Die Justinus Kerner-Feier in WeinSberg.
ss Weinsberg, 21. Juni. Das Schwabenland ist seiner großen Männer wert, denn kein anderer Stamm weiß seine großen Toten so zu ehren wie das schwäbische Volk. Das bewies auch wieder der heutige Tag in Weinsberg. Ein grauer, regenschwerer Himmel grüßte den heutigen Festtag. Als wollte die Sonne keinen Abschied nehmen von dem ersten Frühjahr, das der treue, langjährige Hüter des Kernerhauses, Theobald, nicht mehr erleben sollte. Verwaist stand das schlichte Haus, das nur dem geselligen Leben zu dienen bestimmt schien. „Das Haus soll auch nach meinem Abscheiden noch mein Haus sein." Diesen Willen des alten Justinus hat sein treuer Sohn Theobald bis an sein Lebensende hochgehalten. Nicht ivürdiger konnten die vielen Verehrer des toten Dichters ihren Ehrendank abstatten, als durch den Entschluß, durch Ankauf des alten, historischen Hauses, es für alle Zeiten der Nachwelt zu erhalten. Dem Kernerverein hatte es am Herzen gelegen, durch eine schlichte Kundgebung alle Freunde und Verehrer des Dichters zu sammeln, um auf eine treuherzige, schwäbische Art, auf geweihtem Boden, in idealer Harmonie vereint, dem unvergeßlichen Justinus Kerner zu huldigen, dessen Herzblut seinem Volke einige der besten und innigsten Volkslieder gab. Jetzt droht dem traulichen Dichterheim kein Unheil mehr, denn mit dem heutigen Tage hat der Kerner-Verein Besitz von Justinus Haus ergriffen und die herzliche Teilnahme der großen Kernergemeinde am heutigen Festtage löste ein erhebendes Gefühl aus. Morgens ging Regen über das Land, aber gegen mittag klärte es aus. Einsam aus dem trotzigen Turm der Weibertreu stehend, sah man voll Entzücken auf das weltentrückte, traute Städtchen mit seinen alten Giebelhäusern, von Wäldern und Obsthainen friedlich umkränzt und über die fruchtprangenden 'Felder streift ein matter Sonnenschein bis weit in die Ferne zum stillen Städtchen Löwenstein, auf dessen Friedhof die Saherin von Preoorst ruht, sie, die selbst so still und friedsam, doch so viel Unruhe und unstäte Gäste dem Dichterheim zu Weinsberg zuführte. Und heute isst wieder ein Kommen und Gehen im Dichterhause. Aus allen Richtungen eilen die Sängerscharen herbei. Alle umliegenden Orte und weit darüber hinaus sind in der großen Menschenmenge vertreten. Jeder will die stillen Räume sehen, darin der heitere Poet, bald schwermütig oder zu grübelnder Mystik geneigt, dann wieder von sonnigem Humor erfüllt, sein reiches Dichterleben führte, die größten Geister seiner Zeit, die besten Freunde seines Hauses und die eigenartigsten Fremden und Kranken empfing und gastlich ausnahm. Auch die kleinsten und anscheinend unbedeutendsten Gegenstände werden mit scheuer Ehrfurcht betrachtet, das Fragen nimmt kein Ende, jeder Winkel muß besichtigt sein und dann noch betrachtet man, in phantastischen Gedanken versunken, den Geisterturm. Besonderes Interesse finden die in Glaskästen zur Schau gestellten Briefe von Justinus Kerner und einigen seiner berühmtesten Gönner und Freunde, die dem Schiller-Museum in Marbach entnommen, von Zeit zu Zeit gewechselt werden. Als lebte der alte Justinus unvergänglich unter uns weiter, so muten den Besucher die Räume dieses Hauses an, das so viel Leid und Liebe gesehen hat. Wie Justinus Kerner als Dichter nie über die Grenzen seines künstlerischen Könnens hinaus wollte, so hat er auch in seinem Heim immer nur der biedere Schwabe sein wollen. Wehende Fahnen, fröhliche Marschweisen und flachsblonde Mädchen mit Blumen im Haar deuten auf die beginnende Feier hin. Ein nach Tausenden zählender Festzug, von einer Gruppe schmucker Winzer und Winzerinnen geführt, marschiert zum Kerner- Denkmal. Die Fürstenhymne erklingt und nach einer kurzen Begrüßungsansprache von Professor Dr. Meißner folgt die gedankenvolle Festrede von Pfarrer Schnitzer aus Willsbach. „Die Stätte, die ein guter Mensch betrat, ist eingeweiht;
nach hundert Jahren klingt sein Wort und seine Tat dem Enkel wieder. Mit diesem Goethewort lassen Sie mich beginnen. Die Stätte, um die sich heute diese große Festversammlung zusammengefunden hat, hat ein guter Mann gegründet und bewohnt und unser Justinus und seinem Andenken soll sie auch in Zukunft geweiht sein. In der Tat, er ist wert, daß wir seiner gedenken. Was er gesungen, hat er gelebt und gefühlt. Und wenn diese Wahrheit des Dichtens, diese Uebepeinstimmung des Wortes mit dem innern Leben ein Kennzeichen des echten Dichters, so ist Justinus Kerner ein echter Dichter gewesen. Die Aeols- harfe hat er besonders geliebt und heute noch klingt sie droben auf der Burg. Kein Wunder, denn sein Dichten hatte eine innere Verwandtschaft mit diesem Instrument. Und wie die Töne der Aeolsharfe einen schwermütigen Charakter haben, so wiegen auch unter seinen Liedern die schweren, schmerzlichen vor und für sein Dichten ist der Vers bezeichnend: -
Poesie ist tiefes Schmerzen Und es kommt das echte Lied Einzig aus dem Menschenherzen,
Das ein tiefes Leid durchzieht.
Die erst« Auffahrt des «eue« Zeppelin scheu Luftschiffes.
Der allseitig mit großer Spannung erwartete Ausstieg des neuen Zeppelin'schen Luftschiffes hat nun, wenn auch nach abermaliger Verzögerung, erfolgen können. Der heftige West sturm machte am Samstag vormittag einen Aufstieg zunächst unmöglich. Unter diesen Umständen wäre es natürlich eine Tollkühnheit gewesen, das neue noch unerprobte Luftschiff diesem Wetter preiszugeben, denn so unruhig wie am Samstag soll die See nach den eingelaufenen Berichten noch nie im Sommer gewesen sein. Glücklicherweise legte sich am Nachmittag der stürmische Wind und das Wetter begann sich auszuheitern. Sobald Graf Z epp e- lin das merkte, beschloß er, »och schnell eine Versuchsfahrt zu unternehmen, welche auch vollständig gelungen ist.
lieber den Aufstieg wird berichtet:
Sehnsüchtig wartete.die ungeheure Menschenmenge auf den Aufstieg. Punkt 5 Uhr hatte man die Genugtuung, endlich nach soviel Enttäuschungen das weiße Hinterende des Luftschiffs aus der Halle herauskommen zu sehen. Innerhalb sieben Minuten war das Luftschiff aus der neuen Halle herausgebracht, prächtig und strahlend im Sonnenschein. Einige Minute» später begannen die Schrauben zu arbeiten und das Luststyiff hob sich etwa 200 Meter über die Oberfläche des Sees. Es fuh r zunächst dreimal in großem Kreis zwischen Manzell und dem schweizerischen Ufer hin, dabei sich immer in etwa 2 0 0 M. Höhe haltend, senkte sich dann, um sich sofort wieder zu heben und führte mehrfache Drehungen aus. Alles funktionierte glänzend. Endlich vollsührte das Luftschiff im Schlepptau mehrere längere Bewegungen auf der Wasserfläche. In den beiden Gondeln hatten insgesamt 18 Personen Platz genommen, unter ihnen auch ein Vertreter des preußischen Kriegsministers v. Einem, der inzwischen im Automobil wieder abgereist ist.
Ein tosender Beifallssturm erhob sich, als das Fahrzeug sich nach etwa 10 Minuten langer Fahrt zur Landung senkte. Auch diese verlief vollständig glatt und befriedigt zerstreute sich die Menge.
Der 1. Aufstieg des Luftschiffes zeigte, was die Stabilität und die Wirkung der Höhensteuerung des Ballons betrifft, dieselben ausgezeichneten Eigenschaften wie das Luftschiff des vorigen Jahres. Aber die neue Sei tenst euer» ng,
von der man zwecks Vermeidung von Stauwinkeln durch eine Neukonstruktion noch bessere Wirkungen als von der letzten erwartet hatte, hat sich nicht bewährt. Sie muß daher uwgebaut werden, ehe die großen Fahrten beginnen können. Graf Zeppelin soll mit dem Erfolg seiner ersten Fahrt nicht ganz zufrieden sein, doch ist er überzeugt, daß die Mängel, die sich in der Seitensteuerung gezeigt haben sollen, baldigst beseitigt sein werden.
Dem Aufstieg folgte ein Diner zu Ehren des Grafen, wobei Geheimrat Lewaldt ein Hoch auf ihn ausbrachte. In seiner Antwort gab Gras Zeppelin selbst den obigen Mangel des neuen Luftschiffes kund. Er ist aber voll Zuversicht.
Die Ausführung derFernfa hrt wurde vertagt und ist nicht mit der gegenwärtigen Gasfüllung zu machen. Man muß diese Verzögerung bedauern, darf aber nicht vergessen, daß kdin System- oder prinzipieller Konstruktionsfehler, sondern nur ein kleiner Fehlgriff in der Beurteilung der Wirksamkeit einer Neuerung vorliegt.
* Karlsruhe, 20. Juni. Nachdem die Eisenbahnverwaltung die Pläne Rehbocks für die Wasserkraftanlage im Mu'rgtal angekauft hat, wird dem „Volksfreund" zufolge dem Landtag eine Vorlage zur Ausführung des Projekts auf Staatskosten zugehen. Die Kosten betragen etwa 14 Millionen Mark für Baden allein und gegen 2 1 Will. Mk. für Baden und Württemberg zusammen.
* Ludwigshafen a. Rh., 20. Juni. Nach einer Mitteilung der Königlichen Wein- und Obstbauschule in Neustadt nimmt die Ausdehnung der Peronospora in den Weinbergen der Vorderpsalz in geradezu erschreckender Weise zu. Fast die gesamten Gemarkungen von Dürkheim, Karlstadt, Forst, Wachenheim, Deidesheim und die Gegend von Landau sind von der Peronospora befallen. Der Pilz bricht an den Blättern aus. Stellenweise ist das Aussehen der Weinberge trostlos, sie sind vollständig weiß, wie mit Reif bedeckt. Das starke Auftreten des Pilzes bringt für die noch gesunden Weinberge die größte Ansteckungsgefahr. An dem Auftreten der Peronospora soll teilweise das Unterlassen des Spritzens schuld sein.
Ausländisches.
Budapest, 20. Juni. Im Torfe Maszyad im Komitat Komorn (Ungarn) brannte» 480 Häuser ab, darunter die Kirche, die Schule, das Pfarrhaus und das Gemeindehaus.
ss Shelly (Ohio), 19. Juni. Die hiesigen dem Stahltrust gehörigen Stahlröhrenwerke, die einen Wert von mehr als 2 Milt. Dollars haben, wurden in der vergangenen Nacht durch Feuer zerstört.
Verantwortlicher Redakteur: Ludwig Lau k, Mtensteig.
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„Ganz dwnlel wie eine Zigeunerin."
„Ah, ich glaube, jetzt entsinne ich mich ihrer. Ich sah sie stets tu Begleitung einer schönen jungen Dame. Wer war sie?"
„Ah."
Es lug etwas km Tone des jungen Gutsherrn, öoS seine Gefährtin merken liest, dieses Thema sei ihm Peinlich, und deshalb kiest sie es fallen.
Es war ein schönes,, stattliches Paar, Maritta von Hachfeld und der junge Gutsherr Thilo von Warneck, wie st« jetzt beide auf der Terrasse des Herrenhauses standen, vom den letzten Strahlen der Sonne golden beleuchtet. Maritta kn ihrem enganschließenden Rettkletde, die lange Schleppe nachlässig über dem Arm, spielend mit dem goldenen Griff ihrer Reitgerte, schaute jetzt unbefangen, fast kindlich lächelnd, zu dem jungen Herrn empor, in WirL- lichkeit aber neugierig zu wissen, ob die Ankunft der neuen Hausgenossm erwünscht sei, oder nicht.
Maritta wußte genau, dvst Thilo sie bewunderte, ganz besondees als perfekte Retterin und niemals versäumte ste eine Gelegenheit, nach dem Erlenhofe herüber zu reiten. Die Besttzlung ihres Vaters lag nicht so wett entfernt, und da sie ein Liebling Frau von Wannecks wav, häkle diese ste zu gern als Tochter in ihre Arme geschlossen und ebenso gern hätte Herr von Hochseld sein einziges Kind dem reichen Gutsnachbarn anvertraut.
Was Thilo aber selbst über diese Verbindung dachte, wußte niemand, selbst seine Mutter nicht, die doch sonst seine Vertraute war. Aber in der ganzen lllmgegend dachte man sich die schöne Maritta einst als künftige Herrin aus dem Erlenhofe zu sehen, und die junge Dame glaubte und hoffte cs selbst.
Thilo vvn Warneck hatte bereits sein 30. Lebensjahr überschritten, und Freunde und Nachbarn, seine Mutter o» der Spitze, redeten stürmisch auf ihn ein, dem Erlen- hofe eine neue Herrin zu geben. Aber Thilo war schwer
zu befriedigen. Melleicht war es auch die Erinnerung an die herbe Enttäuschung, die ihn vor 8 Jahren so schwer getroffen, daß er jetzt den Glauben an das schöne Geschlecht gänzlich verloren hatte.
Doch kaum hatte Fräulein Maritta der früheren Erzieherin Erwähnung getan, als ste gern diese Worte zu- rückgenvmmpn hätte. Es lag eist Ausdruck in dem Antlitz des jungen Gutsherrn,, den Maritta noch niemals darin gesehen, und der ste jetzt mit wilder Eifersucht gegen die fast unbekannte Nebenbuhlerin erfüllte. Wo war jetzt diese schöne blonde Dame, deren Name allein heihe Röte i» feine Wangen trieb?- Gleichsam als hätte er die unausgesprochene Frage erraten, sagte Thilo:
„Fräulein Barnelli ist seit Jahren mit einem Italiener in Florenz verheiratet. Asta sah ste mit ihrem Gasten kürzlich in Freibuirg."
„Ah," Maritta von Hochseld atmete erleichtert aus. „Wann erwarten Ste Ihr Mündel?" fragte ste daun weiter.
„Der Zug wird wieder Verspätung gehabt gaben, sonst müßte der Wagen schon hier sein," Versetzte er, seine Uhr hervorzüehend, „meine Mutter fuhr nach der Station, «in die Kleine in Empfang zu nehmen."
„Dann istts gewiß besser, ich mache mich auf den Heimweg; es dmrkelt ohnehin so früh, und dann wird Papa leicht nervös, wenn ich unterwegs bitn. Bitte, wollen Sie meinen Groom rufen lassen? O, dort aus der Landstraße kommt schon der Wagen; nun kann ich auch warten, um Frau von Warneck persönlich die Einladung für nächsten Mittwoch zu übermitteln."
„J>a bleiben Sie," bat auch Thilo; dann stellte er sich an ihre Seite, um de» Wagen zu beobachten; gegen seine Nleberzeugung hoffend, Asta's Abreise von Freiburg sei im Augenblick noch verhindert.
Maritta jedoch hoffte zuversichtlich auf die Ankunft der jungen Dame. Sie war sehr gespannt Asta Brwck-
hardt, die reiche Erbin, zu sehen und sich selbst zu überzeugen, ob ste ihr jemals gefährlich werden könne. Das blasse, magere, häßliche Kind stand noch vor ihren Augen, und wenn sich diese Züge nicht verändert hatten, so wollte sie, Maritta, zufrieden und glücklich den Heimweg an- treten.
„Ich must dch Ankornmenden begrüßen, entschuldigen St« mich," sagte Thilo, als der Wagen vor dem Pottale hielt, und verliest die Terrasse.
„Hier bringe ich unsere liebe >Asta heim," ries die Mutter mit glücklichem Lächeln, als sie ihren Sohn erblickte. . , ü. . ff".
Er sah Asta. Das war aber nicht das bleiche, hagele Kind, mit dem ttektrcmrigen Antlitz und den großen dunklen Augen, die ihn so vorwurfsvoll angesehen, daß dieser Blick ihn noch beständig verfolgte. Diese junge Dame, die jetzt neben seiner Mutter sah, mit den rosig o 'gehauchten Wangen und dem freudigen Lächeln in den schelmisch blickenden dunkeln Augen, war eine so vollen, dete Schönheit, daß Thtlo's Lippen fast ein Ruf der Verwunderung entschlüpft wäre.
„Willkommen in der Heimat, willkommen auf dem Erlenhofe; hattest Du eine angenehme Reise, Asta?" waren seine ersten Worte.
„Ja, wir hielten uns einige Tage in der Hauptstadt aus, die Frau Baronin wollte mir alle Sehenswürdigkeiten zeigen und selbst allerlei Einkäufe besorgen," gab Asta fröhlich zurück. „Und Du, wolltest Du nicht selbst kaufen?" neckte der Vormund, und half ihr dienstfertig, aus dem Wagen zu steigen.
Asta larA HM auf. „O, ich hätte nur allzu gern ge- kaust, erlwidette ste, „aber ich hatte schon in Freiburg mein ganzes Taschengeld ausgegeben, um Abschiedsgeschenke zu machen. Daher muhte ich mich in Berlt» begnügen, di« schönen Sachen anzusehen, mehr konnte ich mir nicht leisten." (Fortsetzung folgt.)