Jervsprecher

M. 11.

Erscheint Dienstag Donnerst., Samstag mrd Sonntag mit der wöch. Beilage »Der Sonntags- Gast".

vestellpreiS für bas Vierteljahr im Bezirk n. Rachbarortsverkehr Mk. 1.15, außerhalb Mk. 1.88.

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j Einrückungs-Gebühr für Altensteig und nahe Umgebung bei einmal. Einrückung 8 Pfg., bei mehrmal. je 6 Pig., auswärts je 8 Pfg. die ein­spaltige Zeile oder deren Raum-

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Sonntag- 31. Juli.

Bekanntmachungen aller Art finden die er­folgreichste Verbreitung.

Verwendbare Bei­träge werde« dankbar angenommen.

1904

Tagespolitik.

Die Köln. Ztg. schreibt zum Abschluß des deutsch- russischen Handelsvertrags: Wenngleich eine strenge Geheim­haltung bis zum Abschluß der übrigen Handelsverträge be­obachtet werde, lasse sich doch vermute», daß Rußland die deutschen agrarischen Forderungen angenommeu habe und Gegenleistungen auf anderen Gebieten eingelreren seien. Sicher sek, daß der Vertrag auf längere Zeit, mindestens auf 10 Jahre, abgeschlossen sei, was für die Ausfuhr einen großen Vorteil bereute. Die Verhandlungen gestalteten sich sehr laugwierig und schwierig. Häufig glaubte man, daß durch den Widerstand der russische» Regierung der Ab­schluß in Frage gestellt werde. Der Vertrag bedeute eine wesentliche wirtschaftliche Stärkung Deutschlands und werde den Abschluß von Verträgen mit anderen Mächten er­leichtern.

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Unsere Liebe zu Rußland hat keinen Schaden gelitten, die Wegnahme deutscher Schiffe hat sich in Wohlgefallen aufgelöst. DieKölnische Zeitung" schreibt offiziös :Alle deutschen Ansprüche, welche aus den Zwischenfällen im Roten Meere entstanden, sind nunmehr entsprechend unfern Beschwerden in vollem Umfange erledigt worden. Die russische Regierung hat das beschlagnahmte Schiff und die Pakrre herausgegebeu und dadurch das Geschehene rück­gängig gemacht. Sie hat zuzesichert, daß ähnliche Fälle sich nicht wieder ereignen werden, und sie hat es als ihre Verpflichtung anerkannt, für alle Schädigungen, die durch das ungerechtfertigte Vorgehen ihrer Schiffskommandanten entstanden sind, den Reedereien und sonstigen betroffenen Privatpersonen eine angemessene Gcldentschädiguug zu ge­währen. Damit haben wir alles erreicht, was wir wollten

und was in unserer Protestnote gefordert war."

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Die Nachricht von dem neuen Bombenattentat ist ge­eignet, unter den russischen Würdenträgern Schrecken zu verbreiten; ist sie doch seit wenig Wochen die dritte der­artige. Erst Bobrikow, welcher der Kngel des Fiuen Schaumann zum Opfer fiel, daun der von den bedrückten Armeniern getötete Vizegouverneur von Jelissabetpol, und nun der alleroberste Repräsentant des autokratischen russischen Beamten- nnd Willkürregiments, Plehwe, der Nachfolger Sipjagins, der im Jahre 1902 ebenfalls von einem Atten­täter erschossen wurde. Nicht weit zurück liegen die Mord­anschläge auf den Unterrichtsmiuister Bogoljnbew und den Gouverneur Wahl von Wilna. Die Zeit der nihilistischen Attentate, in der Alexander II. von Bomben zerschmettert wurde, scheint wieder gekommen zu sein. Es ist offenbar der Krieg, der diese neue Reihe Gewaltakte erzeugt hat. Zu dem sonstigen Druck ist die Unzufriedenheit mit dem an­scheinend zwecklosen Blutvergießen >.m fernen Osten, mit den unendlichen Opfern gekommen, die dem russischen Volk aufs neue anfgebürdet werden, einem Volk, dem jede freiheitliche Reform versagt wird! Plehwe hatte sich stets als Unter­drücker hervorgetan. Er war der Vertreter derschärferen Tonart", welcher, wie der Königsberger Prozeß gezeigt hat, unter anderem die Reformversuche und Beschwerden der Studenten mit Knutenhieben und Deportation erwidern ließ. Der Attentäter ist wahrscheinlich ein Student. Die

Attentate der letzten Zeit sind Blasen, die vom Grunde mächtiger Gärung an die Oberfläche stiegen. Sie zeigen, daß sich schlimme Dinge vorbereiten. Ein unglücklicher Krieg kann diesmal die gespannten Kräfte zur Explosion bringen und es ist keineswegs ausgeschlossen, daß das Wort zur Wahrheit wird: Rußland werde seine Verfassung noch einmal de» Japanern zu danken haben.

LMbesnacHvictzten.

* Hlagokd, 28. Juli. Längst wurde hier eine Verbind­ung der Markt- und Freudenstädterstraße gewünscht, um einen bequemeren Zugang zum Sradtbahnhof zu erhalten. Gestern wurde nun von der Stadtverwaltung das Schurr- sche Haus auf den Abbruch angekauft, so daß also in ab­sehbarer Zeit der Stadtbahnhof direkt von der Marktstraße auS erreicht werden kann.

§ Simmersfekd, 30. Juli. Unter überaus zahlreicher Beteiligung von nah und fers wurde gestern in Alten­steig der vor vierzehn Tagen hier verunglückte 63 Jahre alte ledige Schmiedgeselle Würfele von Dietersweiler zu Grabe getragen. Er war 39 Jahre ununterbrochen in ein und demselben Haus als Schmied in Arbeit. Vor 14 Tagen war er von einer Leiter herabgefallen nnd hatte außerdem Bruch eines Fußes schwere innere Verletzungen davon­getragen. Bon seiner Beliebtheit legte die überaus zahl­reiche Beteiligung an seiner Beerdigung Zeugnis ab.

* (WurgtalVahn.) Die Vorbereitungen für diese Bahn sind einen guten Schritt weiter gediehen. Der Auffichts­rat der RastattWeisenbacherbahn hat de» Vertrag wegen Uebergangs dieser Bahn an den badischen Staat unter­zeichnet. In Ausführung dieses Vertrags ist sie bereits am 1. Juli von der badischen Eiseubcchnverwaltung, die seither schon den Betrieb besorgte, übernommen worden. Die Ak­tionäre erhalten eine Abfindung von 1500000 Mk. nebst der Dividende für 1903. Es ist begründete Aussicht vor­handen, daß die Arbeiten für die Strecke Weisenbach-Schön- münzach noch dieses Jahr vergeben werde». Die bezeich- nete Strecke führt durch den schönsten Teil des Murgtals an Eberstein vorbei über Forbach. Nach Vollendung des Baus fehlt zur Verbindung mit Freudenstadt nur noch die verhältnismäßig kurze Strecke zwischen Schönmünzach und Klosterreichenbach, bis wohin jetzt schon die württembergi- sche Mnrgtalbahn führt. Die neue Bahn ist von Bedeut­ung für die Sommerfrischen im Murgtal, insbesondere für das reizend gelegene und viel besuchte Schönmünzach, das seither von Baden auS nicht so günstig zu erreichen war. Auch die Luftkurorte Besenfeld und Reichenbach, sowie die Orte im oberen Murgtal und Freudenstadt werde« von der neuen Verbindung Gewinn haben.

* Kakw, 26. Juli. Die auf der Station Teinach ver­unglückte Frau Haffa ist jetzt als geheilt zu ihrer Familie nach Basel zurückgekehrt. Wie man hört, ist Aussicht vor­handen, daß die verlorenen Beine (an einem ist das Knie erhalten) durch künstliche ersetzt werden können. Dem Kinde, dessen Hände überfahren wurden, verblüht noch eine Hand mit zwei Fingern (Daumen nnd Zeigfiuger), die andere ist verstümmelt. Hr. Haffa beansprucht von der General-Direk­tion der Staatseisenbahsen die Tragung sämtlicher bisher entstandenen Kosten, die Deckung der durch die Beschaffung künstlicher Mieders entstehenden Kosten und 200 Mk. Ent­

schädigung für Fahrgelder und sonstige Auslagen. Diesem billigen Ansinnen dürste zweifellos entsprochen werden.

* Hsteksheim, 28. Juli. Heute brannte hier das Haus des Bauern Johannes Braun vollständig uieder. Das Feuer war nachmittags 2 Uhr i« Abwesenheit der Bewohner m der Scheuer ausgebrochen, wo bereits Erutevorräte lagerte».

js Tüöiuge«, 29. Juli. Vor der Ferienstrafkammer standen gestern drei Schuhmacherslehrlinge von Reutlingen, die nicht nur die von ihnen ausgeführten schweren Dieb­stähle zngaben, sondern auch aus freien Stücken bekannten, als ehemalige Zöglinge der Sophienpfleze in Lustnau dem Hausvater gegen 100 Mark gestohlen und das Geld mit anderen verjubelt zu haben

js Ufttlliugeu, 29. Jul». Am Ursulaberg lande« gestern abend kurz nach 6 Uhr ein Luftballon, der mit einem Leut­nant, einem Sergeanten und einem Soldaten der Straß­burger Luftschifferabteilung besetzt war. Der Ballon war um 3 Uhr in Straßburg anfgestiegen, hatte also die beträcht­liche Entfernung in kau« 3 Stunden zurückgelegt. Nach­dem der Ballon znsammeugelegt und verpackt war, traten seine Insassen die Rückreise mit der Bahn an. (Der Ballon wurde auch hier in Altensteig in den Lüften beobachtet.)

* (Pflichtvergessene Eltern.) Die Schuhmachers Eheleute Christof und Therese Breis, früher in Neu-Ulm jetzt in Ulm wohnhaft, haben ihr im Jahre 1901 geborenes taub­stummes Kind fortwährend in der unverantwortlichsten Weise mißhandelt und verwahrlost. Sie haben es vermutlich auch im bloßen Hemde großer Kälte susgesetzt, die Stiege herab- falleu lassen und unbeaufsichtigt auf ein Fensterbrett gesetzt, so daß es jederzeit Gefahr lief, bei der geringsten Bewegung abzuftürzen. Die Eltern wurden Hierwegen vom Schöffen­gericht Neu-Ulm zu einer Haftstrafe von 4 beziv. 2 Woche» verurteilt. Gleichzeitig wurde die zuständige Polizeibehörde ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Vormundschaftsgericht in Ulm das Kino auf Kosten der Eltern entsprechend uuier- zubringen.

ff Hkom HLo-easee, 29. Juli. Beim Baden im See ertrank bei Wasserburg die 15 Jahre alte einzige Tochter des Oberexpeditors Fuß aus Lindau. Das Mädchen hatte sich in das im See wuchernde Unkraut verwickelt und er­trank.

* Eine Löbauer Dame hatte jüngst auf der Fahrt nach Dresden ein bedenkliches Abenteuer. Sie stieg nachts halb 3 Uhr in den Schnellzug, in dem nur eine Dame langge­streckt auf dem Polster lag. Ungefähr in der Nähe von Pommritz fühlte die Löbauer Dame, die ein wenig ringe- schlafen war, ein Unbehagen, das sie au eine Chloroform- uarkvse erinnerte (die sie in Krankheitsfällen mehrfach durch- znmachen hatte.) Sie versuchte auszustehen u-> d das Fenster zu öffaen, konnte aber erst nach und nach zur Besinnung kommen. Die andere Dame im Koupec riß selbst das Fenster auf und zog die Notbremse, woraus der Zug hielt; dann er­klärte diese dem eiutreteuden Schaffner, ihre Koupeegenossin sei geisteskrank geworden und si? wolle nicht mit dieser im Koupee bleiben. Sic stieg in ein anderes Koupee und ver­ließ dann den Zug heimlich in Bautzen, ehe die narkoti­sierte Dame im Staude war, ihre Erlebnisse dem Zugperso­nal mitzuteileu. Die Löbauerin hatte alles deutlich gesehen uud gefühlt, war aber außer Stande zu reden.

>ff Alte Geschichten.

Von Georg Paulsen.

(Nachdruck verboten.)

Neulich wurde daran erinnert, daß fünfundzwanzig Jahre verstrichen seien, daß in Süd-Afrika, bei einem Feld­zuge der Engländer gegen die Zulu-Neger der Prinz Louis Napoleon, der einzige Sohn Kaiser Napoleons III. uud der Kaiserin Eugeuie, von einem Eingeboreuen-Speer durchbohrt und getötet wurde. In unserer Zeit, in der jeder Tag seine eigene Sensation hat, ist man bald wieder davon abgekommen, aber darum gehört der Tod dieses kaiserlichen Prinzen doch noch zu den mancherlei unauf­geklärten Dingen, welche die neueste Zeit gebracht hat. Prinz Lulu, der bei Saarbrücken am 2. August 1870 deutsche Kugel» aufgelesen hatte und zwei Monate später bei Nacht und Nebel mit seiner ebenso ehrgeizige», wie schönen und stolzen Mutter aus Paris flüchten mußte, wurde von einem Schwarzen erstochen; aber wie gerade er fallen mußte, während seine Begleiter wohlbehalten ent­kamen, das ist heute noch unklar, und erst recht, warum der Prinz, dessen Leben doch politische Wichtigkeit hatte, so strafbar leichtsinnig den Zulu-Speeren ausgesetzt wurde. Wie das zuging, wird wohl niemand genau erfahren. Uud so ist bis heute noch keine offizielle Erklärung erfolgt, wie ! Kronprinz Rudolf von Oesterreich sein Ende fand, wie '

Gambetta, der Diktator von 1870/71, starb, an einer Magen- Krankheit oder an einer Kugel im Mage», und auch der Schlag-Anfall, von welchem der französische Präsident Felix Faure, der Glückliche, betroffen sein Zollte, wird für viele rätselhaft bleiben. Auch das Hinscherden des ältesten Bruders des russischen Kaisers, der im Kaukasus auf einer Radlertour verunglückte und tm Schoße einer armen Fran starb, begegnet verschiedenen Deutelungen, noch im letzten Jahre hat der eigenartige, schnelle Tod von Mitgliedern fürstlicher Häuser mancherlei Frage» und Erörterungen hervorgerufeu. Darüber, wie König Ludwig II. von Bayern starb, besteht ebenfalls noch heute kein Einvernehmen. Alles, was mau als Grund für diese und jene Vermutung nennt, kann ebenso gut auch als ein Grund dagegen ge­nannt werden, und die rechte Tatsache wird wohl nie er­mittelt werden.

Diese uud andere alte Geschichten beweisen, daß auch hinter den Großen der Erde plötzlich der dunkle Schatten des erbarmungslosen mächtigste» Herrschers, des Todes, erscheinen kann, aber sie zeigen auch, wie nichts Mensch­liches den so Betroffenen fremd war. Prinz Lulu, von welchem oben zuerst die Rede war, hatte eine sehr große Aussicht, wie sie kein anderer französischer Throuprätendent auch nur annähernd gehabt hat oder noch hat, den fran­zösischen Thron zu gewiunen. Trotz Sedan blüht der Napoleon-Kultus in Frankreich noch heute in üppigster

Weise, an keinen Mann, der Frankreich seine eiserne Faust fühlen ließ, denken die Franzosen trotzdem mit solchem Enthusiasmus, wie an Napoleon I. Es erscheint darum schwer verständlich, wie die Kaiserin Eugeuie ihre Zustim­mung geben konnte, daß ihr einziger Sohn nach Afrika ging, wo er nicht blos dem Feinde, sondern auch dem Klima ausgesetzt war. Kaiserin Eugeuie war eine ehrgeizige und stolze Frau, aber, aus allerdings erklärlichen Gründen, auch eine sehr eifersüchtige Frau. Sie war eifersüchtig auf ihren Gemahl Napoleon III., dem sie manchen Tag damit vergällte, sie war eifersüchtig auf ihren Sohn, als dieser ein sehr herzliches Liebes-Berhältnis mit einem jungen Mädchen aus dem Volke schloß. Um dem ein Ende zu machen, wollte sie lieber ihren Sohn weit entfernt sehen, uud so sandte sie ihn nach Afrika, wo er seinen Tod fand. Uebrigens wird auch von dem verstorbenen ältesten Bruder des Zaren, dem ersten unheilbar lungenkranken Großfürftev- Throufolger, erzählt, seine letzten Tage seien von der Neigung zu einer schönen Kaukasierin verschönt worden, und der Zar habe selbst in Anbetracht aller Umstände in eine eheliche Verbindung gewilligt. Auch der so ungemein bedauerte Tod des Kronprinzen Rudolf von Oesterreich zeigte, wie das Schicksal die Schutzwehr fort- zuwischcn liebt, die solche Persönlichkeiten nach vielfacher Anuahme vor Tragödien bewahren soll. Unmögliches ist da von dem Fatum möglich gemacht worden.