Jerrrkprecher
M. 11.
Erscheint Dienstag Donnerst., Samstag und Sonntag mit der wöch. Beilage »Der Sonntags- Gast«.
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Wr. 66.
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Sonntag. 1. Mai.
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1904 .
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In Deckenpfronn, OA. Calw, und in Gültlingen, OA. Nagold, «erden am 11 Mai d. Js> Postagenturen errichtet.
Tagespolitik.
Unser Kaiser weilt wieder auf deutschem Boden, die Mittelmeerfahrt, die ohne die leiseste Störung verlaufen ist, die dem Monarchen neben den erfreuenden Ovationen der Bevölkerung eine volle Kräftigung und Stärkung der Gesundheit gebracht hat, ist beendet. Der hohe Herr wird gern an die vergangenen Wochen zurückdenken, wenn ihm jetzt wieder die ganze Fülle der Arbeit bescheert wird. Der Reichskanzler Graf Bülow wird sofort von Sr. Majestät empfangen, und die innerpolitischen Angelegenheiten, namentlich der Herero - Ausstand und die Handelsvertrags- Unterhandlungen geben ja manchen Anlaß zu einer Aussprache. Natürlich auch die Auswärtige Politik, in deren Dienst auch der Kaiser während seiner Reste tätig gewesen ist. ES ist ja doch kein Geheimnis geblieben und kann nach dem glücklichen Abschluß der Fahrt erst recht gesagt werden, daß zwischen dem Kaiser, dem Könige von Italien und seinem Minister des Auswärtigen Tittoni zum Palmen- sonntag in Neapel recht ernste Dinge verhandelt worden find. An Bemühungen der französischen Regierung, Italien noch weiter nach Frankreich hinüberzuziehen, hat es nicht gefehlt, und es ist ganz gut, daß in Neapel damals die Wirkliche politische Lage ruhig und unbeeinflußt von aller stillen Jntrigue klar gestellt ist. Auch auf das Verhältnis zwischen Italien und Oesterreich-Ungar« hat die Kaiserfahrt hingewirkt. Acht Tage nach jener Konferenz in Neapel trafen der österreichisch-ungarische Minister des Auswärtigen und Herr Tittoni einander zu einer langen Besprechung in dem Seebade Abbazia, die einen voll befriedigenden Abschluß fand. Auch während seiner Fahrt war also Kaiser Wilhelm
hervorragend im Rcichsinteresse tätig.
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Die Einführung von Reichstagsdiäten wird wieder einmal angekkndigt. Zugleich macht ein konservativer Abgeordneter, der bisher Gegner der Diäten war, den Vorschlag, für die ersten 60 Plenarsitzungen jeder Session Anwesenheitsgelder von je 30^ Mk. für die Sitzung zu gewähren. Dadurch will er den Reichstag in den ersten 60 Sitzungen beschlußfähig machen (was jetzt häufig nicht der Fall ist) und so dre unendliche Redeflut eindämmen. Wird jetzt ein Schlußantrag gestellt, so lassen die Redelustigen einfach die Beschlußunfähigkeit des Hauses feststellen, und die Sitzung muß geschlossen werden. Daß Diäten freilich kein Allheilmittel gegen schlecht besuchte Sitzungen find, das zeigt das preußische Abgeordnetenhaus, in dem es, trotz der Diäten, in den letzten Tagen fast ebenso leer war wie im Reichstag. Geredet wird auch im preußischen Landtag nicht wenig. Der Reichstag hat die Gewährung von Diäten bekanntlich schon öfter beschlossen, aber der Bundesrat hat bis jetzt immer Nein gesagt.
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Die Frage, in welcher Form Deutschland zu den Ost- asiatischen Wirren Stellung nehmen soll, wird insbesondere in Kolonialkreisen erörtert. Die Rolle eines teilnahmlosen Zuschauers, die uns glücklicherweise zufällt, scheint manche Leute nervös zu machen. Da ist denn eine Stimme aus dem fernen Osten mit Dank zu begrüßen, die zur Ruhe mahnt. Die deutsche Zeitung in Shanghai, der „Ostafia- tischeLloyd" schreibt: „Wir wolle» hier ausdrücklich erklären, daß wir nicht der Ansicht sind, daß Deutschland in diesem Augenblicke seine Streitkräfte in Oftafien vermehren sollte, wie es andere Mächte — selbst Italien — tun. Wird es später nötig werden, daß andere Mächte in dem gegenwärtigen Konflikte ein ernstes Wort sprechen, so wird Deutschland seiner Stimme viel mehr Nachdruck verleihen können, wenn es daheim völlig ungeschwächt ist, namentlich auch was seine an sich noch immer viel zu schwachen Streitkräfte zur See anlangt. Denn in diesem Falle wird die endliche Entscheidung nicht in Oftafien fallen, sondern in den europäischen Hauptstädten.
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Ein auffälliges kolonialpolitisches Glaubensbekenntnis hat der konservative Graf Stolberg-Wernigerode in einer Reichstagssitzung abgelegt. Er erklärte nämlich: „Ich bin kein Kolonialschwärmer. Meine politischen Freunde sind, wie ich, immer bemüht gewesen, alle Kolonialforderungen ruhig, nüchtern und objektiv zu behandeln. Wir stehen jetzt mitten in dem südafrikanischen Aufstand, der außerordentliche Koste» verursacht. Wenn in einem solchen Augenblick eine derartige Vorlage kommt, liegt es nahe, sich die prinzipielle Frage vorzulegeu: Wollen wir Kolonien oder nicht? Biele Leute behaupten, es wäre besser gewesen,
wenn Deutschland überhaupt nicht Kolonien erworben hätte. (Sehr richtig! im Zentrum.) Unter den bewährten Diplomaten der alten Schule gibt es Männer, die die lebhaftesten Bedenken gegen die Erwerbung von Kolonien gehabt haben. Als wir die ersten Wirren in Samoa hatten, meinte ein Diplomat unserer alten Schule: „Wenn doch dieses unglückselige Samoa nie entdeckt worden wäre." Es ist für ein großes Reich gar nicht erforderlich, Kolonien zu haben. So hat z. B. Oesterreich gar keine Kolonien. Die Reibungsflächen mit anderen Regierungen, mit anderen Seemächten würden vermindert, unsere Politik könnte sich in ruhigen Bahnen bewegen, wenn wir uns nicht nm jede» Kanonenschuß in Transvaal aufzuregeu brauchten. Wir hätten auch sehr gut an der Flotte sparen können, (Hört, Hört! bei den Sozialdemokraten), aber die Entwicklung ist eben eine andere gewesen. Wir haben die Kolonien und was sollen wir nun mit ihnen anfaugen? Diejenigen, die damals Gegner ihrer Erwerbung waren und auch heute noch im Grunde ihres Herzens gegen sie sind, werden auch nicht der Ansicht sein, daß wir sie veräußern sollen. Die am wenigsten kolonialfreundliche Partei, die Sozialdemokratie, würde doch auch nicht den Antrag stellen, daß wir die Kolonien verkaufen sollen. Wenn wir sie also behalten wolle», so müssen wir sie in anderer Weise nutzbar machen, als bisher, denn der seitherige Zustand ist sehr unerfreulich."
(Lebhaftes, allgemeines „Sehr wahr.")
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lieber die Vorlage, die durch die Bereitstellung einer Summe von 3 Millionen Mk. zur staatlicken Förderung einer von dem Verbände der Bezwksvereiue der preußischen Siaatsbahnbediensteten geplanten Krankeuzuschußkasse erbeten werden soll, macht die Nordd. Mg. Ztg. folgende Angaben: Der genannte Verband ist zu dem Zwecke gegründet, um auf dem Wege der Selbsthilfe überall da ergänzende Einrichtungen zur besonderen Fürsorge in Krankheits-, Sterbefällen nsw. zu schaffen, wo dazu ein Bedürfnis vorliegt, die Kräfte einzelner oder auck engerer örtlicher Vereine aber hierzu nicht ausreichen. Die Hilfe des Staats zu der geplanten Berbandseinrichtung ist als einmalige Zuwendung gedacht. Die Hergabe der unverzinslichen und nicht rückzahlbaren Beihilfe soll es der Kasse ermöglichen, von Anfang an nicht bloß junge Leute, sondern auch ältere Arbeiter, die schon lange Jahre im Dienste der Saatsbahuea gestanden haben und in ihrem vorgerückten Lebensalter die Kasse stärker belaste», zu denselben mäßigen Beitragszahlungen aufzunehmen Die Zuwendung ist lediglich für die HilfS- bediensteteo, Handwerker und Arbeiter in Aussicht genommen. Für alle Bediensteten, die im Staatsbeamtenverhältnis stehen und die daher während einer Erkrankung ihr volles Diensteinkommen fortbeziehen, liegt eine gleiche Veranlassung nicht vor.
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(Bayern und die Einheitsmarke.) In der Kammer der Abgeordneten trat bei der Beratung des Postetats der liberale Abgeordnete Diehl im Interesse der Pfalz für die Einführung der deutschen Einheitsmarke ein, wobei jedoch im übrigen das bayerische Postreservatrecht beizubebalten sei. Die Geschäftswelt in der Pfalz empfinde das Fehlen einer Einheitsmarke mehr als das rechtsrheinische Bayern: ebenso habe sich auch die Pfälzische Handels- und Gewerbekammer für die Einführung einer Einheitsmarke ausgesprochen. Der Zentrumsabgeordnete Schirmer betonte, seine Partei sei nach wie vor gegen die Einführung einer Einheitsmarke. Die Schwierigkeiten in der Geschäftswelt seien nicht so groß, wie der Vorredner annehme. In gleichem Sinne sprach sich auch der Zentrumsabgeordnete Giehrl aus.
Deutscher Werchstag.
* Zierkir», 28. April. Zunächst erfolgt die dritte Beratung des Gesetzentwurfs betreffs die Krankenfürsorge für Seeleute. Die in zweiter Lesung abgelehnten sozialdemokratischen Anträge liegen wiederum vor, außerdem Anträge Savignys (Zentrum) und Kirschs (Ztr.) aus redaktionelle Aenderungen. Raab (Antisemit) befürwortet die Regierungsvorlage nebst den Zentrumsanträgen und bekämpft die sozialdemokratischen Anträge. Schmalfeldt (Soz.) tritt für die Anträge seiner Partei ein, die nur die gesetzliche Regelung dessen wollen, was große Rhedereien wie der Norddeutsche Lliyd längst anerkannten. Staatssekretär Graf Posa- dowsky sagt, die sozialdemokratischen Anträge seien unannehmbar wegen der Ueberlastung der kleinen Rheder, die ohnehin schon — namentlich in der Küstenschifffahrt — schwer mit der Großschifffahrt zu kämpfen haben. In der Spezialdebatte erklärt Molkenbuhr (Soz.), die Ablehnung der sozialdemokratischen Anträge würde die großen Rhedereien berechtigen, die bisher freiwillig drei Wochen
nach der Abmusterung gewährte Krankenfürsorge wieder abzuschaffen Geheimer Rat Jonquieres erklärt, den mittleren und kleineren Rhedern könne unmöglich auferlegt werden, was der Lloyd freiwillig leiste. Darauf nimmt das Haus Artikel 1 in der Regirrungsfassung unter Ablehnung der sozialdemokratischen Abäuderuugsaulräge an. Molkenbuhr (Soz.) begründet einen Antrag, wonach, wenn der Seemann sich im Krankenhaus befindet, ein Teil der Heuer an die Angehörigen weiter zu zahlen ist. Die Annahme dieses Antrags sei ein Gebot der Billigkeit. Savigny (Ztr.) begründet eine» Antrag, wonach in §61 Absatz 2 der Seemaonsordnung die Worte aus „aus seinem Heuerverdienst" durch die Worte „aus seinem Arbeitsverdienst als Schiffsmann" ersetzt werden sollen. Ferner beantragt Savigny, im § 61 Absatz 2 bzw. Himer dem 2. Satz die Bestimmung einzuschiebeu, daß im betreffenden Falle skr an Bord befindliche Stewards usw., sofern ihnen dies günstiger ist, anstatt der Monatsheuer der durchschnittliche Monatslohn gemäß tz 10 des Uusallverstcherungsgesetzes ohne Hinzurechnung der Beköstigung zu setzen ist. Geheimer Rat Jonquieres erklärt den ersten Antrag Savigny für annehmbar; für den zweiten Axtrag könne er kerne Erklärung namens der Regierungen abgebe». Semler (ntlb.) hält den zweiten Antrag für zu kompliziert, um ihn jetzt bei der dritten Lesung sofort zu übersehen. Der sozialdemokratische Antrag wird abgelehnt; beide Anträge Savigny werden angenommen, ebenso ein Antrag Kirsch (Ztr.) wonach die Ueberschrift lauten soll: „Gesetzentwurf betreffs Abänderung der Seemannsordaung und des Handelsgesetzbuchs." Börsengesetz-Novelle. Kardorff (kons.): Die Voraussetzungen des Börsengesetzes haben sich nicht erfüllt, daß das Gesetz dem Getrcideterminhandel ein Ende machen werde. Die Börse scheine sich vielmehr zu einer Hochschule von Umgehungen des Gesetzes ausgebildet zu haben. Dann habe das Gesetz gegen den Willen des Hauses zur Verletzung von Treu und Glauben geführt. Es gebe auch auf der Rechten manche, die eine Revision des Gesetzes für recht nötig hielten. Dieser Ansicht sei er nicht. Man solle sich daraus beschränke», der Landwirtschaft zu helfen. Die Mehrheit seiner Freunde wolle freilich das Getreideterminverbot aufrecht erhalten. Abg. Kämpf (frs. Vp.) geht auf die Wirkung des Gesetzes von 1896 ein sowie aus das Reichsgerichts-Erkenntnis, welches nicht nur die in § 48 umschriebenen Geschäfte als verbotene Termingeschäfte bezeichnet, sondern auch alle Geschäfte untersagt, welche denselben wirtschaftlichen Charakter haben. Daß dies unrichtig sei. gebe sogar die Regierung selbst tu den Motiven zu dieser Novelle zu. Der Registerzwang müsse vor allen Dingen beseitigt werden. Der Terminhandel könne überhaupt nicht preisdröckend wirken, umsoweniger als er die Verwendungs- Möglichkeit von Getreide vermehre. Wenn die Kornhänser bis jetzt Fiasko gemacht hätten, io liege das daran, daß sie nicht zu jeder Zeit Geschäfte mit ihrem Korn machen können. Abg. Lukas (natl): Seine Freunde würden die Vorlage Prüfen. An dem Verbot des Termiuhandels in Getreide- und Mühlen-Fabrikaten würden sie keinesfalls rütteln lassen.
* Werkt«. 29. April. Das Haus setzt die Beratung der Börsengesetznovelle fort. Graf RevestIow (wirtsch. Bgg.) fordert völlige Ablehnung des Entwurfs und sagt: Wir können die Regierung nur zu dem Mutbeglückwüuschen, einen solche« Entwurf hier vorzulegeu. Ihre Leistungen auf diesem Gebiete sind eben so viel wert wie aus anderen Gebieten. Ob Einflüsse von Hamburg oder sonst woher sich geltend machten, ist nicht feststellbar. Sicher aber waren außerordentliche »«kontrollierbare Einflüsse wirksam, um die Einbringung des Entwurfs zu ermöglichen. Wenn die Begründung der Vorlage dir Rechtsprechung des Reichsgerichts tadelt, kann man im Gegenteil sagen: Die preußische Regierung tat etwas, was eine Rechtsbeugung darßellt. Präsident Graf Ballestrem ruft den Redner wegen der letzteren Bemerkung zur Ordnung. Graf Reventlow fährt fort: Das Börsenregister und das Terminhaudelsverbot müssen voll Weiterbesteheu. Die Haltung der Sozialdemokraten beweist nur das Vorhandensein der Allianz zwischen der rote» und goldenen Internationale. Handelsminister Möller weist die Angriffe des Abg. Reventlow gegen die Regierungen zurück, welche nur auf die Lachlust wirken. Geh. Rat Wendelstadt bestreitet, daß die Regierungen den Terminhandel im Getreide wiederherftellen wollen. Der deutsche Getreideterminhandel sei vernichtet. Die Regierungen wollten nur eine sichere Rechtsgrundlage schaffen. Bernstein (soz.) sagt, über die Terminhandelssrage habe nicht der Jurist, sondern der Volkswirt das letzte Wort zu reden. Burlage (Z.) hält seine früheren Ausführungen aufrecht und beantragt die Beratung der Vorlage in einer 21gliedrigen Kommission. Gamp. (Rp.) betont, die Börse