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Erscheint Dienstag, VomirrStaz, LamStag und Sonntag «it der GratiS-Beilage »Der SonntagS- Gast.'

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Dienstag, 29. August

Bekanntmachungen aller Art finden die erfolg­reichste Verbreitung.

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1899.

Die Gel-kirsrwtzeit.

Alle sachverständigen Kreise geben sich kaum noch einem Zweifel darüber hin, daß die heute schon bestehende Geld- krappheit zum beginnenden Herbst in eine empfindliche Ver­teuerung des Geldes, demgemäß auch in eine Erhöhung des Zinsfußes übergehen wird. Der Reichsbank-Zinssatz für Lombard-Darleihen beträgt heute bereits sechseinhalb Prozent, man mag ermessen, wie schwierig die Geldbeschaffung für minder kapitalkräftige Gewerbetreibende und Landwirte werden wird, wenn eine weitere Z'nsenerhöhung Platz greift. Nun ist ja in kleineren Plätzen und bei finanziellen Ver­einen der Zinssatz ein geringerer, als der offizielle bei der Reichsbank, aber auch hier wird man sich nicht ganz dem entziehen können, was bevorsteht. Es muß also vom Nähr­stand, wie vom Publikum mit einer Verteuerung der Be­triebsmittel gerechnet werden, eine Thatsache, die nicht ohne Rückwirkung auf den Preis von Rohstoffen und Fabrikaten bleiben kann. Erfreulicherweise haben wir in Deutschland zahlreiche Kassen und Vereinigungen, die auch dem minder bemittelten Manne zu erleichterten Bedingungen, wie schon angedeutet, aushelfen, zu wünschen ist aber nur, daß auch von solchen Einrichtungen Gebrauch gemacht wird. Daß dar aus falscher Voreingenommenheit und allerlei unhalt­baren Gründen oft genug nicht geschieht, ist bekannt, und so blüht denn leider in geldteueren Zeiten noch immer der Weizen der dunklen Ehrenmänner. Die Geldverteuerung veranlaßt auch die Hypoteken-Schuldner, wofern dieselben sich nicht auf längere Termine gedeckt haben, auf der Hut zu sein; in Zeiten, wo unbedingt sichere staatliche Finanzver­waltungen den Darleihern bereits Konzessionen machen müssen, hat auch der private Grundbesitzer mit allerlei Mög­lichkeiten zu rechnen. Ist die Geldverteuerung im Ganzen eine unliebsame Erscheinung, so zeigt sie doch, welchen ge­waltigen Aufschwung Handel und Wandel bei uns genommen haben, enorme Summen sind hier gebraucht und werden in fernerer Zeit noch in Anspruch genommen werden. Auch für die Landwirtschaft und ihre Produkte bestehen in diesem Jahre bessere Preissätze. Zu wünschen wäre unter den obwaltenden Verhältnissen vor Allem Eins, nämlich, daß energisch daran gegangen würde, den nur noch im deutschen Mittel- und Kleingewerbe vorhandenen Zopf des endlosen Kreditiere»« abzuschn iden. In solchen Zeiten, wo der Ge­schäftsmann schon durch die günstigen Barpreise zur so­fortigen Begleichung veranlaßt oder auch direkt gezwungen ist, hat er alles Recht, der Borgwirtschaft auf Jahr und Tag hinaus ein radikales Ende zu bereiten. Das Publi­kum hat nicht immer diejenige Einsicht in die Finanz-Ge- schäftsverhältnisse, die es veranlassen müßten, selbst auf da- Anschreiben" zu verzichten, ein kluges Vorgehen der Ge­schäftswelt wird aber sicher Erfolg haben und gerade dem deutschen Mittelstände reichen Segen bringen. Im Groß­betriebe wagt Niemand, vom Borgen zu sprechen, dem Mittel­stand gegenüber wird das Recht auf langen Kredit als selbstverständlich angesehen, eine Anschauung, die im hohen Maße die doch so dringend nötige Neubegründung von zahl­reichen soliden Existenzen erschwert. Bei dem heutigen Geld­preise ist schon ein Kredit von drei Monaten eine Koulanz der Geschäftswelt.

Ttrsespolitik.

Am 28. August ist gerade ein Jahr vergangen, seit aus der Hauptstadt an der Newa die Friedenskundgebung deS Zaren in die Welt hinausging. Von vielen mit freudigem Jubel, von anderen mit Zweifel oder Mißtrauen aus­genommen, hat sie seitdem nicht aufgehört, eine Rolle in der Politik zu spielen. Von dem großen Ziel allerdings, das in der Kundgebung vorgezeichnet war, von einer all­gemeinen Abrüstung, sind wir heute so weit entfernt wie nur je; aber die Konferenz im Haag, die auf die Veran­lassung des Zaren hin zusammentrat, hat doch eine Reihe von wichtigen Ergebnissen gehabt, die dazu dienen werden, teils die Schrecken des Krieges, falls es zu einem solchen kommen sollte, zu mildern. Sie hat auch Klarheit darüber geschaffen, was unter den gegenwärtig herrschenden Ver­hältnissen für fernere Beratungen ähnlicher Art als erreichbar zu betrachten und was von vornherein aus ihrem Programm aurzuschneiden ist; sie hat endlich gezeigt, daß diejenigen unrecht hatten, die von der Einberufung einer Friedens­konferenz geradezu Schlimmes befürchteten, weil dabei die Interessengegensätze möglicherweise so schroff zusammenstoßen würden, daß die Gefahr eines Kriegs nicht ferner gerücht, sondern vielmehr heraufbeschworen würde. Di« Zarenbotschaft hat aber, wie neulich schon hervorgehoben wurde, noch über die Haager Konferenz hinaus, wenn anders die aus Süd­amerika gekommenen Meldungen sich bestätigen, einen wichtigen Erfolg gezeitigt, nämlich den Schiedsgerichts- und Abrüstungs-

Vertrag zwischen Brasilien, Argentinien und Chile. Wir können ja jetzt einmal ruhig aus der Fern« beobachten, wie sich die Verhältnisse dieser drei Staaten infolge der Ab­machungen gestalten wird. Aus den Erfahrungen, die dort gemacht werden, wird man auch bei uns vielleicht lernen können. Jedenfalls darf man sich der Hoffnung hingeben, daß der Friedenskonferenz im Haag in späteren Jahren andere Konferenzen folgen, die weitere Vereinbarungen auf dem beschrittenrn Weg bringen werden, wenn auch dis Zeit deS allgemeinen Weltfriedens, den der Zar anbahnen wollt«, noch recht fern sein mag.

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Der ,Reichsanzeiger' veröffentlicht ein« kaiserliche Verordnung, wonach zur Verhütung der Einschleppung der Pest die Einfuhr von Leibwäsche, alten und getragenen Kleidungsstücken, gebrauchtem Bettzeuge, Hadern und Lum­pen jeder Art aus Portugal bis auf weiteres verboten ist. Auf Leibwäsche, Bettzeug und Kleidungsstücke, die Reisende zu ihrem Gebrauch mit sich führen oder die als Umzugsgut eingeführt werden, findet das Verbot deS § 1 keine An­wendung. Jedoch kann die Gestattung der Einfuhr derselben von einer vorherigen Desinfektion abhängig gemacht werden. Der Reichskanzler ist ermächtigt, Ausnahmen von dem Einfuhrverbot unter Anordnung der erforderlichen Vorsichts­maßnahmen zuzulassen, sowie das Einfuhrverbot auf Portu­gal benachbarte Länder auszudehnen.

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Ein unheimlicher Gast hat in Europa seinen Einzug gehalten: die Pest. Erst verleugnet, selbst von den Aerzten verleugnet, dann unter einem minder verdächtigen Namen gemeldet, hat sich die schreckliche Krankheit in der portugiesischen Hafenstadt Oporto langsam ausgebreitet und droht nicht nur die Umgegend zu vergiften, sondern auch von dort aus nach entfernteren Gegenden verschleppt zu werden. Angesichts der drohenden EinschleppungSgefahr hat die Reichsregierung sofort ihre Schuldigkeit gethan, so daß wir hoffen dürfen, von der Invasion befreit zu bleiben. In Oporto sind bisher im ganzen 19 Erkrankungsfälle, davon 7 mit tödlichem Ausgang, zur Anzeige gelangt. Man kann danach sagen, daß die Seuche etwas mild' als bisher auftritt. In den Straßen kam es zu ernsten Ruhestörungen, bei denen Polizei und Pöbel miteinander handgemein wurden. Die Unruhen waren veranlaßt durch die Wut der Ein­wohner gegen einen Dr. Jorge, der zuerst das Auftreten der Pest konstatierte und der Regierung öffentlich den Vor­wurf machte, seine Berichte absichtlich über einen Monat lang geheim gehalten zu haben. Die niedere Bevölkerung war dabei planmäßig durch einige der größeren Zeitungen aufgehetzt worden, die in einem Uebereifer um die Ver­teidigung der HandelSinteressen der Stadt ihren Haß an dem Arzte ausließen und diesen für den vollständigen Stillstand alles Handels verantwortlich machten. Da die Unterbrechung aller Verbindung mit der Außenwelt (der Sanitätskordon ist offiziell gezogen und die Stadt vollständig abgeschlossen) auch die Schließung der meisten Fabriken und Manufakturen zur Folge hatte, so genügten die Hetzereien natürlich, um die nun beschäftigungslosen Arbeiter gegen den pflichtge- treuen Arzt aufzuwiegeln und zu Manifestationen zu ver­anlassen. Als letztere in Thätlichkeiten ausarteten und das Leben des Dr. Jorge bedroht schien, griff die Polizei ein, wurde aber mißhandelt; einig« Beamte wurden durch Steine und Knüttel verwundet. Auch aus China wird berichtet, daß in Niutschuan die Pest ausgebrochen sei. Man befürchtet ernstlich, daß sie in das nördliche China, nach Tientsin und anderen Orten, eingeschleppt werden könnte.

Dom Kriegsgericht in Nennest

* Rennes, 25. August. Als nächster Zeuge erscheint Bertillon mit blossem Gesicht und den dunklen unheimlichen Augen eine- Mamonanen. Hinter ihm kommen drei In­fanteristen, schwer beladen mit riesigen dick angestopften Mappen und ungeheuren Kartons. (Große Heiterkeit im Saale.) Bertillon sagt, seine Demonstration könne, wenn er sich nicht seiner Kartons bedienen dürfe, nur von einer sehr beschränkten Anzahl von Personen verstanden werden. (Heiterkeit.) Er erbittet darum die Erlaubnis, seine Kartons vorzuzeigen. Er macht nun seine Demonstration mit ver­worrenen technischen Ausführungen, die unmöglich wieder­zugeben sind. Alle Augenblicke muß der dienstthuende Feld­webel antreten und Photographien an die Richter verteilen. Einige Richter hören mit großer Andacht zu. Das System Bertillon's läuft darauf hinaus, darzuthun, daß DreyfuS das Bordereau mittelst Geheimschrift hergestellt habe, zu deren Zusammensetzung er die Schrift seines Bruders Matthieu benützte. Je länger Bertillon spricht, um so mehr leert sich

der Saal. Die Richter betrachten mit unermüdlichem Interesse di« zahlreichen Dokumente, die Bertillon ihnen reicht, der Regierungskommissär aber scheint gelegentlich sanft rinzuschlummern.

* RenneS, 26. Aug. Die Aussagen der Experten werden unterbrochen, um Hauptmann Freystätter, Mitglied des Kriegsgerichts von 1894, zu vernehmen. Freystätter erscheint in der dunklen Uniform der Marine-Infanterie. Er ist ein schöner hochgewachseuer Soldat mit angegrautem Haar, von der Tropensonne gebräuntem Gesicht und großen blauen Augen. Freystätter sagt kurz, in seiner militärischen Art, aber mit warmer, wohllautender Stimme: Meine Ueber- zeugung von der Schuld deS Angeklagten im Kriegsgericht von 1894 hat sich gebildet auf Grund der Gutachten der Schreibsachverständigen, der Aussage der Obersten Henry und Du Paty und der im BeratungSzimmer mitgeteilten geheimen Dokumente, wenngleich die letzteren kernen großen Einfluß auf mich au-geübt haben. Diese Dokumente be­standen aus einer biographischen Notiz über DreyfuS, welche die von diesem auf der Artillerieschule von BourgeS und im Generalstab angeblich begangenen Verrätereien aufzählten aus dem Dokument ,Os OanalÜs äs O.", aus dem Doku­ment, welche- zur Schriftvergleichung mit dem vorgenannten dienen und dessen Echtheit erhärten sollte, und aus der Depesche eines ausländischen Militärattache-, welche die Schuld DreyfuS' als eine feststehende Thatsache erscheinen ließ. Diese Depesche, die heute als Depesche Panizzardi'S bekannt ist, lautete:DreyfuS verhaftet, unser Emissär be­nachrichtigt." Vielleicht enthielt sie auch die WorteVorsichts­maßregeln getroffen", aber an diese Worte kann ich mich nicht genau erinnern. Diese kurze, einfach aber fest gemachte Aussage Freystätter- ruft im Saale die größte Bewegung hervor und atemlos« Spannung herrscht, als Labori verlangt, Oberst Maurel solle vorgerufen und mit Freystätter konfrontiert werden. Es folgt die Konfrontation zwischen Maurel und Freystätter, Mitglieder des Kriegsgerichts von 1894. Freystätter sagt, sein Urteil sei durch die geheimen Dokumente mitbestimmt worden. Maurel sagt: Ich habe gestern nur gesagt, daß ich selbst nur ein Dokument gelesen habe. Freystätter: Oberst Maurel machte zu allen Doku­menten Kommentare. (Bewegung). Mercier nennt Frey- stätter einen Lügner. Schweren Schrittes besteigt Oberst Maurel die Estrade. Labori fragt ihn: Sie haben vorgestern erklärt, Sie hätten von den mitgeteilten Doku­menten nur ein einziges gelesen. Wie kommt eS, daß Haupt­mann Freystätter von allen Dokumenten Kenntnis hatte? Maurel: Ich habe gesagt, ich hätte nur ein Dokument ge­lesen und halte dies heute noch aufrecht; aber ich habe nicht gesagt, daß die anderen auch nur ein Dokument gelesen hätten. (Entrüstung im Saale.) Maurel, zu Labori ge- wendet, fährt fort: Ich wollte das Geheimnis unserer Be­ratungen wahren, da aber Freystätter alles gesagt hat, darf ich nicht mehr verbergen, daß ich den geheimen Dossier nachdem ich ihn selbst gelesen, meinem Nachbar weiter ge­geben habe, indem ich sagte: Ich bin müde. Labori (zu Freystätter): Also Oberst Maurel hat von den geheimen Dokumenten weiter nicht gesprochen ? Freystätter (ruhig und fest): Oberst Maurel hatte alle geheimen Dokumente in der Hand und wachte zu jedem einzelnen seine Kommentare. (Tiefe, langanhaltende Bewegung im Saale.) Maurel scheint mühsam nach Worten zu suchen und sagt endlich: Ich protestiere entschieden gegen den AusdruckKommen­tare", ich habe keineKommentare" gemacht! Dann wen­det sich Maurel, zu Freystätter und sagt: Hätte ich, wie Sie, geglaubt, der Präsident des Kriegsgerichts wolle einen Druck auf mein Gewissen auSübeu, so hätten mich weder sein Alter noch sein höherer Rang gehindert, ihn zur Ord­nung zu rufen. Auch hätte ich nicht fünf Jahre gewartet, um mich mit ihm auseinanderzusetzen! Freystätter sieht Maurel gerade in die Augen und sagt: Ich erinnere Sie daran, daß ich Ihnen vor einem Jahre, nachdem die Fälsch- ung Henrys entdeckt war, einen Brief geschrieben habe, wo­rin ich Ihnen meine Äewissensskrupel mitteilte! Maurel: Dar ist richtig! (Große Bewegung.) Freystätter: Im Kriegsgericht konnte ich Ihnen keine Vorhaltungen machen, weil ich nicht rechtskundig bin und weil ich nicht wußte, daß die Mitteilung der geheimen Dokumente gesetzwidrig war. Labori bittet, den GeneraNMercier hervorzurufen. Mercier erhebt sich im Saale und bittet selbst um- Wort. Labori fragt ihn, was er zur Mitteilung der geheimen Doku­mente sage, wie sie Freystätter erzählte. Mercier, mit je­suitischem Geschick, thut, als hätte er Labori nicht gehört; er wendet sich direkt zu Freystätter und fragt diesen: Er. innern Sie sich, daß in der biographischen Notiz, welch^ zu den geheimen Dokumenten gehörte, auch vom Verra^ einer Granate, durch DreyfuS die Rede war? Freystätter