Gegründet
1877.
Fernsprecher Nr. 11.
A^trL»«r>» LSgliH M Ausnahme der Sonn- und Festtage.
Bezugspreis >Lr daS Vierteljahr iM Bezirk und RachöarortLverkehr M. 1.S5.
außerhalb Mk. 1.S5
FMbtatt für AilgemnnesKiyeiz«'-
'/on iisn
un-Mlerhaltungsblatt
obsron ^/Laolä.
Anzigerrpror»
bei einmaliger Sin- rückur.c- 1<: Big. ->>' einspaltige Zeile: bei Wevertzolutig-,u entsprecheiwerRabc::
Reklamen 15 Pfg die Textzeile
Unparteiische Tageszeitung und Anzeigeblatt, verbreitet in den Gberamtsbezirken Nagold, Freudenstadt, Lalw u. Neuenbürg.
NA. 862
Ansgabeort Altensteig-Stadt.
Samstag, de« 7. Novemb-e
Amtsblatt für Pfalzgrafenweiler.
1968.
Im Kanzler-Heim.
(Nachdruck verboten).
Im Reichskanzler-Palais in Berlin gibt's seltsames Raunen und Flüstern. Als ob etwas Neues kommen sollte, ganz plötzlich und beinahe über Nacht. Eine bescheidene Zahl von Wochen sind erst verstrichen, daß Bernhard von Büloi» unter dem herbstlich gefärbten Laubdach seines Parkes eine Rede voll zündender Laune und sprudelnden Humors hielt; heute sind die letzten Baumblätter verweht, und der Ost pfeift scharf über Dach und Wipfel. Und an die Pforte klopft sorgendes Denken, und mühvolles Sehnen nach Ruhe erhebt sich aus dem stillsten Winkel.
Die Tage kommen, aber sie gleichen einander nicht. Auch nicht im Heim der Kanzler des Reiches. Wenn eine Minister-Exzellenz kommt oder geht, nun, die Welt ist daran gewöhnt. Aber wenn ein deutscher Reichskanzler sich in eine würde- und bürdelose Zeit sehnt, dann hebt sie lauschend das Haupt. Es hat viel Kraft, viel Reckenhaftig- keit in diesem Hause gewohnt; alle seine Bewohner empfinden das, aber nicht Jeder hat sich aufschwingen können zu jenem geheimnisvollen Lächeln, mit dem der erste Kanzler über die Schwelle schritt. Das umfaßte Alles, was das Leben bieten kann, das Höchste, das Letzte und es bedeutete: „Ich bin's und ich bleibe, der ich bin."
Viele Herren und geringe Leute sah dies Haus. Der alte Kaiser schritt bedächtigen Schrittes über seine Schwelle, der in der Erregung über neue Pläne und Wege wohl einmal ausrief: „Bismarck, Bismarck, wohin führen Sie mich!" aber nachher doch erkannte, auch das Neue war nötig. Und die elastische, stolze Gestalt des deutschen Kronprinzen, nachmaligen Kaisers Friedrich, sah man hier in seinen Blüte-Tagen aus- und eingehen, nicht immer eins mit dem ersten Kanzler in untergeordneten Dingen, aber derselben Ueberzeugung im Großen. Und Moltke und Roon und alle die Männer der großen Zeit wandelten hier, bis die ewige Stunde einen nach dem andern abrief. Deutschlands Alpen und Küsten sandten treuherzige Männer zum biederen Glückwunsch-Handschlag am 1. April 1685, Bismarcks 70. Geburtstag, der der größte Tag im Kanzler- Heim war. Drei Jahre später war der alte Kaiser entschlafen, beim Reichskanzler klang der Schritt des jungen Herrn. Und nach weiteren zwei Jahren schied auch der alte Bismarck, die neue Zeit hob an.
Viel bittere Tage erlebte der zweite Reichskanzler Graf Caprioi in den Räumen, in denen Bismarck's Geist geweilt, der Parteikampf goß ihm manchen herben Trank ins Glas. Und ohne ein Wimperzucken schied der General-Kanzler, als ganz plötzlich einem abgelehnten Rücktrittsgesuch das ge
nehmigte folgte. Daß auch der beste General nicht alle staatsmännischen Fähigkeiten beherrschen kann, ward hier erwiesen. Fürst Hohenlohe, ein stiller Mann, lebte als dritter Reichskanzler im stillen Hans, bis dann Bernhard von Bülow ein neues und glänzendes Leben in seinen Gelassen schuf. Man konnte meinen, die alte Bismarck'sche Zeit sei in neuer Form wiedergekehrt. Aber das schien doch nur so, die alte, unerbittliche Eisenfestigkeit des ersten Bewohners, die ließ sich nicht wiedererwecken. Und sie fehlte dem ganzen modernen Geschlecht.
Alte und neue Zeiten, andere Männer und anderer Geistesschwung. Große Erfolge und harte Arbeiten haben den vierten Reichskanzler bisher in seinen: Leben im alten Palais begleitet und an schlaflosen Nächten wird es auch künftig keinem Nachfolger fehlen. Das Andenken an Bismarck ist mit diesem Hause untrennbar verknüpft, es verpflichtet. Und diese Erinnerung wird nie gebannt werden können, sie ist auch bei den letzten Ereignissen wieder in frischer Kraft aufgelebt. . . . Ein Rauschen geht durch das Kanzler-Heim. . . . Will es den heutigen Bewohner halten oder ist es schon ein Gruß für den neuen?
Ei«e Verschärfung i« der Behandlung des CasablaneaZwifchenfallS.
jj In Sachen des Zwischenfalls von Casablanca nimmt die französische Regierung in ihren Verhandlungen mit den Deutschen eine herausfordernde Haltung an. Die jüngste Unterredung des Reichskanzlers Fürsten v. Bülow mit dem französischen Botschafter Cambon hatte laut „Franks. Zlg." das Resultat, daß die französische Regierung jeder Entschuldigung wegen des tätlichen Angriffs auf den deutschen Konsulatsbeamten in Casablanca verweigert und die garnicht strittige Frage, ob der Konsul unverletzlich ist, vor ein Schiedsgericht bringen will. Die Angelegenheit hat sich scharf zugespitzl, wobei die Franzosen natürlich über eine unfreundliche Haltung der deutschen Reichsregierung Klage führen. Man hofft indessen von der Fortsetzung der diplomatischen Verhandlungen noch eine Verständigung. Auch der Bundesrats-Ausschuß wird sich mit der Sache beschäftigen. — Man wird gut tun, sich über die auffallende Wendung, die der Zwischenfall von Casablanca in den letzten Tagen genommen hat, nicht über Gebühr aufzuregen. Man kann es freilich begreifen, daß sich in verschiedenen Kreisen eine gewisse Aufregung eingestellt hat, denn die Wendung ist allem Anscheine nach plötzlich gekommen, und da die Atmosphäre durch die orientalische Krisis, und durch die Enthüllungen des „Daily Telegraph"
und durch die an die deutsche Reichskanzler-Krisis geknüpften Erörterungen ohnehin etwas gespannt ist, so sind berufene und unberufene Politiker etwas nervös-empfindlich geworden, in welchem Zustand sie leicht geneigt sind, alle Vorkommnisse zu übertreiben und ihnen mehr Wichtigkeit beizumessen, als ihnen in Wirklichkeit zukommen kann. Sachlich liegt zu irgend einer Aufregung oder Unruhe kein ernsthafter Grund vor.
* Berlin, 5. Nov. Die Verhandlungen in der Casablanca- Affäre sind seit gestern auf einem toten Punkt angelangt. Der deutschen Forderung, eine Genugtuung für die tätlichen Angriffe der französischen Soldaten auf den deutschen Kon- sulatsbeamten vor der Anrufung des Schiedsgerichts zu geben, steht die französische Regierung nach wie vor ablehnend gegenüber.
* Paris, 5. Nov. Nach der Darstellung der französischen und englischen Presse sei die Wendung in der Behandlung der Casablanca-Angelegenheit von der deutschen Regierung ausgegangen, die hierdurch das Interesse der Deutschen vvn den jüngsten Ereignissen abwenden und durch einen diplomatischen Sieg sich wieder Achtung verschaffen wolle.
" Berlin, 5. Nov. Einer Blättermeldung zufolge, stellt Deutschland in der Casablanca-Angelegenheit an Frankreich einzig die Forderung, eine kurze Erklärung abzugeben, in der das Bedauern darüber ausgedrückt wird, daß französische Militärpersonen in die deutsche Konsulargerichlsbarkeit zu Casablanca eingegriffen haben. Sobald dieses Verlangen von Frankreich erfüllt worden sei, würden die Verhandlungen über ein anzurusendes Schiedsgericht zur Beseitigung der rein materiellen Streitfragen ganz ungestört ihren Fortgang nehmen können.
jj Paris, 5. Nov. Die Behauptung des Echo de Paris, Deutschland fordere, daß General d'Amade persönlich beim deutschen Konsul Entschuldigungen aus spreche, ist unrichtig.
* Berlin, 5. Nov. Nach einem Telegramm des „Berliner Tageblatts" aus Brüssel haben dort die neuesten Meldungen aus Paris den Eindruck noch verstärkt, daß die deutsche Regierung die Affäre von Casablanca auf die Gefahr eines Krieges mit Frankreich hin auf die Spitze treiben wolle, um sich entweder durch einen diplomatischen Sieg über Frankreich in den Augen des deutschen Volkes zu rehabilitieren oder jedenfalls die öffentliche Meinung von den neuesten Ereignissen abzulenken. Tie Unruhe in den politischen und kommerziellen Kreisen wächst.
^ Letefrucht. M
War nicht das Auge sonnenhaft
Die Sonne könnt' es nie erblicken:
Läg nicht in uns des Gottes eigne Kraft.
Wie könnt' uns Göttliches entzücken! Göthe.
Erkämpftes Glück.
Roman von H. Deutschmann.
Fortsetzung. Nachdruck verboten.
9. Kapitel.
Am darauffolgenden Tage saß schon in früher Morgenstunde John Smiles in seinem Bureau. Bor fich auf den: Schreibtische lag die Fensterscheibe, daneben aber der Dan menabdruck von Theo von Stauffen. Und immer wieder verglich er jetzt die Aebnlickikeit dieser beiden; aber er fand keine Verschiedenheit. Ring an Ring, die sich kreuzenden Lurchen. Daran war kein Zweifel. Er hatte einen voll ständig gleichen Daumenabdruck vor sich. War aber deshalb Theo von Stauffen der Mörder? Konnte er der Mör der seines Onkels sein? Smiles mußte die Möglichkeit bejahen. Der Geldverlust, das sonderbare Zusammentreffen, daß von Stauffen allein aus Homburg verschwunden war. Die sofortige Gelderhelmvg. Und dieser Abdruck. Nur vom Mörder konnte der Abdruck am Fenster herrühren, von Stauffen war schon seit zwei Tagen nicht mehr in Frank- iurt gewesen, die Hausmeisterin batte noch am gleichen Morgen die Fenster geputzt. Nur vom Mörder konnte der Abdruck sein. Und der Daumenabdruck Theo von Stauffens zeigte genau dasselbe Bild. War auch das ein Zufall? Smiles ließ in Gedanken nochmals das Benehrnen des ungen Stauffen vorüberziehen, von dem ersten Begegnen >m .Kurhotel in Homburg bis zum gestrigen Abend. Er (»nnte der Mörder sei». DaS war das Endergebnis seiner
Nachforschungen. Er konnte es sein. Aber trafen nicht Zufälle oft wunderlich zusammen? Immer noch schreckte John Smiles von einem letzten Verdacht zurück: er fürchtete zu sehr, er könnte mit einem' unberechtigten Vorurteil seinen Nebenbuhler anklagen. Und doch. Jetzt standen Tatsachen fest. Aber dennoch schreckte er zurück. Er nabm wieder das an der Wunde erfundene Stückchen Papier, sab das Zeichen, die Buchstaben. Wenn diese doch sprechen würden. Dann. Wenn sein Beweis sich bier noch ergänze. Dann. Wie furchtbar batten gestern seine Worte gewirkt, als er Theo von Stauffen noch vor Ablauf des Jahres den Tod prophezeite. Wie war dieser selbst zusammengezuckt Und doch hätte er fich nicht dazu binreißen lasten sollen Aber die Ereignisse hatten stärker auf ihn gewirkt, als seine Absicht war. So furchtbar war der Eindruck, als er Zug für Zug --
„Herr Mattin wünscht Sie zu sprechen!" brachte einer seiner Bediensteten die Meldung.
„Ja! Lasten Sie ihn eintreten!" .
Smiles hatte ganz vergessen, daß dieser heute seine Auskunft erholen wollte. Herbett Mattin trat ein. Smiles erkannte in dessen Gesichte, daß er nicht gut auf ihn selbst zu sprechen war: in dieser Vermutung wurde er nun um so mehr bestärkt, als Martin ihn in barschem Tone an redete: „Mein Herr! Ich komme in erster Linie, um meinem Auftrag zurnckzuziehen und meine Rechnung zu bezahlen!"
„Für mich selbst kommt dies erst an zweiter Stelle in Bettacht. Ich habe keine Rechnung ausgestellt. Ich pflege erst meinen Auftrag auszuführen und dann erst zu fordern!"
„Ich verzichte auf ein Resultat Ihrer Bemühungen Was bin ich Ahnen schuldig?"
„Nichts! Ich werde Ihnen Ihre dreihundert Mark so sott wieder nusb^ahlen lasten."
„Wieso! Sie arbeiteten für mich. Also baden Sie Anspruch auf Bezahlung!"
„Ich muß Ihnen aber Mitteilen, daß bei meinem Geschäft ein anderer Brauch herrscht. Bei mir wird nur die Leistung bezahlt. Wenn ich Sie nicht zufrieden stellen konnte, dann haben Sie auch nichts zu bezahlen!"
„Sie batten aber auch selbst Auslagen."
„Di? spielen keine Rolle."
„Ich will nichts umsonst."
„Sie baden ja nichts erbalten."
Martin war in Amregnna geraten. Mit zusammengc tniffenen Lippen sah er vor sich hin. John SmileS dagegen erkannte, daß er ein schlechtes Spiel begonnen k-atte: er batte zu viel gewagt. Aber deshalb batte er immer noch die Mittel in Händen, seine Vermutungen zu beweisen. Er brauchte nur seinen Verdacht auszusprechen, die Beweise vorzcigen. Aber waren es nicht Trugschlüsse? Und John Smiles versuchte fich auf andere Weise zu rechtfertigen- „Ich kann nicht verstehen, weshalb Sie plötzlich mich mit unverkennbarem Mißtrauen behandeln. Ich habe Ihnen doch nicht den mindesten Anlaß dazu gegeben. Und außer dem wissen Sie gar nicht, was ich in Ihrem Interesse getan bade."
»Ich bin auch gar nicht besonders interessiert darcm. Mir genügt, daß -Sie sich durch Ihre Spiegelfechterei zwischen mich und meine Tochter gedrängt haben "
„Wieso?"
»Jstt gestriges Benehmen war Spiegelfechterei."
„Ah! Ich verstehe jetzt erst," was Sie beleidigt hat Aber Sie irren fich. Was weiß ich davon, ob Sie in emem Zwist mit Ihrer Tochter leben? Ich sagte gestern, ich würde jede Verantwortung ablehnen. Versuche gab ich zum Besten und wenn meine Angaben der Wahrheit entsprochen haben, so ist es eben ein Zufall. Ich aber kann doch für das alles nicht die Schuld ttaaen!"