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nicht durch eine öffentliche Kundgebung eines englischen Ministers unterbrochen worden wäre (sehr richtig). Der englische Botschaf­ter erkennt zwar der Erregung in Deutsch­land nicht die Berechtigung zu, wird sie aber angesichts der Erklärungen im Parla­ment richtiger beurteilen können. Das Recht, das England für sich in Anspruch nimmt, als Großmacht anerkennt zu werden, nehme ich auch für Deutschland in Anspruch, es ist aber nicht immer von anderen Groß­mächten anerkannt worden. Die Notwen­digkeit, unsere wirtschaftlichen Interessen zu wahren, hatte als Folge von 1904 Algeci- ras und Agadir. Wir lehnen es ab, uns von der Bahn abbringen zu lassen, die uns die Wahrung unserer deutschne Interessen und der deutschen Würde vorgezeichnet hat. Es ist auch eine Zeit lang der Gedanke an einen Krieg aufgetaucht. Wenn man ruhig überlegt, wird man zu der Ueberzeugung kommen, daß unsere Verhandlungen mit Frankreich in dem Sinne geführt wurden, zu einer freundlichen Einigung zu kommen. Das Ziel, das wir uns gesteckt hatten, be­rührte keine englische Interessen. Der beste Beweis dafür ist,daß uns England seine Be­friedigung über den Abschluß des Marokko­abkommens ausgesprochen hat. Trotzdem hat es einige Zeit geschienen, als ob wir mit England in Konflikt kommen würden. Miß­trauen darf zwischen den beiden Völkern nicht bestehen. Mißtrauen gegen unsere auf­strebende Nation hat der englische Premier­minister nicht. Auch wir haben den Wunsch nach einem guten Verhältnis zu England (Bravo). Die Stärke Deutschlands ist eine Garantie, daß keine andere Macht Streit mit uns suchen wird. Wir sind durch eine schwere und ernste, durch eine bedrohliche Zeit hindurch gegangen. Das hat das Volk gefühlt. Möge es erkennen, was es sich selbst schuldig ist. Das ist kein Stolz, auch keine Selbsterniedrigung, deshalb keine Niederge­schlagenheit, aber auch keine Herausforder­ung, voller Mut, kaltes Blut und Einigkeit in allen nationalen Fragen (lebh. anhalten­der Beifall. Graf Westarp (kons.): Dem Entwurf über Erwerb und Veräußerung von Kolonialbesitz kann ein Teil meiner Freunde nicht zustimmen. Darin sind sie aber auch jetzt noch einig, daß die Vorlage vom 4. November durch die Erklärungen des Herrn v. Heydebrand richtig beurteilt wurden. Der frühere Zustand mit der Unabhängigkeit des Sultans bedeutete für die deutschen In­teressen immer noch einen erheblich günsti­geren Zustand. Der Eindruck, den die Ge­heimverträge gemacht haben, ging dahin, daß nicht England, sondern Deutschland so be­handelt werden sollte, als ob es nicht mehr mitzähle im Rate der Völker. Das konnte nicht ohne Einfluß auf die deutsche Stim­mung im Volke bleiben. Daß die engli­sche Regierung nicht nur die Wahrung der übernommenen Verpflichtungen anderen Mächten gegenüber im Auge gehabt hat, wie Grey erklärte, geht aus den Veröffentlichun­gen des englischen Hauptmanns Faber her­vor. Die Rede Ereys hat in Deutschland Aufregung hervorgerufen. Das Mißtrauen Englands gegen uns war nach der heutigen Erklärung dem Reichskanzler vollständig un­begründet. Die rechte Antwort auf die eng­lische Provokation ist leider nicht öffentlich erfolgt. Mit unserer der öffentlichen Stim­mung entsprechenden Zurückweisung der eng­lischen Provokation haben wir den deutschen Interessen genützt. England hat keinen An­spruch auf eine Eeneralvormundschaft. Daß England in den letzten Jahren unserer Ent­wicklung Schwierigkeiten zu machen beab­sichtigte, ist die festeste Ueberzeugung des deutschen Volkes. England muß durch die Tat zeigen, daß es unsere Freundschaft will (Beifall rechts, Lachen bei den Soz.) Bebel (Soz.): In meinem parlamenta­rischen Leben habe ich noch nicht erlebt, daß eine derartig lange Rede, wie wir sie soeben

gehört haben, verlesen wurde. (Glocke des Präsidenten. Es ist absolut üblich, in hoch­wichtigen Fragen die Ausführungen zuvor schriftlich festzülegen.) Bei solchen Reden war es bisher nicht üblich, wohl bei kurzen Erklärungen. Durch das Eintreffen des Panthers vor Agadir war die Stimmung in Deutschland und ganz Europa aufs äu­ßerste erregt. Diese Aktion hat Deutschland ganz außerordentlich geschadet. Dafür, daß England seit Jahren beabsichtigte, Deutsch­land Schwierigkeiten zu machen, fehlt jeder Beweis. Umgekehrt aber ist bei uns viel­fach Stimmuv" »egen England gemacht wor­den. Die Erregung derVevölkerung ist auf die Geheimniskrämerei der Diplomatie zu- rückzusühren. Dieses System läßt sich, wie die Eeheimverträge, nicht länger aufrecht erhalten. Wir stimmen dem Entwurf des Zentrums zu. da wir bestrebt sind, Zustände zu schaffen, die einer Kulturnation würdig sind (Beifall bei den Soz.) Bassermann (natl.): Bebel versenkt sich immer zu sehr in die Seele unserer Gegner, wärend doch solche Dinge lediglich vom deutschen Stand­punkt betrachtet werden müssen (sehr gut.) Allenthalben sieht man die Tendenz, so auch in Persien, die Länder zu verteilen, und deshalb müssen wir unsere Augen und unser Schwert scharf erhalten. Diesen Entwick­lungstrieb der immer größer werdenden Kulturvölker werden Sie nicht unterbinden (sehr gut.) Mit der Reformbedürftigkeit der Diplomatie wird sich der künftige Reichs­tag zu beschäftigen haben. Ungerechtfertigt ist die Entsendung des Panther nach Agadir nicht gewesen, es fragt sich nur, ob sie klug und geschickt war. Eine Entspannung der Lage ist durch das Marokkoabkommen nicht eingetreten. Wir vermögen nicht frei von Sorgen in die Zukunft zu blicken. Es kann nicht geduldet werden, daß von irgend einer Nation eine internationale Vorherrschaft erstrebt wird. Wir wünschen eine zielbe­wußte Politik von seiten der Regierung und des deutschen Volkes. Schräder (f. V.) Die Entsendung des Panther hat lediglich zur Beruhigung der Völker geführt. Jetzt müssen wir mit vollendeten Tatsachen rech­nen. Wir verlangen für Deutschland Aus­dehnungsmöglichkeit in solchen Ländern, die niemand gehören. Wir verlangen lediglich eine Politik des Rechts (Beifall). Fürst Hatzfeld (Reichspariei) erklärte, es wäre bester gewesen, wenn die Verhandlungen nicht mit einem solchen Schleier des Ge­heimnisses verdeckt worden wären. Frank­reich habe den Revanchegedanken nicht auf­gegeben. Wir wollen keine Konflikte provo­zieren, aber das Pulver trocken halten. (Beifall rechts). Lattmann (wirtsch. Vg.) verliest eine die Regierung tadelnde Erklärung seiner Partei. Die englische Einmischung Englands sei nicht öffentlich zurückgewiesen worden. Das habe den Glau­ben erweckt, daß Deutschland vor England zurückgewichen sei. Auch ohne detaillierten Geschäftsbericht wissen wir, was dieser Reichstag in wirtschaftlicher, politischer und namentlich sozialer Hinsicht geleistet hat. Ich möchte wünschen, daß die gesetzgeberischen Arbeiten ein guter Fortschritt sein mögen in unserer vaterländischen Entwicklung (lebh. Bravo). Bassermann sprach sodann unter dem Beifall des Hauses Dank und An­erkennung für die Geschäftsführung aus, wo­rauf der Präsident dankte, besonders auch für die ihm zuteil gewordene Unterstütz­ung. Reichskanzler Bethmann-Holl- w eg verlas dann die allerhöchste Kabinetts­ordre, welche die Schließung des Reichstages ausspricht und erklärte den Reichstag für ge­schlossen. Präsident Graf Schwerin- Löwitz sagte zum Schluß. Wir stimmen immer am Schluß der Tagung ein in das Gelöbnis der Liebe, Treue und Verehrung für unseren Kaiser. S. M. der Kaiser Hurra, Hurra, Hurra! Die Sozialdemokraten ver­ließen den Saal, während die Mitglieder

des Bundesrats, das Haus und die Tribü­nenbesucher sich von ihren Plätzen erhoben hatten. Schluß 4.37 Uhr.

Berlin 5. Dez. MahmudMukh- tar Pascha, ehemaliger Marineminister und einer der hervorragendsten Jungtürken, ist gestern in Berlin eingetroffen und hatte mit den Vertretern verschiedener Zeitungen Unterhandlungen. Er sagte: Die Nachrich­ten, die von meiner Mistion erzählen, sind aus der Luft gegriffen. Ich bin gekommen, weil zwei meiner näheren Verwandten hier krank liegen und operiert werden müssen. Von dem schließlichen Erfolg unserer Sache bin ich fest überzeugt. Der Krieg kann mehrere Jahre dauern, er kann auch in einigen Mo­naten zu Ende sein. Wir werden kämpfen immerzu. Der Unterschied zwischen Italien und der Türkei ist der: Die inneren Verhält­nisse der Türkei fordern die Fortsetzung des Krieges, die inneren Verhältnisse Italiens das Gegenteil. Wer hält es da länger aus? Wir haben der Welt klar gemacht, daß die Türkei nicht mehr die Abdul Hamids ist. Wir haben gezeigt, daß wir uns nichts mehr gefallen lasten.

Graz 4. Dez. Beim Klettern auf die Wischbergs-Hütte in den Juleschen Alpen stürzte der Schriftsetzer Wilhelm aus Kla- genfurt ab. Eine Rettungs-Expedition fand gestern die Leiche in der Schlucht unter dem Kamin. Der Student Frankhauser aus Wien, der von Innsbruck aus eine Tour unternahm, wird seit 4 Tagen vermißt.

Rom, 3. Dez. Aus Tripolis wird wenig neues gemeldet. An die Ostfront der italienischen Stellung gingen die 5. und 6. Brigade. Bersaglieri, Grenadiere und Alpen­jäger gingen zur Reserve. In Benghast erschie­nen in der letzten Nacht Gruppen von Bedu­inen bei den italienischen Vorposten, ver­schwanden aber wieder bei den ersten Kanonen- schüsten.

Schanghai 5. Dez. Deutschen Fir­men ist gestern eine anonyme Warnung zu­gegangen, die iu: Zusammenhang steht mit dem Vorschlag, e deutschen Kaufleute zu boykottieren, weil einige von ihnen die Kai­serlichen mit Munition unterstützt haben sollen. Die Angelegenheit wird untersucht und mit den Schuldigen ein kurzer Prozeß gemacht werden, gleichviel ob er ein Frem­der oder ein Chinese ist.

Rekla«eteil.

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