Gegründet

1877.

KrscHeirrt täglich mit Ausnahme der Sonn- und Festtage.

Bezugspreis für das Vierteljahr im Bezirk und Nachbarortsverkehr Mk. 1.28

außerhalb Mk. 1.35.

AMb lalt für

UttenML.A

mudAitterhaltungsblatt

Fernsprecher Nr. 11.

Anzeigenpreis bei emmaltgrr Ein­rückung 10 Psg. die einspaltige Zeile; bei Wiederholungen entsprechender Rabat t.

Reklamen 15 Pfg. die Textzeile.

Unparteiische Tageszeitung und Anzeigeblatt, verbreitet in den Vberamtsbezirken Nagold, Freudenstadt, Talw u. Neuenbürg.

Nr. 170.

Ausgabeort Altensteig-Stadt.

Donnerstag, de« 17. Oktober

Amtsblatt für Pfalzgrafenweiler.

1907.

GinEuropäischer Bund."

Tie Zeitungen veröffentlichen eine umfangreiche Denk­schrift, die Sir Me Wächter, ein naturalisierter Deutscher und einer der Führer der englischen Handelswelt, allen europäi­schen Staatsoberhäuptern unterbreitet hat. Diese Denkschrift tritt für den Plan eines europäischen Bundes ein zur Ab­schaffung der Kriegsrüstungen, sowie der Beschränkungen des Handels durch die Zölle. Wächter glaubt das durch die Er­richtung eines gemeinschaftlichen Ministeriums für Auswär­tige Angelegenheiten und einen gemeinschaftlichen europäischen Zolltarif erreichen zu können und will seinen Plan mit vielen hervorragenden Staatsmännern und verschiedenen Herrschern besprochen haben. Er appelliert an die Presse, um eine inter­nationale Liga zugunsten des erwähnten Staatenbundes zu bilden. Die Blätter äußern sich zu dieser Angelegenheit sehr sympathisch, sehen aber in dem Gedanken mehr einen schönen Traum, als einen praktisch durchführbaren Plan.

Wächter schildert die augenblickliche Lage Europas folgendermaßen:

1. Die verschiedenen Länder bewaffnen sich gegeneinander; betrachten sich gegenseitig mit Argwohn und Mißtrauen und liegen auf der Lauer, ihren Nachbarn irgend einen Vorteil abzuringen. Mehr als 5000 Millionen Mark gibt Europa jährlich für seine Armeeil und Flotten aus; von Jahr zu Jahr drohen diese ungeheuren Aufwen­dungen sich zu steigern; dazu kommen die Kosten der Festungen in den verschiedenen Ländern und der furcht­bare Verlust, welchen die europäischen Staaten dadurch erleiden, daß sie fortwährend vier Millionen Männer in ihrem bestell Alter der produktiveil Arbeit entziehen.

2. Die erdrückenden Auslagen, welche notwendig sind, diese Rüstungen aufrecht zu erhalten, haben allgemeine Un­zufriedenheit erzeugt und den Sozialismus und andere Umsturzbestrebungen, welche die bestehende Kultur und Gelellschaft zu vernichten drohen, hervorgerufen.

3. Der Unternehmungsgeist wird durch die beständige Furcht vor einem Kriege, welcher jederzeit, möglicherweise binnen wenigen Stunden, ausbrechen kann, gelähmt.

4. Jedes Land hat seinen eigenen Zolltarif, welcher eine Schranke gegen die Nachbarn bildet; ein System, wel­ches schon sehr ernste und kostspielige Zollkriege veran­laßt hat.

5. Die Raffenunterschiede sind in Europa über Gebühr betont, während in Amerika die Völker aller Rassen sich mehr oder weniger schon in einer Generation verschmelzen.

Wohin wird dies uns führen?

Soiveit menschliches Urteil reicht, kann es nur ein Re­sultat haben: einen europäischen Krieg, eine Katastrophe, welche in Anbetracht der jetzigen Vervollkommnung der Zer­störungsmittel niemand ohne Grausen ins Auge fassen kann. Solch ein Krieg würde den Besiegten völlig zerschmettern, den Sieger derart erschöpft zurücklaffen, daß jede fremde Macht leicht dem gesamten Europa ihren Willen auszwingen könnte.

Gibt es aber ein Heilmittel gegen diesen Zustand?

Ich behaupte, es gibt nur ein einziges Mittel, welches geeignet ist, bei dieser verwickelten Lage Hilfe zu bringen und für die Dauer Sicherheit zu bieten. Das ist einEuro­päischer Bund."

Wächter führt nun aus, wie er sich durch Appell an die Fürsten die Gründung dieses Bundes denkt, und schildert die gewaltigen Vorteile, die derselbe haben müßte.

Tagespolitik.

Die Sozialdemokratie veranstaltete Montag abend im Stuttgarter Ge werkschafts Haus eine Parteiversammlung. Es wurde dabei, nach dem Bericht derSchwäb. Tagwacht" eine Erklärung angenommen, die in dem Prozeß und dem Urteil gegen Dr. Liebknecht einenneuen Akt der Klassenjustiz er­blickt, dazu bestimmt, die auf den kulturwidrigen Militaris­mus sich stützende Herrschaft der besitzenden Klasse über die millionenköpfige Masse des arbeitenden Volkes zu festigen." Für die Sozialdemokratie, so heißt es u. a., in der Er­klärung weiter, sei dieser Prozeß ein neuer Ansporn, den Kampf gegen die Herrschaft der besitzenden Klasse und ihr Werkzeug, den Militarismus, mit rücksichtsloser Energie sortzusetzen.

Einoffener Brief" an den König von Sachsen wird in derDresdener Rundschau" veröffent­licht, worin einkleiner Mann, aber überzeugter Patriot"

den König bittet, 'zur evangelisch-lutherischen Kirche überzutreten, damit er eine neue Ehe eingehen könne. In dem eigenartigen Schriftstück heißt es:

Die Frau, die Ew. Majestät vor Gottes Angesicht Liebe und Treue schwur, ist nun die Gattin eines anderen geworden. Da müssen auch alle anderen Schranken fallen können, die bis jetzt bestanden haben. Das ganze Land ruft nach einer L a nd e s m utte r, es will wieder eine L a n d e s m utt e r! Will der Papst die Ehe, die bereits vom Gericht geschieden ist, nicht auch trennen, nun, großmächtigster Landesvater, dann bringen Sie Ihrem Lande, dem von ihnen geführten Volke, das mit jeder Faser des Herzens an Ihnen hängt, das Opfer, was es schon von einem jeden Fürsten hoffte: Treten Sie zu der evangelisch­lutherischen Landeskirche über! Dann steht Ihnen kein Hindernis entgegen, um uns eine Landesmutter zu geben."

Die Gestaltung derDinge im Ruhrgebiet, wo die Vertreter der Bergleute soeben das neue Knappschafts­statut abgelehnt haben, ist noch nicht abzusehen. Das Schlimmste, ein Ausstand, dürfte, wenn überhaupt, so bald nicht eintreten. Angesichts unserer ganzen Wirtschaftslage und nach früheren Erfahrungen wäre er ein sehr gewagtes Unternehmen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird man sich trotz augenblicklicher Erregung, abwartend verhalten.

lieber den Baumwollbau in Deutsch- Ost asrika sind ungünstige Nachrichten verbreitet worden; das kolonialwirtschastliche Komitee sollte den Rat erteilt haben, die Baumwollpslanzungen in Sadani eingehen zu lassen. Demgegenüber erklärt das Komitee, daß dies unzu­treffend ist. Hinzugefügt wird noch: Sellens des kolonial- wirtschaftlichen Komitees ist immer wieder betont worden, daß die Einführung des Baumwollbaues aussichtsvoll ist, aber jahrelanger zäher und ernster Arbeit bedarf. Das Komitee hat stets vor Optimismus, aber auch vor Pessimismus gewarnt.

Der französische K r i e g s m i nist er P i c q u art hat 4 serbischen Offizieren, die mit anderen Kame­raden von der französischen Regierung die Erlaubnis zum Eintritt in die französische Armee bereits erhalten hatten, die Ausnahme in das fr anz ös is ch e H e er v erw e igert, weil sich herausgestellt hatte, daß sie am Königsmord beteiligt waren.

* *

Eine Pr o t e stku n d g e b u n g gegen Rosa L u - x emburg veranstaltete der j ü d i s ch - s o z i a li sti s ch e Arbeiterbund in Rnssisch - Polen in verschiedenen Städten. Rosa Luxemburg wurde aufs schärfste angegriffen und beschuldigt, sich eigenmächtig zurOberkontrolleurin" der polnisch-jüdischen Arbeiterbewegung aufgeworfen zu haben und hiedurch durch ihre ungebetene Einmischung diese Be­wegung nur geschädigt zu haben.Möge Rosa Luxemburg", so heißt es in der Protestresolution,wenn sie Lust habe, künftig die Zionisten mit ihrer Führerschaft beglücken, wenn sie nur die polnischen Sozialisten und Bundisten in Ruhe läßt . ." Die Resolution wurde angenommen, nach­dem einer der Diskussionsredner so ungalant gewesen war, Rosa Luxemburg als einübergeschnapptes, hysterisches Frauenzimmer" zu bezeichnen.

Landesnachrichten.

Akkensteig, 16. Oktober.

' Verjährung von Forderungen. Am 31. Dezember verjähren die meisten Forderungen, welche im Jahre 1905 entstanden sind. Ta die bei den Gerichten gegen Jahres­schluß vermehrte Geschäftslast die rechtzeitige Erledigung der in den letzten Tagen des Jahres eingereichten Anträge zweifel­haft macht, empfiehlt es sich, derartige Forderungen in Bälde geltend zu machen.

js Dornstetten O.-A. Freudenstadt, 15. Oktober. Im hiesigen Postschalter wurden aus einem Stück Karton folgen­de Zeilen entdeckt:Liebe liebe Mama! Hohl mich bald; ich bin brav. Amen." Die Zeilen rühren wahrscheinlich von einem hier zu Besuch weilenden Kinde her. Vielleicht trägt ihre Veröffentlichung dazu bei, dieliebe Mama" aus den Wunsch des kleinen Wichts, der ihm wohl vom Heimweh diktiert wurde, aufmerksam zu machen.

Freudenstadt, 14. Oktober. Gestern abend starb hier nach kurzer Krankheit alt Dreikönigwirt Finkbeiner, eine der volkstümlichsten Persönlichkeiten der Stadt, im 73. Lebens­

jahr. Ein Mannvom alten Schlag" war er lange Jahre Mitglied der bürgerlichen Kollegien und hat auch als uner­müdlicher Geschäftsmann seine Brauerei sehr in die Höhe gebracht. (N. T.)

* Calw, 13. Oktober. Unter außerordentlicher Beteilig­ung von hier und auswärts fand heute die Einweihung des E rh o lu n g s h a ns e s, sowie des Betsaales der Blank-Stürnerschen Gemeinschaft, eines Ablegers der China- Jnlandmission, statt. Als Redner traten verschiedene hiesige und auswärtige Evangelisten auf, darunter der Begründer der Zeltmission, Evang. Vetter. Beide Häuser stehen im Teuchelweg, in unmittelbarer Nähe des Waldes, und sind für ihre Zwecke, besonders für Erholungsbedürftige aufs schönste und angenehmste eingerichtet.

* Calw, 14. Oktober. Die Bäckerinnung läßt einen P r eis a ufsch la g beim Brot eintreten: 4 Pfund Weißbrot kosten 58 Pfg., 4 Pfund Schwarzbrot 52 Pfg. Die Innung erklärt weiter, daß sie wegen der fortwährenden Steigerung der Mehlpreise keinen Rabatt mehr gewähren könne. Ebenso erlassen die Konditoren eine Bekanntmachung, daß sie infolge der Preissteigerung sämtlicher Rohmaterialien auf sämtliche Backwaren keinen Rabatt mehr geben, um in bekannter Größe und Güte weiter liefern zu können.

js Aus dem Bezirk Calw, 15. Oktober. Die Obsternte fiel im Bezirk ganz ungleich aus. Während die Wald­orte ihren Bedarf an Most- und Tafelobst von den eigenen Bäumen decken können, müssen die Bewohner der Gäuseite ausländisches Obst kaufen, das gegenwärtig auf den verschie­denen Stationen zum Preis von 5.70 bis 7 Mk. per Ztr. vermögen wird.

* Herrenberg, 14. Olt. Der genossenschaftlichen Elektrizitätsanlage haben sich jetzt 54 Gemeinden in 7 Oberamtsbezirken angeschlossen und täglich mehrt sich die Zahl der Teilnehmer. Die elektrische Anlage umfaßt den ganzen Bezirk Herrenberg, sodann aus dem Oberamt Böb­lingen 12, aus dem O.-A. Tübingen 8, aus dem O.-A. Rottenburg 3, aus den: Oberamt Calw 2 und ' aus dem O.-A. Nagold und Reutlingen je 1 Gemeinde.

js Rottweil, 15. Oktober. Der Schlosser Haaga, der in Flözlingen zwei Einbruchsdiebstähle verübte, wobei ihm 5 000 bezw. 200 Mk. in die Hände fielen, wurde nach seiner Ergreifung in Hemmingen O.-A. Leonberg gestern ins hiesige Gerichtsgefängnis eingeliesert; es wurden ca. 1000 Mk. bei ihm gesunden. Vor dem Untersuchungs­richter gab er an, er habe den fehlenden Betrag im Walde versteckt. Er wurde alsdann an den von ihm bezeichneten Ort geführt und richtig fanden sich dort etwa 3 000 M k. in Silber versteckt vor.

! Schwenningen, 15. Oktober. Auffallend sind die sich häufenden Konkurse in der Schuhbranche in unserer Gegend. Seit Verlauf von etwa 1 Jahr sind an hies. Platze nicht weniger als drei zum Teil für die Gläubiger sehr verlust­reiche Konkurse von Schuhfabriken zu verzeichnen, nun kommt neuerdings im benachbarten Deißlingen der Konkurs der Schuhfabrik Wärthner dazu. Der Inhaber dieser Firma hat auch die Gewerbebank Deißlingen geschädigt; der Verlust kann durch den Reservefonds größtenteils gedeckt werden.

ss Reutlingen, 15. Oktober. In vergangener Nacht wurde iu einem Hause der Ottilienstraße eine nach Hause kommende Kellnerin beim Oeffnen ihrer Haustüre von einem jungen Manne angefallen. Er wollte das Mädchen knebeln, wurde aber durch die Hilferufe der Angegriffenen verscheucht.

js Reutlingen, 15. Oktober. Bei der Bestellung von Gütern brach an dem Wagen des Fahrknechts Christian Württembergs von der Speditionsfirma C. Hasenauer in der äußeren Lindachstraße gestern nachmittag ein Rad. Württemberger wollte nun eine auf dem Wagen befindliche schwere Kiste, welche ins Rutschen geraten war, halten, was ihm jedoch nicht gelang. Die Kiste stürzte herab und schlug ihm den einen Oberschenkel ab, während er am anderen Bein ziemliche Quetschungen erlitt. Ter Verunglückte wurde ins Bezirkskrankenhaus verbracht.

js Stuttgart, 15. Oktober. (Strafkammer.) Die Reform des Strafgesetzes wurde durch eine Verhandlung wieder aufs neue beleuchtet. Eine Frau, die einer Hausbewohnerin Kohlen im Werte von 20 Pfennig entwendete, einmal unter Anwendung eines falschen Schlüssels, wurde wegen schweren und einfachen Diebstahls zu drei Monaten ein Tag Gefängnis verurteilt, bei der gesetzlichen Mindeststrase von drei Monaten Gefängnis für schweren Diebstahl. Das Gericht bedeutete der Ange­klagten, daß es ein Begnadigungsgesuch befürworten werde.

i

i