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Erscheinungsweise: 6mal wöchentlich.

Bezugspreis: In der Stadt incl. Trägeriohn Mk. 1.25 viertel­jährlich, Postbezugspreis für den Orts- und Nachbarorts­verkehr Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg., in Bayern und Reich 42 Pfg.

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Anzeigenpreis: Im Oberamtsbezirk Calw für die einspaltige Borgiszeile 10 Psg., außerhalb desselben 12 Pfg., Re­klamen 25 Pfg.

Schluß für die Inferatannahme 10 Uhr vormittags. Fcrnsprcchnummer 9.

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

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Donnerstag, den 23. Mai 1912

87. Jahrgang.

Amtliche Bekanntmachungen.

Bekanntmachung.

Das Jnvalidenprüfungsgeschäft für dieses Jahr findet wie folgt statt:

in Herrenberg (Rathaus) am 25. Juni von vorm. 9 Uhr ab;

in Neuenbürg (Rathaus) am 28. Juni und 1. Juli von vorm. 8 Uhr ab;

in Calw (Bezirkskommando) am 26. und 27. Juni von vorm. 8 Uhr ab.

Es haben sich hierzu sämtliche Invaliden und Rentenempfänger, die diesseits in Kontrolle stehen und deren Pension bezw .Rente mit Ende September d. Js. abläuft, zu erscheinen.

Calw, den 21. Mai 1912.

Kgl. Bezirkskommando.

Parlamentarisches.

Berlin, 22. Mai 1912.

Aus dem Reichstag.

Am Bundesratstisch die Staatssekretäre Delbrück und Kühn. Präsident Dr. Kämpf eröffnet die Sitzung um 10 Uhr 20 Min. Auf der Tagesordnung steht zu­nächst der Antrag betr. die Vertagung des Reichstages bis zum 26. November. Abg. Haase (Soz.) führt aus: Der Reichstag ist zu spät einberufen worden, hat aber trotzdem sehr viel geleistet. Das war nur möglich, daß mit der Arbeitskraft der Abgeordneten Raubbau getrieben wurde. Auch die Journalisten und Stenographen hatten darunter zu leiden. Der An­trag wird angenommen. Es folgt die dritte Lesung des Militärluftfahrerfürsorgegesetzes. Südekum (Soz.) beantragt den Titel des Gesetzes zu fassen: Fllrsorgegesetz für M i li r lu ftfah r er". Dieser Antrag und das Gesetz selbst werden angenom­men. Darauf wird in dritter Lesung der Entwurf be­treffend die Kostendeckung für die Verstärkung von Heer und Flotte (Besitz- und Erbschaftssteuer) ohne Debatte angenommen. Es folgt die dritte Lesung des Etats. Abg. Ledebour (Soz.): Es steht fest, daß der Kaiser die Worte in Straßburg in dem Sinne gebrauchte, daß der Kaiser, wenn solche Vor­kommnisse sich wiederholten, die Verfassung in Scherben schlagen wolle. Dagegen hilft keine Rechtfertigung durch den Reichskanzler. Wenn ein solches Wort in England gefallen wäre, hätte man den Drohenden ent­weder in Scherben geschlagen oder einen solchen König im Balmoral oder in einent stillen Schloß wie am Starnbergersee untergebracht. (Lärm und Unruhe, Rufe Unerhört! Glocke des Präsidenten. Präsident Dr. Kämpf: Ein solcher Vergleich ist unzulässig. Wegen des letzteren Ausdrucks rufe ich Sie zur Ord­nung.) Ich habe zum Ausdruck gebracht, was geschehen muß, wenn das deutsche Volk genügend auf sein Selbst­bewußtsein bedacht ist. (Abermaliger Ordnungsruf.) Wir werden auch dafür sorgen, daß das Deutsche Reich eine angemessene Staatsform erhält. Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg: Der Abgeordnete Lede- mur hat gesagt, ich hätte Schwierigkeiten gehabt, die Worte des Kaisers über Elsaß-Lothringen zu verteidi­gen. Ich habe keine Schwierigkeiten, für meinen Kaiser einzutreten. (Beifall rechts, Lärmen links.) Und ich weiß, daß ich die überwiegende Mehrzahl des deutschen Volkes hinter mir habe; daß ich mich mit Ihnen (nach links) nicht verständigen kann, gebe ich zu. Sie haben es heute wieder als Ideal hingestellt, das deutsche Volk unter ein sozialistisches Regime zu stellen. Davon will das deutsche Volk nichts wissen, es hält an seinem Kaiser, es hält an seinen verfassungs­mäßigen Institutionen fest und es fühlt sich verletzt, wenn der Käiser in einer Weise hier kritisiert wird, wie Herr Ledebour es getan hat. Das deutsche Volk wird Ihnen, der Tag wird kommen, die Antwort geben für Ihre Angriffe gegen Kaiser und Reich. (Stürmi­scher Beifall rechts.) Südekum (Soz.): Es handelt sich nicht darum, daß wir einen Angriff auf die Ver­fassung machen, sondern einen Angriff zurückweisen, und dabei etwas tun, was das Amt des Reichskanzlers gewesen wäre. Uebrigens befinde er sich in einem be­klagenswerten Irrtum, wenn er weint, daß das deutsche

Volk hinter ihm stehe. Es gehört zum Sport derjeni­gen Kreise, in denen die Sozialdemokraten nicht ver­kehren, über den Kaiser in viel schärferen Worten zu urteilen. Bei uns handelt es sich nicht um einen An­griff gegen den Kaiser, sondern um eine Weiterentwick­lung der Verfassung. Daß aber eine solche von weiten Kreisen des Volkes gewünscht wird, haben die letzten Wahlen gezeigt. Reichskanzler von Bethmann- Hollweg : Der Abg. Dr. Südekum hat mir die Auf­gabe zugewiesen, die Verfassung zu schützen. Das habe ich stets getan, und wenn er heute wieder ausgeführt hat, die Aeußerung des Kaisers in Etraßburg sei ein Angriff auf die Verfassung gewesen, so verweise ich auf das, was ich in diefer Beziehung neulich gesagt habe. Dr. Südekum hat mir weiter eine Belehrung darüber erteilt, daß die verfassungsmäßigen Zustände fortge­bildet würden, könnten und müßten. Ich glaube, daß der Abg. Südekum mir genug Kenntnis und Verständ­nis zumuten wird, als daß ich diesem Satz nicht bei­pflichten könnte, aber ich gehe dabei etwas anders vor. Die Revisionisten wissen es so hinzustellen, als ob nur eine gesetzmäßige Fortbildung unseres Verfassungszu­stände nach dem ihnen vorschwebenden Ziel ihrer Ab­sichten sei. Als Herr Scheidemann bei der Geschäfts­ordnungsdebatte seine Ausführungen machte, war der Reichstag einstimmig der Ansicht, es solle keine Ver­schiebung des konstitutionellen Systems gemeint sein, unter dem wir leben. Er hat dann das Zentrum, die Nationalliberalen und die. Freisinnigen aufgerufen, sie sollten Männer sein und zur Tat schreiten, sie sollten den Beschlüssen des Reichstags durch die Tat zur Wirk­lichkeit verhelfen. Ist das eine verfassungsmäßige Fort­bildung? (Sehr gut.) Das ist ein starker Eingriff in unser konstitutionelles Leben. Was im übrigen von Ihnen auf Parteitagen und der Presse gesagt wor­den ist, über die Form und wie Sie das Ziel erreichen wollen, nach dem Eie streben, da ist von Verfassungs­mäßigkeit keine Rede mehr. Sie sollten anderen Leuten nicht den Borwurf machen, daß sie nicht für die Ver­fassung eintreten. Schultz (Reichsp.): Der Kaiser hat in den 24 Jahren seiner Regierung bewiesen, daß er es treu mit der Verfassung meint. Schcidemann (Soz.): Ich habe kein Wort zurückzunehmen. Der Reichs­kanzler hat mich völlig mißverstanden. Wir wollen auf friedlichem Wege erreichen, was wir wollen. Damit schließt die Generaldebatte. Es folgt der Eta: des Reichskanzlers und der Reichskanzlei, die nach kurzer Debatte genehmigt werden. Nach weiterer De­batte wird der Antrag Spahn angenommen, den mitt­leren Kanzlei- und Unterbeamten der Provinz Posen und der gemischtsprachigen Kreise der Provinz West­preußen Entschädigungen in der bisherigen Höhe für die Zeit bis zum 31. Dezember 1912 zu gewähren. Hier­auf wird der Rest des Etats erledigt. Man geht zur Besprechung der O st m a r k e n z u l a g e über. Wen­del (Soz.): Eine Ostmarkenzulage wäre nur dann be­rechtigt, wenn den Beamten auferlegt würde, im In­teresse des Dienstes die fremden Sprachen zu erlernen. Unser Antrag will allen Postbeamten die Zulage ge­währen. Staatssekretär Krätke: Die Ostmarkenzu­lage wird nur bewilligt, um die Rcichsbeamten den Staatsbeamten gleichzustellen. Spahn (Z.) begrün­det den Antrag seiner Partei auf Weiterbewilligung der Ostmarkenzulage in Posen und Westpreußen bis zum Schluß dieses Etatsjahres. Graf Westarp (kons.) beantragt Wiederherstellung der Ostmarkenzu­lage, zum mindesten in drei Vierteln der jetzigen Höhe. Beim Postetat hält der Abg. Zubeil (Soz.) eine einstündige Rede, in der er Einzelwünscheunserer" Postbeamten vorbringt. Er wird vom Vizepräsidenten wiederholt ersucht, sich kurz zu fassen. In der Eesamt- abstimmung wird der Etat gegen die Stimmen der So­zialdemokraten, Polen und Elsässer angenommen. lieber eine Resolution der Konservariven auf Vor­legung eines Gesetzes zum Schutz der Arbeitswilligen gegen Hinderung an der Arbeit, Bedrohung und Ge­walttätigkeiten wird namentlich abgestimmt. Die Re­solution wird mit 275 Stimmen gegen 63 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen abgelehnt. Präsident Dr. Kämpf: Wir sind am Ende eines Tagungsabschnittes angelangt, voll von Arbeit, voll von Dornen und Auf­regungen. In 3X> Monaten haben wir in 69 zum Teil Dauersitzungen nicht nur den gesamten Etat, sondern auch eine Reihe wichtigster und ernstester Fragen er­

ledigt. Aber die Arbeitskraft und die Arbeitsfreudig­keit des Reichstages haben alle Schwierigkeiten, die sich entgegenstellten, überwunden. (Bravo.) Abg. Vassermann (natl.) dankt dem Präsidenten für seine gerechte und wohlwollende Geschäftsführung. (Bravo.) Präsident Dr. Kämpf dehnt den Dank aus auf die übrigen Vorstandsmitglieder und Be­amten des Hauses. (Lebh. Beifall.) Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg: Wir stehen vor dem Schluß eines bedeutungsvollen Sessionsabschnittes. Die feste Einigkeit, in der sich die große Mehrheit der Volks­vertreter bei der Bewilligung der Wehrvorlagen und der dafür erforderlichen Mittel zusammengeschloffen hat, legt nach innen und außen Zeugnis ab von dem Geiste der Entschlossenheit, mit dem die Nation unter Verstärkung jeder Friedensgarantie für ihre Macht cingetreten ist. Mit berechtigter Genugtuung über das Geschaffene werden Sie in Ihre Heimat zurückkehren. Dem Dank, den mit dem gesamten Vaterland Ihnen auch Se. Majestät der Kaiser und die verbündeten Regierungen zollen, darf ich hiermit im Anschluß an die Worte des Herrn Präsidenten auch meinerseits Ausdruck geben. Hierauf verliest der Reichskanzler die Kabinettsordre betr. die Vertagung des Reichstages bis zum 26. November. Präsident Dr. Kämpf schließt mit einem dreifachen Kaiserhoch, in welches das Haus begeistert einstimmt, nach 7^> Uhr die Sitzung. Die Sozialdemokraten hatten bis auf 2 den Saal verlgffen..

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Berlin, 22. Mai. Der Kaiser hat dem Reichs­kanzler das Kreuz der Eroßkomture des Hausordens von Hohenzollern, dem Staatssekretär des Reichs­marineamtes die Brillanten zum Schwarzen Adler­orden, dem Kriegsminister den Schwarzen Adler­orden, dem Staatssekretär des Reichsschatzamtes den Kronenorden 1. Klasse und dem Staatssekretär des Reichskolonialamtes den Stern zum Kronenorden 2. Klasse verliehen.

Stuttgart, 21/22. Mai 1912.

Württembergischer Landtag.

Die Zweite Kamer befaßte sich heute nachmittag mit einigen Petitionen, zunächst mit solchen des Ee- werbevereins Rottenburg und der bürgerlichen Kol­legien von dort, die Strafanstalten zur Gemeindesteuer heranzuziehen. Das Haus beschloß, diese Eingaben der Regierung zur Erwägung zu übergeben. Längere Erör­terungen/knüpfchn sich an eine Eingabe des Schwäb. Gaul verbandes gegen den Alkoholismus betr. die Neuord­nung des Wirtschaftskonzessionswesens. Der Ausschuß beantragte 1. die K. Regierung zu ersuchen, im Bundes­rat dafür einzutreten, daß die beruflichen Verhältnisse der Gastwirtsgehilfen und -Gehilfinnen geregelt wer­den und dabei insbesondere ein besserer Schutz der An­gestellten gegen wirtschaftliche Ausbeutung, gesundheit­liche und sittliche Gefahren eingeführt wird; 2. Die Auf­sicht über Gastwirtsbetriebe mit weiblicher Bedienung weiblichen Eewerbeaufsichtsbeamten vorzugsweise zu übertragen: 3.Die weiteren Punkte der Eingabe als durch die gefaßten Beschüsse erledigt zu erklären. In einem nachträglichen Antrag beantragte der Ausschuß noch: der K. Regierung den in der Eingabe enthaltenen Wunschbei Erteilung einer Wirtschaftskonzession sol­len auch die finanziellen Verhältnisse des Gesuchstellers berücksichtigt werden" zur Erwägung zu übergeben. In einfacher Abstimmung wurden die Anträge des Aus­schusses angenommen, ebenso der Antrag Maier, wo­nach Wirtschaftskonzessionen gegen den Willen der Ge­meinde in der Regel nicht verliehen werden können. Nächste Sitzung morgen vormittag 9 Uhr: Zweite Beratung eines Gesetzes betr. die Rechtsverhältnisse dr Volksschullehrer.

Der Finanzausschuß der Zweiten Kammer be­handelte gestern in Anwesenheit des Kultusministers v. Fleischhauer und des Direktors v. Sußdorf die Ein­gaben betr. Erhaltung der Tierärztlichen Hochschule. Solche Eingaben liegen vor von 43 landwirtschaft­lichen Bezirksvereinen, 1115 Gemeinden, wovon 5 sich gegen, die übrigen für Forterhaltung der Hoch­schule ausgesprochen, 30 jedoch für den Fortbestand