Aerufprecher Kr. II.
Erscheint Dienstag Donnerst., Samstag und Sonntag mit der wöch. Beilage »Der Sonntags- Gast«.
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Donnerstag. W. Kebruar > --
1904 .
Amtliches
In den bleibenden Ruhestand versetzt wurde Regierungspräsident von Bellino in Reutlingen.
Ernannt wurde zum Präsidenten der Regierung des Schwarzwaldkreises Ministerialrat Hofmann im Ministerium des Innern.
Uebertragen wurde die Forstamtmannstelle Enzklösterle dem Forstamtmann Eberhard in Schönmünzach.
Die ordentlichen Schwurgerichtssitzungen pro 1. Quartal 1904 beginnen in Tübingen am Montag den 31. März, in Rottwcil am Dienstag den 15. März.
Tagespolitik.
In der „Neuen Zürch. Ztg." gibt einer, der früher in Japan gelebt hat, die Erklärung ab, daß er im Gegensatz zu der verbreiteten Anschauung den Japanern den Sieg nicht wünschen könne. „Vielmehr haben wir Europäer alles Interesse daran, daß Rußland Sieger bleibt. Rußland ist in diesem Falle der Vorkämpfer Europas. Die Japaner hassen Europa und die Europäer. Man muß die japanische Selbstüberhebung kennen, um zu wissen, was für eine Vorstellung sie sich von ihrer Macht und der Zukunft Japans machen. Wenn sie jetzt die Russen besiegten, so würden sie nur in ihrer Ueberzeugung bestärkt werden, daß sie es mit jeder europäischen Großmacht aufnehmen können. Es würde das eine schwere Gefährdung, des Weltfriedens und der Ruhe Europas in sich schließen. Rußland ist der Damm, den Europa dem Mongolentum entgegenzusetzen hat. Und dieser Damm wird hoffentlich noch recht lange halten. In den Augen des DurchschnittsjaprnerS gilt der Krieg den verhaßten roten Barbaren überhaupt, gleichviel ob diese Russen, Engländer, Deutsche oder Franzosen heißen. Der Krieg geht, ebenso wie der Haß, gegen den Westen überhaupt und deshalb würden die Japaner einen Sieg über Rußland wie einen Sieg über die Europäer empfinden. Das Prestige Europas in Oftasien steht aus dem Spiel und danach müssen wir als Europäer unsere Sympathie bemessen.«
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Das Gewölk am politischen Horizont wird düsterer. In Paris gab es einen völligen Börsenskandal. Die Furcht vor dem Krieg mit England ist den Finanzmännern so arg in die Glieder gefahren, wie 1887 die Panik wegen der Schnebeleaffäre mit Deutschland. Dazu heißt es, Rußland habe in Paris wissen lassen, daß die in letzter Zeit gezeigte Annäherung Frankreichs an England mit der russischen Allianz unvereinbar sei. Weiter verzeichnen die Blätter die immer größer werdenden Rüstungen auf französischer und englischer Seite. Aus England wieder meldet man, es habe dort verstimmt, daß man in französischen militärischen Kreisen die Möglichkeit eines Krieges mit England erörtert und in auffallender Hast Kreuzer, Proviant und Munition nach dem fernen Osten abgehen läßt. Darnach scheint nun die französisch-englische Freundschaft in die Brüche zu gehen. Aus den englischen Häfen wird nach Frankreich berichtet, daß überall heimlich gerüstet werde. Die Vorräte werden geprüft, alles alte oder unbrauchbar gewordene Kriegsmaterial ist in das Arsenal von Woolwich zurückgeschickt worden, um da zerstört zu werden, und man hat es durch ein ganz modernes Material ersetzt. Sechzig Kriegsschiffe werden mit neuen gewaltigen Kanonen ausgerüstet, und das ist in aller Stille geschehen. Die 450 sechszölligen Kanonen, welche der Marineminister vor 4 Jahren bestellt, find beinahe alle fertig. Jedes englische Panzerschiff ist jetzt schon mit vier solcher Kanonen versehen oder wird es demnächst sein. — Von Kanada wird gemeldet, es werde eine Mobilmachung von 50 000 Mann zur Verteidigung der Küsten vorbereitet. — Auch Portugal und Spanien rüsten, wenn auch nur, um ihre Neutraliät zu schützen.
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In der Zeit *der Elektrizität ist die Menschheit sehr ungeduldig. Ein Krieg, der schon 14 Tage dauert, beginnt langweilig zu werden, und wenn nicht jeden zweiten Tag eine große Schlacht geschlagen und etliche Linienschiffe auf den Sand gesetzt werden oder in die Luft fliegen, ist der Zuschauer fern von Ostafien mit den Führern der Heere und Flotten höchst unzufrieden. Gleichwohl wird man sich gewöhnen müssen, zu warten. Denn der Krieg wird sich aller Voraussicht nach erheblich in die Länge ziehen, auch wenn die Japaner große Erfolge zu Wasser und zu Lande erzielen sollten. Wir haben, so schreibt die „Boss. Ztg.« wiederholt darauf hiugewiesen, daß die Russen geschlagen werden können, damit aber noch nicht besiegt find. Für das Zarenreich steht seine Stellung in der Weltpolitik auf dem Spiel, und deshalb wird es sich nicht zum Friedensschlüsse verstehen, so lange es noch über Reserven gebietet. Und niemand kann verkennen, daß diese Reserven gewaltig
sind. Aber allerdings hat Japan den großen Vorteil der Nähe des Kriegsschauplatzes, während Rußland die Nachschübe für Heer und Flotte aus Europa herauschaffen muß und ungeheure Entfernungen zu überwinden hat. Gutem Vernehmen nach sollen vier russische Divisionen aus den europäischen Gewässern nach Ostasien geschickt werden. Für ihre Beförderung ist nur der eine Strang der sibirischen Bahn frei. Ob und wie lange die Bahn vollkommen im Betrieb bleibt, ist nicht vorauszusagen Aber selbst wenn sie nicht unterbrochen ist oder wird, so dauert es vom Tage der Mobilmachung bis zur Ankunft der Truppen im Aufmarschgelände nach den Schätzungen unterrichteter Kreise rund 110 Tage. Setzt man den Mobilmachungstag auf den 8. Februar fest, so ist mithin auf die Ankunft der mobilisierten Truppen Rußlands nicht vor der zweiten Hälfte des Mai zu rechnen. Daraus ergibt sich, daß von einer schnellen Beendigung des Krieges nicht die Rede sein kann. Verluste während des ersten Abschnitts werden und können nicht zum Friedeneschluß nötigen. Wenn Japan vorerst vom Glück begünstigt bliebe, wäre doch der entscheidende Teil des Kampfes nicht vor Ende Mai zu erwarten. Und auch dann können noch Ereignisse eiutreten, die eine Beendigung des Krieges weit hinausschieben.
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Wenn Rußland ernstliches Unglück in Oftasien haben sollte, dann hat es auch einen Polenaufstaud zu gewärtigen. In der Stunde der Gefahr hat Rußland in seiner Mitte den grimmigsten Feind. Wir zweifeln nicht daran, daß die russische Regierung die aufschießende Bewegung im Keime ersticken wird. Bedenklich ist die Sache immerhin. Es ist ja überdies nicht das erste Mal, daß Rußland in ähnlicher Lage mit den Polen die schlimmsten Erfahrungen gemacht, auch in preußischer Geschichte hat sich das Poleu- tum in ernster Stunde als ein innerer Feind betätigt. Als Napaleon I. am 19. Dezember 1806 nach der völligen Niederwerfung Preußens seiner. Einzug in das bis dahin preußische Warschau hielt, wurde er von den Polen als der Befreier begrüßt, und in der Hoffnung auf die Wiederaufrichtung blieb ihm das Polentum auch in schwerer Zeit noch treu. Als nach dem Wiener Kongreß die letzte Teilung Polens vollzogen war, glaubte der ritterliche Zar Alexander I. ebenfalls mit einer Politik des Wohlwollens und des Entgegenkommens die Polen au den russischen Aar fesseln zu können. Er gab ihnen am 15. Dezember 1815 eine Verfassung auf der freiheitlichen Grundlage der französischen von 1814. Sein Bruder Konstantin wurde zum Vizekönig ernannt und mit einer Instruktion nach Russisch-Polen entsandt, die jenem Anhängsel des russischen Reiches ein völlig nationales Dasein sicherte und eine wirtschaftliche Blütezeit schuf. Die Polen begeisterten sich auch für ihren Vizekönig und brachen bei jeder Gelegenheit in den Ruf aus: „Hoch lebe Konstantin und die Konstitution I« Das Volk verstand unter Konstitution freilich — die Gemahlin des Vizeköniqs! Trotz alledem wühlten jedoch politische Führer das Volk ruhig weiter auf, sodaß es nach verschiedentlichen Putschen im Jahre 1830 zu einem großen Aufstand kam, bei dem die Polen nicht unbedeutende Erfolge erzielten und in dem Hochgefühl ihrer nationalen Macht sich sogar soweit verstiegen, daß sie das Zarenhaus für abgesetzr und der Krone verlnstig erklärten. Der humane Bizekönig Konstantin entging nur mit Mühe dem Meuchelmord. Nun aber schlug Rußland eine Politik der Gewalt ein. Der Aufstand wurde grausam erstickt und seitdem ist Polen ruhig gewesen.
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(England nimmt* für Japan Partei.) Infolgedessen ist in Rußland die Erbitterung gegen England riesig gewachsen. Der Mitarbeiter der „Times« telegraphiert aus Petersburg, daß das Gefühl der Erbitterung in einem Grade auftrete, der im Ausland nicht genügend gewürdigt werde. Der Geschäftsgang sei durch die Kriegsereignisfe vielfach gestört worden.
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Nach einer Meldung aus Paris hat der bulgarische Gesandte daselbst sich dahin ausgesprochen, Bulgarien sei mehr als je entschlossen, nichts zu tu», was den Frieden gefährden könnte; dagegen bestehe Grund zu der Befürchtung, daß in Konstantinopel eine einflußreiche Kriegspartei vorhanden und der Fanatismus der türkischen Beamten im Wachsen begriffen sei. Der Gesandte hält einen gemeinsamen Schritt der französische» und der englischen Regierung in Konstantinopel für bevorstehend.
Deutscher Hteichstag.
ss Werkt«, 23. Febr. Präsident Graf Ballestrem eröffnet die Sitzung um 1 Uhr 20. Die erste und zweite
Beratung des Gesetzentwurfs betreffend den Schutz von Erfindungen, Mustern und Warenzeichen auf Ausstellungen wird debattelos erledigt. Es folgt die zweite Beratung des Reichseiseobahnamts bei Titel: Gehalt deS Präsidenten. Gröber (Ztr.) beklagt sich darüber, daß im fiskalischen Interesse sich einzelne Eisenbahnen gegenseitig Konkurrenz machen. Das widerspreche der Reichsverfasfuug und schädige den Reichsgedanken beim Volke. Liebermann von Souneuberg (Deutsch-soz.) referiert nachträglich über die Kommisfiousberatungeu. Präsident von Schulz bestreitet, daß eine illoyale Konkurrenz stattfinde. Das Reichseisenbahnamt könne hiebei wenig tun, da erstens Beschwerden an dasselbe nicht gelangt seien und zweitens nachdem nicht geglückten Versuche unter dem Fürsten BiSmarck das Reichseisenbahnamt wenig Neigung haben könne, seine Kompetenz auf dem bestrittenen Gebiete zur Geltung zu bringe». Hildenbrand (Soz.) führt aus, trotz aller Verbesserungen im einzelnen könne unser Eisenbahnwesen nicht zur Blüte kommen, solange die gegenseitige Konkurrenz dies hindere und so lange das fiskalische Interesse vorherrsche und nicht das allgemeine Berkehrsinteresse; Redner befürwortet eine Resolution Auer, wonach der Betrieb und die Verwaltung der deutschen Eisenbahnen dem Reich übertragen werden soll. Hie der (nlb.) sagt, die Resolution Auer sei heute undurchführbar. 1876 sei der große Bismarck'sche Gedanke verhöhnt und verspottet worden; jetzt sei eS zu spät. Die Vergewaltigung der schwächeren Bahnen müsse aufhören. Er empfehle deshalb die Resolution der Kommission, wonach die Umleitungen des Güterverkehrs möglichst eingeschränkt und an die durchgehenden Personenzüge auf deren Haltepunkten die sonstigen Personenzüge möglichst augeschlossen werden sollen. Präsident Schulz führt auS, das Reichseisenbahnamt könne nicht einheitliche Maßnahmen anordnen, sondern nur auf deren Einführung hinwirkeu. Naturgemäß dringe von der Tätigkeit einer Aufsichtsbehörde wenig in die Oeffentlichkeit; so entziehe sich der Oeffent- I lichkeit namentlich auch die Wirksamkeit seines Ressorts für die Landesverteidigung. Sehr erfreulich sei es, daß die Sozialdemokraten sich den Gedanken Bismarcks zu eigen gemacht haben. Ob aber die Chancen zur Ausführung desselben jetzt günstiger seien als früher, müsse er dahingestellt sein lassen, weil er nicht wisse, wie die verbündeten Regierungen sich dazu stellen, wenn etwa die Mehrheit des Hauses den Antrag Auer zum Beschluß erhebe. Storz (Vp.) klagt über die Benachteiligung Württembergs durch die illoyale Konkurrenz der preußischen Eisenbahnverwaltung. Aehnlich handle auch Bayern gegen Württemberg. Im Interesse des einheitlichen Vorgehens des Reichstages empfehle er die Resolution der Budgetkommission. v. Normann (kons.) spricht sich gegen die Resolution Auer aus. Seine Partei werde nie die Hand dazu bieten, daß durch die Reichsgesetzgebung einschneidende Maßregeln gegen die durch die Verfassung garantierten Reservatrechte getroffen werden. Müller-Sagan wünscht die Einführung eines amtlichen Viehbeförderungskursbuches für das Reich. — Präsident Schulz erwidert, das vom Generalstab bearbeitete Kursbuch für den Pferdeverkehr werde in das von seiner Verwaltung aus gearbeitete Kursbuch für den Viehverkehr aufgehen. Letzteres sei schon in den Bundesstaaten außer Preußen eingeführt. Er hoffe, daß auch Preußen das Kursbuch mit dem 1. Mai einführen werde. — Drees - bach (soz.) empfiehlt den Antrag Auer. Werde der Betrieb und die Verwaltung der Eisenbahn durch das Reich nicht erreicht, so gingen die einzelstaatlichen Eisenbahnen ihrem Ruin entgegen. Dadurch werde der Nationalgedanke schwer leiden. — Gamp (Reichsp.) glaubt keinem Widerspruch zu begegnen, wenn er sage, die preußische Verwaltung habe sich nie aus finanziellen Gründen leiten lassen, allgemeine Interessen deshalb zu vernachlässigen. (Stürmische Heiterkeit.) — Gotheim (frs. Bgg.) sagt, ihm erscheine ein Reichseisenbahuprojekt wirtschaftlich weder wünschenswert noch durchführbar, weil es das Budgetrecht der Ein- zelstaatea präjudizieren würde. — Hofmann (Soz.) führt Klage, daß die thüringischen Staaten von der preußischen Eisenbahnverwaltung ausgenützt würden, um die Kosten der gemeinsamen Schwächen zu tragen. — Wolfs (wirtsch. Vgg.) tritt für die von der Kommission empfohlene Resolution ein. — Müller-Meiningen schließt sich den von Hofmann vorgebrachten Beschwerden an. Hierauf wird der Titel bewilligt, die Resolution der Kommission einstimmig angenommen und die Resolution Auer gegen die Sozialdemokraten abgelehnt. Der Rest des Etats des Reichseisenbahnamtes wird debattelos angenommen und die Fortsetzung der Etatsberatnng auf morgen vertagt.