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Amts- und Anzeigeblatt für den OberamtsbezirL Calw.
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Samstag, den 25. Mai 1912.
87. Jahrgang.
Wngsten.
Es braucht nur die Nennung dieses Wortes — und vor dem Auge des Durchschnittsmenschen steht die schimmernde Lenzespracht, die jetzt die Lande umhüllt, steht all das Schöne, das Lockende, was gerade zu dieser Zeit in der Natur die Menschen hinauszieht. Und jedes freut sich auf seinen Pfinaitaus- flug, und viele murren, wenn er verregnet. Das seien doch keine Pfingstfeiertage, wenn es nicht gerade der Witterung nach pfingstlich aussehe. Es ist zugegeben, daß das Pfingstfest die reichen und tiefen Gemütswerte, wie sie Ostern und in erster Linie Weihnachten gerade unserem deutschen Volke bieten, nicht in sich schließt. Eine an sich auch sehr nüchterne Tatsache vollzog sich an diesem Tag der „Ausgießung des heiligen Geistes": Die Gründung der Kirche Christi. Es hat gar nichts damit zu tun, wie der Einzelne persönlich zu diesem Vorgang, wie er in der Bibel erzählt ist, sich stellt, denn das erste Mingst- fest, das von den Anhängern des Jesus von Nazareth gefeiert wurde, stellt rein geschichtlich den offiziellen Zusammenschluß der Christen in eine Organisation dar. Darüber hinaus empfindet aber der religiöse Mensch, daß dieses Geschehnis am ersten Pfingstfest nicht nur rein historische Bedeutung in sich trägt, sondern auch seiner Religion, seinem religiösen Innenleben ein Bedeutendes zu sagen weiß. Zu sagen weiß vom Pfingstgeist, der in jenen grauen Tagen des Häuslein derer beschattete, die noch zagend und zaudernd um das Ostergeschehnis standen und in ihrer schlichten Hilflosigkeit nicht Rat noch Ziel wußten, da sie's dann in einer großen, begeisterten Versammlung überkam mit mächtiger Inbrunst und Allgewalt, daß das Werk des Gekreuzigten und seine Fortsetzung ein gutes und der Menschheitssehnsucht heiligste Erfüllung sei und ste ihre Verkünder und Träger. Feuerzungen trugen die Botschaft des Christ durch die Lande, in die Herzen der Menschen, in die Länder und Völker trugen sie Pfinastgeist, der zum Leben, der zum Lichte drängt, denn mit gewaltiger Macht überkam die Macht dessen, dem sie n'achfolgten, die Jünger, mit einemmal wurden sie sich innerlich recht eindringlich klar des Werkes und des Willens ihres Meisters, daß Furcht und Zweifel schwanden, daß Pfingsten in ihnen wurde! Und was soll uns Menschen aus dem 20. Jahrhundert das Pfingstfest denn? Ich bitte — was tut uns, unserem Volk, jedem Einzelnen, mehr not, als Feuer ins Herz für die Arbeit an hohen Ideen? „O," klagt Frenssen, „da sitzen so viele an der Straße auf den Wegsteinen und klagen Gott und aller Welt; aber sie fassen die Sache nicht an. Da sitzen die Fried- und Freudlosen, die mit bedrücktem Gewissen, die mit Unfrieden im Haus, die Trunksüchtigen, die Beamten, die faul sind, die Arbeiter, die verbittert sind, die Landleule, die erbärmlich flache und schiefe Furchen ziehen, mit stumpfem Pflugeisen, die Jugend, die die Morgensonne verschläft: sie wollen alle heraus: sie fühlen sich alle unglücklich, sie haben alle eine Stelle, wo sie sich selbst verachten; sie haben noch eine Kraft, aber in Ketten. Sie fassen die Sache nicht an. Sie springen nicht auf und greifen nicht in die Speichen. Sie sitzen und schlafen und grübeln und träumen und schämen sich. In einer Zeit, wo das Vaterland auflebt, wo die Tore der weiten Welt dem deutschen Volk knarrend und krachend sich auftun, sitzen so viele seiner Kinder untätig..." Daß doch da Pfingsten komme, ein innerlich Eepacktwerden von der Not- ^"*Ü6keit ernster Seelenarbeit und Arbeit an unse- s-em Volk! Pfingsten ist die Zeit dazu. „Pfingsten ist das Fest, da im Menschenleben etwas geschieht, da man sein Leben korrigiert, da man Türen ver- riegelt und öffnet, Fenster auftut, alten Weg verlaßt, neuen mühselig sucht. —, Pfingsten ist das Fest, da man feierlich im Gotteshaus den ersten Spatenstich tut zu neuer praktischer und Seelenarbeit." Aber aus den Tiefen heraus muß diese Arbeit getan
werden, mit vielem Fleiß und Willen. Den Lärm der Gassen meidend. Alles Finstere, Harte, Ungerechte muß im Glanz der Pfingstbotschaft abgetan, Menschen, die guten Willens sind, die Persönlichkeitsempfinden in sich pulsieren fühlen, müssen unter der Einwirkung des Pfingstgeistes werden! So, die Seele immer im Flug nach Großem, gehe der Weg. Dann ist ein Leben umstrahlt vom Pfingstfeuer, von Himmelsflammen, die leuchten durch den Erdengang bis in den Tod. I'. lv.
Parlamentarisches.
p. K. Die Arbeitendes Reichstags.
Die erste Session der 13. Legislaturperiode des neuen Reichstag ist am Donnerstag zu Ende gegangen. Unsere Reichsboten haben seit dem 7. Februar, dem Eröffnungstage des aus den Januarwahlen 1912 hervorgegangenen Reichstages, in 69 Sitzungen den ersten Arbeitsabschnitt beendet. Es wurden erledigt das Reichs- und Staatsang e- h örigkeitsgesetz, durch welches den Auslanddeutschen die Wiedergewinnung ihrer Reichsangehörigkeit und die Beibehaltung derselben erleichtert werden soll, wovon man sich ferner eine Kräftigung des deutschen Ansehens im Ausland, des Deutschtums überhaupt, verspricht. In nächster Reihe folgt diekleineStrafrechtsnovelle. Sie bringt eine bedeutende Milderung der Strafen bei kleinen Diebstahlsvergehen, Unterschlagung, Betrug, dagegen Verschärfung der Strafen bei Körperverletzung gegen noch nicht 18 Jahre alte oder wegen Krankheit und Gebrechlichkeit wehrlose Personen, die der Fürsorge des Täters unterstehen. An weniger umfangreichen Vorlagen, die vom Reichstag bearbeitet wurden, sind aufzuführen die Verlängerung des Handelsvertrages mit der Türkei, der Handelsvertrag und der Konsular-, Rechtsschutz- und Auslieferungsvertrag mit Bulgarien, oder Zusatzvertrag zum Auslieferungsvertrag mit Luxembug, die Verlängerung der Zuckerkonvention, das Ausführungsgesetz zu dem internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung des Mädchenhandels und das Fürsorgegesetz für Militärluftfahrer, ferner der Ausbau des Reichstagsrechtes in der Erweiterung des Jnter- pellationsrechtes und Einführung der kurzen Anfragen. Die Krönung all seiner Arbeiten leistete der Reichstag mit der einmütigen Annahme der Wehrvorlagen, und eine glückliche Lösung der Deckungsfrage steht mit der Annahme des Vassermann-Erzbergerschen Kompromisses gleichfalls in Aussicht, indem die im Reichsfinanzgesetz von 1909 vorgesehene Ermäßigung der Zuckersteuer erst 6 Monate nach der Einführung eines Gesetzes in Kraft tritt, welches eine allgemeine, den verschiedenen Besitzformen gerecht werdende Besitzsteuer vorschreibt, spätestens aber am 1 .Oktober 1916, und zwar ist ein entsprechender Gesetzentwurf dem Reichstag bis zum 30. April 1913 vorzulegen. Weiter ist gegen die Stimmen des Zentrums und der beiden konservativen Parteien der Antrag der Fortschrittlichen Volkspartei angenommen worden, wonach dem Reichstag bis zum 1. April 1913 der Erbschaftssteuergesetzentwurf von 1909 vorzulegen ist. — Das sind die wesentlichen vom Reichstag aufgearbeiteten Gesetzentwürfe.
Stuttgart, 24. Mai 1912.
Württembergischer Landtag.
Bei der heutigen Weiterberatung des Lehrergesetzes befaßte sich die Zweite Kammer zunächst stundenlang mit dem sogenannten Heiratsantrag des so- zialdemokratschen Wgeordneten Her» mann, der im Anschluß an Art. 8 die Streichung des ganzen Artikels beantragt und für die Lehrerinnen das Recht gefordert hatte, auch als Verheiratete weiterhin
tätig zu sein. Die Debatte drehte sich insbesondere um die Frage, ob eine verheiratete Lehrerin eventuell im Zustande der Schwangerschaft geeignet sei, Unterricht zu erteilen. Auch hatte die Sozialdemokratie den Antrag gestellt, die Lehrerinnen zum Unterricht an den oberen Knabenklassen zuzulassen. Seitens des Zentrums bekämpfte Abg. Dr. Späth- Biberach diese Forderung, worauf von sozialdemokratischer Seite noch der Antrag einlief, durch Einfügung eines Art. 9a zu bestimmen, daß vor Anstellung eines Lehrers oder einer Lehrerin auf Lebenszeit die Gemeindekollegien zu hören seien. Von konservativer und deutsch-parteilicher Seite wurde die sozialdemokratische Forderung gleichfalls bekämpft. Die Volkspartei beantragte die Wiederherstellung der Regierungsvorlage. Schließlich wurde der Antrag Heymann, den ganzen Art. 8 zu streichen, ebenso wie der volksparteiliche Antrag, die Regierungsvorlage wieder herzustellen, samt dem Antrag Heymann auf Anfügung eines neuen Art. 9a abgelehnt und der Ausschußantrag angenommen, der dahin geht, der Regierungsvorlage bezüglich der Abs. 1 und 3 des Art. 8 zuzustimmen und den Abs. 2 abzulehnen. In namentlicher Abstimmung wurde sodann mit 60 gegen 14 Stimmen auch der Heymannsche Heiratsantrag zu Art. 9 samt einem Eventualantrag abgelehnt und der Art. 9 in der Fassung des Entwurfes mit geringen redaktionellen Aenderungen des Ausschußes angenommen. In der weiteren Beratung wurden die Art. 10, 11 und 12 betr. die Fachlehrer und -Lehrerinnen verbunden. Nach langer Debatte wurden die Artikel nach dem Antrag der Kommission, die auf Zustimmung lautet, angenommen, mit Ausnahme des Abs. 2 des Art. 11, für den die Komission eine neue Fassung vorgeschlagen hatte und der nach einer Umformulierung nach dem Antrag Gauß bestimmt: „Für die Rechtsverhältnisse der Fachlehrer und -Lehrerinnen sind die Bestimmungen des Dienstvertrages, in dem die Unterrichtsverpflichtung und das definitiv zu gewährende Entgelt zu regeln sind, maßgebend. Es finden auf sie die für Volksschullehrer und -Lehrerinnen geltenden Vorschriften sinngemäße Anwendung. Zu Art. 13, der die Rechtsverhältnisse der Lehrer und Lehrerinnen an Lehrerbildungsanstalten regelt, liegen zwei Resolutionen vor. In der ersten wird verlangt, in einer Anlage zum Beamtengesetz ein Verzeichnis der auf Lebenszeit anzustellenden Lehrer und Lehrerinnen an Staatsanstalten aufzunehmen, in der zweiten, in Erwägung zu ziehen, ob nicht auch die Volksschullehrer und -Lehrerinnen in der Anlage zum Ve- amtengesetz Aufnahme finden können. Nach unwesentlicher Debatte wurde Art. 13 in der Fassung des Entwurfes angenommen, ebenso die erste Resolution in einfacher Abstimmung. Bei der Abstimmung über die zweite Resolution blieb das Ergebnis zweifelhaft. Es mußte deshalb namentliche Abstimmung erfolgen. Für die Resolution stimmten 32, dagegen ebenfalls 32 Abgeordnete. Durch Stichentscheid des Präsidenten v. Payer wurde die zweite Resolution ebenfalls angenommen. Um ^2 Uhr vertagte sich das Haus auf Mittwoch nachmittag 3 Uhr. Wegen Behinderung des Kultministers und des Berichterstatters an diesem Tag wurde die Weiterberatung des Entwurfs ausgesetzt. Auf die Tagesordnung kam deshalb die volksparteiliche Anfrage betreffend die Donauversickerung, ferner die erste Beratung der Novelle zur Aenderung der Nummer 94 des Sporteltarifes, sowie 5. Nachtrag für 1912/13 und Anträge des Ausschußes für innere Verwaltung zu verschiedenen Eingaben.
Neuerdings verlautet nach den Blättern, daß eine Herbsttagung des Landtages nicht in Aussicht zu nehmen ist, sondern mit dem vorhandenen Beratungsstoff im Laufe des Monats Juni aufgeräumt werden soll.