gen. (Lebh. Bravo links.) Dr. Iunck (natl.): Wir verlangen ein maßvolles Recht für den Reichstag. Die Regierung hat ein viel größeres Recht uns ge­genüber, nämlich das Recht der Reichstagsauflösung. Nach weiteren Bemerkungen des Grafen Westarp schließt die Debatte. Die Abstimmung wird am Mittwoch erfolgen. Nächste Sitzung: Dienstag nachmittag 1 Uhr. Tagesordnung: Rechnungs­sachen, Debatte über die Mischlingsehen, Antrag be­treffs Fraktionsbildung, Etat des Reichsschatzamts.

Schluß 7'/i Uhr.

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In der Sitzung der Budget kommission des Reichstags wurde ein sozialdemokratischer Antrag auf Herabsetzung der Dienstzeit der Kavallerie mit 13 gegen 13 Stimmen abgelehnt. Dafür stimm­ten außer den Sozialdemokraten die Miglieder der Fortschrittlichen Volkspartei, die Polen und die Zentrumselsäster. Der übrige Teil des Antrags, der die Dienstzeit der Artillerie auf 2 Jahre und der Infanterie auf 1 Jahr herabsetzen will, wurde eben­falls abgelehnt.

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Die Branntweinsteuerkommission des Reichstags nahm die 88 3 und 4 der Vorlage mit der Aende- rung an, daß in Z 3 statt 30 Liter 50 Liter und in 8 4 statt 1,75 Mk. 1,13 Mk. gesetzt wurden. 8 5 wurde in folgender vom Abg. Herold beantrag­ten Fassung angenommen: Die Verbrauchsabgabe ermäßigt sich für die vor dem 1. April 1912 betriebs­fähig hergestellten landwirtschaftlichen Brennereien von mehr als 10, aber nicht mehr als 100 Hektoliter Alkohol um 0,12, bei einer Jahreserzeugung von mehr als 100, aber nicht mehr als 300 Hektoliter um 0,10 Mk. für das Liter Alkohol für den Teil der Jahreserzeugung, welcher innerhalb des für das Be­triebsjahr 19111912 zugewiesenen Kontingents lieat.

Stuttgart. 4. Mai 1912.

Württembergischer Landtag.

Daß Einigkeit stark macht, ergab sich aus der heutigen Sitzung der Zweiten Kammer, wo die Landeswasserversorgung, das Langenauer Projekt, nochmals auf die Tagesordnung gelangte, nachdem die Parteien sich auf die bereits gemeldete Erklärung geeinigt hatten. Der Erfolg war die volle Zu­stimmung des Finanzministers und die einstimmige Annahme im Plenum. Darauf murde die Beratung des Oberamtsarztgesetzes fortgesetzt. Nach äußerst langweiliger Debatte über den Art. 1 mit den da­zu gestellten Anträgen, die auch heute noch zu keinem Resultat führte, wurde die Sitzung nach 1 Uhr auf­gehoben. Nächste Sitzung morgen vormittag 9 Uhr T. O: Zweite Beratung eines Ausführungsgesetzes zur Reichsversicherungsordnung und Fortsetzung der heutigen Beratung.

Die Mission der n a t i o n a l l i b e r a l e ff Partei. ^

In einem mit obiger Ueberschrift versehenen Aufsatz schreibt Theobald Ziegler-Frankfurt anläß­lich der bevorstehenden Auseinandersetzung -,wff )en Jungliberalen und der Rechtsrichtung imSchw. Merkur": Wenn also die Partei weiter bestehen soll

und sie soll weiter bestehen, wenn eine Vereini­gung der beiden Richtungen innerhalb der Partei am 12. Mai zustande kommen soll und sie soll zu stände kommen: so kann es sich meines Erachtens nicht darum handeln, das Nationale zurllckzustellen und den Liberalismus so zu spannen, daß dadurch die Brücke zu den Konservativen abgebrochen wird; und erreicht kann die Einigung nicht werden da­durch, daß man um die sachlichen Gegensätze herum­geht und an ihre Stelle das Bekenntnis zu einer Person setzt, sondern nur dadurch, daß man sich offen und tapfer zur Rolle einer Mittelpartei bekennt und alle Konsequenzen einer solchen auf sich nimmt, also auch die Aufgabe, nach links und nach rechts hin immer aufs neue Fäden zu knüpfen und Brücken zu schlagen und die Gegensätze zu mildern und abzu- schwächen, nicht sie durch persönliche Dinge zu ver­schärfen und zu erweitern.

Stadt und Bezirk.

Calw, 4. Mai 1912.

Mutmaßliches Wetter. Die neue Depres­sion ist über England stehen geblieben, sodaß wir zunächst unter Einfluß des Mittel- und Westeuropa beherrschenden Hochdrucks bleiben. Für Sonntag und Montag ist daher warmes und meist trockenes Wet­ter zu erwarten.

Saisonarbeiter. Die gesundheitspolizeiliche Mah­regel, daß im Falle der Beschäftigung russisch-pol­nischer Wanderarbeiter diese, sofern sie nickt bereits die natürlichen Pocken überstanden haben oder bei ihrer Ankunft im Deutschen Reich bereits geimpft worden sind, von ihren Arbeitgebern bei dem Ober­amtsarzt durch Vermittlung' des Oberamts zur Impfung alsbald anzumelden sind, ist auch auf die Fälle der Beschäftigung von Wanderarbeitern aus österreichisch-Polen (Galizien) ausgedehnt worden. Falls einige einzelne Arbeiter sich weigern sollten, sich impfen zu lassen, erfolgt Ausweisung aus Würt­temberg.

Der Vlitzfahrplan. den Ereiner u. Pfeiffer in Stuttgart herausgeben, ist nunmehr auch erschie­nen. Sein handliches Format, namentlich aber seine außerordentlich praktische Anlage zur Auffindung der Strecken sind es, die demBlitz" seine große Be­liebtheit in Stadt und Land sichern und von Wert ist, daß der Preis von 25 Pfg. ein sehr bescheidener zu nennen ist.

41- Stammheim, 3. Mai. Während der lebten klarenTage hatte man von unserem Domaturm eine herrliche Aussicht. Vom Hegau bis zum Hohen­staufen reichte der Blick. Der Mainharder Wald und die Löwensteiner Berge waren sichtbar. Des­halb dürfte es sich für Maitouren sehr empfehlen, den Aussichtsturm zu besteigen, um die unvergleich­lich schöne Rundsicht zu genießen.

? Möttlingen, 3. Mai. Erfreulich ist, daß es nach wochenlanger Grabarbeit endlich gelungen ist, die zur Wasserleitung bestimmten Quellen nun zu fassen. Schon zweifelten viele ängstliche Gemüter, ob man überhaupt genügend Master für die hiesige Gemeinde bekommen würde, jedoch ist, wie sich her­ausgestellt hat, der Wasterstand so günstig, daß noch

für eine weitere Gemeinde Wasser hinreichend vor­handen wäre. Deshalb freut sich nun jung und alt, bald von dieser segensreichen Einrichtung Gebrauch machen zu können. Hoffentlich verstummen jetzt auch die Gegner eines Wasterleitungsbaues, welche mit ihrem unbegreiflichen Widerstand einen gesun­den und notwendigen Fortschritt bekämpfen.

st. Nagold, 4. Mai. Die erledigte Oberlehrer­stelle am hiesigen Seminar ist vom K. Evang. Oberschulrat dem Hilfslehrer Dr. Hermann Mat­scheck am Realprogymnastum in Cannstatt über­tragen worden.

Württemberg.

Stuttgart, 3. Mai. Auf die Anfrage der Abg. Hiller und Dr. Wolf wegen Einräumung einer Fahrpreisermäßigung zum Besuch der Bayerischen Eewerbeschau 1912 in München ist vom Minister­präsidenten Dr. v. Weizsäcker folgende Antwort ein- gelaufen:Auf die schriftliche Anfrage der Herren Abgeordneten Hiller und Wolf beehre ich mich zu erwidern, daß die Kgl. Eisenbahnverwaltung nicht in Aussicht genommen hat, Arbeitnehmern oder an­deren Besuchern der Bayerischen Eewerbeschau, die im Laufe dieses Jahres in München stattfindet, eine besondere Ermäßigung des Fahrpreises für die würt- tembergischen Strecken einzurüumen."

Stuttgart, 3. Mai. Der Geschäftsführer des Hansabundes, H. G. Bayer, hat im Einverständnis mit dem Bund auch die Geschäftsführung des Ver­bandes württembergischer Industrieller als Neben­amt übernommen.

Stuttgart, 3. Mai. Als heute abend gegen 6 Uhr in der Mozartstraße ein Kind noch auf die andere Seite der Straße laufen wollte, wurde es von einem Kraftwagen erfaßt und überfahren. Die Räder gingen ihm über den Leib, so daß die Einge­weide hervortraten. Das Kind war alsbald tot.

Schloß Stetten, 3. Mai. Im Laufe der vorigen Woche hat Revierförster Hartmann zwei Fuchsfami­lien mit zusammen 13 Stück ausgehoben und jedes­mal die Mutter (Fähe) dabei. Die ganze Gesellschaft ist im Raubzeugzwinger, der schon voriges Jahr zu diesem Zweck angelegt wurde, lebend zu sehen.

Owen a. d. Teck, 3. Mai. Der Stellvertreter des Stadtschultheißen Kauderer hier, namens W. Buck, Verwaltungspraktikant von Hülben, wurde wegen Urkundenfälschung und falscher Beurkundung der K. Staatsanwaltschaft Ulm angezeigt. Gestern hat seine erste Vernehmung durch den Ulmer Unter­suchungsrichter stattgefunden. Es handelt sich um die Verträge von zwei Bauplätzen zu einem Schul­abtritt, wegen deren die Stadt schon seit längerer Zeit, wohl vergeblich, zwei Prozesse, jetzt bereits in zweiter Instanz, führt. Es will auf unserem Rat­haus gar nicht mehr klappen.

Tübingen, 3. Mai. Von den Neuangekomme­nen Studierenden wurden bei der ersten Immatri­kulation 170 in das akademische Bürgerrecht ausge­nommen. Wenn auch die höchste bisher erreichte Frequenz des Sommers 1911 diesmal nicht zu er­warten ist, so darf doch bei dem günstigen Zugang darauf gehofft werden, daß die Zahl 2000 wieder er­reicht werden wird.

Tyrann Ehre.

35) Roman von K. Lubowski.

(Fortsetzung.)

Es würde also wohl etwas Wichtiges sein, das er ihm zu sagen hatte. Das Datum auf dem Post­stempel, den Tarenberg in seiner ruhigen Art zuerst prüfte, war das des Tages vor seiner Abreise nach Hohen-Litzen. Der Brief mußte also sofort, nachdem er gefahren war, angekommen sein. Er schnitt den Umschlag auf und begann zu lesen:

Sehr geehrter Herr von Tarenberg!

Ich erfülle hiermit die traurige Pflicht, Sie von dem Tode meiner Schwester, der Frau Pastor Hed- ding, in Kenntnis zu setzen. Sie erkrankte an einer schweren Lungenentzündung, deren Verlauf inner­halb zweier Tage den oben erwähnten, traurigen Ausgang nahm.

Fräulein Fiedler war somit ohne Ratgeberin und mütterliche Auwckt. Ich habe sofort die nötigen Schritte getan, um Ersatz zu beschaffen, und bereits eine Dame engagiert, die gute Zeugnisse aufzuweisen hatte. Ob sie sich in Wahrheit auch für die Pflege von Fräulein Fiedlers innerem Menschen eignet, konnte ich nicht mehr feststellen. Meine schon viel­fach hinausgeschobene Erholungsreise, die wiederum durch die Krankheit und den Tod meiner Schwester eine Verzögerung erleiden mußte, nimmt morgen ihren Anfang. Ich fühle mich zu elend und ruhebe­dürftig, als daß ich noch länger auf sie Verzicht leisten könnte.

Ich hoffe aber, daß Sie, sehr geehrter Herr von

Tarenberg, eingedenk ihres damaligen Vorsatzes, Zeit finden werden, sich persönlich über die Tauglich­keit der Dame zu orientieren, wenn Fräulein Fiedler irgend welche ernsthafte Bedenken in den Briefen an Sie aussvrechen sollte. Erscheint ihr die Dame vor­läufig einigermaßen erträglich, so liegt meiner An­sicht nach kein Grund für sie vor, diese Reise zu unter­nehmen. Ich würde dann bei meiner Heimkehr, die in sechs Wochen erfolgen dürfte, Beobachtungen an­stellen, deren Resultat ich Ihnen seiner Zeit mit­teile.

Meine Adresse ist bis dahin: Salo am Gardasee, Pensionat Schiavroni. Ergebenst

Dr. Dunker.

Tarenberg stützte den Kopf in die Hand, nachdem er den Brief zusammengefaltet in die Helle Glut des Kaminfeuers geworfen hat. Noras lebte Zeilen waren bereits acht Tage in seinen Händen und bis zu der üblichen nächsten Nachricht würde noch eine eben so lange Zeit verstreichen müssen. Er glaubte nickt daran, daß sie ihn zu sich berief, selbst wenn die neue Hausgenossin im höchsten Grade ihr Mißfallen hatte. Dazu war sie zu bescheiden, aber auch zu stolz. Sie hatte in ihren letzten Briefen keine Frage mehr nach dem Zeitpunkt seines Wiederkommens getan. Sie wollte ihn sicher nicht zwingen, etwas auszuführen, wozu ihm nach ihrer Meinung das innere Bedürfnis fehlte.

Ob er einfach, ohne auf den Rat des Sanitäts­rates zu hören, erneuten Urlaub nahm und zu ihr fuhr?

Wie verängstigt und erschreckt sie durch die Nähe des Todes sein mochte! War es nicht seine Pflicht,

zu ihr zu eilen und ihre Seele mit zartem Trostwort wieder ins Gleichgewicht zu bringen? Freilich lagen ernste Bedenken gegen die Wiederholung eines Urlaubsgesuches vor. Er hatte bereits in diesem Jahre viel öfter als die andern fern sein müssen und durfte sich nicht wundern, wenn man ihn abschläg- lich mit seiner Bitte beschied. Aber versuchen wollte er es trotzdem.

Als das bei ihm feststand und er bereits die Feder zu einem Brief an die Schwester in der Hand hielt, ging die Klingel. Leutnant von Wachen­husens Helle, übermütige Stimme klang auf dem Korridor.

»Ist Ihr Herr Gebieter wieder im Lande, Stü- mecke?" fragte er den grinsenden Schlesier, der mit heimlichem Ingrimm die von den verdammten Zivi­listen in Hohen-Litzen seiner Meinung nach total versauten Sachen seines Leutnants wieder in Ord­nung zu bringen versuchte.

Zu Befehl, Herr Leutnant!"

Na, dann freien Weg! Anzumelden brauchen Sie mich nicht, mein Sohn," damit legte er ab und hing die Mütze an den Haken.

,/n Tag, Alterchen, wie geht Dirs? Ich habe alles im Stich gelassen, um Dich in Deiner neuen Würde, als abgebrannter Großgrundbesitzer, in Augenschein zu nehmen," sagte er einen Augenblick später und hielt Tarenbergs Rechte fest in der seinen.

Dann hörte er ihm aufmerksam zu. Das hübsche, lachende Gesicht trug in dem Augenblick, als er von dem Tod der Ziemermädelchen hörte, einen nach­denklichen, ernsten Ausdruck.

(Fortsetzung im Zweiten Blatt.)