Wochen-Rundschau.

Aus dem Landtage.

Es war geplant, in der Abgeordnetenkammer zu Ende der letzten Woche noch den Gesetzentwurf über das Kost- und Ziehkinderwesen zu erledigen. Allein es kam nicht so weit. Der Seniorenkonvent denkt und der Herr Abgeordnete lenkt. Der Herr Abgeordnete in der Mehrzahl, natürlich, denn ein einzelner vermag schließlich nicht viel. Statt des ganzen Gesetzes konnte man nur den Artikel 1 erledigen und das nicht einmal vollständig, denn die Abstimmung mußte verschoben werden. Und warum das alles? Weil das Zentrum es für gut befand, mit einem Haufen von Wünschen und Anträgen aufzuwarten, die nicht mehr und nicht weniger als eine vollständige Umkrempelung der ganzen Vorlage in wesentlichen Punkten bedeuteten. Natürlich ver­kennt auch das Zentrum nicht, daß es aus dem Gebiete des Ziehkinderwesens schwere Mißstände, man kann sagen: haar­sträubende Mißstände gibt. Mißstände in verschiedener Form und in verschiedenen Graden, gelegentlich bis zur Engel­macherei. Es ist eine menschliche, soziale und staatliche Pflicht, hier mit allen Mitteln ein­zugreifen und das Mög­lichste zu tun, um die armen Kinder zu schützen, die fremder Pflege anheimsallen.

Es ist notwendig, die Er­laubnis zum Halten von Kost- und Pflegekindern an gewisse Bedingungen zu knüpfen und es ist weiter notwendig, für eine dauernde und wirksame Beaufsichtig­ung zu sorgen. Von diesem Gesichtspunkte ist denn auch die Regierung bei ihrer Vorlage ausgegangen. Nun ist beim Zentrum aber das konfessionelle Moment von so großer Bedeutung, daß es die vorgesehene Regelung verwirft. Es ist ihm darum zu tun, vor allem der Geist­lichkeit maßgebenden Einfluß in dieser 'Angelegenheit zu sichern, und darum entrüsteten sich seine Redner darüber, daß die Polizeibehörde, der Polizeidiener", diePickel­haube" zu große Befugnisse erhalten sollten. Damit ist es allerdings nicht so schlimm, denn die Regierung hat ausdrücklich erklärt, daß in der Vollzugsverfügung Be­stimmungen getroffen werden sollen, wonach von der Orts­polizeibehörde geeignete Per­sönlichkeiten mit der Beauf­sichtigung betraut werden können. Es gab schließlich eineungemeinscharfePolemik, in der dem Zentrum vorge­halten wurde, daß es dem Klerus auch hier das Heft in die Hände spielen, daß es die Klöster und Vereine von der polizeilichen Aufsicht befreit wissen wolle. Und zum Beweis dafür, daß auch in den Klöstern nicht alles zum Besten bestellt sei, wurde ein Fall angeführt, wo ein einem Kloster anvertrauter geistig zurückgebliebener Pflegling bestimmt wurde, bei seiner Volljährigkeit sein Vermögen von 35 000 Francs gegen den Willen des Vaters dem Kloster testamentarisch zu vermachen (ivas, beiläufig be­merkt, wieder rückgängig gemacht wurde). Auch die Tiroler Hülekinder wurden dem Zentrum vorgehalten. Die Redner des Zentrums suchten die Vorwürfe zu entkräften und wehrten sich sehr lebhaft, aber wenig glücklich. Sie ergingen sich vielfach in Uebertreibungen, die selbst die sonst so höflichen Minister zu recht ironisch gehaltenen Erwiderungen ver- anlaßten. Eine gewisse Unterstsitzung fand das Zentrum nur beim Bauernbund und so wird sein Kampf gegen das Gesetz erfolglos beiden. Am Dienstag trat dann die Kammer in die Generaldebatte über die Volksschulnovelle ein. Zuvor wurden die Abstimmungen über die zu Artikel 1 des Zieh­kindergesetzes vorliegenden Anträge vorgenommen. Die An­träge des Zentrums wurden fast durchweg abgelehnt und es blieb im Wesentlichen bei der Fassung der Kommission. Angenommen wurde ein Antrag des Zentrums, wonach für die Aufnahme von Kindern bei Großeltern oder nahen Verwandten eine polizeiliche Erlaubnis nicht erforderlich ist, und ferner ein Antrag Hafsner (T. P.), daß auswärtige Schulkinder nicht unter das Gesetz fallen sollen.

Landwirtschafts-Ausstellung.

Vom 25. bis 30. Juni hat in Stuttgart die Wander-

Gchrvarzwalder Sonntagsblatt.

ausstellung der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft statt­gefunden. Sie hat Tausende von Landwirten aus allen Teilen Deutschlands und auch aus dem Auslande angelockt. Namentlich aber war selbstverständlich der Besuch aus Würt­temberg. und ivas die Stuttgarter anbelangr, so sind sie in großen Massen zum Cannstarter Wasen geströmt, als gälte es das Volksfest zu feiern. EinVolksfest" war es nun allerdings gar nicht, sondern eine durchaus ernste und ernst­hafte Veranstaltung mit hohen und nützlichen Zielen. Diese Wanderausstellungen, die von der Deutschen Landwirtschafts­gesellschaft regelmäßig bald hier bald dort die letzte war vor zwei Jahren in Düsseldorf und die nächste wird in zwei Jahren in Dresden sein veranstaliet, bezwecken, ein treues und möglichst vollständiges Bild von dem jewei­ligen Stande der deutschen Landwirtschaft, dieses immer noch wichtigsten Zweiges der Nationalwirtschaft, zu geben und den Landwirlen Belehrung und Förderung zu bieten. Und wenn man gesehen hat, mit welchem Interesse die der Landwirtschaft angehörenden Besucher, das, was ihnen be­sonders wert war, besichtigten und prüften, wird man über­zeugt sein, daß diese Ausstellungen tatsächlich reiche Früchte tragen und den geradezu ungeheuren Apparat, den sie erfordern.

durchaus rechtfertigen. jA^l l e s gründlich durchzunehmen wird freilich auch der Fachmann kaum imstande sein, denn es ist aus den Ausstellungen eine riesige Menge von Ob­jekten aus dem weitverzweigten Gebiet der Landwirtschaft zusammengebracht: alles Erdenkliche, ivas zum lebenden und toten Inventar gehört, Zuchtvieh aller Art, Pferde, Rindvieh, Ziegen, Schafe, Geflügel, ferner landwirtschaftliche Erzeugnisse der verschiedensten Art, Geräte desgleichen, na­mentlich aber Maschinen. Gerade das landwirtschaftliche Maschinenwesen nahm auch in Stuttgart einen breiten Raum ein und war außerordentlich lehrreich. Auch demjenigen, der nicht in die Einzelheiten einzudringen vermochte, wurde es sogleich klar, wie sehr bie Errungenschaften der modernen Technik auch für den landwirtschaftlichen Betrieb dienstbar gemacht werden, eine Entwicklung, die zweifellos rasch fort­setzen wird, namentlich auch nach der Richtung, daß auch die mittleren und kleineren Betriebe mehr und mehr davon berührt werden. Die ungeheuren Dampfpflüge, die gewal­tigen Dreschmaschinen mit Lokomobilbetrieb und dergleichen sind natürlich nur etwas für den Großgrundbesitz; aber es gibt doch eine Menge von Maschinen, deren sich auch der mittlere und bis zu einem gewissen Grade auch der kleinere Landwirt bedienen kann. In der größeren Heranziehung technischer Mittel liegt überhaupt ein wichtiges Moment für das Gedeihen der Landwirtschaft. Die alten Betriebsformen

haben sich in mancher Hinsicht überlebt und müssen aufge- geben werden, denn sonst helfen der Landwirtschaft Zölle und dergl. auf die Dauer auch nicht. Freilich: es ist nicht damit getan, daß die Technik maschinelle Mittel schafft und bereit hält, der Landwirt muß auch in der Lage sein, sie zu erwerben. Das ist ein Punkt, über den manches zu sagen wäre, aber heute hier nicht gesagt werden kann. Statt dessen mag noch erwähnt werden, wie sehr die Landwirtschafts­ausstellungen zugleich auch eine nützliche Lektion für die Städter sind, für die Großstädter zumal. Was wissen die von der Landwirtschaft? Manche sind in ihrer Wissenschaft kaum viel über die Tatsache hinaus, daß die Frühstücks­wecken nicht fertig auf den Halmen wachsen und daß man Kartoffeln nicht aus Maulbeerbäumen pflückt. Schwieriger wird ihn.n schon die Unterscheidung eines Zuchtstiers von einer Milchkuh, obgleich doch in gewisser Hinsicht ein Unter­schied leicht wahrzunehmen ist. Aber wie Butter, wie Käse gemacht wird, ist schon beinahe ein Buch mit sieben Siegeln, und was zur Landwirtschaft sonst noch gehört, weiß man schon gar nicht. Dafür aber versteht man umso besser, wegwer­fend zu urteilen und zu räsonnieren. Manchem wird .wohl, wenn er so eine Ausstellung sieht, doch ein Licht zum Ver­ständnis dafür aufgehen, was die Landwirtschaft ist und was sie bedeutet, und das ist nützlich, ja noch mehr: nötig. Tenn ein Hauptübel unseres staatlichen Lebens ist, daß man zu wenig gegenseitiges Verständnis har.

Culenburg-Prozetz.

Am Montag vormittag hat in Berlin vor dem Schwur­gericht der Prozeß gegen den Fürsten Philipp zu Eulenburg und Herlefeld Grafen von Sandels wegen Meineids und Verleitung zum Meineid begonnen. Selten hat es wohl einen Prozeß gegeben, dem in solchem Maße mit Spannung entgegengesehen worden ist, wie diesem. Ist doch Fürst Eulenburg eine Persönlichkeit, die unter der Regierung Kaiser Wilhelms l l. eine Rolle gespielt hat, deren volle Be­deutung vielleicht erst die Geschichte in das richtige Licht stellen wird. Wir, die Zeitgenossen, wissen nur das eine, daß er lange Zeit von dem vollsten Vertrauen und der höchsten Gunst des Monarchen getragen, einer der mächtigsten, vielleicht der mächtigste Würdenträger im Reiche war. Man hat ihn umschmeichelt und' umbuhlt, man hat ihn ge­fürchtet, und von den Reichskanzlern, die sich abgelöst haben, hat ein jeder mit dem Fürsten Eulenburg Rechnen und wohl gar seinen Einfluß seufzend hinnehmen müssen. Bismarck hielt Eulenburg für einen der Urheber seines Sturzes, der Nachfolger Caprivi fiel, während der Kaiser bei dem Fürsten Eulenburg in Liebenberg zu Gast war unter Umständen, die den Schloßherrn von Liebenberg als den Urheber erscheinen ließen. Der alte Fürst Hohenlohe hat unter dem Joche des Eulenburgers geseufzt, und ivas den Fürsten Bülow anbelangt, so weiß man, daß seine Freundschaft mit dem Fürsten Eulenburg schließlich ein Loch bekam, jedenfalls auch nicht von ungefähr, Fürst Eulenburg hat allerdings in eidlicher Zeugen-Aussage jede politische Einflußnahme auf den Monarchen in Abrede gestellt: aber die Umstände haben es mit sich gebracht, daß diese Versicherungen ohne Eindruck' geblieben sind. Doch darum handelt es sich jetzt nicht. Es handelt sich vielmehr um schmutzige Dinge, um sittliche Verfehlungen des Fürsten und um die Verletzung der EideS- pflicht im Zusammenhänge damit. Den Ursprung der Affäre bilden Artikel Maximilian Hardens in der Zukunft, worin durch die Blume angedeutet wurde, daß sich in der Umgebung des Monarchen Persönlichkeiten mit normwidrigemGe­schlechtsleben" befänden. Der Kaiser erhielt schließlich durch den Kronprinzen Kenntnis von diesen Artikeln, und nun brach das Verhängnis über dieLiebenberger Tafelrunde" herein. Die Grafen Hohenau und Lpnar schieden aus dem Heeres­dienst und sind inzwischen gänzlich erledigt worden. Der französische Botschaftsrat Lecomte wurde von seiner Regie­rung abberufen (und unterdessen in Anerkennung seiner Ver­dienste um die Erlangung von Informationen aus der Umgebung des Kaisers als Gesandter nach Persien geschickt). Graf Moltke, Stadtkommandant von Berlin und General­adjutant, ging hin, nachdem er verabschiedet worden war, und klagte wider Harden. Im Prozeß vor dem Berliner Schöffengericht wurde Harden freigesprochen, weil der Wahr­heitsbeweis für die homosexuelle Veranlagung des Grafen Moltke als erbracht angesehen wurde. Von der Strafkammer, die sich dann mit der Sache beschäftigte, nachdem es die Staatsanwaltschaft, entgegen ihrerer früheren Halrung, für gut befunden hatte, das Verfahren zu übernehmen und neu durchzuführen, wurde Harden dagegen verurteilt und Graf Moltke entlastet. (Inzwischen ist dieses Urteil vom Reichs­gericht aufgehoben worden.) Fürst Eulenburg, um den es sich hauptsächlich handelt. Hielt sich von vornherein vorsichtig im Hintergrund. Dem Erscheinen vor dem Schöffengericht entzog er sich durchKrankheit". Dagegen erschien er in einem anderen Prozeß, an dem Harden nicht beteiligt war, als Zeuge und benutzte die Gelegenheit, obgleich es gar nicht zur Sache gehörte, dort einen Reinigungseid zu leisten, indem er erklärte, sich niemals gegen den 8 l75 vergangen zu haben. Auch vor der Strafkammer erschien er dann im zweiten Moltke-Hardenprozeß, da sich die Lage für die Liebenberger" günstig gewendet zu haben schien. Er er­klärte auch hier unter Eid, sich einer Verfehlung gegen 8 175 nicht schuldig gemacht und niemals Schmutzereien getrieben zu haben und als ihn der Verteidiger Hardens über Dinge näher befragte, die nicht in den engen Rahmen deZ8l75 fallen, erwiderte er:Halten Sie das vielleicht nicht für eine Schmutzerei?" Oberstaatsanwalt Jsenbiel nahm sich des

M Der Bürgerkrieg in Teheran. UtzLM

//27 / er/

WM

,i^- : ! ü'?! V

HM

Ms//?

«r-rttu;

MW

KME»

UM

MUW

»«MM»-»«:

«WM

WD

WA

MK

SRM