Trgrüudet
1877.
AffcHlnt täglich «tt Änsnshme der Sonn- ond Festtage.
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Unparteiische Tageszeitung und Anzeigeblatt, verbreitet in den Oberamtsbezirken Nagold, Freudenstadt, Lalw u. Neuenbürg.
Kr. 266
Ansgabeort Altensteig-Stadt.
Donnerstag, de« 12. November.
Amtsblatt für Psalzgrafenweiler.
1908.
Das Kaiser-Interview vor dem Reichstag.
ss Berlin, 10. Nov. Präsident Gras Stolberg eröffnet die Sitzung um 1^ Uhr. Am Bundesratstisch sind erschienen: Reichskanzler Fürst Bülow, v. Berh mann-Hollweg, v. Krätke, v. Tirpitz, v. Arnim, Dernburg, Schulz, v. Löbell, Sydow. Das Haus ist gut besetzt; die Tribünen sind überfüllt. Auf der Tagesordnung stehendieJ nt e rp e lla tio n en betr. die Veröffentlichung des Kaiserinterviews im „Daily Telegraph". Reichskanzler Fürst Bülow erklärt sich zur sofortigen Beantwortung der Interpellationen bereit. Abg. Bassermann (natl.) begründet die Interpellation seiner Partei: Das Manuskript solle dem englischen Staatsministerium Vorgelegen haben. Die Kritik der Aeußerungen des Kaisers war im Auslande wie im Inlands gleich ungünstig und zum Teil vernichtend. England wies das Liebeswerben zurück, da es den Versuch ver-, mutete, daß Mißtrauen zwischen England, Frankreich und Rußland gesät werden solle. Der englische Stolz ist verletzt, da England vernimmt, daß ein deutscher Kriegsplan dem englischen Feldzug zu Grunde gelegen haben soll. Frankreich und Rußland empfinden schwer die Indiskretion über die vertraulichen Mitteilungen. Die Marokkopolitik ist erschwert. China, Japan und Amerika sind erregt, da sie hören, daß unsere Flotte für den Stillen Ozean bestimmt sein soll. Die Beziehungen zu Japan sind gestört. Die Buren und Niederländer sind entrüstet über die Neutralitätsverletzung im Burenkriege (sehr richtig). Das gesamte Ausland empfindet es als eine schlechte Wahrung vertraulicher Verhandlungen; das Vertrauen in die deutsche Politik ist gemindert und der deutsche Handel ist schwer geschädigt (lebh. sehr richtig). Ein nahezu einmütiger Widerspruch und ein starkes Mißvergnügen machen sich in den Bundesstaaten über das Eingreifen S. M. des Kaisers in die auswärtige Politik bemerkbar (lebh. sehr richtig!).
Ausländische Privatleute, meint man, sind wenig geeignet , intime kaiserliche Mitteilungen entgegenzunehmen. Erst jüngst haben wir im Falle des Lord Tweed m out h und des Botschafters Hill die schlechten Folgen der persönlichen Kritik erlebt. Die Patrioten sind in Sorge nm das monarchistische Prinzip. Der Kaiser soll nicht im Mittelpunkt einer absprechenden Kritik stehen. Das deutsche Volk wünscht freundschaftliche Beziehungen zu England und hegt keinerlei Feindschaft gegen dasselbe. Unsere Flottenpolitik richtet sich nicht gegen England, wenn wir auch den Umfang unserer Rüstungen selbst bestimmen. Die alten Wunden aus dem Burenkrieg sind wieder aufgerissen worden. Die Mitteilung über das Ausarbeiten von Feldzugsplänen schmerzt tief. Es muß entschieden Verwahrung dagegen eingelegt werden, daß die deutsche Flotte zur Weltpolitik im Stillen Ozean bestimmt ist. Daran dachte niemand vo« uns bei der Schaffung der Flotte. Wir wollen Frieden und Freundschaft mit allen Völkern.
Der Schwerpunkt liegt in den Gesprächen, nicht in der Veröffentlichung. Hier steht im Vordergrund die Anordnung, daß der deutsche Kriegsplan gegen die Buren vom Generalstab geprüft werden sollte, und ferner die Mitteilung der französisch-russischen Intervention im Burenkricge in England. Sind diese Anordnungen unter der Verantwortung des Reichskanzlers erfolgt oder wird nachträglich die Verantwortung übernommen? Das Manuskript wurde dem Reichskanzler zur Prüfung aus dem kaiserlichen Hoflager übersandt. Hier beginnt die Komödie der Irrungen, die uns den Spott des Auslandes eingetragen haben. Tie Anerkennung der Verdienste Bülows in der auswärtigen Politik kann nicht hindern, eine derartige Behandlung dieser englischen Ausarbeitung als durchaus verfehlt zu erklären. Wir wünschen die Amtsniederlegung Bülows nicht angestchts der inneren und äußeren Schwierigkeiten u. der Möglichkeit eines unzureichenden Ersatzes. Das persönliche Moment muß aus der deutschen auswärtigen Politik unbedingt beseitigt werden, wenn nicht größere Schäden in Zukunft eintreten sollen. Eine Erklärung Sr. Majestät nach dieser Richtung hin könnte unsere Sorgen für die Zukunft mindern. Sodann ist eine bessere Information der allerhöchsten Stelle notwendig. Beweis: Aeußerungen des Kaisers über die deutsche Stimmung gegen England. Diese schwere Zeit erfordert eine genaue Information des Kaisers über die heutigen Verhandlungen, zumal da die Kenntnisnahme erschwert ist, da der Kaiser in der Kerne
weilt. Wir fordern eine Reorganisation des Auswärtigen Amts, eine bessere Auswahl der Personen, der tüchtigsten, befähigsten und intelligentesten im Auswärtigen Amt und in den Botschaften. DerReichs- kanzler kann deshalb nicht abdanken. Der Reichstag muß ein offenes Wort sprechen und eine Kritik üben, wenn sie auch nicht gefällt. Der Reichstag wird noch mehr tun müssen. Er wird in Zukunft schärfer achten auf die auswärtige Politik und seine eigenen Orientierungen durch Interpellationen herbeiführen. Weil wir wollen, daß zwischen dem Kaiser und dem Volk sich keine Kluft auftut, weil wir die Vaterlandsliebe des Monarchen u»d seine rastlose Arbeit um das Reich anerkennen, müssen wir wünschen und verlangen, daß der verantwortliche Minister die Geschäfte führt und damit der Kaiser ausscheidet aus übler nicht zu vermeidender Kritik. Eine Adresse kann ihre Wirkung haben, wenn sie gemeinsam durch die bürgerlichen Fraktionen erfolgt. Wir sind bereit. Der Redner verliest darauf eine Kundgebung des Zentralvorstands der nationalliberalen Partei, die am Samstag einstimmig beschlossen wurde und in der die persönlichen Eingriffe des Kaisers in die auswärtige Politik verurteilt werden, da sie weder der Wohlfahrt des Reiches zuträglich sind, noch im Einklang mit den verfassungsmäßigen Grundlagen stehen: Wir verlangen, daß die heuti- genVerhandlungen dein Kaiser ausführlich mitgeteilt werden. Sie würden ihren Einfluß nicht verfehlen. Die Rede Bas- sermanns wurde wiederholt von Beifall und Zustimmung unterbrochen. Zum Schluß wurde von der überwiegenden Mehrheit Beifall gespendet.
Wiemer (frs. Vp.) führt aus: Die Tatsache ist bezeichnend, daß weite Kreise an d:e Richtigkeit der Mitteilung nicht geglaubt haben (lebhafte Zustimmung links). Zunehmende Erbitterung, Bestürzung und Zorn erfüllen das ganze deutsche Volk. Auf deu Gemütern lastet die sorgenvolle Frage: Sind die Enthüllungen zu Ende oder bringen die nächsten Tage neuen Stoff? Es sind schwere Fehler gemacht morden. Es ist ei« Schaden an materiellen nationale» Werten angerichtet worden, der vielleicht kann» wieder gut zn machen ist. Am ehesten führt eine offene Aussprache eine Besserung herbei. Wer trägt die Schuld? Wer ist verantwortlich? Der Reichskanzler reichte sein Entlassungsgesuch ein. Das ist formell korrekt, aber ungenügend. Ter Reichskanzler mußte sich mit dem Inhalte beschäftigen, sich nicht auf das Placet des Geheimrats verlassen. Er mußte sich überzeugen, daß seine Politik in den Kundaebungn des Kaisers zum Ausdruck kommt. (Lebh. Zustimmung links.) Die Erfahrung zeigt, daß der Reichskanzler zeitweilig die Dinge gehen läßt wie sie wollen.
Wir müssen verlangen, daß der Reichskanzler die Verantwortung vor dem Lande nicht durch Erklärungen hinterher trägt, sondern durch die Vorsorge, daß die Politik nach seinem Willen geschieht. Im Auswärtigen Amt ist schleunigst für Ordnung zu sorgen. Auch die diplomatische Vertretung im Ausland ist nicht überall ihrer Aufgabe gewachsen. Die häufige Abwesenheit der leitenden Personen von Berlin erschwert das Geschäft. Wir wollen nicht, daß die Angelegenheit zur Machtfrage zwischen Krone und Parlament werde; aber wir wollen laut und nachdrücklich unsere Stimme erheben. Die Bestrebungen des Kaisers, die Beziehungen zu England freundschaftlich zu gestalten, billigen und unterstützen wir. Es ist nicht richtig, wenn der Kaiser sagt, daß bei der Mehrheit des deutschen Volkes die Stimmung gegen England unfreundlich ist. Die Kenntnis des Liebesdienstes, den wir England im Burenkriege geleistet haben, hat die englische Politik nicht abgehalten, eine sntoots oorämlo mit Frankreich und Rußland zu finden und aufrecht zu erhalten. Wir haben keine Veranlassung, irgend einer Macht nachzulaufen und ihr ^ Freundschaftsdienste zu erweisen, die sie nicht will und nicht schätzt. Auf Industrie und Handel wirken die diplomatischen Wirrnisse wie ein Hagelschlag. Dauernde Abhilfe ist allein möglich durch die Herstellung eines wahrhaft konstitutionellen Systems. Nicht biegsame Höflinge dürfen die Verantwortlichkeit übernehmen, nicht bloß Bnreautraten, und Ziviladjutanten, sondern ihrer Verantwortlichkeit bewußte Staatsmänner. Don Seiten des Trägers der Krone ist Zurückhaltung notwendig. Tie Staatsmaschinerie verträgt keine ungeschickte und unbefugte Einmischung. Sollte die Reichstagsdebatte die gewünschte Besserung nicht herbeiführen, so wird die Frage der Abänderung der Reichs- verfaffung aufgerollt »erden misten.
Singer (Soz.) : Die Parteien des Hauses seien mitschuldig an den gerügten Vorkommnissen, weil sie dem Byzantinismus des persönlichen Regiments Vorschübe leisten. (Große Unruhe, lebh. Widerspr.) In einem Parlamente mit größerer Selbstachtung würden solche Zustände unmöglich sein. Daß breite Schichten Deutschlands England feindlich sind, schlage den tatsächlichen Verhältnissen ins Gesicht. Es sei gerade, als ob der Kaiser in den Wolken schwebe. Aufklärung sei nötig, wie der eine Herr, der das Manuskript veröffentlichte, zur Kenntnis der übrigen Gespräche gekommen sei. Vielleicht bildete der Herr eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, wobei jeder die Einlage in Gestalt einer ihm gegenüber gemachten Aeuße- rung gebracht hat. (Heiterkeit.) Ueber die Wertschätzung des kaiserlichen Manuskripts durch den Reichskanzler äußere ich mich nicht. (Heiterkeit.) Ein armer preußischer Geheimrat ist derjenige, dem Deutschland die Blamage verdankt. Von Heydebrand (kons.): Die Erregung ist auch in konservativen Kreisen gewaltig. (Zustimmung rechts, hört! hört!) Erfreulich ist es, daß das deutsche Volk in schweren Augenblicken nach einheitlicher Verständigung drängt. Mit allen Elementen, von denen die deutsche Nation vertreten wird, mögen diejenigen es sich gesagt sein lassen, die vielleicht außerhalb des Saales auf den Moment warten, das deutsche Volk nicht mehr einig zu sehen. Fürst Hatzfeld (Reichspt.): Unsererseits meinen wir nicht, daß das Vaterland eine Einbuße an Vertrauen oder Ansehen erlitten hat, wie vielfach befürchtet wird. (! ! !) Wir fragen aber den Reichskanzler, ob er gewillt ist, in Zukunft solche Vorkommnisse zu verhüten. Von dem Inhalt der Antwort des Reichskanzler werden wir unsere weitere Stellung abhängig machen.
Reichskanzler Fürst Bülow : Ich werde nicht auf die Punkte eingehen, die von den Vorrednern berührt worden sind. Ich muß auf die Wirkung meiner Worte im Ausland sehen und will nicht neue Nachteile zu dem großen Schaden zufügen, der durch die Veröffentlichung des Daily Telegraphangerichtetwordenist. (Hört! Hört!) Seine Majestät hat zu verschiedenen Zeiten gegenüber privaten englischen Persönlichkeiten privateAeußerungen getan, die aneinandergereiht im Daily Telegraph veröffentlicht worden sind. Ich muß annehmen, daß nicht alle Einzelheiten richtig wiedergegeben sind. (Hört! Hört! rechts.) Von einem weiß ich, daß es nicht richtig ist, das ist die Geschichte mit dem Feldzugsplan. (Hört! Hört! rechts.) Es hat sich nicht um einen ausgearbeiteten detaillierten Feldzugsplan, sondern um einige rein akademische Gedanken gehandelt. (Lachen links.) Der Reichskanzler bittet um Ruhe. Ich glaube, sie waren ausdrücklich als Aphorismen bezeichnet über die Kriegführung im allgemeinen, die der Kaiser im Briefwechsel mit der verewigten Königin Viktoria ausgesprochen hat. Es waren theoretische Gedanken ohne praktische Bedeutung für den Gang der Operationen und für den Ausgang des Krieges. Der Chef des Generalstabs, v. Moltke und sein Vorgänger erklärten, daß der Generalstab zwar über den Burenkrieg wie über jeden großen oder kleinen Krieg, der auf der ganzen Erde im Läufe der letzten Jahrzehnte ftatt- fand, dem Kaiser Vortrag hielt. Beide versicherten aber, daß der Generalstab niemals einen Feldzugsplan oder eine ähnliche auf den Burenkrieg bezügliche Arbeit des Kaisers geprüft oder nach England weitergegcben hat. (Hört, hört, rechts und im Zentrum). Ich muß aber unsere Politik gegen den Vorwurf verteidigen, daß sie den Buren gegenüber eine Zweideutigkeit gewesen ist. Wir haben, wie aktenmäßig festsieht, die Transvaalregierung rechtzeitig gewarnt, daß sie im Falle eines Krieges mit England allein stehen würde. Wir legten ihr dann durch die befreundete holländische Regierung im Mai 1899 nahe, sich friedlich mit England zu verständigen, weil über den Ausgang eines kriegerischen Konflikts kein Zweifel sein könne. In der Fr age d e r Intervention sind in dem Artikel des Daily Telegraph die Farben zu stark aufgetragen. Von einer Enthüllung kann keine Rede sein. Man sagt, die kaiserliche Mitteilung, daß Deutschland einer Anregung zur Mediation der Intervention keine Folge gegeben habe, verstoße gegen die Regeln des diplomatischen Verkehrs. Die sicherste Politik ist vielleicht diejenige, die keine Indiskretion zu fürchten braucht. Um zu beurteilen, ob eine Vertrauensverletzung vorliegt, muß man mehr von den näheren Umständen wissen als ini Artikel des Daily Telegraph gesagt ist. Die Mitteilung konnte berechtigt lein, wenn von irgend einer Seite versucht worden ist, unsere Ablehnung zu entstellen, oder unsere Haltung zu verdächtigen. Es können Dinge vorausgegangen sein, die die Berührung