Jentsprrcher
Nr. 11.
Erscheint Dienstag Donnerst., Samstag und Sonntag mit der wöch. Beilage »Der Sonntags- Gast".
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lr. 134
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Sonntag, 27. August
Bekanntmachungen aller Art finden die erfolgreichste Verbreitung.
1905.
Die gegenseitige Achtung.
Der Reichskanzler Fürst Bülow ist ein kluger Diplomat, das hat er erst in diesem Jahre wieder in der Behandlung der Marokkofrage bewiesen, die dem deutschen Reiche einen vollen Erfolg gebracht hat, ohne Frankreich irgendwie zu verletzen. Und darauf kam es schließlich nicht am wenigsten an. Wir verstehen es auch deshalb, daß der Kanzler Alles vermeidet, was die deutsche Politik etwa auf den Standpunkt bringen könnte, den Politiker wie Chamber- laiu oder der englische Marine-Lord Lee in ihren bekannten Hetzreden mitunter der englischen Staatskuust geben möchten, und find ganz damit einverstanden, wenn Fürst Bülow dem Volk und Staat der Briten gegenüber stets als Gentleman anftritt. Aber wir können ihm doch nicht dahin folge», wenn er etwas festigen will, was gar nicht oder nur in sehr geringem Maße vorhanden ist, wobei vor allen Dingen auch der Wille auf der einen Seite fehlt. Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Seit dem Einfall Jameson's in die Transvaal-Republik, Neujahr 1896, werden wir von England mit einem Haß beehrt, den weder die früheren häufigen Besuche unseres Kaisers in England, noch Deutschlands sehr entgegenkommende Neutralität gegen den britischen Vetter während des Burenkrieaes haben beseitigen können. Diese Stimmung ist während der ganzen Behandlung der Marokkofrage so offenkundig zu Tage getreten, daß wir nur den Kopf haben schütteln können.' Und was bei den nicht verantwortlichen Persönlichkeiten in England blinder Haß ist, der aus dem Brotneid erwächst, das ist bei den verantwortlichen Staatsleitern eine steife Gemessenheit, eine außerordentliche Kühle, kurz eine Gesinnung von Eiskeller-Temperatur, der auch Köaig Eduard dadurch Rechnung trug, daß er bei seiner letzten Reise einer Begegnung mit unserem Kaiser offenkundig aus dem Wege ging.
Das find die Tatsachen, ungeschminkt und wahr. Und trotzdem meint die Nordd. Allg. Ztg., das Organ Fürst Bülows, uns daran erinnern zu müssen, daß wir das demnächst unsere Küsten besuchende englische Geschwader feiern müßten, damit „die Achtung zwischen den Angehörigen der beiden großen Kulturvölker gefestigt" würde. Ja. wo steckt denn diese Achtung gegen unS bei den Briten? Wir merken nichts davon, und die wenigen besonnenen Leute müssen vor den Schmähworteu der Majorität verstummen. Man kann eine englische Zeitung aufschlagen, welche mau will, überall zeigt sich Mißtrauen und Antipathie, als ob Deutschland nur darauf ausginge, England ein Bein zu stelle». Die britischen Bestrebungen, Deutschland zu isolieren, sind allgemein bekannt, und es spricht ganze Bände, daß man sich iü London mit dem notorischen Deutschfeind, dem durch den Marokkohandel weggefegten französischen Minister des Auswärtigen, Delcassee, weit eingelassen hatte. Eingestandener-
j maßen wollte dieser größte Friedensfeind, den es in Europa j seit Langem gegeben, uns die britische Seemacht auf den Hals bringen, und das Scheitern dieses Planes beseitigt noch nicht die Tatsache, daß hierbei in London und Paris ein edles Brüderpaar zusammenkam. Wir Deutsche haben den Engländern gegenüber nie die Höflichkeit unterlassen, obwohl man an der Themse wahrhaftig aus seinem Herzen keine Mördergrube gemacht hat. Aber soll die deutsche Nation heucheln und dem stolzen Albiou herzliche Achtungs- gefühle zeigen, die nicht erwidert werden? Das würde in i London gerade das Gegenteil erzeugen. Und darum können ' wir hier nicht mitfeieru. Es dankt uns niemand, es erwi- j dert niemand. Daß die deutschen Seeleute den englischen s Gästen gebührendermaßen entgegentreten, ist in der Ordnung, aber daß sich die Bevölkerung verneigt, um 8 Tage später wieder Spektakel von der Themse zu hören, , das machen wir nicht mit.
Als in Frankreich in den achtziger Jahren der Chauvinismus und die Spionenriecherei überhand nahm, da sprach Fürst Bismarck von einem „wilden Land." Das war ein schneidendes Wort. Wir haben aber auch in England schon Episoden erlebt, in denen dies vernichtende Urteil auch auf England paßte. Der Reichskanzler mag einmal die „kalten Wasserstrahl-Reden" seines großen Vorgängers Nachlesen.
Tagespolitik.
Wegen der hohen Fleischpreise ist gegenwärtig fast in allen größeren Städten D-utschlrnds eine Bewegung im Gauge, die von der Regierung eine Aufhebung der Sperre der Grenzen gegen ausländisches Vieh verlangt, damit die Einführung von Schlachtvieh erleichtert werde. AaL in unseren wärt- tembergischen Städten wurden schon verschiedene Eingaben an die Regierung in diesem Sinne gemacht. So beschäftigte sich am Freitag wieder eine Wirtsversammlnng in Stuttgart mit der Fleischnot und nahm folgende Resolution einstimmig an: „Die Versammlung richtet angesichts der enorm hohen Fleischpreise, deren Zurückgehen nicht in Aussicht zu nehmen ist, an die württbg. Regierung das Ersuchen, bei dem Bundesrat dafür einzutreten, daß die Sperrung der Grenzen gegen- ausländisches Vieh aufgehoben und die Einführung von Schlachtvieh erleichtert wird. Angesichts der noch nie erreichten Fleischpreise ist ein Aufschlag der Speisen seitens der Gastwirte unvermeidlich und Hunderttausend?, die auf das Gasthaus angewiesen find, werden schwer davon betroffen". In der sich anschließenden Besprechung der Preise für Mittags- und Abend-Tisch wurde hervorge- hoben, daß der Wirtsstand eine Mehrbelastung durch die hohen Fleischpreise auf die Dauer nicht ertragen könne.
Während mehrere Redner für eine Preiserhöhung eiutratev, sprachen sich andere, dir besonders Arbeiterkundschaft haben, gegen eine solche aus. Von eiuem Beschluß, eine allgemeine Preiserhöhung für Speisen in den hiesigen Wirtschaften ein- treten zu lassen, wurde abgesehen, dagegen sollen die Stuttgarter Wirte in einem Rundschreiben aufgefordert werden, je nach Art ihres Betriebs die Preise für Speisen zu erhöhen. — Wie der Vorsitzende mitteilte, wird eine am 13. Sept. in Stuttgart stattfindende Landesversammlung der Wirte Württembergs zu der Fleischuot Stellung nehmen.
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Die Kaufmanns-Gehilfin. Eigentlich,so sollte mau meinen, müßte mit der Zeit bei dem schöneren Geschlecht doch die Erkenntnis gekommen sein, daß die Zahl der Kaufmanns-Gehilfinnen, Buchhalterinnen, Korrespondentinnen, Stenotypistinnen, Verkäuferinnen u. s. w., nachgerade eine so hohe im deutschen Vaterlavde geworden ist, i daß der Andrang recht wohl ein wenig vermeidet werden könnte. Aber es steht beinahe nach dem Gegenteil aus; der Andrang zu kaufmännischen Kursen und sonstigen Vorbereitungen ist ein ganz enormer, laugst nicht mehr auf die Großstädte beschränkter. Es ist ja ganz schön, wenn ein junges Mädchen sich gewisse Grundlagen für einen Beruf aneiguet, denn Niemand weiß, welche Chancen einmal das Leben bringt, aber wenn das so weiter geht, wo bleibt, diese bescheidene Frage muß doch mal ganz ernstlich aufge- ; worfe» werden, das Heer der jungen Kaufleute ? Es stimmt, ! sie können etwas anderes werden I Aber, daß das uicht immer sich so leicht macht, dafür find auch die Kaufmanns- Gehilfinnen ein redendes Beispiel. Eine tüchtige Köchin, die nicht etwa Dienstbote spielen muß, sondern in ihrem Berufe auch als gewerbliche Gehilfin tätig sein kann, verdient heute oft mehr als eine „doppelte Buchhalterin" und wird daneben noch wie ein rohes Ei behandelt. Wenn junge Mädchen, die die Köche beherrschten, sich als „häusliche Stützen" anböteu, mau würde sich um sie reißen und gut bezahlen. Aber die Passion dafür ist gering, wie Niemand bestreiten wird. Und wenn Liese Tatsache besteht, kann man aus der anderen, daß bei den jungen Männern uicht die größte Lust für praktische Handarbeit herrscht, auch dem stärkeren Geschlecht keinen vernichtenden Vorwurf machen. Man kann die tatsächlichen Verhältnisse aufrichtig bedauern, aber was dem einen Geschlecht recht ist, ist dem anderen billig. Es darf aber uicht verheimlicht werden, daß wir mit dem überhandnehmendeu Anwachsen der Zahl der weiblichen Hilfskräfte mit der Zeit einer bedenklichen Krisis entgegen gehen. Unter den Männern gibt es viele, die in ihrem Berufe nicht völlig auf der Höhe stehen, aber beim weiblichen Geschlecht muß naturgemäß die Ausbildung noch mehr leiden. Nach einem bestimmten Schema kann heute
W Lefefrucht. M
Gedenke, daß du Schuldner bist Der Armen, die nichts haben,
Und deren Recht gleich deinem ist An allen Erdengaben.
Wenn jemals noch zu dir des Lebens Gesegnet goldne Ströme geh'n,
Laß nicht auf deinen Tisch vergebens Den Hungrigen durchs Fenster seh'n;
Verscheuche nicht die wilde Taube,
Laß hinter dir noch Aehren steh'n
Und nimm dem Weinstock nicht die letzte Traube.
Der rote Diamant.
Von Leopold Sturm.
(Fortsetzung.)
Karlowin wußte ganz genau, daß das arme junge Ding ihn uicht wieder erkennen konnte, sonst hätte er vor ihrem sprechenden Blick, vor ihren flehenden Bitten es wirklich glauben können. Teilnahme bewegte ihn für Katarina, die vor einer Stunde noch so froh, ein echtes, lebenslustiges Volkskiud gewesen war, aber — hatte sie Mitleid verdient, Mitleid mit den Verschwörern konnte, durfte es nicht geben. Aber vielleicht gab Katarina's Anwesenheit die Möglichkeit, sich der im Hause verborgenen Nihilisten ohne weitere Verluste zu bemächtigen.
„Schonen Sie ihn, Herr," bat die auf der Erde sich Windende, er ist so jung und verführt von ihm, von diesem Rostew und von den Anderen."
„Weißt Du, Mädchen, wo Dimitri ist?" fragte Kar- lowiu. Sie nickte und deutete nach einer im Hintergründe erkennbaren Treppe, die in die Tiefe führte.
„Wird er heranskommeu, wenn Du ihn rufst?" Sie schaute irr im Kreise umher, daun nickte sie wieder heftig. »So rufe ihn!"
Sie bedachte sich. »Ich will es tun, Herr, aber Sie müssen mir bei der heiligen Mutter Gottes von Kasan schwören, daß es ihm nicht ans Leben gehen soll. Wenn essein muß, daß er den weiten Weg nach Sibirien wandern soll, sei es, ich will mit ihm gehen. Nur, daß er mir bleibt. Das müssen Sie mir versprechen, Herr! Bei der heiligen Mutter Gottes I"
Sie harrte auf die Antwort, und mit ihr all' die anwesenden Polizeibeamten, die erwartungsvoll auf ihren Vorgesetzten schauten. Es waren erprobte, furchtlose Männer, von denen mehr als einer schon dem Tod ins Ange geschaut, die im strengen, unerbittlichen Dienst hart geworden waren. Aber ein menschliches Gefühl mit der armen Unschuldigen da am Boden regte sich auch in ihnen, und hinzu kam ein erklärlicher Zug von Selbsterhaltungstrieb. Denn vas hatte Jeder von ihnen gleich dem Chef erkannt, galt es in diesen unterirdischen Räumen die Anwendung von Gewalt gegen einen verzweifelten Widerstand, wer dann noch lebend das Haus verließ, das konnte Niemand wissen. Dragow's Attentat hatte ihnen die Waffe gewiesen, mit welcher die Nihilisten kämpften.
Paul Karlowin blickte nur eine kurze Sekunde schweigend auf das Mädchen, er war sofort mit sich selbst über das, was hier zu tun, klar geworden. „Es ist gut, Dimitri soll nichts an seinem Leben geschehen, wenn er uns nicht selbst dazu zwingt," versprach er. »Und nun eile, wir haben keine Zeit zu verlieren."
Das Mädchen schlüpfte die Treppe hinab, vier handfeste Beamte mußten sich in einer Nische oben am Ausgange verbergen, wo sie von dem empor Steigenden nicht gesehen werden konnten, ihn aber sofort zu fassen vermochten, sobald er in den Hausflur trat. »Dimitri!° klang ihr umflorter Ruf, aber sie mußte ihn mehrere Male wiederholen,
bis Antwort kam. „Bist Du allein da, Katarina?" klang es zurück. Dem armen Mädchen versagte bei der Lüge, die ! folgen mußte, die Stimme, und zugleich klirrte eine Säbel- < scheide.
j »Dimitri, zurück!" erschallte jetzt Rostew's Stimme, i Und zugleich kam Karlowin's strenger Befehl. „Es ist um- ! sonst gewesen, Laternen her und vorwärts. Erfolgt Wider- > stand, wird schonungslos von der Waffe Gebrauch gemacht."
! Trotz der furchtbar drohenden Gefahr stürzten im Nu ^ ein halbes Dutzend Beamte die Treppe hinab. „Verrat I" ! erklang Dimitris gellende Stimme, schnell hob er de» Revolver, während seine Linke nach der ihm vorhin von Rostew ausgehändigten Höllen-Maschiue griff. Aber Katarina, die nur zu gut wußte, daß hier aller Widerstand vergeblich sei, warf sich dem Geliebten in den Arm, um ihn zu verhindern, eine Tat zu begehen, die ihm sicher früher oder später das Leben gekostet haben würde. Mit aller Kraft, deren sie fähig war, Preßte sie seine Rechte in ihre beiden Hände, und so beugte sie in der Tat der gefürchteten Explosion vor. Aber das Schicksal des armen Mädchens sollte trotzdem besiegelt sein; aus dem Hintergründe schoß Rostew, den andere Polizisten zu überwältigen sich bemühten, seinen Re- volver ab, und da die Waffe bei der Entladung von einem der Beamten zur Seite geschlagen wurde, verletzte die Kugel die unschuldige Katarina tödlich und traf dann noch einen der Eingedrungenen, ihn schwer verwundend.
In ihrem Blute brach die Braut des Nihilisten zusammen, und als sich Dimitri erschrocken über sie neigte, ! wurde er von allen Seiten'gepackt, das Sprenggeschoß ihm entwunden, und er selbst gefesselt. Das Gleiche geschah Rostew, dem ein Säbelhieb über die rechte Hand eine schwere j Wunde znfügte, so daß er den Revolver fallen lassen mußte, i Die sterbende Katarina war an das Tageslicht gebracht, sie atmete nur noch mühsam, ein schnell heran-