommen drückte den Knaben so darnieder, daß
er Kindern gegenüber seine Absicht kundgab, lieber in den Tod als nach Hause zu gehen. Und er hat seine Absicht auch ausgeführt und ist um der Wurst willen in den Tod gegangen."
Aus Welt uud Zeit.
Das Riesenschiff.
Der Riesendampfer „Imperator" ist in Hamburg glücklich vom Stapel gelaufen, nachdem der Bürgermeister Burchardt die Taufrede gehalten und der Kaiser das Schiff mit den Worten :„Jch taufe dich Imperator!" getauft hatte.
Der „Imperator, der von der größten Reederei der Welt, der Hamburg-Amerika-Linie, gebaut wurde, hat einen Raumgehalt von 50 000 Vrutto- registertons und ein Gesamtgewicht von 676 000 Zentnern, während das größte Linienschiff der deutschen Marine rund 500 000 Zentner wiegt. Turbinen, die zusammen etwa 90 000 ?8 erzeugen, werden dem Schiff eine vorläufig noch unbekannte, aber sicher bedeutende Schnelligkeit geben. Das Schiff wird mit 5 Ankern ausgestattet werden, wovon der kleinste 45 Zentner und der größte 240 Zentner schwer ist und Stahlketten von 1200 Meter Länge liegen für sie bereit. Das Vootsdeck, das am höchsten gelegene Deck, befindet sich 30^2 Meter hoch über dem Kiel. In das Schiff wurde auch ein pompejanisches Schwimmbad eingebaut. Unter dem Kommando eines Kapitäns und zweier erster Offiziere wird eine geschulte Besatzung von 1200 Seeleuten die Matrosendienste verrichten. An Rettungsmitteln sind u. a. so viele Boote vorhanden, daß im Fall eines Unglücks alle Mitreisenden in ihnen untergebracht werden können, auch ist für jeden Reisenden, ebenso auch für jeden Mann der Besatzung ein Rettungsgürtel vorhanden. Auf der Hamburger Werft von Blohm und Voß liegen z. Zt. zwei gleichgroße Riesenschiffe auf Stapel, sodaß Deutschland vorläufig die drei größten Handelsschiffe unter den Flotten der Welt besitzt.
Kronenberg» 24. Mai. In einem Anfall plötzlicher Geistesstörung schnitt die Frau des Packers Emil Hufschmied in Küllenhahn ihrem zweijährigen Kinde mit dem Brotmesser den Kopf ab. Sie wurde festgenommen.
Königsberg, 24. Mai. Auf der Chaussee von Königsberg i. Pr. nach Labiau, wenige Kilometer von Eroß-Droosden, überfuhr ein aus Königsberg stammendes Automobil die Arbeiterfrau Barsun aus Neu-Droosden und verletzte sie schwer. Um den Anschein zu erwecken, daß die Frau einem Verbrecken zum Opfer gefallen sei, schleiften die Auto-Insassen die mit dem Tode ringende Frau einige hundert Meter weiter und steckten sie unter eine Chausseebrücke. Dann nahmen sie einen großen Stein und rollten ihn in der Blutlache hin und her, um glauben zu machen, als sei sie mit diesem Stein erschlagen worden. Ohne sich dann um die Schwerverletzte weiter zu bekümmern, fuhren sie weiter. In der Nähe der Ortschaft Pronitten hielten sie bei einem Bauernhof an, ließen sich warmes Wasser geben uud reinigten sowohl das Auto als sich selbst. Die Königsberger Kriminalpolizei hat bereits den Besitzer des Auto-
Tyrcrnn Ehre.
49) Roman von K. Lubowski.
(Fortsetzung.)
„Eine Verwandte, zu der man sich nicht bekennen will, pflegt man nicht in derselben Stadt unterzubringen, in der man selbst gezwungen ist, zu leben. Man hält sie sich möglichst fern, ohne sie dadurch die ihr aus irgend einem Grunde zugedachten Wohltaten entbehren zu lasten. Eine Verwandte besucht man nicht täglich und nächtlich, und man küßt sie auch nicht, Herr Leutnant von Tarenberg, besonders nicht, wenn sie jung und schön ist. Tut man es doch, so jongliert man zum mindesten sehr unvorsichtig mit seiner äußeren Wohlanständigkeit und kann sich sehr leicht um den Platz bringen, den man, dank seines Berufes, in der gesellschaftlichen Welt einnimmt. Merken Sie wohl auf! Diesen an sich milden Ausdruck habe ich für die Verirrungen eines völlig ungebundenen Mannes. Für jemand, dem das freie Verfügungsrecht über Herz und Hand nicht mehr zusteht, der, wenn er seinen Ruf befleckt, den Ruf eines anderen ebenfalls beschmutzt, habe ich einen schärferen Ausdruck. Wollen Sie mir helfen, ihn zu finden?
Wie würden Sie z. B. einen Mann nennen, der seine Geliebte in derselben Stadt, in welcher seine Braut lebt, unterbringt und zu der Letzteren geht, wenn ihm noch die Küste der elfteren auf den Lippen brennen?"
„Einen Schuft, Herr Oberst."
„Und was würden Sie mit diesem — hm Schuft tun, Herr Leutnant von Tarenberg?"
„Ich würde versuchen, ihn aus dem Heere zu entfernen, damit sein Beispiel nicht auf die jüngeren Elemente ansteckend wirken kann, wenn ich an des Herrn Obersten Stelle wäre."
„Sie haben viel Mut, Herr Leutnant von Tarenberg, sehr viel Mut!"
Hans Weddo machte ein paar hastige, taumelnde Schritte nach vorwärts. Er hat plötzlich die straffe Haltung, in der er die ganze Zeit über verharrt hat, eingebüßt.
„Herr Oberst glauben — daß ich — das tun könnte — trotzdem Herr Oberst wissen, wenn ich die Worte richtig verstanden habe?"
„Sie haben sie ganz richtig verstanden. Mein Sohn hielt es für seine Pflicht, mir von dem bestanden habenden Verhältnis Kenntnis zu geben. Trotzdem — ja! Ich habe Sie heute zu mir befohlen, um ein ernstes, aber auch ein letztes Wort in dieser Angelegenheit zu sprechen. Mit dem Recht, das ich als Ihr Oberst und der Vater meiner Tochter habe. Als jener befehle ich, daß jede Wiederholung der unsauberen Geschichte in Zukunft unterbleibt.
Als dieser gebe ich meinem Bedauern darüber Ausdruck, daß mein Kind kein besseres, reineres Gefühl bei ihrer Wahl bewiesen hat. Ich spreche damit auch völlig im Sinne meiner von dem Inhalt unserer Unterredung unterrichteten Tochter. Daß ich nach dem heutigen Tage jede Annäherung an sie untersage, bedarf nach all diesem kaum mehr der Erwähnung. All das nimmt mir natürlich von meinem Glauben an Ihre militärischen Fähigkeiten nicht das Geringste. Ich will Ihnen gern bei Ihrer Versetzung in ein anderes Regiment behilflich sein. Hiemit betrachte ich unsere Unterredung als beendet."
„Herr Oberst!" Tarenberg schreit es heraus. Sein Gesicht ist verzerrt. Die Adern ziehen sich in der Gegend der Schläfe wie dicke, blaue Stränge an der weißen, hohen Stirn hinauf. „Sie darf noch nicht zu Ende sein. Nehmen Herr Oberst das Letzte zurück!"
Das kann ich nicht, Herr Leutnant von Tarenberg. Ich habe noch niemals etwas von dem widerrufen, was ich nach ruhiger Ueberlegung aussprach, wie ich mich auch niemals von einem augenblicklichen Gefühl zu nicht beweiskräftigen Verdächtigungen Hinreißen ließ. Wer nicht stehen kann, muß fallen. Wer gefallen ist, muß sehen, wie er aus eigener Kraft wieder auf die Füße kommt. Gelingt ihm das nicht, so muß er eben da unten liegen bleiben. Ich helfe niemand in die Höhe. Das geht wider mein Prinzip."
„Ich will ja auch Herrn Obersts Hilfe nicht, ich will nur, daß man mir glaubt." Er hat vergessen, daß er vor demselben Mann steht, der über die Meldung von Klaus Wiedentals Verschwinden mit einem eiskalten Achselzucken und über den Wehschrei eines verzweifelten Mutterherzens mit dem stahlharten „Es ist das Beste für ihn", quittiert hat. Er denkt in diesem Augenblick, daß er einen tief empfindenden, warmherzigen Menschen vor sich hat. Und diesen Menschen muß er rühren. Er muß ihn in sein Herz sehen lassen, er muß aufdecken, was an Liebe und Schmerz da drinnen ruht. Aus diesem Gefühl heraus umklammert er die Hand des Obersten. Der aber lächelt. Ein besser wissendes, ein ganz klein wenig verächtliches Lächeln, das Tarenberg um den Rest seiner Fassung bringt.
(Fortsetzung im 2. Blatt.)