AenrsyreHer Nr. 11-

Erscheint Dienstag, Donnerst., Samstag und Sonntag mit der wöch. Beilage »Der Sonntags-

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1877.

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Nr. 1?5

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Dienstag» den 6. Wovernber

Bekanntmachungen aller Art finden die er­folgreichste Verbreitung.

1906

»

««tlich-S.

Für die ordentlichen Sitzungen der Schwurgerichte des IV. Quartals 1906 find zu Vorsitzenden ernannt worden: bei dem Schwurgericht in Tübingen der Laudgerichtsrat Dr. Kapff, bei dem Schwurgericht in Rottweil der Land­gerichtsrat Neuer.

Die ordentlichen SchwurgerichtSfitzungen des IV. Quar­tals werden in Tübingen am Montag, den 26. November d. I., vormittags 9 Uhr, io Rottweil am Montag, den 26. November d. I , vormittags 9^/z Uhr eröffnet.

Uebertragen wurde eine Schulstelle in Altensteig dem Schullehrer Bartholomäi in Götteljingen.

Tagespolitik.

Der deutsche R e i ch 8 t a g tritt am Dienstag wieder zusammen. Und das ist gut so. Dean was in den jüngsten Wochen über Angelegenheiten der inneren und äußeren Politik zurechtgrfabelt worden ist, das geht auf keine Kuh­haut. Die dadurch erzeugte Ungewißheit liegt weder im Interesse des Volkes noch der Regierung. Das Verlangen nach endlicher Klarheit und Sicherheit ist daher ebe so ge­rechtfertigt wir allgemein. Es ist aber vielleicht nicht wert­los, in einem kurzen Rückblick aus der Erscheinungen Flucht das H auptsächliche festzuhalten, das als besonders charakteri­stisch für die herrschende Stimmung kurz vor der Reichs- tagSrröffaung gelten kann.

Da ist zunächst festzustellev, daß die za den unwahr­scheinlichsten Voraussagen gesteigerten Kciseugerüchte als das Produkt der weit verbreiteten Mißstimmung über den Gang und die Ergebnisse unserer inneren Politik, bet vielen auch des Mißtrauens in die Leitung unserer äußeren Politik, be­zeichnet wurden. Mit der Frage, ob der Landwirtschafts- Minister von Podbielski gehen werde, wurde wiederholt die andere verknüpft, ob sich der Reichskanzler im Amte würde behaupten können. Ja Hofkreiseu erzählte mau, Kaiser Wilhelm habe den Laodwtrtschaftsmiuister bei seinem Ein­treffen in Romtnten zur Hofjagd mit den Worten bewill­kommnet:Na, Podchen, wrr beide bleiben, was?" Uad fast gleichzeitig wurde der »Franks. Ztg." von persönlichen Bekannten des LandwirtschaftsministerS berichtet, Herr von Podbielski sei für das Oderpräsidium tu Cassel in Aussicht genommen. Der dortige Oberpräsident von Wiudheim solle preußischer Minister deS Innern, und der jetzige Inhaber dieses Ressorts, v. Bethmaan-Hollweg, es wird nicht gesagt, aber man soll es wohl auuehmcv, Reichskanzler Werker. Auch Fürst Bülow wurde versorgt, indem ihm von den guten Leuten, die das Gras auch im Spätherbst wachsen hören kömev, der Stadthalterposteu iu Elsaß-Lothringen übertragen wurde.

Der Lösung der sachlichen Fragen, besonders der brennendsten über die Fleischnot, stand mau dagegen ziem­lich ratlos gegenüber. Die Stimmen derer, die behaupteten, die Regierung werde durch erweiterte Oiffauog der Grenzen und Herabsetzung der Zolltarife dem Uevel steuern, standen andre gegenüber, die die Anwendung derartig »großer Mittel" als ausgeschlossen bezeichneteu. Auch über die Maßnahmen zur Deckung der an der Durchführung der Reichsfinanz, reform noch fehlenden 25 Millionen Mark gingen die Meinungen auseinander. Die einen kündigten eine Mühlen- Umsatzsteuer, die anderen eine erhöhte Matsch bottichsteuer an, noch andere glaubten, daß diese beiden Steuerqaelleu noch nicht ausreicheu würden, um allen Aufgabe» gerecht zu werden, da insbesondere auch die Kosten für die Ümbewaff- nuug der Armee aus den Steuererträgeu gedeckt werden müßten. Die Ungewißheit dehnte sich aber auch auf Fragen der auswärtigen Politik aus, wie aus den immer wiederkehrenden Gerüchten über die Neubildung des Drei­kaiserbundes erhellte. Ueber alles das und noch vieles andere werden schon die ersten BerhaudlungStage der neuen Reichstagssesston Klarheit bringen müssen, deren Beginne man daher mit begreiflicher Spannung und Ungeduld ent- gegevfieht.

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Ernste Worte über die gegenwärtige politische Lage staden sich jetzt täglich in den Blättern der bürgerlichen und besonders der national gesinnten Presse. So lesen wir iu der Natoualztg.: Als der Landwirtschafts- Minister v. PodbielSki die altpreußische Tradition niederriß und hinter seine« König Deckung suchte, anstatt den König zu decken, da hat er unser Parlamentarisches Leben auf neue Bahnen gedrängt. Ein solcher Bruch mit einer tief

eingewurzelten Tradition vollzieht sich nicht ohne Er­schütterungen, die ganze Regierung zittert und schwankt noch unter den Nachwirkungen dieses in Preußen-Deutschland beispiellosen Schrittes. Auch der Parlamentarismus wird dadurch in Mitleidenschaft gezogen, und beeinflußt wird namentlich seine Stellung zum Träger der Krone, wenn dieser auf Deckung durch seine Minister auch formell glaubt verzichten zu können, und sich für stark genug hält seine Minister zu decken. Die freikonservativeu »Berl. N. N." sagen u. a.: Läßt sich ein ungünstigerer Zustand denken, als wenn eine vom Kanzler und Ministerpräsidenten an- gekündtgte Ministerdemisfiou monatelang nicht erfolgt? AnS solchen Zuständen entwickeln sich eben die Kriseo- gerüchte, denen sonst die Berechtigung fehlen würde, da ja der Kaiser durchaus nicht die Absicht hat. auf die Dienste des Fürsten Bülow zu verzichten. Auf einem andren Brett steht aber die Frage, ob sich Fürst Bülow auch fernerhin bereit findet, die Kaozlerdienste zu leisten, die u. a. auch die Aufgabe in sich schließen, gegen vermutlich sehr schwere Angriffe in den Parlamenten einen Minister zu halten, durch dessen Auftreten er selbst nicht minder peinlich be­troffen ist als das Publikum aller Richtungen. Jedenfalls gehört außerordentlich viel Mut und Entsagung dazu, bei einer derartigen Situation Reichskanzler zu bleiben. Es würde uns auch nicht Wundern, wen« Fürst Bülow im Laufe der Reichstagsdebatteu dazu käme, sein Allsharren zu bereuen, von dem ihm persönlich keinerlei Vorteile materieller oder ethischer Art winken. Es ist ja auch nicht Bülows, sondern weit eher CrpriviS und Hohrulohes Schuld, daß Kaiser Wilhelm II. einen Reichskanzler, dem er vertraut, so behandelt, wie von anderen Monarchen Staatsmänner, denen sie nicht vertrauen, behandelt werden. Wir meinen den beim Kaiser immer wieder zu konstatieren­den Mangel an dem Bedürfnis, vor jeder wichtigen Ent­scheidung den Rat des erstes Staatsmannes zu hören. . Daß der Kaiser nicht höfl chkeitshalber um Rat fragt, wenn ! sein Entschluß feststeht, wollen wir nicht besonders ernst! nehmen. Dem Koustitatioualismus wird aber Hohn ge- . sprachen durch die Immer wieder hervortretende Neigung, selbst Kanzler zu sein. Ein Bismarck mußte gehen, weil er den Kaiser von diesem Brauche nicht abzubringen ver­mochte. Und da sollte ein Bülow stark genug sei», dem Kanzler den ihm gebührenden Einfluß zu sichern ? Das ist ein unbilliges Verlange«, dessen U,Möglichkeit mau bedauern mag, aber nicht einen Augenblick bestreiten sollte.

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Ueber die Beredsamkeit des Kaisers sagt Graf Revevtlow in seinem Buche »Kaiser Wilhelm II. und die Byzeutiner": Im engsten Zusammenhang? mit der chnrllen und bewegliche» Intelligenz deS Kaisers stehen eine rednerischen Gaben, unterstützt durch eine außerordeut- ich starke Phantasie. Diese ist von einer Lebhaftigkeit und Vielseitigkeit, daß sie durch jeden Anlaß in erstaunlichster Weise erregt wird. Kaiser Wilhelm ist ein geborener Redner und besitzt auch das charakteristische PathoS eines solchen. Ein so veranlagter, viel reisender und festlichen Veranstaltungen nicht abholder Monarch benutzt natürlich auch Anlässe zum reden, die nur in einer verhältnismäßig geringen Anzahl von Fällen als Gelegenheit im politischen Sinne bezeichnet werden können. Da nun der Kaiser, was auch Reichskanzler und Staatssekretär sogen mögen, niemals Privatperson ist, sondern immer Kaiser des deutschen Reichs und als solcher »im Dienst", so ergibt sich der Konflikt von selbst und tritt um so schärfer hervor, als der Kaiser seine auf äußere und innere Politik, die Zukunft deS Reiches, auf Kaust, Religion und was es auch immer sei, gerichteten Gedanken, die er gerade im Moment der Rede gereift iu sich glaubt, mit denkbar größter Schärfe und Pathos auS- zusprechen pflegt. Ueber die Wirkung der kaiserlichen Be­redsamkeit heißt es: Das Volk läßt sich Wohl bei großen Gelegenheiten zu einer auch noch vachwirkeudeu Begeister­ung hiureißen, kann aber sonst nur durch stetiges und erfolgreiches Handeln zu vertrauensvoller Ge- , folgschaft gebunden werden. Mit allgemeinen Zielen und j Betrachtungen weiß es auf die Dauer nicht- anzufangeu.

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Sonderbare Folgen deS Preußische« LavdtagSwahlrechts verzeichnen die Berliner Blätter: Im Bezirk 799 des LaudtagSwahlkreiseS Berlin 3, in dem eine Ersatzwahl stattfindet, wohnt die Brauerei- und Guts­besitzer-Familie Bötzow. Dort wählt als 1. Klasse ein Herr Bötzow und als 2. Klasse ein anderer Bötzow, alle

anderen 571 Wähler aber find 3. Kl. Die zwei Herren Böt­zow wählen doppelt so viel Wahlmänner wie alle anderen Wähler l

ck * ck .

Die Bergarbeiterbewegung muß iu aller­nächster Zeit zu einer Entscheidung führen, denn Ende dieser Woche läuft die Frist ab, die die Siebener-Kommission der Rahrbergleute für die Berichterstattuag über die Verhand­lungen der Arbeiterausschüsse mit den Grubenverwaltungen gesetzt hat. Wie sich die Dinge gestalten werden, läßt sich mit Sicherheit noch nicht vorausseheu, soviel scheint aber schon jetzt festzusteheu, daß die Entschlüsse im Ruhrgebiet auch für die Bergleute im Sächsischen und iu Schlesien

maßgebend sein werden.

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Zu der neuesten Kolouial-Angelegen- heit, Einleitung der Untersuchung gegen den stellvertreten­de» deutschen Generalkonsul Dr. v. Jacobs auf dessen eigenen Aotrag, wird berichtet: Es handelt sich darum, daß bet den Kapstädter Lieferungen für Südwestafrcka im Betrage von über 120 Mtll. Mk. Unregelmäßigkeiten und Begünstigungen vorgekommen sein sollen, und die Schuld will mau Herrn v. Jacobs beimrssen.

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In Rußland ist die Rahe äußerlich ziemlich auf­recht erhalte» worden, daß aber von einer wirklichen Beruhigung noch nicht entfernt die Rede seiu kann, lehrt jeder Tag. Besonders bezeichnend ist nach dieser Richtung für das Verhalten der Regierung, unliebsame Kanditateu von der Wahl in die Duma auszuschließeu. So find von den 72 ehemaligen Dumamttgliederu, die der sogen. Arbeits­gruppe augehörten, mehr als die Hälfte teils in Gefäng­nissen eiugesperrt, teils durch Verfolgung zur Landflucht getrieben worden. Daß durch diese Zustände böses Blut erzeugt wird, liegt auf der Hand.

WüirttenrbeVsi-etzeV L«rir-t<rs.

Kammer der Abgeordneten.

Ktnltgart, 3. Nov.

Die Kammer hat iu ihrer heutigen letzten Sitzung eine Eingabe des württ. Journalisten- und Schriftstellervereins betr. Aufhebung des Zeugniszwangs gegen Redakteure berate«. Nach einem e r gehenden Referat des Berichterstatters Haußmauu-Balingeu (Vp>), der darauf hiuwies, daß der Zwang gegen die gutes Sitten verstoße und überdies keinen praktischen Wert habe, betonte der Justizminister v. Breitling, daß das bestehende Recht tatsächlich mangelhaft sei uad es deshalb geboten erscheine, die hier.einander gegenüberstehendeu Interessen der Presse und deS Staate- auszugleicheu. Diesen Aus­gleich hrrbeizuführen sei Aufgabe und aufrichtiger Wunsch auch der württ. Regierung, tu diesem Sinu werde sie im Bundesrat tätig sein. Etwa- weiteres zu tun, sei augen­blicklich nicht möglich. Vizepräsident Kteue stimmte einem vom Abg. Schmidt-Maulbronu gestellten Antrag auf Be­rücksichtigung der Eingabe die Komrmsstou hatte nur beantragt, die Eingabe der Regierung zur Erwägung zu überweisen, inwieweit der Zeugniszwaug eingeschränkt werden könne mit der Einschränkung auf Fälle von Hoch- und Laudesverat sowie gemeingefährliche Verbrechen zu. Auch die Abgg. Maier-Blaubeuren und Keil (Soz.) erklärten sich für dev Antrag Schmidt, während der Minister o. die Abgg. v. Breitschwert o. v. Wächter für den KommtsfionSantrag etu- trateu. Schließlich wurde der Antrag Schmidt mit 68 gegen 18 Stimmen angenommen. Hierauf gab Präsident v. Payer am Schlüsse der Sitzung die übliche

Geschäftsüber sicht, worin er darauf hiuwies, daß iu dieser Session 17 Gesetze zustande gekommen seien. Er griff dann auch noch auf frühere Sessionen dieses Landtags zurück und gelangte schließlich zu folgenden interessanten Ausführungen:

Ja den 6 Jahren seit den letzten allgemeinen Wahlen haben wir abgesehen von den gemeinschaftlichen Sitzungen insgesamt 449 Sitzungen abgehalteu und iu denselben neben 3 iu mannigfacher Beziehung schwierigen Haupt- finanzetatS 53 Gesetze zustande gebracht, 48 Anträge auS unserer Mitte durchbehandelt und 632 Eingaben zur Er­ledigung gebracht. Nicht einer unserer Vorgänger, auch nicht der Landtag 18951900, au dessen Schluß ich damals schon feststelleu konnte, daß er ein Maß von Ar­beit geleistet habe wett größer als das seiner Vorgänger