Gegründet
1877.
A «scheint täglich mit Ausnahme der Sonn- und Festtage.
BezugSprei 8 stk das Vierteljahr im Bezirk und Nachbarortsverkehr Mk. 1.25.
«rßerhalb Mk. 1.35.
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Fernsprecher Nr. 11.
Anzeigenpreis bei einmaliger Einrückung 10 Pfg. die einspaltige Zeile; bei Wiederlolu ?.?,! entsprechenberRo'o?r.
Reklamen 15 Pfg. die Textzetlc
Unparteiische Tageszeitung und Anzeigeblatt, verbreitet in den Gberamtsbezirken Nagold, Freudenstadt, Lalw u. Neuenbürg
«r. 174
Ansgabeort Altensteig-Stadt.
Dienstag, den 2». Juli
Amtsblatt für Pfalzgrafenweiler.
1908.
Unsere Leser
machen wir auf die in der heutigen Nummer unserer Zeitung beginnende Erzählung
Der Befreier
von Reinhold Ortmann besonders aufmerksam.
Jeder Leser und jede Leserin wird diese spannende Handlung, die von Seite zu Seite mehr fesselt, mit großem Interesse verfolgen, denn nirgends ist Schönfärberei, nirgends Uebertreib ung; auf lautere echte Wirklichkeitsschilderung ist diese Erzählung gestimmt.
Bestellungen auf unsere Zeitung „Aus den Tannen" für die Monate August und September nehmen alle Postanstalten und Postboten entgegen.
Amtliches.
Für den Monat August d. I. ist Floß sperre auf der Nagold verhängt.
Die Maul- und Klauenseuche im Oberamt Neckarsulm ist erloschen. Württemberg ist nunmehr wieder frei von Maul- und Klauenseuche.
Pretzstirnrnen zur Oberndorfer Landtags- Nachwahl.
Die Blätter äußern sich durchweg ausführlich über das Ergebnis der L an d ta g s n a ch w a h l in Oberndorf. Wir heben aus den Blätterstimmen folgende hervor: Der Schwäbische Merkur schreibt: „Der Volkspartei ist es natürlich peinlich, daß sie den Bezirk nicht erobert hat, den sie doch mehr oder weniger als den Schlüssel zu ihrer Präsidentenstellung betrachten mußte. Die Schuld ihres Mißerfolges liegt zweifellos an der langen Kandidatensuche und dann an der nicht eben glücklichen Kandidatenwahl. Ein wohlangesehener, mit dem Bezirk vertrauter Mann hätte ihr denn doch ein wesentlich anderes Ergebnis verschafft. Daß sie diesen Mann nicht hatte, oder nicht fand,
ivard ihr zum Verhängnis, und wir stehen nicht an, zu bedauern, daß dem so war."
Die Deutsche Reichspost ist der Ansicht, daß die Demokratie ohne die Unterstützung der 500 deutschparteilichen Stimmen zweifellos eine Abnahme ihrer Stimmenzahl zu verzeichnen hätte. Der Gegensatz zwischen evangelisch und katholisch habe offenbar die Wahl beherrscht. Ter Staats - anzeig er zieht aus dem Wablergebnis den Schluß, daß sich, wie bei den in Gerabronn, Nürtingen und Ulm vorgenommenen Ersatzwahlen, auch in Oberndorf seit den Wahlen im Dezember 1906 die Lage nicht verschoben har, sondern die durch die damaligen gehäuften Wahlen, insbesondere die Verhältniswahlen bewirkte Scheidung der Wähler sich im wesentlichen als nachhaltig erwi.sen hat, obwohl der Wahlkampf aufs schärfste geführt wurde.
Das Deutsche Volksblatt ruft mit Befriedigung und Genugtuung „die frohe Kunde in die Lande hinaus", daß der Bezirk nach heißer Schlacht für das Zentrum gewonnen ist. Die Volkspartei, die zu Unrecht die Kassierung der Wahl Andres durchgedrückt und auch die des Vertreters von Geislingen mit allen Mitteln zu erzielen gesucht habe, um nachträglich die Ungerechtigkeit gegenüber dem Zentrum durch Vorenthaltung des Präsidentenposiens aus der Welt zu schaffen und an die Stelle des Zentrums als stärkste Partei im Landtage zu rücken, die den Wahlkampf sozusagen aus Parteiegoismus vom Zaune gebrochen habe, sei unterlegen. Die Volkspartei müsse sich nunmehr — wohl oder übel — mit dem Gedanken vertraut machen, daß das Zentrum die stärkste Partei im Landtage ist. Darin liege mit die Hauptbedeutung der hochpolitischen Wahl, die auch einen Sieg der Zentrumsideen überhaupt darstelle und vor allem der Regierung ein Fingerzeig dafür sein dürste, wie das katholische Volk in der Schulfrage denkt, die gewissermaßen der Angelpunkt im Wahlbetriebe gewesen sei.
Die W ürtt e m be rg er Zeitung betont, die Volkspartei habe allen Grund, mit dem Wahlaussall zufrieden zu sein, so zufrieden, wie die Sozialdemokratie unzufrieden. In volksparteilichen Kreisen habe man infolge der verschiedenen Körbe, die man sich erst geholt hatte, und dann der verspäteten Aufstellung des Kandidaten Roth, auf den die Sozialdemokratie besonders, aber auch das Zentrum scharfe Pfeile richteten, schwerlich mit einem solchen Erfolge gerechnet. Das Zentrum habe den Vogel abgeschoffen und den Löwenanteil eingeheimst. Das Blatt schließt: Au der Zusammensetzung der Kammer am Stimmenverhältnis und damit am Schicksal der Volksschulnovelle wird also nichts geändert: es bleibt alles beim Alten!
Das Neue Tagblatt bezeichnet den Verlust des Oberndorfer Mandats für die Linke als schmerzlich, namentlich im Hinblick auf die Volksschulnovelle, die das Zentrum als Agitationsmittel benützte und mit der es die katholischen Wähler in seine Gefolgschaft gezwungen habe. „Neben die sachlichen Kämpfe," sagt das Blatt wörtlich, „trat viel persönliches, oft in häßlicher Form. Man mag das zugeben und bedauern, aber man kann doch auch die Bemerkung nicht unterdrücken, daß dies im wesentlichen in den Kampf hineinkam durch die Kandidatur Roth." Im übrigen kommt das Blatt noch einmal darauf zurück, daß bei dem zweiten Wahlgang am 18. Dezember 1906 162 Wähler den deutschparteilichen Zählkandidaten nochmals wählten, anstatt ihre Stimme dem volksparteilichen Kandidaten zu geben. Nur deshalb sei das Mandat nicht schon damals in volksparteiliche Hände gelangt. Die Hintermänner, die diese Zornickelpolitik ausgeheckt hätten, seien daran schuld, daß das Mandat nun auch jetzt unter den viel schlechteren Bedingungen nicht wieder gewonnen werden konnte.
Ter Beobachter sagt von der Sozialdemokratie, er habe ihr infolge ihrer Aufgeblasenheit mehr Stimmen zugerechnet, als sie in Wirklichkeit erhielt. Von ihr gelte das Wort: „Wer vom Papst ißt, stirbt daran." Weil sie sich mit dem Zentrum in den Reichstagswahlen zu gegenseitigen Geschäften eingelassen habe, und im Reichstag in Compagnie mit dem Zentrum arbeite, habe sie die protestantischen Wähler mißtrauisch gemacht, die sich nun fluchtmäßig von ihr abgewandt hätten. Die Volkspartei selbst könne mit dem Resultat sehr zufrieden sein, aber die Wahlhilfe der deutschen Partei sei sehr zweifelhaft gewesen.
Tagespolitik.
Der zweiten Kammer ist ein Gesetzentwurf betr. die Abänderung des F e l d b er einig un g sg esetz es zugegangen. Ter Entwurf bezweckt in der Hauptsache die Beseitigung der Schwierigkeiten, die bisher der Ausführung von Feldanlagen entgegenstanden. Diese Ausführung war nach dem gesetzlichen Verfahren fast ausgeschlossen. Ter Weg freiwilliger Ueber- einkunst versagte oft infolge des Starrsinns eines oder einiger Widersprechenden. Tie Unzulänglichkeit der seitherigen Gesetzesbestimmung hat sich in den letzten Jahren namentlich im Rebgelände unangenehm fühlbar gemacht, wo das Fehlen brauchbarer Zu- und Abfahrtswege insbesondere bei dem Mangel an Arbeitskräften mehr und mehr empfunden wird. Der würtl. Weinbauverein hat deshalb an das Ministerium
M LesesxrllHt.
Wer mit dem Leben spielt,
Kommt nie zurecht!
Wer sich nicht selbst befiehlt,
Bleibt immer ein Knecht.
Goethe.
Der Befreier.
Erzählung von Reinhold Ortmann.
(Nachdruck verboten.)
Erstes Kapitel.
' Wir elf Uhr vormittags batte der Prinz Egon dem Bildbauer Neiniar Lindbolm seinen Besuch ansagen lassen, und es waren noch nicht fünf Minuten über die festgesetzte Zeit vergangen, als das zweispännige Coups vor dem Gartengitter der schmucken Künstlervilla hielt. Der in die königliche Livree gekleidete Leidiger schwang sich vom Bock und war dem Prinzen, einem weißbärtigen, freundlich blickenden Herrn von hoher, schon etwas gebeugter Gestalt beim Aussteigen behilflich. Dann sprang leicht und elastisch der Adjutant, ein junger Offizier von vielleicht achtundzwanzig oder neunundzwanzig Jahren, auf das Pflaster und öffnete feinem erlauchten Vorgesetzten, der dem Jäger durch eine Handbeweguna befohlen batte, zurückzubleibeu, die eiserne «itterpforte. ^ .
Aus der Tür der Villa trat ihnen auch schon tn dem nämlichen Augenblick zu höflich ehrerbietiger Begriikung derjenige entgegen, dem die Ehre des hoben Besuches zugedacht war: eine lchöne, männlich kraftvolle Erscheinung mit dunlellockigem, scharf und edel geschnittenem Künstlerkopfe. Man würde ihm seine wnfzig Jahre kaum angesehen haben, wenn nicht sein Haar an den Schläfen bereits zu ergrauen begonnen hätte, und wenn nicht auch der dunkle, weit über die Brust herabwallende Vollbart schon von vielen grauen Fäden durchzogen gewesen wäre. .
Er verbeugte sich tief gegen den Prinzen und grüßte mit leichterer Verneigung den Begleiter desselben. Als sie in das Vestibül eingetrcten waren, in welches durch bunte Glasfenster das gedämpfte Sonnenlicht in harmonisch gestimmten Farben- tönen fiel, reichte ibm Prinz Egon freundlich die Hand.
„Man hat mir solche Wunderdinge von Ihrer „Loreley" erzählt, mein lieber Herr Lindholm, daß ich meine Neugier nicht länger zu bezähmen vermochte. Sie werben mir doch, wie ich hoffe, den Anblick Ihres Meisterwerks nicht versagen."
„Gewiß nicht, Königliche Hoheit! — Aber ich bin mit der Arbeit noch nicht fertig, und ich fürchte, sie wird kaum darnach angetan sein, so hochgespannten Erwartungen zu genügen."
Es war nichts von demütiger Unterwürfigkeit in seiner Haltung wie in seiner Rede. Mit derselben ruhigen Höflichkeit würde er wahrscheinlich auch jedem anderen Besucher begegnet sein. Aber der Prinz war ein geistvoller, liebenswürdiger Herr, der an dem Umgang mit dem Künstlervölkchen von jeher sein besonderes Vergnügen gehabt und ihnen ihre freimütige Art noch nie verübelt batte. Er antwortete auf Lindholms Bedenklichkeit mit einer artigen Bemerkung und stellte ibm dann seinen Begleiter vor.
„Mein Adjutant, Herr Premierlentnant Horst von Kainach — ein großer Verehrer der schönen Künste und ein ebenso warmer Bewunderer Ihres Talents, wie ich."
Lindholm reichte dem jungen Offizier die Hand.
„Im Hause meines Freundes, des Landschaftsmalers Siegbert, wird viel von Ihnen gesprochen. Herr Leutnant! — Sie selbst sind ausübender Künstler, wenn ich nicht irre?"
„Ein wenig — in meinen Mußestunden. Herr Lindholm! — Aber ich bringe es über einen ziemlich bescheidenen Dilettantismus wohl nicht weit hinaus."
Sie traten in das Atelier, das sich in einem besonderen, mit der Villa unmittelbar zusammenhängenden Anbau befand. Es war ein hoher, lichter Raum, von reicher und vbantastischer Ausstattung, geschmückt mit Kunstwerken. Teppichen. Waffen und
allerlei seltsam geformten Geräten, wie die Liebhaberei des Hausherrn sie auf seinen Studienreisen aufgestöbert und wie seine Künstlerlaune sie hier zu den kühnsten und überraschendsten Gruppierungen zusammengestellt hatte. Hochstämmige Palme» und abenteuerlich geformte exotische Blattgewächse, die überall verteilt waren, trugen dazu bei. allerlei biibsche. trauliche Winkel zu schaffen, in denen es sich gut von der Arbeit ausruben und gar behaglich plaudern mußte.
„Wie hübsch Sie es doch haben!" meinte der Prinz in aufrichtiger Bewunderung. „Ich sehe Ihr Atelier ja nickt rum erstenmal, aber es wirkt in seiner Eigenart immer wieder mtk dem vollen Reiz der Neuheit auf mich ein."
Der Bildhauer lächelte ein wenig. Man sah eS ihm NlL baß die Anerkennung ihn aufrichtig erfreute.
„Der bunte Aufputz ist im Grunde für ein Bildhauer-Atelier weder praktisch noch schicklich", sagte er. „aber meine Stimmungen find leider so sehr von der Beschaffenheit meiner Umgebung abhängig, daß ich in einem kahlen, nüchternen Raum wahrscheinlich niemals etwas Rechtes zustande bringen würde. Diese übergroße Empfänglichkeit für äußere Eindrücke ist eine Schwäche, die mir schon manchen schweren Seufzer abgenötigt hat."
«Sie ist das Merkmal des Genies, mein lieber Lindholm", erwiderte Prinz Egon galant, „und Sie werden sicherlich von Tausenden darum beneidet. — Aber da haben wir ja die vielgerühmte „Loreley" l — Wahrhaftig, schon auf den ersten Blick ein imponierendes Werk!"
Auf einem Drehgestell stand di« lebensgroße Marmorstatue, die Reimar Lindbolm vorhin als noch nicht vollendet bezeichnet hatte, obwohl ein anderes als ein Künstlerauge gewiß Mühe gehabt haben würde, die Spuren der Unfertigkeit an dem schönen Werk« zu entdecken.
Auf dem Rande eines Felsblockes fitzend, war die Rheinnir« dargestellt, mit leicht vorgeneigtem Haupte und spähend in die Ferne gerichtetem Blick Das feine, schleierartige Gewand war etwas herabgesunken und die weich nirderfließenden Wellen des