Semstzttch«

«r. 11.

Hegräv^k

1877.

Urschrint Dienstag, LormerSt., Samstag und Sonntag «it der wöch. Beilage »Der Sonntags- Gast".

VestellpreiS für daS Vierteljahr im Bezirk

«. RachbarortSverkehr M. 1.18,

außerhalb Mk. 1L5-

<ÄttenMq.M

Amtsblatt für

Zugleich Amts- ,«d Auzkizeßlatt für Ffchgrilftmeiler.

Einrückung? - Gebühr bei einmaliger Ein­rückung 10 Pfg. die einspaltige Zeile oder deren Raum; bei Wiederholungen entsprechender Rabatt.

Für Anzeigen mit Auskunftserteilung oder Offertenannahme werden dem Austrag­geber 20 Pfg. berechnet

Wr.

17 .

Man abonniert c uswürts auf dieses Blatt bei den K. Postämtern und Postboten.

Dienstag, den 29. Januar

Bekanntmachungen aller Art finden die er­folgreichste Verbreitung.

1907

«

Dir Rechnung hat doch gestimmt!

I Neriin, 27. Januar. l

Der charakteristische Zug des Wahlresultats, die Be- , einträchtiglmg der Sozialdemokratie, hat Viele überrascht, s Aber wer die Stimmung der Bevölkerung außerhalb Ber- ? lins, wo die Parteileitung des Herrn Bebel dominiert, ge- ! vauer beobachtet hatte, der hatte keinen Zweifel, daß gegen z den Umschwung innerhalb weiter Bolttkreise auch die > schärfste radikale Agitation nichts ausrichten würde. Boa r der schweren Teuerung, die an der Spree heute herrscht, empfindet mauin der Provinz"' sehr viel weniger, die s Lage der Arbeiter hat sich soviel besser gestaltet, daß der Hinweis auf das .Elend and die Not", die überall herrschen sollen, nichts mehr fruchtet. Die sozialistischen Führer haben die Verhältnisse im ganzen deutschen Reiche durch ! dir .Berliner Brille" angeschaut, sie haben die schon früher gemachten Erfahrungen vergessen, daß die breiten Volks- > kreise gegen die Berliner sozialistische Weisheit eine große ! Abneigung habe», und so ist denn der Wahlausfall ein ! erheblich anderer geworden, als in fiegesgewissen Aeuße- ruugen der OppofitiooS-Leiter vom 13. Dezember erwartet « worden war. Man mag die Dinge hin- und herweudeo, wie man will, es bleibt dabei, .draußen m Reich" haben die großen Volksmassru dem Aufruf der Herrn Bebel und seiner Freunde zum starken Teil die Heeresfolge versagt.

Eine weitere, starke Täuschung war die, daß mau im ? sozialdemokratischen Lager annahm, den Wählern sei die ! Kolonialfache, der Stand und die Lage unserer südwest- deutschen SchutztmPPe gleichgültig. Das ist wiederum viel­leicht bei den Berliner Genossen der Fall gewesen, außer­halb haben selbst die Arbeiter darüber ganz anders ge­sprochen. Die Tausende, die Kinder oder Anverwandte in Afrika als Soldaten haben oder gehabt habe», find die besten Agitatoren gegen die Sozialdemokratie gewrse», den Einfluß gerade dieser Männer haben die Kolonialgegurr bedeutend unterschätzt. Es braucht niemand ein Kolonial- i schwärm« zu sein, aber über daS, was er seinen Lands- ! leuten im Felde, vor dem Feind und sich selbst schuldig ist, ! läßt er sich denn doch keine Vorschriften machen. I» uns Deutschen steckt viel, sehr viel militärisches Blut und Hohr Kameradschaftlichkeit; hier ist der Punkt, wo der Spaß aufhört, und der volle und der ganze Ernst sein Recht ge­winnt. Namentlich die Behauptungen von den Grroeltateu deutscher Soldaten in dem Schutzgebiet, die sich in den sozialistischen Flugblättern und Zeitungen so oft fanden, find in den Provinzen der Partei bitter verargt. ES steckt in uns doch so viel Selbstbewußtsein, daß wir uuS mit solchen Dingen nicht vor dem Auslande blamieren lassen wollen, zumal wenn sie nicht zutreffend find.

Auch die Geschichten vom sogenannten .persönlichen Regiment" haben keinerlei Eindruck gemocht. Die Leute haben ja doch offene Augen und off me Ohre», sie wissen doch, was um fie herum vorgeht und wie sie sich selbst stehen. Der ewige Skandal und der nie endende Spektakel find den ruheliebendenProvivzlern" denn doch über ge­worden und das Kommandieren von Parteiwrgeu haben fie satt. Und daun kommt noch eins dazu, was außer­ordentlich ins Gewicht fällt. In Berlin und anderen Haupt- Plätzen der sozialdemokratischen Partei ist, wie nicht anders gesagt werden kann, der fioavzielle Opferwille der Partei­genossen sehr groß; außerhalb dieser Bezirke ist aber ein sehr praktischer Egoismus vorhanden, und die Leute sagen sich, wenn ich doch mal Geld ausgeben soll, dann gebe ich am liebsten für mein eigenes Wohlbefinden auS und nicht für Parteizwecke. Dem überzeugten Sozialisten wird eine solche Gesinnung gewiß unverständlich erscheinen, das hindert aber nicht, daß Tausende so denken, Tausende so handeln.

Kennzeichnend ist der Rückgang der sozialdemokratischen Stimmen in einer ganzen Reihe von Wahlkreisen. Bon der Zunahme der Wähler müßte die Partei des Hern Bebel naturgemäß am meisten profitieren, aber diese Zunahme ist im Verhältnis nicht eivgetreten. Daß ältere Sozialdemo, kraten sich.mausern", ist schon öfter und früher konstatiert, es ist aber diesmal zur Erklärung verschiedener Resultate gar nicht anders möglich, als auzunehme», daß «ine erheb­liche Zahl junger Leute nicht sozialistisch gewählt haben, von denen die Partei dieS als selbstverständlich avsah. Nebrrhaupt hat dir Erhöhung des geheime» Wahl-Cha­rakters durch Einführung der Briefumschläge für den Sozialismus nicht den erwarteten Nutzen gehabt.

Wenn diese tatsächlichen Ergebnisse deS Wahlkampfes zu registrieren find, daun soll aber Irin übermäßiges Tri-

FAX ^A^ FAX FAX >AX ^§5

Kur Februar uud März

nehmen sämtliche Postämter, Briefträger, Landpostboteu uud Agenturen

Bestellungen

auf die Zeitung

Ans -en Tannen"_

entgegen. Auf Wunsch wird neu eintretenden Abonnenten der Wandkalender uachgrliefert.

^A^ Fjx FAX FAX ^A^^A^^A^ FAX ^AX FA^

nmphlied angestimmt werde». Nichts wäre verhängnisvoller, als von einem Untergang der Partei zu reden. Es find immerhin 30 Kandidaten der Sozialdemokratie gewählt, und aus den Stichwahlen wird fie noch weitere Mandate gewinnen. Allerdings so stark, wie 1903 wird die äußerste Linke auch entfernt nicht werden, daran ist gar nicht zu denken ; die Stichwahlausfichteu find im Allgemeinen nicht günstig, und die in der Haoptwahl erlittene beträchtliche Schlappe wird in der Stichwahl ihre Wirkung üben, manchen Mitläufer zum Stillstand bringen. Aber daS Re­sultat ergibt so viel, daß nun endlich einmal klar bewiesen ist, daß die Zahl der wirklich festen sozialistischen Sitze weit geringer ist, als man bisher glaubte. Die Sozial­demokratie teilt das Schicksal aller Parteien ; für begangene Fehler und Nicht-Bersteheu-Wollen der Volksstimwuvg mvß fie ebenso büßen, wie jede. An Wahlagitation und Wahl­schlagworten hat fie es gewiß nicht fehlen lassen, geholfen haben fie nicht.

Die Wahlen find volkstümlich ausgefallen, daß fie cS find, darin ist zum nicht geringen Teil daS Verdienst- low's uud Drruburg's enthalten. Im Reichstage wird eS anders werden, wenn auch im Bestände der ZeutrumSpartei sich nicht viel geändert hat. Aber damit, daß diesmal antisozialdrmokratisch gewählt ist, ist es für die Zukunft nicht getan, wir müsse», wenn die jetzt gestreute Saat auf­gehen soll, auch eine wirklich volkstümliche Politik erhalten. Und daß darin noch ein ganzes Stück geleistet werden kann uud geleistet werden muß, daS werden auch die sagen, die man nicht als berufsmäßige Nörgler hinstelleu kann. Die Steuergesetzgebung von 1906 ist doch wirklich keineswegs einwandfrei gewesen, und so läßt sich noch manches Andere sage». Wir hoffen und wünschen, daß die verbündeten Regierungen nach den nun­mehr stottgehabteu Wahle» nicht Alles gut finden werden in Deutschland, sondern dahin wirken werden, daß AlleS gut komme.

Die Ernennung deS Herrn Deruburg zum Leiter der Kolonialverwaltung hat, wie schon bemerkt, zvm Erfolge bei den Wahlen nicht wenig beigetrage»; die kolonialfreund­liche Mebrheit, die erreicht werden sollte, ist errungen. Wir haben gesehen, wie eS auf de» rechten Mau» am rechten Platze aokommt, und nicht- Größeres können wir wünschen, als daß daS Glück, daS bei der Wahl Dernburg'S ob­waltete, auch für die Zukunft sich bewähre. Dann wird auch die Arbeit deS Reichstages ein anderes Gesicht be­kommen, wir werden vom vieleoRedeu zn großen Taten gelangen.

Die jetzt Unterlegenen werden auf den deutschen Michel schelte», aber daS macht nichts auS, er ist wirklich kein übler Kerl. Die Launen und den Eigensinn muß er sich, nachdem er nun schon einen guten Teil davon abgevöhut hat, ganz ablegev, daun wird, wenn er dann noch dir großen Dinge fest im Auge behält uud dem Firlefanz nicht mehr Ehre erweist, alS der verdient, auS ihm noch der Deutsche werden, de» unsere Zeit gebraucht. Unserem Kaiser ist mit dem Wablresnltat ein Geburtstagsgeschenk gemacht, wie er eS sich besser nicht wünschen konnte. Nun handelt eS sich darum, weiterzabaueu. Erst der Anfang ist gemacht, daS krönende Ende soll kommen!

Das Ergebnis der Reichstagswahl

ist eine über Erwarten starke N i e d e r l a g e der Sozial­demokratie, die allein in der Hanptwahl 20 ihrer bis­herigen Mandate verloren hat, und eine bedeutende Stärkung aller nationalen insonderheit auch der freisinnigen Parteien. Bei der Wahl vom 25 Jauuar hat daS deutsche Volk in glänzender Weise vor aller Welt bewiesen, daß es Kraft und nationales Gefühl genug besitzt, um den Druck der Sozialdemokratie von sich abznschüttelv, wenn es nur den ernsten Willen dazu hat. Mit Genugtuung erfüllt daS Wahlresultat tu erster Linie den Kaiser, die deutschen BundeS- fürsten und die Regierungen. Der Kaiser, der sich biS um Mitternacht des Wahltages alle eingehenden Telegramme sofort vorlegeu oder telephonisch übermitteln ließ, hatte für Leu Samstag früh 6 Uhr die Vorlegung der weiteren Wahl­ergebnisse befohlen. In den ersten Morgenstunden begab sich der Kaiser darauf zum Reichskanzler Fürsten Bülow, mit dem er längere Zeit konferierte, um ihm im Laufe deS Vormittags noch einen zweiten Besuch abzustatteu. Beide Male verließ der Monarch in augenscheinlich bester Laune daS KanzlerPalaiS.

Ein hoher RegiernugSbeamter äußerte: .Der Ausfall der Wahlen hat die Taktik der Re­gierung auf daS Glänzendste gerechtfertigt. Die Mehrheit ist für die Verbündeten Regierungen gesichert, wenn auch geringe Verschiebungen durch die Stichwahlen entstehen werden. Der Hauptersatz ist das Code der Schreckens­herrschaft der Sozialdemokratie; die Arbeiterkreise, die durch daS stete Anwachsen der sozialdemokratischen Stimmen dies« Partei wie unter einer Suggestion zuströmtev, scheinen zur Besinnung gekommen zu sein. Daß der Siegeslauf der Sozialdemokratie gebrochen, daS ist der große Erfolg der Wahlkampagne.""

Im neuen Reichstag wird daS Zentrum ungefähr in der alten Stärke «schrillen. ES besaß 104 Mandate und errang in der Hauptwahl schon 89, da es sich außer­dem noch 31 Mal in der Stichwahl befindet, so wird sein Besitzstand im Ganzen fast unverändert bleiben. Diese Tatsache ist überraschend genug, wenn man bedenkt, daß in 18 Wahlkreisen den offizielle ZevtrumSkandidaten nationale Katholiken gegeuüberstaudrü: wiedergewählt wurden alle die bekannten Zrutrumsabgeordorten, so Spahn, Roerev, Das­bach, Erzberger. Herold, Hompesch, Pichler, Schaedler, Müller-Fulds, Prinz Areuberg ; Roereu wurde mit größerer Mehrheit gewählt als bisher. Auch der Besitzstand der Konservativen hat sich nicht wesentlich verschoben, fie besaßen 52 Mandate uud haben 41 gleich im ersten Wahlgange gewonnen, da sie außerdem in 29 Wahlkreisen in der Stichwahl stehen, so können sie auf einen kleinen MaudatszuwachS rechnen. Dir deutsche Reich-Partei wird im neuen Reichstag einen, wenn auch nur gering­fügigen Gewinn erwarten können. Sie har 10 Mandate im ersten Wahl gange gewonnen uud steht 19 Mal in Stich- Wahl; im aufgelösten Reichstage zählte fie 22 Mitglieder. Ein MandatSzuwachS ist auch denRationalliberaleu gesichert, die im alten Reichstage 51 Sitze iuue hatten. Sie haben zwar in der Hauptwahl erst 20 Mandate er­obert, stehen aber nicht weniger als 58 Mal in der Stich­wahl. Hier find in der Mehrzahl der Fälle ihre Aus­sichten günstig. Die freisinnigen Parteien, die 1903 im ersten Wahlgavge keinen Sieg zu erringen ver­mochte», haben diesmal sofort 9 Sitze erobert und stehen in 50 Kreisen zur Stichwahl. Von diesen Stichwahlen haben sie eine ganze Reihe von Mandaten zu erwarten, so daß fie ihren alten 36 Mandate umfassenden Besitzstand Überholen werden. Verloren haben die Sozi al­be molrate u. Sie traten nach den Wahlen von 1903 mit 81 Mandaten in den Reichstag ein, von denen fie 57 gleich im ersten Wahlgauge gewonnen hatten, Jetzt haben sie 29 Mandate auf den ersten Anlauf gewonnen, also annähernd nur die Hälfte derer vor 3^/z Jahren, und sie dürfen sich von den Stichwahlen, in denen fie allerdings 92 Mal beteiligt find, nicht allzu viel versprechen. In Berlin siegte die Sozialdemokratie io 5 Wahlkreisen, um in dem ersten findet Stichwahl zwischen dem Freisinnige' Kämpf und dem Sozialisten ArouS statt, dafür find ih-« Niederlagen in der Provinz um so größer. Die Polen, die im vorigen Reichstage nur 16 Mandate besaßen, haben eS gleich im ersten Wahlgauge auf 18 gebracht und stehen außerdem noch 5 Mal in Stichwahl. Die vereinigten anti­semitischen Parteien: Deutsche Reformpartei uud wirtschaftliche Bereinigung besaßen 31 Mandate,