Aerusprecher Yr. 11.

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Sonntag. 7. Jebruar

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> 1904.

Deutscher- Hleichstag.

* Merlin, 4. Febr. Das Hans berät die Vorlage be­treffend die Entschasiguvci unschuldig Verhafteter weiter.

Frohme (soz.) bezeichnet die Vorlage als Stückwerk. Unsere Justiz entwickle sich immer entschiedener zu einer Klassen­justiz. Das Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft sei ein N 0 N 86 N 8 . Nichts wäre becksomer gegen die Willkür der Behörde», als die persönliche Haftbarmachung der Beamten für jeden durch ungerechtfertigte Verhaftung vorsätzlich, fahrlässig oder irrtümlich angerichteten Schaden. Die Ent­schädigung für die. erlittene Untersuchungshaft müsse auf alle Fälle gewährt werden, ganz gleichgiltig, ob die Un­schuld des Angeklagte» erwiesen ist oder nicht. Redner fragt zum Schluß, wie es denn mit der geplanten großen Reform der Strafgesetzgebung stehe. Staatssekretär Nieber - ding: Aus Dankbarkeit für die ruhigen und maßvollen Ausführungen des Vorredners will ich die Darlegungen, die ich erst bei der zweiten Beratung geben wollte, schon heute geben. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf mit den vom Reichstag daran vorzunehmenden Aenderungen werden die unschuldig Verhafteten viel wohlwollender be­handelt, als das vom Vorredner gelegentlich gepriesene Schweizer Gesetz über dieselbe Materie sie behandelt. In der Schweiz ist dem Richterstand ein viel weiterer Spiel­raum, ein weit größeres diskretionäres Ermessen gegeben. Die Vorwürfe Frohmes gegen die Staatsanwaltschaft und die Gerichte weise ich mit aller Entschiedenheit zurück, da sie ohne die geringste Begründung herausgeschleudert sind. Vorwürfe des Amtsmißbrauchs ohne Beibringung bestimmter Fälle sollte man unterlassen. Redner schließt, die Regier­ungen können sich auf Beseitigung der in K 2 niedergelegten Bestimmunaen über Nichlgewährung von Entschädigung nie­mals einlassen. S'tadthagen (soz.) führt aus, die Vor­lage sei kern Fortschritt, sondern ein Rückschritt. Sie sei geeignet, die Klassenjustiz zu stärken Die Bestimmung, daß den Freigesprochenen, gegen welche begründeter Verdacht , vorliegt, eine Entschädigung zu verweigern sei, sei unver- I stündlich, denn der Freispruch könne nur erfolaen, wenn ein begründeter Verdacht nicht vorliege. Zu den Richtern könne man das Vertrauen nicht haben, die nach Klassenjustiz lechzen und vielleicht einmal aus Versehen das Richtige treffen. Redner bekämpft die in der Vorlage enthaltenen Ausnahmen von der Entschädigung und verlangt auch Entschädigung für Freiheitsberaubung. Was heißt Ersatz des Vermögensschadens? Gamp könnte gegebenenfalls sagen, der Betreffende habe es im Gefängnis "immer noch besser gehabt als ein Landarbeiter. (Heiterkeit.) Aller­dings brauche man nicht so viel zu verlangen wie im Fall Lüders, wo der deutsche Geschäftsträger von der Republik Haiti 1000 Dollars Entschädigung für den ersten und 5000 für jeden weiteren Tag Haft gefordert habe. (Heiterkeit.) Redner bespricht den Prozeß Bierbaum-Rieß wegen Be­leidigung des oldenburgischeu Ministers Ruhstrat und meint, die Strafprozeßreform sollte die Bestimmung bekommen, daß zum Amt eines Justizministcrs nur befähigt sei, wer die Tragweite seiner Handlungen zu übersehen vermöge. (Große Heiterkeit.) Bei der Strafprozeßreform werde nichts herauskommen, da sie nur von den Anhängern der herr­schenden Klasse gemacht werde, also von Leuten, die noch nie gesessen haben. (Heiterkeit.) Deppe (fraktionslos) bekämpft Stadthagens Ausführungen, die überaus über­trieben seien. Abg. Lucas (ntl.) bekämpft die vorgesehene Entschädigungsausnahme und billigt nur diejenige, welche die Entschädigung versagt, wenn ein dringender Verdacht besteht. Es sei besser, zwei Schuldige zu entschädigen, als einem Unschuldigen Unrecht zu tun. Es werde sieb aus dem Entwurf hoffentlich etwas Ersprießliches machen lassen. Largmann (frs. Bp.) kündigt an, er werde auf den Fall Ruhstrat-Bierman» bei der Beratung des Juftizetals zurück­kommen. Rach einer Erwiderung Frohmes gegen Gröber ermahnt Ballestrem die Abgeordnete», Ausdrücke bei Pole­miken zu vermeiden, durch die der Ton im deutschen Reichs­tag herabgemindert werde. Müller-Meiningen erklärt gegen Gröber und Deppe: Leider Gottes sei im Volke das Vertrauen zu manchen Richtern geschwunden. Man soll nicht den Richterstand durch falsche Hellmacherei darüber täuschen. Das Haus schließt die Beratung. Die Vorlage wird einer 14gliedrigen Kommission überwiesen. Morgen Beratung des Etats des Innern.

* Merlin, 5. Februar. Das Haus setzt die zweite Be­ratung des Etats des Reichsamts des Innern fort. Patzig (ntlb.) befürwortet die Berücksichtigung der Wünsche verschie­dener Beamtenkategorien aus Besserung der Besoldungs- Verhältnisse. Die Ansicht Posadowskys, Preußen müsse da­mit vorangehen, führe zu einem oiroulus vitiosuo, denn in Preußen heiße es:Der Bien muß." Die Enquete be­

treffend die Verhältnisse der Privatbeamten möge vom Staatssekretär bald in einem Gesetzentwurf niedergelegt wer­den. Redner vermißt eine Etatsposttion zur Veranstaltung einer Enquete über die Lage des Handwerks und regt an, dafür vielleicht andere Ausgaben zu streichen. Er bekämpft die sozialdemokratische Kritik gegenüber den nationalliberalen Anträgen und betont, daß die Republiken Frankreich und Schweiz sozialpolitisch hinter Deutschland zurückstehen. Gegenüber der Klage der Sozialdemokratie, daß die Ge­werbeinspektion die meisten Betriebe nur einmal jährlich revidiere, sei zu beachten, daß die Berufsaenossenschaften bezüglich der Durchführung der Unsallversicherungsmaß- nahmes jährlich wiederholt kontrollieren. Die Gewerbe­inspektoren sollten auch über die Wohnungsverhältnisse und das Verhältnis zwischen Miete und Lohneinkommen genau berichten. Das Reichsamt des Innern erwarb sich ein großes Verdienst durch die Herausgabe eines Reichsarbeits- blatteß, das ein außerordentlich wertvolles Material liefert für die Beurteilung der bestehenden und die Erkennung der erstrebenswerten Maßnahmen. Redner schließt: Die bürger­lichen Parteien sollten sich die Freudigkeit des Schaffens nicht durch die Sozialdemokratie verbittern lassen, zumal das Reichsamt in der Arbeitsfreudigkeit vorangehe und das Arbeitgeber- und das Arbeitnehmertum zum allergrößten Teil bereitwilligst mitarbeite. (Beifall bei den National­liberalen.) Müller-Meiningen (fr. Bp.): Der Ham- burgische Vertreter Dr. Schäfer hat neulich in Erwiderung meiner Ausführungen Mitteilungen gemacht, die zu ^ nicht hieher gehörten. Ich habe ihn durch meine Darle­gungen auch nicht zu seinen Darlegungen über das Bordell­wesen usw. gereizt, weil ich in diesen Dingen nicht sachver­ständig bin. (Große Heiterkeit!) Eine eigenartige Illu­stration zu seinen Behauptungen bietet nun der Bericht der Frkftr. Ztg." aus dem Hamburger Etat, in dem es heißt, die ständige Zunahme der heimlichen Protistution und des heimatlichen Zuhältertums mache es notwendig, schärfere Maßnahmen dagegen zu ergreifen. (Große Heiterkeit.) Redner führt mehrere Fälle an, in denen Versammlungen von Fraucnvereinen in Hamburg durch die Polizei ver­boten bezw. aufgelöst worden sind, trotzdem andere Ver­sammlungen, in denen dieselben Themata besprochen wur­den, gestattet worden sind. Redner ist dem Staatssekretär dankbar dafür, daß er eine reichsgesetzliche Regelung des Vereins- und VersammiungSrechts für wünschenswert erklärt hat. Lesche (soz.) weist gegenüber den Angriffen des Abg. Patzig darauf hin, daß bei der jüngsten Nachwahl in Osna­brück ein nationalliberales Flugblatt betont hat, daß die Nationalliberalen und Sozialdemokraten oft Schulter an SLulter gekämpft und gestimmt hätten. Redner verlangt schließlich die Schaffung einer gemeinsamen Organisation für die durch die drei großen sozialpolitischen Gesetze ge­schaffenen Versicherungen. Die bisherige Organisation ver­schwende die Arbeitskraft und Zeit und die Berwaltungs- kosten. Letztere betrügen 35 Millionen jährlich. Hamb. Bundesratsbevollmächtigter Schäfer führt aus, die Frage der Zulässigkeit der Auflösung von Versammlungen durch die Hamburger Polizei sei lediglich Sache der Landesgesetz- gebung. In Hamburg werde kein Unterschied gemacht, ob die Versammlungen von Männern oder Frauen einberufen seien. Bei den von Müller-Meiningen getadelten Fällen handelte es sich darum, daß die Anwesenheit Minderjähriger zu befürchten gewesen sei, zu deren Entfernung die Hamburger Polizei nach dem dortigen Vereinsgesetz nicht berechtigt sei. Erzberger (Ztr.): Die sozialdemokratische Fraktion hat gegen uns den schweren Vorwurf erhoben, wir meinten es mit der Sozialpolitik nicht ehrlich, denn sonst müßten wir den Etat ablehnen, wenn unsere Forderungen nicht alle erfüllt würden. Der verstorbene Sozialdemokrat Grillen­berger hat die Ablehnung des Etats einmal ials die

größte Verrücktheit bezeichnet. Sie können doch nicht zu­mute», daß wir im Reichstag Verrücktheiten begehen.

Redner weist durch Zitate aus dem sozialdemokratischen historischen Kalender nach, es gebe keine Infamie, die der Aufnahme in dessen Spalten nicht für würdig erachtet wor­den wäre. Die von den Sozialdemokraten so sehr ge­schmähte Bettelsuppe des Zentrumsabg. Hitze könne aller­dings mit den der üppigsten Phantasie entsprossenen

Schilderungen Bebels und des Schriftstellers Stern von dem wahrhaft paradiesischen Leben und der Beköstigung im Zukunftsstaat nicht verglichen werden. Obwohl angesehene Führer der Sozialdemokratrie die Lehre von dem ehernen Lohngesetz von Lasalle und die Marx'sche Theorie in Be­zug auf die Landwirtschaft als längst durch Wissenschaft und Praxis widerlegt und ad8uräum führend bezeichnet hätten, besäßen sie heute noch den Mut, den Arbeitern die Richtigkeit dieser Lehren vorzugaukeln und trotzdem dem

Zentrum Heuchelei vorzuwerfen. (Beifall im Zentrum.) Staatssekretär Posadowsky stellt gegenüber verschie­denen Bemerkungen aus dem Hause fest, das Oberverwalt­ungs-Gericht habe in der Frage der Regreßpflicht gegenüber den Armeuverbänden die Gesetzesbestimmungen vollständig logisch interpretiert. Redner fragt an, was Müller-Mei­ningen, der größere Heranziehung der Frauen zur politi­schen Arbeit wünscht, sagen würde, wenn die Frauen als Mitglieder des Landwirtebundes in den Versammlungen Zsllerhöhunge» forderten. (Heiterkeit.) Gegenüber den sozialdemokratischen Rednern betont Posadowsky die Grund­lage zu dem, was in Deutschland sozialpolitisch geschehen ist, liegt in den kaiserlichen Erlassen. Es ist politisch gleich­giltig, wer zuerst an die Frage herangetreten ist. Wenn ich betone, was Deutschland auf sozialpolitischem Gebiete ge­leistet hat, so ist das keine Renommage, sondern eine Ver­teidigung gegen die sozialdemokratischen Vorwürfe der Re­klamepolitik. Wenn die Sozialdemokraten diese Leistungen vorurteilsfrei anerkennen, werden wir nie auf sie zurkck- kommen. (Beifall.) Jessen (Däne) führt Klage über die Behandlung der dänischen Bevölkerung Schleswig-Holsteins durch die Behörden. Nach persönlichen Bemerkungen ver­tagt sich das Haus auf morgen.

LcmdesnachrichLen.

* (Strafkammer Tübingen.) Wegen Unterschlagung von 100 Mark verurteilte datz Schöffengericht Reutlingen den Bauern Joh. Zagst von Erpfingen zu 4 Wochen Ge­fängnis und Kostentragung. Zagst hätte nämlich an den Metzger Louis Ruggaber in Gönningen einen Stier um 336 Mark verkauft. Nach der Behauptung des Ruggaber hat aber dieser bei Bezahlung des Kaufpreises dem Zagst aus Versehen 436 Mark bezahlt. Der Angeklagte bestritt dies und erhob Berufung. Eine große Anzahl Zeugen sagten teils zu Gunsten, teils zu Ungunsten des An­geklagten aus. Die Strafkammer hob das Urteil des Schöffengerichts auf und sprach den Angeklagten frei unter Uebernahme der Kosten auf die Staatskasse.

* Stuttgart, 5. Febr. Der König ist, lautSchwäbi­schem Merkur", an einer Sehnenentzündung erkrankt, die ihn nötigt, von seiner Reise nach London zur Vermählung der Prinzessin Albash mit dem Fürsten von Teck abzu- stehe«. Die Königin reist heute abend nach London ab.

* Geislingen, 4. Februar. Der hiesige Gewerbeverein beschloß in seiner letzten Monatsversammlung, seinen Aus­schuß in der Weise zu ergänzen, daß Meister sämtlicher Handwerkszweige in denselben berufen werden, und zwar im Verhältnis zu der in dem betreffenden Handwerk vertretenen Zahl der Meister. Man hofft, daß diese Einrichtung z« einem ersprießlichen Wirken des Gewerbevereins im Inte­resse des Handwerks beitragen wird.

Kßkinge«, 5. Febr. Die Geschäftsstelle für Eisenbahn- Publikationen in Stuttgart hat den Vorplatz des Bahnhofs in Ludwigsburg an Firma Brüder Landauer in Stuttgart zur Anbringung von 4 großen Schaukästen auf eine Reihe von Jahren verpachtet. Der Ludwigsburger Gewerbeverein hat sofort in Eingaben an die Kgl. Genrraldirektion der Staatseisenbahnen und an die Handelskammer in Stuttgart gegen diese Maßnahmen Verwahrung eingelegt; es ist z« hoffen, daß der gewünschte Erfolg erzielt wird und eine Be­nützung der Bahnhöfe zu Gunsten einzelner oder gar aus­wärtiger Geschäftssinnen ein- für allemal unterbleibt, zumal die Geschäfte am Platz unter der Konkurrenz der Großstadt, der Warenhäuser und der Filialgeschäfte ohnehin schwer zu leiden haben. Auch in Eßlingen ist der Versuch gemacht worden, den Bahnhofvorplatz an die gleiche Firma zur An­bringung von großen Schaukästen zu verpachten, wogegen der hiesige Gewerbevereinsausschuß in gleicher Weise wie in Ludwigsburg Vorgehen wird. Es wäre zu wünschen, daß die Gewerbe- und die kaufmännischen Vereine des ganzen Landes sich dem Vorgehen der genannten Vereine anschließen.

* Waldenbuch, 4. Februar. Das sechsjährige Töchter- chen des Schuhmachers Möbert wurde gestern am Ein­gang eines bedeckten Kanals von den ziemlich hochgehenden Wogen mitgerissen und konnte am Auslauf des zirka 150 Meter langen Kanals nur als Leiche geborgen werden.

* Göppingen, 4. Februar. Eine der bekanntesten Weinwlrtschaften der Stadt wird demnächst ihre Pforten schließe«. Die Firma Freudenberger u. Co., Mode- und Wäschewarenausstattungsgeschäft, hat das Bäcker Schmidt'sche Haus am Markt, in dem seit Jahrzehnten ein gutgehender Weinschank betrieben wurde, um den Preis von 74 000 Mark für Geschäftszwecke angekauft. Die vor einigen Jahren in altdeutschem Stile neu hergerichtete Wirtschaft wird jetzt großen, modernen Läden zu weichen haben.

* Ludwigsvurg, 4. Februar. Dragoner Ade der 5.