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Erscheint Dienstag Donnerst., SamStag und Sonntag mtt der wöch. Beilage »Der SonntagS- Gast".

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Sonntag, 11. Dezember

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1904 .

Die Alten im Reichstag

(Nachdruck verboten.)

0 Es kommt verhältnismäßig selten vor, daß im deutschen Reichstage elegische Töne angeschlagen werden, aber es kommt doch vor. So war es in der letzten Dienstagsfitz- ung der deutschen Volksvertretung, als der konservative Abgeordnete von Kardorff sein Bedauern aussprach, daß der Abgeordnete Eugen Richter durch Krankheit dem Reichs­tage ferngehalten sei und damit den Wunsch verband, ihn bald wieder hergestellt zu sehen. Der Führer der freikon- servativen Partei erklärte unumwunden, daß er vor Richters Wissen und Kenntnissen die größte Achtung hege, daß sein Fernbleiben eine Lücke im Reichstage bedeute.

Eugen Richter und von Kardorff! Wie oft haben sich diese beiden erprobten parlamentarischen Kämpen gegen- übergestandeu, der freisinnige Volksparteiler dem Freikou- servativen, und daß der Eine den Anderen würde über­zeuge» können, galt natürlich als ausgeschlossen. Zwischen den Debatten find aber beide alt geworden, der Vertreter für Hagen, der sich vor Jahresfrist entschlossen hatte, dem Juuggeselleulebeu Valet zu sagen, marschiert auf die Siebzig los, der Abgeordnete von Kardorff ist bereits ein Greis. Und diese beiden Alten, welche zu den sehr wenigen Volks­vertreter» gehören, die des Reichstags vollste Blüte gekannt, die dann zu den veränderten Verhältnissen gekommen find, merken doch nun auch, daß sie fremd werden unter dem jungen Nachwuchs des Reichstages, unter den Erscheinungen der neuen Zeit.

Abg. Richter hatte schon vor der letzten Wahl zum Reichstag verlauten lassen, daß er für die kommende Legis­laturperiode kein neues Mandat zum Reichstag wieder an- uehmen werde. Vielleicht besinnt er sich doch noch einmal, nachdem er den Wunsch seines alten Gegners gelesen hat, ihn bald wieder bergestellt und im Reichstage erscheinen zu sehen. Richters Abwesenheit wird gerade bei der Etats­beratung von denen bemerkt, die im allgemeinen seine Geg­ner waren, denn seine finanziellen Kritiken, das hat s. Zt. auch Fürst Bismarck anerkannt, find von Niemanden über- troffen.

Es ist ein seltsames Gefühl, das den Beobachter be­schleicht, wenn er so vernimmt, wie die Alten im Reichstage sich einsam zu fühlen beginnen, wenn er sieht, wie diese Tatsache den Politiker hinter den Menschen zurücktreten läßt. Dies Einsamkeitsgefühl bleibt allerdings keinem eif­rig tätigen Manne versagt, der mehr und mehr von denen, mit welchen er gewirkt, scheiden muß. Auch Bismarck hat diese Empfindung an sich herankommen sehen, trotz aller Teilnahme der Nation war er einsam und müde geworden.

Daß der Reichstag anders geworden ist, wie einst, wir wissen es längst. Die Aenderung trat schon damals auf, als Bismarck ging. Wenn damals Bismarck und Richter gegeneinander sprachen, daun rangen Geist und Tüchtigkeit mit einander, eine Auseinandersetzung zwischen dem Grafen Bülow und dem Abg. Bebel, wie sie jetzt erfolgte, stellt nur einen Abglanz zwischen dem Einst dar. Jüngere Kräfte, die den alten an geistiger Führerschaft ebenbürdig wären, find nicht uachgekommen, der gute Wille, die schlagfertige Rede ersetzen noch nicht die Fähigkeit, die hohen Ziele klar zu stellen.

Diese großen Kräfte sind gewiß nicht in Deutschland ausgestorben, aber die Art der Gestaltung unseres politischen und öffentlichen Lebens hält Wohl Manchen ab, sich für eine Wahlkaudidatur zu melden. Und dann kommt noch Eins in Betracht. In der Auseinandersetzung mit Bis­marcks gerader, knorriger, bis zum Aeußersten offenherziger Recken-Natur erprobten sich die Kräfte, ohne im Streit gegen Bismarck oder zur Seite von Bismarck wären sie samt und sonders nicht so bekannt geworden, wie es ge­schehen ist.

Nur wenige von den Alten, deren Namen ganz Deutsch­land kannte, gehören heute noch der deutschen Volksver­tretung au. Und die noch dort find, sprechen seltener und seltener. Wie anders es geworden, das zeigt heute schon das äußere Bild. Vor dem alte» Reichsrage sammelte sich die Volksmenge in dichten Scharen. Die charakteristischen Köpfe der Reichsboten wurden auf Schritt und Tritt be­grüßt. Heute fehlen die Köpfe und heute fehlen die Grüße !

Tagespolitik

In dem Etat für 1905 des Auswärtigen Amtes findet man zum ersten Mal einen neuen Titel, der nicht nur großes Interesse, sondern wohl auch überall da, wo man die Kolonien gelten läßt, Billigung zu erwarten hat. Es handelt sich um die Einführung eines neuen Systems zur Ausbildung eines

eigenen BeamtenstaudeS für die Schutzgebiete. Die für die verschiedenen Berwaltungszweige des Kolonialdienstes be­stimmten Beamten find bisher grundsätzlich den entsprechen­den heimischen Verwaltungen entnommen. Natürlich stellte es sich sehr oft heraus, daß sie nicht tauglich waren zum Dienst in den Kolonien. Die Kolouialvrrwaltuog hat sich für das System der Kolouialschüler, die unvorbereitet eine Ausbildungszeit in den Kolonien durchzumache» haben, (nach englischem Muster) entschieden. Sie beabsichtigt zu­nächst für die Verwaltung von Deutsch-Ostafrika etwa 10 Anwärter zur Ausbildung anzunehmeu. Die Auswahl soll aus der Zahl derjenigen Bewerber erfolgen, welche die Ab­schlußprüfung auf einem Gymnasium, einem Realgymnasium, einer Oberrealschule oder einer gleichwertigen Anstalt abge­legt haben und gute Anfaugskenntnisse in der englischen Sprache Nachweisen können. Der Bewerber hat zu erklären, daß er mindestens zehn Jahre nach erfolgter Ausbildung im Kolouialdienste verbleiben und daß er, sofern er aus anderen als gesundheitlichen Gründen vorher zurücktreteu oder bei schuldvollem Verhalten aus dem Kolonialdienste entlassen werden sollte, die Kosten seiner Ausbildung zurück- erstatteu werde. Die Vorbereitung bis zum 21. Jahre er­folgt nach Anordnung der Kolouialabteiluug in einer Behörde, einem industriellen Unternehmen oder in dem orientalischen Seminar. Natürlich find nach der Ausbildung in den Ko­lonien Prüfungen abzulegeu.

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Die Wiederaufnahme der Handelsvertragsverhand- lungeu zwischen Deutschland und Oesterreich-Ungarn ist zur Tatsache geworden und zwar, wie es zu erwarten war, auf dem Wege einer Annäherung von Wien und Pest aus. Minister Hieronymi erhielt gestern ein dringendes Telegramm mit der Aufforderung, behufs Wiederaufnahme der Handels- Vertrags-Verhandlungen mit Deutschland nach Wien abzu­reisen. Nach dem »Prag. Tagbl." werden sich die österrei­chischen Unterhändler nach Berlin begeben, da bezüglich der Zölle auf Hopfen und Holz eine weitgehende Annäherung vorliegt, wogegen über Vtehzölle und Malz noch keine Einig­ung erzielt sei.

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* Es ist nicht ausgeschlossen, daß einmal die Zeit kommt, in der Flußschiffe von der Nordsee bis zum Bodensee hinauffahren können. In Basel hat sich am letzten Sams­tag unter Vorsitz des Nationalrats Dr. Paul Speiser ein Verein schweizerischer Rheinschiffahrts-Jnteressenteu gebildet, der jenes Ziel anstrebt. lieber 800 Geschäftsfirmeu und Einzelpersonen find dem Verein schon beigetreten. Die Aus­führbarkeit des Plaues wurde von den Technikern anerkannt, und auch die Kosten sollen keine uuverhältnismäßigen sein. Ein Redner führt aus: Das Befahren des Stromes von abwärts bis in das Meer ist durch die internationalen Schiffahrtsakte vom 17. Okt. 1868 staatsrechtlich geregelt. Ihre Bestimmungen bilden noch heute die rechtliche Unter­lagen für die Gesamtstromschiffahrt innerhalb der holländi­schen und deutschen Grenzen. Irgendwelche Schwierigkeiten rechtlicher Art über die Befahrung des Rheinstromes von Basel au abwärts liegen also nicht vor. Was die strom- technischen Verhältnisse betrifft, so haben die vorgeuommenen Studien und angestellteu Versuche die Möglichkeit der Groß­schiffahrt aus dem Rhein bis Basel nachgewiesen. Die Fahr­wasserverhältnisse (Breite und Tiefe) find oberhalb Straß- burgs im allgemeinen besser als unterhalb. Die jährliche Schiffahrtsperiode beträgt bei der gegenwärtigen unregulier­ten Stromverfassuug 180200 Tage. Ein verhältnismäßig geringer Zuschuß von Wassermassen, welcher 200 Kubik­meter in der Sekunde nicht überschritte, würde genügen, um während weiteren 80100 Tagen die Schiffahrt offen zu halten. Dazu wäre die Regulierung des Bodeusees aus­reichend. Basel soll aber nicht der Eadpunkt der neuen Berkehrsstraße sein; die Schiffahrt muß bis zum Bodensee weitergeführt werden. Unüberwindliche technische Schwierig- s keilen liegen auch auf dieser 167 Kilometer haltenden Strecke nicht vor und auch der Kostenaufwand dürfte nicht ab- schrecken, da er sich auf höchstens 30 Millionen Franks be­laufen würde. Der Wahlspruch müsse heißen: Freie Rheinstraße vom Bod eusee bis zum Meere.

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Am 19. November wurde der deutsche Dampfer »Ve­teran" in den oktafiatischen Gewässern von einem japanischen Kriegsdampfer augehalten und durchsucht. Der deutsche Dampfer hatte eine große Menge von Winterkleidern, Decken, Medizin und konserviertes Fleisch an Bord. Der Kapitän erklärte, er fahre nach Niutschwang, doch wurde die von ihm verfolgte Route und die Art der Schiffsladung als Verdacht erregend angesehen, und der Dampfer wurde nach Sasebo gebracht. Jetzt hat das japanische Priseugericht den Dampfer

habe.

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»

In einem Artikel des Jesuitenblattes »Civilta Catto- lica" wird ausgeführt, daß sich die Katholiken Italiens or- gauistereu müssen wie die deutschen Katholiken, so daß sie mit offenem Visier in den politischen Kampf eiutreten können.

Deutscher Weichstag.

Aerkirr, 9. Dezember.

Bor Eintritt in die Tagesordnung machte Reichskanz­ler Graf Bülow folgende Mitteilung: Die verbündeten Re­gierungen haben die Absicht, dem Hause die mit Rußland, Rumänien, Belgien, Italien, der Schweiz und Serbien ver­einbarten Handelsverträge nach Schluß der 1. Lesung des Etats vorzulegen. Die Verhandlungen in Oesterreich-Ungarn Ware», wie den Herrn bekannt ist, auf einem toten Punkt angelangt und mußten wegen erheblicher Meinungsverschie­denheiten abgebrochen werden. Infolge der Mitteilungen, die uns jetzt von Oesterreich gemacht worden find, ist Aus­sicht vorhanden, auch mit diesem unserm Nachbarn zu einem gewünschten Einverständnis zu kommen. Selbstverständlich halten wir daran fest, daß entsprechend der von mir in diesem hohen Hause abgegebenen Erklärungen, wir nur einem Han­delsvertrag unsere Zustimmung geben und die Ihrige nach- sucheu können, der uns eine genügende Garantie gewährt, daß das deutsche Vieh vor Seuchengefahr geschützt bleibt. Auch haben wir hinsichtlich der russischen Einfuhrzölle Wünsche, die im Interesse unserer Export-Industrie zu er­füllen find, wenn ein Handelsvertrag zu stände kommen soll. Da die Einbringung der bereits fertiggestellten 6 Handels­verträge, die Verhandlungen mit Oesterreich-Ungarn stören würden, anderseits nach Geschäftslage des Hauses die volle Durchberatung der Handelsverträge nicht sicher erscheint, so werden die verbündeten Regierungen Ihnen die neuen Handelsverträge nach den Weihnachtsferieu vorlegeu. Wir werden bestrebt sein, dahin zu wirken, daß das Inkraft­treten der neuen Handelsverträge und des neuen Zolltarifs dadurch keine Verzögerung erleiden. Unter diesen Um­ständen darf ich an das hohe Haus die Bitte richten, in eine Besprechung der handelspolitischen Situation zur Zeit nicht eiuzutreten. Das Hans tritt daun in die Tagesordnung ein und setzt die Etatberatuug fort.

LcmdesnachrichLen.

* Atteusteig, 10. Dez. Am Sonntag den 18. Dezem- - ber d. I. wird der Postschalter außer der Zeit von 1112 s Uhr vormittags auch von 57 Uhr nachmittags offen ge­halten werden. Für den gesteigerten Päckereiverkehr vor Weihnachten find von der Poftoerwaltung besondere Vor­kehrungen durch Vermehrung der Beförderungseinrichtnngen, der Arbeitskräfte u. s. w. getroffen. Den Aufgebern von Weihuachtsseudungen wird aber, damit sie auf deren recht­zeitige und unversehrte Ankunft rechnen können, dringend empfohlen, die Einlieferung zur Post nicht erst in den letz­ten Tagen vor dem Christfest, sondern möglichster ütz- zeitig zu bewirken, auch die Sendungen fest und dauer­haft zu verpacken und mit einer deutlichen, vollständigen, und haltbar befestigten Aufschrift zu versehen.

* Aktensteig, 10. Dez. Das Ergebnis der Viehzählung am 1. Dezember ist in hiesiger Stadt laut amtlicher Feststel­lung folgendes: Pferde 68, Rindvieh 324, Ziegen 26, Schweine 169, Federvieh 1852. Die Zahl der Schlacht­ungen beträgt: Kälber unter 3 Monate 2, Schweine (ein­schließlich Ferkel) 75, Ziegen (einschl. Lämmer) 4.

-n. Htohrdorf, 9. Dez. Im Alter von 67 Jahren starb vor­gestern hier der Veteran aus 1866 u. 70 G. Bäuerle, lang­jähriger Straßenwart. Außer dem hiesigen Veteranen- und Militärverein gaben die Vereine von Ebhausev, Walddorf und Oberschwandorf dem verstorbenen Kameraden das letzte Geleite; auch die Straßenwarte aus dem Bezirk, sowie Straßenmeister Mockler von Hiersau nahmen teil an dem heutigen Begräbnis. Nach der Rede des Geistlichen wurden dem verstorbenen Krieger die Ehrensalven ins Grab «ach- gesandt.

js Ketttkiuge», 9. Dez. Der soeben erschienene Jahres­bericht der Gustav Werner-Stiftung zum Bruderhaus hier zeigt, welche bedeutende Ausdehnung diese Stiftung ange­nommen hat. Außer 4 Fabriken in Reutlingen hat die Stiftung noch je eine in Altensteig und in Dettingen bei Urach mit mehreren tausend Arbeitern. In den Wohltätig­keitsanstalten der Stiftung, die außer hier in 10 Orten Württembergs sind, wurden 803 Personen verpflegt und zwar mit Mk. 185148,83 Kosten. Das Vermögen der