Kerusprecher Kr. 11.
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Sonntag, 12. März.
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1905.
Tagespolitik.
Wenu's Ernst wäre, wirklicher blutiger Ernst, aus der deutschen Mädchenwelt würde ein Heller Schrei der Entrüstung dringen: Man denke sich, Deutschland ohne Kavallerie, ohne einen einzigen schmucken, strammen, schneidigen Reitersmann, ohne einen einzigen Kürassier, Husar, Ulan, Dragoner ! Wenn auch noch so viele Hunderttausende Jnvan- teristen, Artilleristen usw. bis zum letzten Tramsoldat übrig bleiben, die Kavallerie ist doch einmal die Seele vom Ganzen, und die Dame mit dem Adelswappen, wie die Maid, die dem Hause redlich dienen soll, alle find sie einig darin, die Reiterei steht obenan. Und nun hat die Reichstags- kommisstou, welche den Daumen auf den großen Geldsack hält, die ganze deutsche Kavallerie mit einem Federstriche, das heißt mit einer Abstimmung, aus der Welt geschafft. Das klingt grauslich, selbst dem sparsamsten Reichstage Härte man solche Hartherzigkeit nicht zugetraut, aber passiert lst's wirklich. Freilich am Fastuachtstage, und das sagt eigentlich schon genug. In der Kommission war keine Mehrheit für die geforderten 510 Schwadronen Kavallerie vorhanden, und als es sich nun darum drehte, über einen Antrag ab- zustimmeu, der 500 Schwadronen bewilligen wollte, stimmten die Befürworteten der 510 Eskadrons gegen den Antrag, so daß dieser fiel, überhaupt keine Kavallerie genehmigt ist. Der Streich wird natürlich wieder gut gemacht und im Plenum der Volksvertretung wird dafür die deutsche Kavallerie zu ihrem Recht kommen. Die deutsche Mädchenwelt kann also ruhig sein!
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Die „Nordd. Mg. Zig." tritt wieder der Verdächtigung der deutschen Politik in China durch die „Times" entgegen, welche am 29. Januar aus Peking ein Telegramm brachte, wonach Deutschland jede Gelegenheit ergreife, um sich in die inneren chinesischen Angelegenheiten einzumischen. Es verlange, daß China ihm die Namen der Gouverneure von Schantung zur Bestätigung vorlege und es habe Uangschih- schiang gezwungen, vor der Abreise auf seinen Posten Hrn. v. Mumm einen Besuch zu machen. Es sind Beweise dafür vorhanden, daß versucht worden ist, mit dieser Depesche Mißtrauen gegen Deutschlands Absichten sowohl in Japan wie in Amerika zu erregen. Mit Rücksicht hierauf veröffentlicht die „Norddeutsche Allg.Ztg." folgende telegraphische Aeußeruug des deutschen Gesandten in Peking zur Sache: „Peking, 6. März. Weder gegen Dongs noch gegen Hus Ernennung wurde von mir Einspruch erhoben. Ein Bestätigungsrecht für Gonverueursernennungen nahm ich niemals in Anspruch. Mit Darrgs hatte ich eine Zusammenkunft. Das entsprach dem beiderseitigen Wunsch, persönliche Fühlung zu gewinne». Hkatt erfunden sind die von esrglischeu
Blättern aus chiuelischer H Kelle übernommenen Behauptungen über deutsche Truppeadislokationen längs der Schantungbahn oder über neue Forderungen, die ich an Dang mit Beziehung auf seine Provinz gestellt haben soll."
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* Ja Rußland hofft mau fest auf eine Wendung der politischen Verhältnisse, auf die eine oder andere Weise. Besonders ist das in Polen der Fall. Ein dortiger Korrespondent gibt dem „Berl. Tgbl." folgenden Stimmungsbericht aus Warschau: Man spricht, man diskutiert hier jetzt fast ebenso offen und frei wie in der ersten besten Stadt der Welt; man gibt in den Cafees und Restaurants Ideen Ausdruck, die man noch vor einem Jahr nicht gewagt haben würde, sich in's Ohr zu flüstern, ohne daß man zitternd das furchtbare Bild der Zitadelle heraufbcschworen hätte. Nicht daß ihre Kerker jetzt weniger gefüllt wären oder daß ihre Mauern jetzt weniger Schrecken bürge» als früher, denn die Zitadelle ist überfüllt wie je seit de» Tagen des 27., 28. und 29. Januar. Nicht daß die Polizei weniger aufmerksam oder weniger eifrig wäre, denn ihre Hand öffnet sich nur, um Jemand „am Kragen zu fassen," und die Stadt wird von Unglücklichen durchstreift, die zwischen Soldaten mit gezogenem Säbel einem unbekannten, aber sicherlich fernen Ziele entgegeugesührt werden. Aber beim Gerüche des Pulvers ist der Mut wieder erwacht, und so viele man auch alle Tage hängt, erschießt und des Laudes verweist, — alles daS scheint keine Bedeutung zu haben angesichts der Ueberzeuguvg, die in die Geister Einzug gehalten hat, der Ueberzengung der nahen Freiheit. Dem Schrecken des letzten Monats ist eine vollkommene Seelenruhe gefolgt. Mau hat sich kurz entschlossen. Man hat sich daran gewöhnt, Lei jedem Schritt auf bewaffnete Patrouillen zu stoßen oder Posten zu begegnen, die vor die Türen der Schnapsbuden oder Waffenhandlnugen auf Wache ziehen. Kaum daß man sich üver. hos Echo plötzlicher Schüsse wundert, die bald in dieser, bald in jener Ecke mehr oder weniger Opfer fordern. Die Demolierung einer Werkstätte, die Plünderung eines Magazins gehören zum normalen Gang des täglichen Lebens, und Niemand denkt sich etwas dabei, wenn er eines Trupps Ausständiger ansichtig wird. So drangen letzten Dienstag etwa ein Dutzend Arbeiter in das eleganteste Cafee der Stadt und forderten die Kellner auf, den Dienst einzastellen. Etwa hundert Gäste waren anwesend, unter denen sich viele Damen befanden; kein Schrei des Entsetzens, keine Geste des Schreckens; jeder zahlte, was er verzehrt hatte, hüllte sich in seinen Pelz und verließ mit der größten Gemütsruhe das Lokal. Die Streikenden gingen zuletzt, nachdem sie das elektrische Licht ausgelöscht hatten. Die ernstesten Ereignisse pflegen die ruhigsten Erwägungen nach sich zu ziehen : - als mau daS tragische
Ende des Großfürsten Sergius erfuhr, war mau nicht im geringsten neugierig, Einzelheiten zu erfahren, man begnügte sich zu sagen: „Jetzt ist Wladimir au der Reihe!" In den Hauptstraßen, auf denen schon zu gewöhnlichen Zeiten reges Leben herrscht, ist der Verkehr durch den Zufluß von Studenten und Schülern, deren Schulen endgültig geschlossen find, mächtig angeschwollen. Vor den zahlreichen Magazinen, deren Schaufenster durch Steine und Fliutenkugeln zertrümmert sind und aus Mangel an Scheiben noch nicht repariert werden konnten, spazieren die jungen Leute in ruhigen Trupps auf und ab. Was sollte diese Schüler übrigens heute noch in Erstaunen setzen? Haben sie nicht eben zugesehen, wie eine Anzahl Soldaten, vor, Offizieren geführt, brutal in die Mädchenpensiouate eindraug? Sind sie nicht Zeuge gewesen, wie mau an sechzig von ihnen — richtige Kinder noch — arretierte und nach der Zitadelle abführte, wo sie jetzt noch sind, abgeschnitten von der übrigen Welt? Wissen sie schließlich nicht, daß der Ober- polizeimetster Baron von Nolken die Studenten bat, ruhig die Räume der Universität zu verlass:», indem er ihnen sein Manneswort gab, daß ihnen nichts geschehen werde, und daß er, als kaum die Hälfte von ihnen seiner Bitte nachgekommen war, sie von einer Horde schnapsberaaschter Kosaken mit Nagaiken und Säbeln traktiere» ließ? ! - Seit
mehr als einem Jahrhundert lastet die Tatze des Bären auf Polens Schulter, und dennoch sieht dieses Land zwischen sich und Rußland einen Bindestrich erwachsen: das ist der Haß gegen die Bürokratie. Polens wildes Nationalgefühl, sein katholischer und sein jüdischer Fanatismus begegnen sich mit dem russischen Sozialismus, um Haud in Hand der Sonne der Freiheit entgegenzustreben. Und seltsam: weder der Rassen-, noch der Klassenhaß find verstummt, »och haben sich die von Sprache und Religion gesetzten Schranken gemildert, und dennoch marschieren sie alle, Seite an Seite, auf dasselbe Ziel, gehorchen demselben Losungswort, das, wer weiß wer, ausgegeben hat. Jeder neue Tag bringt einen neuen Streik, sogar die Apotheker haben sich der Bewegung angcschlossen, und — was allem die Krone aufsetzt: die Polizei, die russische Polizei, droht, es den Anderen nachzutun. — In der Armee sogar, in der Armee, die zur Unterdrückung der Unruhen bestimmt ist, machen sich Meinungsverschiedenheiten geltend; Offiziere haben gewagt, die ergriffenen Maßregeln nicht gut zu heißen, Dragoner und Ulanen haben ihre Kameraden von den Groduoer Husaren getadelt und halblaut das Work „Mörder!" ausgesprochen. Und endlich das Unglaublichste: tn Dombrowo und Sosnowice konnte man Soldaten sehen, die sich weigerten, auf Arbeiter zu schießen, an deren Spitze Schulkunden marschierten. Dabei darf man nicht etwa glauben, daß diese Soldaten zu den wackeren, gemütlichen und „zi-
OZ Lefefrucht U»
Du bist auf dieser Welt nur Gast Auf eine kurze Zahl von Tagen;
Wird dir's so schwer, dich also zu betragen, Daß du nicht andern Gästen fällst zu Last.
Jugendstürme.
Roman von A. Andrea.
(Fortsetzung.)
„Willst du seinen Brief nicht lesen ?" bat die Frau.
„Nein."
Und doch brannte er, mehr von seinem Sohne zu hören. Diese Nachricht wälzte einen Stein von seinem Herzen. — Aber seiner Frau am wenigsten hätte er es gestanden, denn vor ihr und seinen Kindern durfte er keine Schwächen und keine Fehler zeigen.
„Wahrscheinlich kommt er zum Frühjahr nach Deutschland, um sein Jahr beim Militär abzudienen", fuhr Frau Traute fort.
„Gut. Die militärische Disziplin ist vielleicht das einzige, was ihn vernünftig machen kann; denn da ist jeder Gegeueinfluß ausgeschlossen. Aber was? Sein Jahr? Er kann unmöglich als Einjähriger eintreten wollen. Oder hat er die Frechheit, dich zu bearbeiten, das Geld dazu bei mir flüssig zu machen?"
Frau Traute zuckte unwillkürlich vor dem Hohn in seiner Stimme zurück, aber auch sie bemühte sich, zu verbergen, was in ihr vorging. Sie wollte sich nicht mehr einschüchtern lassen.
„Es geschieht auf den Wunsch und die Kosten seines Chefs, des Besitzers einer großen Eisengießerei", entgegnete sie. „Ich meine, daraus geht hervor, daß Bruno sich das Wohlwollen dieses Mr. Walker in hohem Grad erworben haben muß."
Normaun zuckte die Achseln.
„Wer's glaubt!" sagteer wegwerfend. — „Ich nicht."
„Aber ich, Woldemar, ich, die Mutter I Ich glaube an die Wahrhaftigkeit meines Sohnes.
Er wandte sich ab, denn er wollte ihrem Blicke nicht ! begegne«. „Bitte, kein Pathos! Es macht mich nervös.
! Wir werden es erleben, was an diesem deinem Sohne ist." j Er hatte sich im Laufe der Zeit damit abgefundeu, s , daß er nur noch einen Sohn hatte, seinen Richard, der ihn ! ^ nicht enttäuscht, ihm keinen Kummer gemacht hatte. Wie ! i glänzend hatte er sein Examina bestanden I Gerne hätte er ! l es gesehen, daß Richard studierte, aber dieser wollte schneller ! i Karriere machen, und dann, was war, was hatte so ein ; armer Philologe, der die Häste seiner besten Jahre auf i Anstellung wartet und alt wird, ehe er eine Familie gründen und sorgenfrei leben kann. Nein, Richard wollte das Leben anders anfasseu, und er hatte die rechte Art anszuführen,
! was er sich vorgenommen hatte.
! 8. Kapitel.
Allen fiel es auf, was für ein schönes Mädchen Doris Normaun geworden war. Sie hatte eben ihr Staatsexamen gemacht, und das Bestreben ihres Vaters ging dahin, sie au der städtischen höheren Töchterschule zu plazieren.
Jda nahm eine Stelle als Erzieherin ein auf dem Lande bei dem Rittmeister von Möhring. Sie hatte eine Zeitlang gekräukelt; dabei verriet sie einen starken Hang zu religiöser Schwärmerei. Die Mutter gab sie nicht gern aus dem Hause, aber der Vater wollte nicht, daß sie sich eine so vorzügliche Stellung wie bei Währings entgehen ließ. Jetzt hatte es den Anschein, als ob sie sich gut erholte und sich auch sonst auf dem Lande Wohl fühlte.
„Fräulein Doris hat sich wirklich prächtig entfaltet," bemerkte der junge Hilfslehrer Herr Schwader, und seine welke, verträumte Mreue belebte sich auffallend.
Normaun hörte es nicht ungern, wenn die jüngeren Kollegen ihm etwas Angenehmes über seine Töchter sagten.
„Wenigstens ist sie gesund. Sie kann einen Puff vertragen. Im Hause tut ste mehr als das Dienstmädchen. Immer auf den Beinen. Kein Wunder, daß meine Frau sich nicht von ihr trennen mag. Wenn es aber hier mit der höheren Töchterschule nichts wird, muß sie doch nach außerhalb. Dem Mädel liegt Berlin im Kopf."
Herr Schwober räusperte sich.
„Ich denke, mit Ihrem Einfluß, verehrter Herr Doktor, könnte es nicht schwer halte» . . ."
Er war sehr verlegen, hin und her gezerrt zwischen seiner Vernunft und seinem Herze». Sollte er es wagen, Normaun seine zarten Gefühle und Wünsche zu verraten, ehe er in den Hafen einer festen Anstellung eingelaufeo war? Er hatte keine Ahnung, daß sein „verehrter Herr Kollege" bereits anders über ihn verfügt ' hatte. Jda, die sanfte, nachgiebige, eignete sich besser zur Ehe als die naseweise, rebellische Doris. Er hatte also die älteste von seinen Töchtern dem „bescheidenen, jungen Kollegen" zugedacht. Als Familienoberhaupt mußte er vorsichtig in der Wahl seiner Schwiegersöhne sein. — Einen anspruchsvollen, rechthaberischen konnte er nicht brauchen — noch weniger Richard, sein stilles Idol, einen solchen Schwager.
Der Junge hatte ein fabelhaftes Glück. Nach einer kurzen, sehr angenehmen Lehrzeit gleich angestellt in einem renommierten Berliner Bankgeschäft.
Manchem jungen Menschen wäre das zu Kopf gestiegen ; aber Richard ließ stets seinem gesunden Menschenverstand das erste Wort, und dieser bewahrte ihn vor den üblichen dummen Streichen seiner Altersgenossen.
Normaun redete sich immer warm, wenn er von seinem Sohne sprach — diesem einen, der das glänzende Resultat seiner Erziehung war.