Aernsprecher Mr. 11

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Dienstag, 21. Jebruar.

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1906 .

Diebunte" Stabt.

(Nachdruck verboten.)

0 Wer in Rußland gewesen ist und hat Moskau nicht gesehen, der kennt Rußland nicht. Petersburg hat nicht ein­mal einen rus»scheu Namen, so viele Russen in ihm sind, und obwohl es Zaren-Residenz ist, es ist doch nicht Herz und Leben und Seele von Rußland. Das ist Moskau, das heilige, das .Mütterchen" Moskau, von dem aste Einbild­ungskraft des echten Russen begeistert ist, diebunte" Stadt, die dem West-Europäer wie ein Farbeulraum im Zarenreiche erscheint, in dem alles fuvkelt und leuchtet und blitzt, über dem der Kreml tront, wo die alten Zaren gehaust und ge­herrscht haben.

Moskau bietet das beste, auch das aumutendste Bild russischen nationalen Lebens, verklärt von einem tiefen Zuge der rubigen Harmlosigkeit, der in gewöhnlichen Zeiten dem breiten Gewoge des russischen Volkes augehört. Als ob sich der Moskowiter bei seinem Tee, bei seinen russischen National­gerichte», inmitten seiner endlosen Reihe von Kirchen und Klöstern gesichert und gefeit glaubte vor aller modernen Kultur. Und doch ist sie schon drin, nicht nur die Elek­trizität mit ollen ihren Küosten, sondern auch schon das modernste, großartigste Warenhaus mit anderen geschäftlichen Errungenschaften, das auch dem Europäer aus demzivili­siertesten" Westen Anlaß zum Staunen giebt.

Für den Nicht-Russen hat Moskau noch den Reiz einer ruhmreichen Legende: Es ist bekanntlich 1812 von seinem Gouverneur angezündet worden, um Napoleon I. mit seinen Truppen zu vertreiben! Aber diese russische Aufopferung ist wirklich nur eine Legende, es ist zur Genüge feftgestellt, daß die Holzstadt Moskau wohl gebrannt hat, aber selbst die besten zeitgenössischen russischen Quellen wissen nicht das Geringste davon, daß die Stadt auf Befehl des Grafen Rostopschin angezündet ist.

Im Kreml, dem alten festungsartigen Palast mit seinem Gewimmel von Kirchen und Klöstern, aus dem der große Korse auf die brennende Hauptstadt der Zaren schaute, war Jahrhunderte lang ein blutiger Boden. Kein Palast der Welt, mit einziger Ausnahme derjenigen von Souveränen des Orients, von dem Moskau gar nicht so weit entfernt ist, weist eine solche Blutgeschichte auf, wie der Kreml in Moskau. Iwan der Schreckliche, Peter der Große u. a. machten diese alte Fürstenstätte zu einer Stätte des Todes­röchelns und der Gräuel. Peter soll hier seinen eigenen Sohn Alexis enthauptet haben.

Die Russen meinen, dasMütterchen" Moskau bringe Segen . . . Für den Zaren Nikolaus II. bedeutet die bunte Stadt kein Glück. Als er sich vor 10 Jahren im Kreml die Krone der russischen Selbstherrscher auf's Haupt setzte, entstand auf dem Chodynskl'schen Felde bei Moskau jene furchtbare Bolkskataftrophe bei der Verteilung der Krönungs­gaben, die über anderthalbtausend Menschen das Leben kostete. Und jetzt ist der Oheim des Zaren, Großfürst Sergius, der am eifrigsten für die zarische Allmacht eintrat, angesichts des Kreml verblutet.

Tagespolitik.

Neue Forderungen für die Marine kün­digte der Martneminister Tirpitz an. Neben den früher ab­gelehnten sechs großen Auslands-Kreuzern wird die Be­willigung von sieben Torpedoboots-Divisionen beantragt, außerdem wird noch die Bewilligung von 7 kleinen Kreuzern für wünschenswert erachtet, ohne diese für jetzt als unbe­dingt notwendig zu bezeichnen. Das ist nicht so viel, als von mancher Seite für unerläßlich zur Vervollständigung unserer Rüstung zur See angesehen wurde. Schon bei Er­öffnung der gegenwärtige» Reichstags-Session war man all­gemein erstaunt, daß die längst erwarteten Forderungen für die Marine ausblieben. Daß sich die Behörde jetzt auf das Allernotwendigste beschränken will, ist klar ersichtlich; sie ist sorgsam darauf bedacht, bei ihren Plänen den finanziellen Gesichtspunkt nicht außer Acht zu lassen. Ueber die Einzel­heiten der Forderungen werden zu gegebener Zeit die Fach­männer und vielleicht auch solche, die sich dafür halten, in Presse und Reichstag verhandeln. Für heute muß im all­gemeinen darauf hingewiesen werden, daß wir über Mehr­aufwendungen für unsere Marine gar nicht hinwegkommen, wenn wir in den großen, weitbewegeuden Fragen unsere Interessen überhaupt zur Geltung bringen und nns im Wett- lauf der Nationen behaupten wollen. Gleichviel, ob uns das nun recht ist oder nicht. Aller Völker, die noch nicht ganz der Erstarrung verfallen sind, hat sich das Streben be­mächtigt, zur See Geltung zu erlangen, und diesem Streben müssen wir Rechnung tragen, wenn wir nicht Zurückbleiben wollen. Was aber das Wichtigste ist, die Weltlage hat sich

im Laufe der letzten Jahre verschoben, und zwar nicht zu uusern Gunsten, und Moltkes Worte, daß wir seit dem Jahre 1870 nicht beliebter im Auslände geworden sind, gelten heute mehr denn je. Man braucht von den Möglichkeiten, die im Schoße der Zukunft ruhen, nicht viel Aufhebens zu machen; aber so viel ist doch sicher, daß das englisch-fran­zösische Einvernehmen bei den bekannten Gefühlen Frank­reichs für uns die Stellung Deutschlands nicht erleichtert hat und. daß auch die Schwächung Rußlands im gegen­wärtigen Krieg unfern Interessen keineswegs entspricht. So lange Rußlands Machtstellung unangetastet war und damit eine kriegerische Auseinandersetzung mit England näher rückte, hatte Deutschland, das sich je nach den Umständen auf die eine oder andere Seite stellen konnte, bedeutende Trumpfe in der Hand, die ihm die Freundschaft beider Mächte sicher­ten. Heute ist Rußland durch den Krieg außer Stand ge­setzt, in den nächsten Jahren an eine Abrechnung mit Eng­land zu denken, und damit verliert auch Deutschlands Freundschaft für England viel an Wert; man braucht uns dort nicht mehr, wie man uns bei einem mit Rußland dro­henden Konflikt brauchen würde. Rechnet mau dazu die doch immer noch zweifelhafte Festigkeit des Dreibunds, der durch die fortgesetzten Jntrigueu Frankreichs in Italien wie durch die in der österreichisch-ungarischen Monarchie noch bevorstehenden Stürme erschüttert werden kann, so ergibt

sich gerade kein rosiges Bild der Weltlage.

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Die innerhalb der Reichsregierung gepflogenen Er­örterungen über die Schaffung eines selbständigen Kolouial- amts sind den Berl. N. Nachr. zufolge vollständig zum Stillstand gekommen. Es habe den Anschein, als ob man diesen Gedanken wieder fallen lassen wolle, aus der Erwäg­ung heraus, daß der zweifellosen Belastung des Steuer­zahlers kein rechter Vorteil gegenüberstehe. Ueber den Bahnbau Windhuk-Rehoboth im Süden von Südweftafrika soll dem Reichstag angeblich noch in dieser Tagung eine Vorlage zugeheu.

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Dem preußischen Abgeordnetenhause ging die Berg­gesetz n o v e l le zu. Dieselbe verpflichtet die Eigentümer eines Bergwerks zum Betriebe, wenn es Betriebsgewinu ver­spricht oder der Betriebseinstellung überwiegende Gründe des öffentlichen Interesses entgegenstehen. Leistet der Berg­werks-Eigentümer der Aufforderung des Oberbergamtes, den Betrieb aufzunehmeu, indes keine Folge, so kann das Ober­bergamt das Verfahren auf Aufhebung des Berg­werkseigentums einleiten und inzwischen auf Be­schluß des Handelsministers und des Finanzmiuisters unter Ernennung eines Bergwerkverwalters das Bergwerk zwangs­weise betreiben.

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Die Blätter veröffentlichen weitere entsetzliche Einzelheiten über die von dem verhafteten Kolouial- beamten Georges Toquet und dessen Genossen begangenen Grausamkeiten in Fr an zösif ch-Ko n g o. Diese Be­amten sollen nicht nur einen, sondern drei Einge­borene mit Dynamitpatroneu getötet haben. Ein Administrator namens Marsaut hat eine Eingeborene, die ihm nicht zu Willen war, bei lebend igem Leibe

verbrennen lassen.

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Zur Herausgabe der Prinzessin Anna durch die Gräfin Moutignoso wird jetzt der zivilrechtliche Weg beschritten werden. Am Sonnabend fand iu Dresden unter dem Vor­sitz des Königs Friedrich August ein Miuisterrat statt, der

sich mit der Angelegenheit beschäftigte.

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Der Engländer Barcley ist nach Berlin gekommen, um die Annäherung zwischen Deutschland und England zu för­dern. Er ist seit lange schon von dem Bestreben beseelt, eine Annäherung Englands an Deutschland zu bewerkstelligen. Aus dem Handelstage in Berlin hat er eine interessante Rede gehalten, in der er zunächst ausführte, daß mau andere Länder kennen lernen muß, um seiu eigenes zu verstehen. Was wissen Leute, die noch nie über die Grenzen ihres eigenen Landes hinauskamen, von anderen Ländern und Völkern? Nichts, aber dieser Unkenntnis können wir den größten Teil der Mißverständnisse zwischen den Völkern zu­schreiben.Kenne den Feind." sagten die Römer. Sollten wir nicht eher sagen:Kenne den Freund?!" Der Redner wandte sich dann gegen das Kriegsgeschrei und betonte, daß der tätige Teil der Völker, die Industriellen und Kaufleute, absolut keinen Kampf wollten. Er führte Frankreich als Beispiel hierfür an.Sie' werden sich erinnern, meine Herren, daß anfangs des jetzigen Jahrhunderts die englisch- französischen Beziehungen so schlecht waren, daß, wie der

französische Historiker Ernest Lavisse schrieb, ein Krieg zwi­schen England und Frankreich die wahrscheinlichste Even­tualität der nächsten Zukunft zu sein schien. Die zwei Re­gierungen und ihre Diplomatie konnten nicht mehr das Steuer ihrer Staatsschiffe führen. Die zwei Völker schienen jeden Differenzpuukt als Kriegsgruud zu betrachten. Jede Streitig­keit vergrößerte sich wie von selbst, und der gegenseitige Haß fand täglich Nahrung in den Zeitungsartikeln. In diesen Verhältnissen war es, daß zum eisten Male in der Ge­schichte der Welt die Kaufmänner und Industriellen ihre Arbeit unterbrachen, um mit gewaltiger Stimme ihren Willen klar zu machen. Der Haudelstag Englands warf alle Tradi­tionen, alles Vorhergegangene für den Augenblick hin und hielt eine Sitzung in Paris selbst, um allen Leuten, Volk und Regierung, Engländern und Franzosen, zu zeige«, daß die englische Industrie und der Handel sich gegen die be­stehenden Hetzereien entschieden auflehnten. Der Empfang von französischer Seite ließ keinen Zweifel über die fran­zösischen Gefühle. Sie kennen die weitere Entwickelung der Bewegung, wie die Handelskammer der Werkveretne, alle industriellen Körperschaften, alle führenden Männer, Schrift­steller, Universitäten und die großen Richter sich m diese Bewegung warfen. Wir haben einfach das Kriegsgeschrei niedergeschrien. Die Presse mit einigen Ausnahmen gab fast ausschließlich der Bewegung ihren Beistand. Es war ein wunderbarer Volksdrang nach Frieden zwischen den beiden benachbarten Nationen. Genau so sollte es zwischen Deutschland uud England sein. Das größte Interesse Deutschlands, Frankreichs, der Vereiuigtea Staaten rc. ist Friede. Ich spreche garnicht von Frieden als Gegensatz zum Kriege, sondern im Sinne der guten Beziehungen zwi­schen allen Handelsstaatcu. Ich brauche nicht zu sagen, iu welcher Weise die augenblicklichen, gespannten Beziehungen zwischen Deutschen und Engländern ungünstig für den Han­del find. Wir wollen uns die Hand reichen und eine Er­klärung abgebeu, daß es unser gemeinsames Interesse ist, die Entwickelung und Befestigung unserer guten Beziehungen zu fördern. Die Welt ist groß genug für uns beide, uud unsere gegenseitige, industrielle Bekämpfung ist ein männ­licher Kampf, der unsere Manoeskraft entwickelt und stärkt.

Deutscher Weichstag.

Werkt«, 18. Febr.

Auf der Tagesordnung steht die Fortsetzung der Beratung des Toleranzantrages. Hieber (utlb.) erklärt: Die Aufnahme des Antrags war wesentlich vorsichtiger als vor 5 Jahren; das kommt daher, daß man früher die Konsequenzen nicht vollständig übersehen konnte. Die Jeremiaden des Zentrums könnten uns wenig rühren, da auch katholischersetts anerkannt sei, daß der Ketzerstaat Deutschland volle Toleranz gewährt. Wie die Verhältnisse bei uns liegen, würde eine automatische Toleranz zu einer Intoleranz führen. Der Antrag schließt eine Kompetenz­erweiterung iu sich und will die Staatskirchenhoheit besei­tigen. Einzig annehmbar wäre die reichgesetzliche Regelung der religiösen Kiudererziehung. Seine Partei meine, die Frage sei eine solche des bürgerlichen Rechts, die in das Religionsgesetz nicht hiueiugehöre. Die Klage der Dissiden­ten über Quälereien mit Religionsunterricht Halle die Partei aufrecht. Auf den Friedhöfen sollte mau zunächst Toleranz ausüben, gerade dagegen fehle der Katholizismus. In Bayern sei das Zentrum in vollem Besitz der Macht, trotzdem wolle es die Altkatholiken nicht dulden. Der zweite Teil des Ent­wurfs bedeute die völlige Auflösung sämtlicher evangelischer Landeskirchen; denn sie seien territorial. Diese Schranken würden niedergrrissen; die Beseitigung der Schranken wer­den wir nicht als ein Geschenk des Zentrums entgegen- nehmen. Sächs. Bundesratsbevollmächtigter Graf Hoheo- thal erklärt: Die Regierungen stehen heute noch auf dem vom Reichskanzler im Jahre 1900 hier zur Kenntnis ge­brachten Standpunkt. Redner weist dann die vom Abgeord­neten Gröber gegen die sächsische Regierung früher gerich­teten Angriffe zurück. Abg. v. Jagdzewski (Pole) führt aus: Auch nach der formellen Seite sei der Antrag durch­aus korrekt gefaßt. Der Antrag greife nicht iu die Staats­befugnisse ein, sondern verteidige die Religionsgesellschaften gegen Üebergriffe des Staates. Daß die katholische Kirche die Anerkennung der evangelischen als berechtigte Form des Christentums nicht ausdrücken könne, ohne sich selbst auf­zugeben, sollte ein so gebildeter Theologe wie der Abg. Stöcker wissen. Daß dieselbe als christliche Kirche anerkannt werde, stehe fest. Der Redner bittet den Antrag einer Kommission zu überweisen. Abg. Stolle (Soz.) sagt, der Antrag gehe nicht weit genug, um wirkliche Glaubens­und Gewissensfreiheit zu erzielen. Wenn nur Toleranz für die anerkannten Religionsgesellschaften festgesetzt werden soll,