Tagespolitik.

DerFühr er de r französischen Sozialisten,

Iaurös darf also io Berlin nicht sprechen und der Wunsch der englischen Presse, die aus dem augeküudigten Auftreten des Führers der französischen Sozialisten in Berlin, eine noch größere Annäherung der Bevölkerung Deutschlands und Frankreichs befürchtet hatte und deshalb ein großes Klagegeschrei erhob, ist erfüllt worden. Es ist sehr bedauerlich, daß die deutsche Regierung das Auftreten Jaures verhinderte, denn es handelt sich dabei um einen Mann, der, ob er auch noch so sehr von französischem Geiste erfüllt ist, dennoch allzeit sich bemühte, auch den Deutschen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und von diesem Stand­punkt aus in Frankreich sich der alten Revanche-Idee mit seiner Versöhnungspolitik im Interesse beider Nachbarvölker wuchtig entgegenstemmt. Das soll ihm auch dort nicht ver­gessen werden, wo mau viele seiner sonstigen Zukuuftspläne nicht zu teilen vermag. Abg. Jiurßs schreibt über die gestern bekannt gewordene Note des Reichskanzlers Fürsten von Bülow au den Deutschen Bot­schafter Fürsten Radolin in seinerHumanite" s. a.: Dieser Zwischenfall wird selbstverständlich i n nichts unsere Anschauungen über die Beziehungen Frankreichs und Deutschlands ändern. Wenn wir seit langen Jahren verlangt haben, daß zwischen den beiden Ländern zunächst ein Auf- höreu der Spannung und eine Annäherung, sodann ein fester und dauerhafter Friede ein- treten werde, so haben wir nicht eine Minute lang vermutet, daß die deutsche Regierung mit der De­mokratie und dem Sozialismus paktieren könnte. Aber wir sprechen dabei die Ueberzeuguug aus, daß das Einvernehmen Frankreichs und Deutschlands für den Weltfrieden nötig sei und daß die Demokratie und des Proletariat sich nur in diesem Frieden entwickeln könne. Das ist nach wie vor unsere tiefe Ueberzeuguug und die Regel unserer Politik.Der Reichs­kanzler hat mich nichtals französischen Bür­ger, sondern als Sozialisten, als Kampfgenossen der deutschen Sozialdemokraten von deut­sch en V er sa mmluu g en ferngehalten. DieserZwi- schenfall kann, selbst wenn es sich um eine wichtigere Per­sönlichkeit handelte, als ich es bin, innichtsdasWerk desFriedensti ftens verhindern, das sich zwi­schen den beiden Ländern vollzieht und zu dem die Sozialisten unaufhörlich betgetrageu haben, unbekümmert um rückschrittliche Behellig­ungen. Der internationale Sozialismus kennt keinen ki u d isch e n Aer ger; er ist seines Werkes

und seiner Zukunft sicher."

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Eine Ueberficht im deutschenKolonialblatt" beziffert die bis zum 9. Mai erlittenen Verluste der Schutz- trappen auf 981 Mann, darunter 69 Offiziere (einbe­griffen Marine und Farmer); ferner verunglückte» nicht tötlich 17 Mann und 434 Manu wurden verwundet. Die Truppenstärke vor Ausbruch des Aufstandes betrug 42 Offiziere und 772 Mannschaften mit 800 Pferden, sowie 7 Beamte. Seit dem 6. Januar 1904 find 40 Truppentransporte ab- gegangeu; im Ganzen find 655 Offiziere und Sanitäts­offiziere, 196 Beamte und 13 643 Mannschaften, sowie 11 889

Pferde, dorthin entsandt worden.

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Aus Samoa, wo nach telegraphischer Meldung ein Wirbelsturm großen Schaden augerichtet hat, wird brieflich berichtet, daß der dort angekommene KreuzerKondor" mit dem Gouverneur an Bord einige Rundreisen machen und dabei die Häuptlinge, denen die Schuld an dem Gefängnis­

einbruch zugeschrieben wird, verhaften wollte. Die Häupt­linge sollten verschickt werden. Die Selbstverwaltung der Eingeborenen hört auf, eine ständige Einrichtung zu sein. In Zukunft sollen die neu zu ernennenden Häuptlinge nur noch zweimal im Jahr zur Beratung ^zusammentrete».

Der Aufstand in Odessa soll Londoner Blätter­meldungen zufolge, deren Glaubwürdigkeit freilich eine zweifelhafte ist, durch russische Polizeispitzel, mit Wissen und Willen des Petersburger Generalgouverneurs Trepow, an­gezettelt worden sein. Die Regierungsspione ließen sich in das revolutionäre Odessa» Komitee als Mitglieder auf­nehmen und stifteten dann Unruhen an, mit der Absicht, sie grausam unterdrücken zu lassen. Am ersten Aufruhrtage sollen wenigstens 7 000 Personen in Odessa ge­tötet und die Leichen zur Mehrzahl in die brennenden Hafenanlageu und Gebäude geworfen worden sein.

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Von der rnssischenBeamtenwirtschaft er­zählen Petersburger Blätter ein amüsantes Stückchen. An­fang März telegraphierte General Linnewitsch an eine Mos­kauer Firma um schleunige Zusendung einer Anzahl Paten­tierter Ferumesser. Die Firma stellte sofort die verlangten Fernmesfer der Petersburger Artillcrieverwaltung zu, ließ sich von dieser der unumgängliche» Vorsicht entsprechend eine Empfangs-Bestätigm'g ausstellen und telegraphierte dem General Linnewitsch, daß die Fernmesser zum Versande be­reit seien. Die vom Oberbefehlshaber in der Mandschurei dringend benötigten Gegenstände liegen noch heute in Peters­burg, da mau bis zur Stunde noch nicht einig ist, wie diese Fernmesser nachdemKriegsschauplatze zu deklarieren sind. Unter ähnlicher Bummelei der russischen Verwaltungsbehörde haben auch Stoessel, Kuropatkin und alle übrigen Befehlshaber in der Mand­schurei gelitten.

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DerKaiser der Sahara" Lebaudy ist tu Paris verurteilt worden. Er hatte gegen eine englische Börsenmaklerfirma den Differenzeinwaud erhoben, das Gericht verdonnerte ihn aber zur Zahlung der eingeklagten 60000 Mark. Sein Verteidiger machte vergeblich allerlei Mätzchen, wie das Gericht sei nicht zuständig, weil derKaiser" seinen Sitz in der Sahara habe, undJocques I" werde in Eu­ropa durch seineBrüsseler Gesandtschaft" vertreten.

württenrbeVsisetzeir ^«rirdt«rg.

Kammer der Abgeordneten.

Stuttgart, 6. Juli.

In der Abgeordnetenkammer wurde heute zunächst der Et-t der Salinen und der Badeanstalten von Wildbad ge­nehmigt. Sodann bewilligte das Haus die Regierungs- forderuug von einer Million Mark als erste Rate für die Bahn von Schorndorf nach Welzheim. Die Abgeordneten Käß, Schock und Rem bo ld - Gmünd hätten ein früheres Projekt BacknangWelzheimGmünd lieber gesehen und bemängelten au dem Vorschlag der Re­gierung namentlich, daß die Bahn den Welzheim» Wald keineswegs erschließen werde. Dem wurde von mehreren Rednern, namentlich dem Berichterstatter H artr auf t und dem Abgeordneten Hieb er entgegen gehalten, daß es un­möglich sei, eine Bahn zu bauen, die den Wünschen aller Interessenten entspreche. Im Zusammenhang damit wurde auch von mehreren Rednern der Bau von Zahnradbahnen, wie er für daS Projekt Backnang-Welzheim-Gmünd not­wendig gewesen wäre, als ein überwundener Standpunkt be- < zeichnet; mau habe damit zu ungünstige Erfahrungen ge- ^ macht. Mehrfach wurde der Wunsch laut, es möge endlich ? der alte Streit begraben werden, damit Welzheim als letzte ^ der Oberamtsstädte ohne Bahnverbindung endlich auch seine ^ Bahn erhalte. Weiterhin wurden genehmigt 600 000 Mark

als erste Rate für eine Bahn von Göppingen nach Gmüud, 180 000 Mark als letzte Rate für die Bahn von Laupheim nach Schwer,di und 100000 Mark als letzte Rate für die Bahn von Roßberg nach Wur- zach. Morgen Weiterberatung des Eiseubahnbaukreditge- setzes und Gesetzentwurf betreffend Reservefonds der Staats­forsten.

Stuttgart, 7. Juli.

Die Kammer der Abgeordneten genehmigte in ihrer heutigen Sitzung in fortgesetzter Beratung des Eisenbahnbau- kreditgesetzes ohne wesentliche Debatte 1,118,000 Mk. an Staatsbeiträgen zum Bau von Nebeueiseubahneo durch Pri­vatunternehmer und zwar: 338,000 Mk. für die Bahn von Jagstfeld nach Neuenstadt, 640,000 Mk. für die Bahn von Amstetten nach Gerstetteu und 140,000 Mk. für die Bahn von Vahingeu a. E. nach Enzweihingen. Ferner wurden für den Bau von zweiten Gleisen 4,700,000 Mk. bestimmt und zwar für die Bahnstrecke Waiblingen-Gmünd als fünfte Rate 1,200,000 Mk., für die Bahnstrecke Plochingen-Tü­bingen als fünfte und letzte Rate 500,000 Mk., für die Güterbahn Untertürkheim-Kornwestheim als dritte und letzte Rate 200,000 Mk., für die Bahnstrecke Ravensburg-Fried­richshafen als zweite Rate 1,300,000 Mk. für die Bahn­strecke Stuttgart Westbhof nach Böblingen als zweite Rate 1,400,000 Mk. und zu Vorarbeiten für die Bahnstrecke Ulm- Ravensburg 100,000 Mk. Sodann wurde in zweiter Be­ratung der Gesetzentwurf betr. die Einrichtung eines Reser­vefonds der Staatsforsten nach kurzer Debatte gemäß den bereits bekannten Anträgen der Kommission, deren Berichter­statter Graf Uxküll war, genehmigt. Ein Antrag des Zentrums, betr. das öffentliche Ausschreiben der Verpach­tungen von Staatsgüter» im Falle von Neuverpachtuugen, wurde angenommen und die Bitte von 12 Spannergehilfen (Hilfsarbeiter der Zollamtsgüterbeförderer bezw. Spanner) bei dem Hauptzollamt Heilbronn um Erhöhung des Lohnes der Regierung zur Erwägung übergeben. Ueber die weitere Bitte der Spannergehilfen auf Beseitigung der Einrichtungen der Spanner wurde zur Tagesordnung übergegangen. Durch eine königliche Note wurde bekannt gegeben, daß daS Mini­sterium angewiesen sei, die Neuwahl in Mergentheim anzu­setzen ; eine Note des Staatsministeriums teilte mit, daß die Strafkammer I des Landgerichts Stuttgart beschlossen habe, das Strafverfahren gegen Keil wegen Beleidigung des Kö­nigs von Sachsen während der Dauer der Sitzungsperiode gemäß §184 Abs. 3 B. U. einzustellen. Morgen Weiterbe- ratung des Eiseubahnbaukreditgesetzes.

LandesnachrichLen.

* Sttenfleig, 8. Juli. Wie wir hören, ist um einer Ueberfüllung des Festplatzes unter den Eichen vorzubeugen, beschlossen worden, den Platz abzusperren und nur Mit­glieder, welche durch Vereinszeichen kenntlich sind, zuzulasfen. Nichtmitglieder haben 30 Pfg. Eintritt zu entrichten. Wir machen jedoch darauf aufmerksam, daß auch außerhalb des Festplatzes Gelegenheit zur Erfrischung geboten lst.

ff Stuttgart, 7. Juli. Heute Mittag 11 Uhr fand auf dem Pragfriedhof die Beerdigung des im Alter von 43 Jahren so unerwartet rasch aus dem Leben geschiedenen Handwerkskammersekretärs Dr. Phil. Fr. Schaible statt. Die hohe Achtung und Verehrung, deren sich der Dahingeschiedene erfreuen durste, kam dabei in beredest» Weise zum Aus­druck, sowohl in der überaus zahlreichen Beteiligung, als auch in der Reihe von Nachrufen, die dem Verstorbenen an seiner letzten Ruhestätte gewidmet wurden.

ff Stuttgart, 7. Juli. (Oberkriegsgericht.) Der Ka­nonier Geiger vom Feldartillerieregiment 49 war vom Kriegs­gericht Ulm wegen Beleidigung und Beschimpfung eines Vorgesetzten und tätlichen Angriffs zu 1 Jahr 3 Monaten Gefängnis verurteilt worden auf Grund folgenden Vorfalls: Am Sonntag, den 2. April verhöhnte er in einer Wirtschaft

W Lesefrrrcht. M

Klag' dem Walde du dein Leid, Klag's den grünen Tannen! Waldesfrieden wird allzeit Deine Sorgen bannen.

Neuer Mut dein Herz durchzieht, Kannst verzeih'n, vergeben.

Durch den Wald erklingt ein Lied Dir von neuem Leben.

Der rote Diamant.

Vou Leopold Sturm.

(Nachdruck verboten.)

(Fortsetzung.)

Die Familie Strecker hatte es über ein Jahr iu dem Hause ausgehalten, auS dem Prassten war für die Allermeisten derbono»iu6rsä" geworden, der er alsouvrisi", als Arbeiter, nun doch einmal war, und die Wenigen, die noch anders dachten, hatten wenigstens keinen Grund, etwas zu sagen. Aber nun lebte iu der Frau, wie im Manne doch der stärker und stärker werdende Wunsch auf, auf deutschen Boden, in die alte Heimat zurückzukehren, der bei­den Kinder wegen schon, und dann, weil der Verdienst doch nicht sehr hoch war für all' die Unkosten und Ausgaben iu der verführnischen, amüsanten Stadt. Die beiden jungen Leute waren sparsam, sie hatten sich in Paris, wo Marie Strecker in einer deutschen Familie gewesen war, kennen ge­lernt und geheiratet, und da man nun einmal in der welt­berühmten Seinestadt war, wollte man doch etwas von ihr haben. Adolf Strecker war ein sehr geschickter Schlosser und Mechaniker, der früher als Monteur schon ein paar Jahr nach Frankreich gekommen war, und der daun in Paris geblieben war, wo mau ihm gute Aussichten eröffnet und Versprechungen gemacht hatte. ES war ja auch leidlich

gewesen, lange nicht mehr so schlimm, wie einst, wo in jedem deutschen Arbeiter ein Spion gewittert war, aber mit der Zeit hatte er es doch gemerkt, die geborenen französischen Arbeiter wollten sich von den ihnen an praktischen Kennt­nissen überlegenen deutschen Kollegen nicht kommandieren lassen; es entstanden allerlei Streitigkeiten, und das Ende war, daß der Deutsche für sich allein arbeiten mußte. Da­mit war ihm die Aussicht auf einen guten Werkmeister-Posten abgeschnitten, er war ein gewöhnlicher Arbeiter wie alle anderen, und mehr war er früher schon als Monteur ge­wesen. Dazu war er eigentlich nicht in der französischen Hauptstadt geblieben. Und genug gesehen von Paris hatten sie ja Beide nun auch.

Recht vergnügt trat er bei sein» Frau ein; die bei­den Kinder, den vierjährigen Karl, und dessen um ein Jahr jüngere Schwester Jeanne, die ihm auf dem letzten Korridor- Absatz entgegengelaufeu waren, hatte der Vater lachend vor sich hergejagt. Sonst hatte er die kleinen Wildfänge auf die Arme genommen, aber das war ja heute bei den Ver­letzungen nicht möglich.

Die Kleinen rannten zur Mutter, ihr das endliche Kommen des Ersehnten mitzuteilen. Frau Marie war eine ruhige Natur, die sich nicht so leicht erregte, aber heute war sie über ihres Mannes längeres Ausbleiben doch etwas ängstlich geworden. Wenn Adolf Strecker sich auch stets in Acht nahm, mit den leicht aufbrausenden Pariser» in Streit zu geraten, an einem Tage, wie dem heutigen, wo ein natürlicher Rausch iu der Bevölkerung herrschte, konnte doch leicht etwas sonst Ausgeschlossenes passieren.

Die Kinder radebrechten deutsche und französische Worte die letzteren hörten sie ja im Hause, auf der Straße genug, durcheinander; dem Vater, der sonst wenig darauf geachtet hatte, fiel das heute unliebsam auf, das war wieder ein Grund mehr, endlich einmal aus Paris fortzukommeu. Seine Kinder sollten doch Deutsche werden; und noch ein

Paar Jahre weiter, unmerklich, doch sicher schlichen sich die Pariser Gewohnheiten in ihre Gedanken ein. Das wollte er verhindern.

Gut, daß Du kommst," rief Fraa Marie ihm heiter entgegen;ich konnte bald Dein Abendbrot nicht mehr frisch erhalten." Aber jetzt sah sie seinen verbundenen Kopf und den in einer Binde getragenen Arm.Was ist passiert?" Er beruhigte sie mit kurzen Worten und erzählte dann aus­führlich. Die junge Frau atmete auf:Gut, daß es so abgelaufen ist I Ich habe schon immer heimlich Angst ge­habt, in diesem Paris könnte zu allerletzt, ganz zu allerletzt Dir noch etwas zustoßen."

Darum wollen wir auch nun ein Ende machen," versetzte er entschieden:Was ich hier verdiene, weiß Gott, das habe ich iu Deutschland alle Tage. Und mau kommt doch wieder unter alte Freunde und Bekannte, mit denen man schwatzen kann, wie Einem der Schnabel gewachsen ist." Aber sag', wirst du zu der Dame gehen, die Dich eiu- geladen hat, nach dem Grand Hotel zu kommen?" fragte darauf Frau Marie.

Gewiß, Herzchen, da haben wir ja gleich unser Reise­geld, wenn sie mir ein Schmerzensgeld auf den Tisch zählt!'

Das zarte Antlitz seiner Frau errötete leicht:Aber es sieht doch immer so so aus, wie ein Geschenk, als wenn Du darum bittest. . ."

Er hielt ihr lachend den Mund zu:Nicht zu feinfühlig sein, Schatz; dazu haben wir es doch auch nicht, und für die Rückreise können wir Geld gebrauchen. Uud weißt Du," fügte er sehr eifrig hinzu,die Dame sah sehr vornehm aus, mit einem oder zwei Goldfüchsen ist es da nicht getan, deswegen hätte sie mich nicht nach dem Grand Hotel bestellt!"

Na, daun geh'," sagte Frau Marie;aber jetzt, sonst ist's mit der Mahlzeit überhaupt vorbei."

(Fortsetzung folgt.)