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Ein Bismarckwort:

Gott hat uns in eine Situation gesetzt, in welcher wir durch unsere Nachbarn daran verhindert werden, irgendwie in Trägheit oder Versumpfung zu geraten. Die Hechte im europäischen Karpfenteich hindern uns, Karpfen zu werden, indem sie uns ihre Stacheln in unseren beiden Flanken suhlen lassen - sie zwingen uns einerseits zu Anstrengungen, die wir freiwillig vielleicht nicht leisten würden, sie zwingen uns andererseits zu einem Zusammenhalten unter uns Deutschen, das unserer innerster Natur widerstrebt. Die Presse, zwischen die wir genommen werden, steigert unsere Kohäsionsfähigkeit dermaßen, daß wir in dieselbe Lage der llnzerreißbarkeit kommen, die fast allen anderen Nationen eigentümlich ist. Wir müssen dieser Bestimmung ^ der Vorsehung^ aber auch entsprechen, indem wir uns so stark machen, daß die Hechte uns nicht mehr tun, als uns ermuntern.

Adel.

Erzählung von Ludwig Habicht.

(Fortsetzung.) ">

Sechsundzwanzigstes Kapitel.

ES war ein prachtvoller Tag gegen Ende des Septembers ein Tag, wie der beginnende Herbst sie zuweilen bringt, als wolle er die Menschheit in holde Täuschung wiegen und sic glauben machen, Sonnenglanr. Wärme, Blumenduft und Vogel­gesang sei nicht im Verschwinden oder schon lange vergangen, sondern werde mit jedem Tage leuchtender und herrlicher Heraufziehen.

Das prachtvolle Wetter, mehr aber noch die innere Unruhe, batten Graf Leonardo Tannhausen schon am Morgen ans dem Schlosse getrieben. Alettas Bild verfolgte ihn im Wachen wie im Traum. So schwer und ernsthaft er auch mit sich rang, so klar und erbarmungslos er sich vorstellte, daß sie mit ihm kokettiert habe, das Gefallen, das sie für ihn an den Tag gelegt, nicht dem Manne, sondern dem Majoratsherrn gelte und er vielleicht in unwürdige Fesseln geraten würde, wenn er seiner Leidenschaft folgte, konnte er ckoch von dem Gedanken an sie, von dem Sehnen nach ihr nicht loskommen.

Und was für ihn das Schlimmste war. er fühlte die Not­wendigkeit, seinen Seelen- und Herzenszustand vor seinem Bruder, vor dem er sonst kein Geheimnis batte, der in allen Dingen sein Vertrauter und Ratgeber war. sorgfältig zu verbergen. Mochte Bernhard ihm immerhin gesagt haben, er liebe Aletta nicht, sein Herz gehöre einer andern, an ihm war es doch nicht, durch sein Dazwischenkommen den Bruch berbeizuführen, und tat er es, wie würde Bernhard sein Geständnis aufnehmen? Mußte er nach den Andeutungen, die er ihm bereits gemacht, ihn nicht vor Aletta warnen und würde er das ertragen? Hatte er nicht zu wählen zwischen dem Bruder und der Geliebten? Beide würden schwerlich unter einem Dache Hamen wollen.

Im leichten Anzuge, einen Strohhnt ans dem Kovf, einen derben Stock in der Hand, batte Leonardo ohne jemand etwas von seiner Absicht zu sagen, das Schloß verlassen und war mehrere Stunden in den Bergen hcrumgestrichen. In einer Waldschenke, bei Leuten, die ihn nicht kannten, hatte er eiv einfaches Frühstück verzehrt und sein« Wanderung weite, fortgesetzt. Nun stand die Sonne hoch am Himmel, die Mittags­stunde ivar überschritten und Leonardo schlug den Heimweg ein Er mußte rüstig aussch.eiten, wollte er zur festgesetzten Speise- stunde in Tannhauseu sein, und er wußte, Bernhard würde sich wegen seines AuMMns beunruhigt habe».

Der Wandernde, dem die frische, r eine Bergluft für den Augenblick das Herz leichter gemacht hatte, blieb plötzlich stehen;

Mütterlein.

Fern der Heimat denk' ich stille Meiner Kindheit Paradies,

Ach, und schmerzlich muß ich weinen,

Daß ich es so schnell verließ.

Meine Seele fasset Trauern,

Sehnen schleicht ins Herz hinein;

O, wie gerne wär' ich wieder,

Ach, bei dir, mein Mütterlein!

Wohl erblüh'n hier selt'ne Blumen Schön im Morgensonnenstrahl;

Ach, die wunderschönste Rose Ließ ich in dem Heimattal.

Treu sie an mein Herz zu schließen,

Möcht' ich in der Heimat sein.

O, wie gerne wär' ich wieder.

Ach, bei dir, mein Mütlerlein.

Schwere Stunden werden kommen.

Ach, du gehst vielleicht zur Ruh;

Niemand in der letzten Stunde Drücket dir die Augen zu.

Heißer Tränen Balsam lind're Meiner Seele Qual und Pein!

O, wie gerne wär' ich wieder,

Ach, bei dir, mein Mütterlein!

I. Gersdorff.

Schwarz Wälder Sonntagsblatt.

er glaubte ans der Ferne einen Ton vernommen zu haben, der ihn stutzig machte. Er verließ den Weg. den er bisher verfolgt und schlug eine andere Richtung ein: nach wenigen Schritten Zweifel!« er nicht mehr. Sein geübtes Ohr erkannte den Galovll eines Pferdes, über das sein Reiter die Herrschaft verloren hatte; er batte ihn bereits abgeworfeu oder er schwebte, wenn er sich noch darauf befand, in der äußersten Gefahr. -

Da kam es auch schon in Sicht. Auf dem Reitwege brauste wie eiu Sturmwind ein großer, schwarzer Rappe einher. Der Reiter, ein ungewöhnlich großer, hünenhaft gebauter Mann, saß oder hing vielmehr darauf: die Zügel waren ihm entglitten, krampfhaft hielt er sich an der Mähne des Pferdes fest, aber schon waren seine Hände erlahmt, der eine Fuß hatte den Steigbügel verloren nur noch ganz kurze Zeit und er mußte berabgeschleudert und initgestblevvt werden.

Mit einem Blick übersah Graf Tannhausen die Gefahr, mit einem Sprung war er zur Stelle und warf sich dem wild gewordenen Tiere entgegen. Es bäumte sich auf.

Halten Sie sich nur noch einen Augenblick fest!" rief Leonardo dem Reiter zu. und schon war es gelungen. Mit einem einzigen kräftigen Ruck hielt er das Tier zurück, und es erkannte seinen Meister: lammfromm stand eS still.

Leonardo war dem Reiter, der sich ganz stumm verhalten und starr und ergeben der drohenden Gefahr entgegengeblickt hatte, behilflich, sich wieder im Sattel zurechtzusetzeu. Erschrocken fuhr er zurück, als dieser zu sprechen begann, der breiten Brust entquoll eine schwache, heisere Stimme.

Jetzt ahnte Gras Leonardo, wen er vor sich habe, und ver­spürte Lust, sich auf dem Hacken umzudreheu und sich nicht mehr um' den Reiter zu bekümmern, der zu ihm sprach:Ich danke Ihnen. Sie haben mir das Leben gerettet, denn bei meiner sehr schwachen Brust wäre ein Fall mein sicherer Tod gewesen. Ich irre wohl nicht, wenn ich annehme, daß ich dem Grafen Leonardo von Tannhausen mein Leben zu verdanken habe?" Er wollte ihm herzlich die Hand reichen, aber Leonardo streckte ihm nicht seine Rechte entgegen, sondern sah ihm finster grollend in das Antlitz.

Das soeben noch so bleiche Gesicht des Grafen Werdenberg rötete sich und der große, riesenhaft gebaute Mann sagte mit seiner leisen, gebrochenen Stimme, als wenn er das beleidigende Benehmen des andern nicht beachten wollte:Ja, ich danke Ihnen aufrichtig und herzlich, Herr Graf!"i

Ueber Leonardos gebräuntes Gesicht zogen Zorneswolken, sein Auge blickte düster und mit grollender Stimme brach er los, da er nicht länger an sich halten konnte. Er war doch nun einmal der Sohn der Natur und an die feinen Formen der gesellschaftlichen Rücklicht nicht gewöhnt. ..Lassen Sie mich ganz offen sein, Herr Graf. Ich hasse Sie! Ja. ich hasse Sie. denn Sie haben zuerst in das Haus meines armen Vaters Unfrieden gebracht und in der Brust meiner unseligen Mutter eine blinde Leidenschaft entfacht, die dann für alle zum Verderben geworden ist."

Graf Werdenberg erwiderte auf diese Anrede zunächst nichts, sondern stieg ruhig vom Pferde und sagte dann mild und freundlich: Lassen Sie uns die Sache ruhig besprechen: kommen Sie, hier ist ein stiller Winkel!" und er wies auf eine Bank unter einer hohen, breitästigen Buche, deren Laub schon leicht in die Farben des Herbstes getaucht war. Das Pferd an den nächsten Baum bindend, fuhr er fort:Nun weiß ich auch, warum Ihr Bruder sich plötzlich so ängstlich fern von mir hält, nachdem ich glauben durfte, seine Freundschaft gewonnen zu haben. Ich will Ihnen die Wahrheit sagen und seien Sie überzeugt, daß über meine Lippen noch nie eine Lüge gekommen ist und auch jetzt nicht kommen wird."

Die Ruhe und schlichte Vornehmheit Werdenbergs übten einen zwingenden Einfluß auf Leonardo aus. Ohne Widerspruch folgte er ibm nach dem bezeichneten Platz und lieb sich, seinem Winke folgend, neben ihm nieder.

Graf Werdenbcrg schaute mit gesenkter Stirn schweigend vor sich nieder, erst nach einigen Minuten begann er halblaut:

Lür unsere fugend.

Arbeit macht das Leben sich.

Es weilte sich köstlich in Großmütterchens nettem Stüb­chen und Irene war glücklich, wenn sie ihre freie Zeit darin verbringen konnte.

Im Lehnsessel am Fenster saß sie immer, die Großmutter, und regte ihre fleißigen Hände, die oft erstaunliche Dinge zu Tage förderten; hatten sie doch erst vor kurzer Zeit einen Elefanten gefertigt, so schön und so haltbar, wie er in keinem Schaufenster zu erblicken war.

Dabei trug Großmütterchen keine Hornbrille auf der Nase, hatte auch noch nicht so viele Falten im Gesicht, wie Irene in den Bilderbüchern die Großmütterchen immer ge­sehen; und Geschichten wußte sie zu erzählen, so schön, daß man nie genug davon hören konnte, und lachen konnte sie mit Irene so herzlich, daß beiden oft die Tränen über die Wangen liefen.

Auch heute rückte Irene ihr kleines Stühlchen dicht an Großmutters Seite; sie hielt die Hände gefaltet und war schon in freudiger Erwartung der schönen Dinge, die sie heute wieder hören würde. Dabei schweiften ihre Augen im Zimmer umher.

Dort auf dem Schränkchen lag ein fein gebundenes Buch; Irene hatte es früher nie bemerkt.

Großmutter was hast du dort? fragte sie neugierig.

Ein Stammbuch, mein Kind.

Ein Stammbuch? rief Irene erstaunt,. Großmütterchen darf ich es sehen?

Ich weiß nicht, wie viel oder wie wenig Ihnen von der Ge­schichte Ihrer Eltern bekannt ist. ob ich Ihnen Neues oder bereits Gehörtes erzählen werde"

Ich weiß genug", unterbrach ihn Leonardo und der Zorn stieg vonneuem in ihm auf,um in Ihnen denjenigenzu sehen, der meines Vaters Eheglück zerstört bat. der mit der Gattin des Freundes'

Genug, genug, junger Mann!" fiel ihm Graf Werdenberg ins Wort.Ich will nichts beschönigen, aber Sie dürfen mich auch nicht schwärzer malen, als ich bin. Ich bitte Sie. mich ruhig anzubören, ich werde mich kurz fassen."

Leonardo nickte und Werdenberg fuhr fort:Ihr Vater und ich waren Jugendfreunde: unser Lebensweg verfolgte so ziemlich die gleichen Bahnen und wir waren nur selten getrennt. Ich war auch der Gefährte Ihres Vaters auf jener italienischen Reise, auf der er in Neapel die Marchesa Giovanna Teodoli, seine spätere Gattin, Ihre Mutter, kennen lernte."

Leonardo stöhnte tief auf, nickte aber nur stumm mit dem Kopfe und bedeutete dem Erzähler, daß er fortsahrcn möge.

Die Marchesa war ein wunderbar verführerisches, leiden­schaftliches Weib, ein Dämon in Menschengestalt", erzählte der Graf weiter,und wohl selten ist eiu Mann in ihre Nähe ge­kommen. den nicht eine Art von Raserei bei ihrem Anblick er­griffen hätte. Auch ich erlag ihrem bösen Zauber, konnte aber nicht daran denken, ihr meine Hand zu bieten, denn mein Vater lebte damals noch und würde nie seine Einwilligung zu einer Heirat mit einer Ausländerin gegeben haben. Ihr Vater besaß dagegen nur eine Mutter, war Majoratsherr und unabhängig. Seine Leidenschaft für Giovanna war noch stärker, noch schranken­loser als die meine, denn mir dämmerte in Stunden, wo ich fern war. doch die Erkenntnis auf. daß jeder Mann, besonders aber jeder Deutsche, der sie rum Weibe nehme, in sein Unglück renne. Ich gewann es sogar über mich, meinen Freund zu warnen er wurde auch der Summe eines älteren und be­sonneneren Ratgebers kein Gehör gegeben haben."

Die Heirat fand statt, Ihr Vater führte seine junge Fra« nach Deutschland, ich blieb noch ein Jahr auf Reisen und kehrt« erst auf die Nachricht nach Werdenberg zurück, daß mein Vater gestorben und ich Majoratsherr geworden sei. die Mutter hatte ich schon viel früher verloren. ^

Ich batte Hubert sogleich nach meiner Heimkehr besucht, und gewahrte alsbald, daß seine Ehe nicht glücklich war, deshalb batte ich auch die Absicht, nur sehr selten nach Tannhauseu zu kommen und die Nähe der Gräfin zu meiden, denn trotz allem was man über sie erfuhr, barte sie etwas Berauschendes. Un­widerstehliches, besonders wenn sie es darauf anlegie, und das tat sie in hohem Maße.

Ihr Vater in seiner Freundschaft für mich. Ihre Mutter in der Leidenschaft, die sie für mich empfand oder zu empfinden glaubte, lieben mich nicht los: kam ich nicht freiwillig, so holte man mich nach Tannbausen. Ich habe in jener Zeit Höllen, analen gelitten, aber lange, sehr lange der Liebe widerstanden,' die das heißblillige Weib mir eingeflößt. Unter dem Dache meines Freundes ist nichts geschehen, dessen ich mich zu schämen hätte."

Leonardo fuhr auf und machte ein ungläubiges Gesicht. Werdenberg lächelte mild und versickerte:Ich gebe Ihnen nochmals mein Ehrenwort. Herr Graf, was ich Ihnen erzähle, ist die lauterste Wahrheit. Der Skandal in Tannhauseu war mittlerweile immer größer geworden, nach einer furchtbaren Szene war es zwischen ihnen zum völligen Bruch gekommen. Die Ehegatten wollten sich auf immer trennen. Die Gräfin verließ Tannhauseu. aber anstatt in ihre Heimat zurückzukehren, beging sie das unsinnigste, was sie nur tun konnte. Mitten in der Nacht kam sie nach Werdenberg, alarmierte die Leute, ließ mich wecken, warf sich mir, der ich ihr in der größten Bestürzung entgegentrat, in die Arme und rief, nein schrie: Ich gehöre jetzt Dir gn. Niemand anders.

Großmutter nickte, und gleich lag das Buch auf Irenens Schoß. Sie schlug es vorsichtig auf und blätterte von Seite zu Seite.

Die langen Gedichte machten keinen großen Eindruck' auf sie, auch die Namen, welche darunter standen, klangen ihr meist fremd. Wie zierlich sahen aber die getrockneten Sträußchen aus, und noch hübscher waren die kleinen ge­malten Bildchen, die sie ab und zu aufschlug. Nun kam ein fast leeres Blatt; in der Mitte desselben stand in kleiner, klarer Schrift: Arbeit macht das Leben süß, darunter ein paar vertrocknete Vergißmeinnicht und das Datum einer lang vergangenen Zeit. Irene las die wenigen Worte immer ivieder, sie dünkten ihr gar sonderbar. Sie konnte sich wirklich nicht darauf besinnen, daß ihre Arbeit je das Leben versüßt hätte! Sie Mächte gewiß alle Arbeit, die sie aufbekam, gern und gut, aber das Süßeste dabei war doch stets der Gedanke, wie schön wird's sein, wenn ich fertig bin!

Kind, du schaust ja gar bedenklich drein? fragte die Großmutter.

Großmütterchen glaubst Du es, daß Arbeit das Leben süß macht? fragte Irene.

Gewiß, mein Kind, und als Irene etwas ungläubig aufschaute, fuhr sie fort: Ich selbst schrieb diese Worte in mein Stammbuch, und ich will dir auch erzählen, was die Veranlassung dazu war.

Das Strickzeug wurde in das Körbchen gelegt und die Großmutter zog mit einer Hand Irene sanft an sich.