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Fernsprecher Nr. 11
Gegründet 1877
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Reklamen 15 Pfg. die Textzeile.
Unparteiische Tageszeitung und Anzeigeblatt, verbreitet in den Gberamtsbezirken Nagold, Freudenstadt, Lalw u. Neuenbürg.
Sk. ISS.
Ausgabeort Altensteig-Stadt.
DienStag, den S8. Mai
Amtsblatt für Pfalzgrafenmeiler.
1908.
Wir beginne« heute
mit der sehr inhaltsreichen und äußerst spannenden Erzählung
„An treuer Hut"
von C. Borges
worauf wir unsere Leser ganz besonders aufmerksam machen.
Wir hoffen mit dieser neu erworbenen wechselvollen Erzählung den ungeteilten Beifall unserer geehrten Leser und Leserinnen zu finden.
Mulay) der Sieger.
- Ein eigenartiges Schicksal will es, daß sich wenige Tage nach der Abweisung der Hafidischen Gesandtschaft in Berlin das erfüllt, was die Abgesandten Mulay Hafids im Berliner Auswärtigen Amte beteuerten: Abdul Asis ist ein Schattenherrscher, Wachs i« den Händen der Franzosen und sein Bruder Mulay Hafid ist Herrscher über Marokko. Das Blatt hat sich gewendet und den Franzosen wurde ein dicker Strich durch ihre komplizierte Rechnung gemacht. Mulay Hafid steht vor den Toren der Hauptstadt und erfüllt nur noch religiöse Vorschriften, ehe er dm Boden von Fes betritt. Drinnen aber in der Stadt herrscht ungeheuerer Jubel, die Häuser werden frisch getüncht, die Straßen festlich geschmückt, denn — der Sultan zieht nicht ein. Nicht der, der es auf den Rat der verhaßten Franzosen feig verlassen hat, der wegen Hochverrat von seinem Volke abgesetzte Sultan Abdul Asis, sondern der Sultan der Macht, der Herrscher, dem alle Herzen in Begeisterung entgegenschlagen, Mulay Hafid. Noch einmal stellte Abdul Asis, wie einst die Russen vor Moskau, im Angesicht der Minarets von Fes seinem Bruder eine starke Mahalla entgegen. Zu spät! Sie wurde eingeschlossen und muß nun ohnmächtig zusehen, wie sich Mulay Hafid zum Einzug in Fes rüstet. Hat er erst in der großen Moschee den Eid geleistet, dann kann niemand mehr zweifeln, daß sein schwacher Bruder keinen Einfluß mehr besitzt.
In Frankreich beginnt es in Anbetracht der gegenwärtigen Lage zu dämmern, man sieht ein, daß mit Abdul Asis nun nichts mehr anzufangen ist und es hat fast den Anschein, als wollte man sich jetzt langsam aus der selbst geknüpften Schlinge ziehen und den nun wertlosen Verbündeten im Stich zu lassen. Es verlautet bereits, die französische Regierung werde unter dem Druck der Verhältnisse bald nicht mehr umhin können, Mulay Hafid als Sultan von Marokko anzuerkennen. Das wäre eine schwere Blamage für Frankreich, das sich bis jetzt darauf fußte, es müßte in Ausführung der Algecirasakte die Souveränität des Sultans Abdul Asis aufrecht erhalten. Darum wickelte es den Ohnmächtigen, um ein Bild zu gebrauchen, um den Finger und brachte ihn so in den französischen Bannkreis, daß er bald nicht mehr ein und aus wußte und wie die Fliege im Spinnennetz zappelte. Als er aber gar, von den Franzosen inspiriert, den Antrag bei den maßgebenden Stellen, den Ulemas, stellte, die Truppen Mulay Hafids mit Hilfe der christlichen Franzosen bekämpfen zu dürfen, wurde er als Verräter ge- brgndmarkt und des Thrones für verlustig erklärt.
Nun hat man die Bescherung. In Berlin, London und Paris fanden die Worte der hafidischen Gesandten nur ein Mitleidslächeln, jetzt setzt man am Seinestrand ein anderes Lächeln auf. In dem Augenblick, da Frankreich sich von seinem Menteuer in Marokko kuriert fühlt, kann man sicher sein, daß dann, endlich in der nordwest- nchen Ecke von Afrika Ruhe und Ordnung einkehren wird. Rur fragt es sich, ob Frankreich einen solchen Schritt wagen kann, wenn es an die unverzinsten Opfer an Gut und an noch mehr Blut denkt. Die Volksseele wird kochen, mcht wegen der Aufgabe der Marokkohoffnungen, sondern weck man seine Söhne nutzlos im Heißen Wüstensand ^eopsnt hat. Doch diese Bedenken müssen jetzt in Anbetracht der veränderten Sachlage in den Hintergrund treten. Es gilt den Ehrenschild der „Grande Nation" remzuwaschen von dem Verdacht, sie habe in Marokko wdralich eine Jnteresseypolitik auf eigene Faust getrieben. Waß es so ist, wird ja kein Mensch bezweifeln, aber man kann ja so tun. . . Jedenfalls aber kann gehofft werden, daß durch das siegreiche Auftreten Mulay Hafids der unselige Marokkorummel bald ein Ende hat.
Tagespolitik.
Die Veröffentlichung der Reichsfinanzreform soll nach Möglichkeit beschleunigt werden, damit die Ungewißheit und Beunruhigung, die neue Steuerpläne immer mit sich bringen, ein Ende gewinnen. Bald nach Pfingsten sollen Besprechungen mit den Führern der Reichstagsparteien und andern Vertrauenspersonen der Regierungen stattfinden. Das Ergebnis dieser Besprechungen soll dann die Finanzreformvorlage bilden, die veröffentlicht werden wird, sobald ihre Ausarbeitung vollendet ist.
Gehaltsrefor m. Die Entwürfe betreffend die Gehaltsrejvrm der Reichsbeamten, die Gehaltsaufbesserung der preußischen Beamten, die Neuregelung des Wohnungsgeldzuschusses und der Service und die Beseitigung des Steuerprivilegs sind laut „Tgl. Rdsch." vom Reichs- schatzamt und dem Finanzministerium so weit fertig gestellt, daß einschneidende Aenderungen kaum noch Platz greisen werden. Für Reichszwecke verlangen die Ent- 76i/z Millionen, für preußische Beamten etwa 160 Millionen. Die Entwürfe werden nicht veröffentlicht werden, dem Bundesrat gehen sie erst im Herbst zu, wenn die Entwürfe betreffend die Finanz- und Steuerreform ^^b^estellt sind. Die Besoldungsvorlagen für Heer und Marine sieht die Gehälterausbesserung aller Offiziere vom Hauptmann abwärts und der mittleren und unteren Mrlitärbeamten vor. Außerdem find 3 Millionen ausgeworfen zur Beschaffung von Putzzeug an die Mannschaften von Reichs wegen. Vorschläge betreffs Erhöhung der Löhnung für Unteroffiziere und Mannschaften enthält der Entwurf nicht, es wird aber erwogen werden, ob man den Wünschen des Reichstags in dieser Hinsicht im Etat Nachkommen kann. '
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Du e A r b e i t e r v e r s i ch e r u n g s r e f o r m soll, bevor sie ihre endgültige Gestalt erhält, nicht bloß den Bundesregierungen, sondern auch den beteiligten Kreisen zur Begutachtung unterbreitet werden. So soll am 11. Juni zur Klärung der Frage, wie künftig das Verhältnis zwischen den Krankenkassen und den Aerzten gestaltet werden soll, eine Besprechung im Reichsamt des Innern stattfinden. Einladungen zu dieser Besprechung ergehen an verschiedene Gruppen einerseits der Aerzteschaft (Befürworter der freien Aerztewahl und solche des Kassenarztsystems), andererseits der Kassenverwaltungen, sowie an einige andere er« fahrene Männer der Wissenschaft und der Praxis.
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Unsere Kriegsmarine konnte am Samstag voriger Woche ihren 60. Geburtstag seiern. Am 23. Mai 1848 erließ Friedrich Wilhelm IV. den Befehl zum Bau von 18 Kanonenbooten und Kanonenschaluppen mit je 2 schweren Geschützen. — Kurz vorher hatte sich unter dem Protektorat des Prinzen Adalbert von Preußen, der nach dem Ausbruch der Feindseligkeiten mit Dänemark Deutschlands Schwäche zur See erkannte und mit ganzer Krast für eine Flotte eintrat, in Stettin, Stralsund und Greifswald einen Ausschuß »gebildet, der für das von der Regierung beabsichtigte Werk Geldmittel sammelte. Am 10. August lief das erste Kanonenboot „Strela-Sund" vom Stapel und im Herbst 1848 war nach Heranziehung der Segelkorvette „Amazone" und eines Hilfskreuzers die erste Flotille seebereit.
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Eine internationale Vereinigung für Krebsforschung ist in Berlin gegründet worden. Die neue Vereinigung bezweckt den gemeinsamen Kampf gegen die Krebskrankheit, der die Aerzt- und Forscher aller Länder seit einer Reihe von Jahren beschäftigt. An der Vereinigung sind Vertreter von 13 Staaten, darunter Deutschland, Oesterreich-Ungarn, Frankreich, Rußland, Amerika und Japan, beteiligt. Ter Anschluß weiterer Staaten ist zu erwarten.
Der Harden-Prozeß erlebt eine Neuauflage, denn das Reichsgericht hat das auf 4 Monate Gefängnis lautende Urteil aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen. Zweifellos ein Erfolg für Harden, wenn auch das höchste deutsche Gericht nicht soweit gegangen ist, wie Hardens Verteidiger es wünschte: Freisprechung Hardens, eventuell Zurückverweisung an das erste Berliner Gericht, das Harden freigesprochen hat. Das Reichsgericht hat also, nach früheren ähnlichen Vorgängen, das
zweite, neue Verfahren, das die Staatsanwaltschaft einleitete, als zu Recht bestehend anerkannt. Es hielt aber auch verschiedene in der Revisionsbegründung vorgebrachte Rügen gegen das zweite Urteil für berechtigt und hat letzteres infolgedessen aufgehoben. Der Reichsanwalt operierte in geschickter Weise; als er das Ergebnis der zweitägigen Verhandlung vorauszusehen glaubte, stellte er selbst den Antrag, auf Grund seiner Rügen die Aufhebung des Urteils und die Verweisung an die Vorinstanz zu beschließen. Auf die langen juristischen Auseinandersetzungen zwischen dem Reichsanwalt und dem Verteidiger wollen wir nicht eingehen. Interessant ist, daß der Reichsanwalt darauf aufmerksam machen ksnnte, daß die Verteidigung einen offenbaren Rechtsirrtum des Vorderrichters nicht gerügt hat: Harden ist für ein und dasselbe Vergehen nach zwei verschiedenen Paragraphen bestraft worden. Ter Reichsanwalt meinte aber, auf die Strafbemessung habe das keinen Einfluß gehabt. Die Verteidigung rügte u. a., daß das Urteil von dem Verdacht der Sensationslüsternheit als Straferschwerung spricht. Es gibt jedoch, sagte Dr. Bernstein, keine Verdachtsstrafe, und deshalb ist die Begründung im Urteil unzulässig. Strittig war die Frage, ob das Vergehen der fortgesetzten strafbaren Handlung seitens Hardens vorliege. Vor der Urteilsverkündung ergriff Harden selbst das Wort, und während seiner Rede entlud sich ein Gewitter, so daß Blitz und Donner sie begleiteten. Er stellte sich wieder als den uneigennützigen Vaterlandsfreund hin, der im Interesse des Reiches gehandelt habe. Auch habe er nicht Beleidigungen, sondern nur Warnungen aussprechen wollen. Harden wurde von dem sehr zahlreich erschienenen Publikum gefeiert. Man ließ ihn hochleben und schüttelte ihm die Hand. Zur Ausrechterhaltung der Ordnung hatten Schutzleute aufgeboten werden müssen. Darüber, wie das neue Urteil des Berliner Gerichts ausfallen wird, können natürlich nur Mutmaßungen bestehen.
Der neue Dreibund. „Es ist erreicht", ein talentvoller Berliner Haarkünstler prägte diesen Satz zum Motto einer neuen Barttracht; König Eduard, der geniale Staatskünstler, kann es unter seine jüngste Leistung setzen. Der neue Dreibund wird bei den bevorstehenden Begegnungen der Staatsoberhäupter Englands, Frankreichs und Rußlands sein Geburtsfest feiern. Welchen Namen man dem Bunde geben wird, tut nichts zur Sache. Man braucht es nicht gerade den neuen Dreibund, man kann es auch die Entente der drei Großmächte, oder sonstwie nennen. Name ist Schall und Rauch. Eures nur müßten wir uns verbitten, daß sich die neue Vereinigung als Friedensbund aufspielte gegen den alten Dreibund, als Schutzbündnis gegenüber dem Trutzbündnis Deutschlands, Oesterreich-Ungarns und Italiens. Denn das wäre eine Geschichtsfälschung sonder gleichen. Der alte und bewährte Dreibund hat sich seit einem Vierteljahrhundert als der Friedenshort in Europa bewiesen. Diesen Ehrentitel kann ihm niemand rauben, das Verdienst des Dreibundes um die Friedenserhaltung kann niemand verkleinern wollen. Diese Anerkennung müssen wir fordern, wie wir andererseits auch gerne glauben und hoffen wollen, daß auch der neue Dreibund friedliche Ziele zu verfolgen gewillt ist. Freilich ein Staatenbund, in dem England sich befindet, wird erst Proben seiner Friedfertigkeit ablegen müssen, ehe er wirklich Vertrauen beanspruchen kann. Soviel erscheint auch sicher, daß König Eduard die Annäherung an Rußland, die doch zweifellos auch ihre bedenklichen Seiten hat, und keineswegs die einhellige Zustimmung des englischen Volkes findet, unterlassen hätte, wenn er nicht von ihr eine Stärkung des politischen Einflusses Englands auf dem europäischen Kontinent erwartete.
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Zur Frage der deutsch-französischen Annäherung äußerte sich der frühere langjährige Vortragende Rat im Auswärtigen Amte v. Holstein einem Vertreter des Pariser „Matin" gegenüber, daß er dahin gehende Versuche als nützlich betrachte. — Herr v. Holstein führte im einzelnen aus: Was den Besuch der französischen Studenten anlangt, so glaube ich allerdings nicht, daß derartige Demonstrationen für die Gestaltung der beiderseitigen Beziehungen ersprießlich sind. Man muß vor allem damit beginnen, die Gegenseitigkeitsfrage zwischen beiden Ländern zu regeln. Das deutsche Volk wird mit aller Energie alle Vorschläge auf Abänderung des Frankfurter Friedensvertrages ablehnen, und die überwiegende Mehrheit der deutschen Nation, welche