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Donnerstag, 3. August
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O,
1899.
In Nothfelden und Warth ist die Maul- und Klauenseuche er-
loschen.
Ernannt wurde der Eisenbahnpraktikant 1. Kl. Kühnle in Nagold zum Eisenbahnassistenten in Tübingen.
fj Der Ruhm der „neuen Freundschaft."
Wir Deutsche haben einen Vorzug, der freilich für viele Tausende schon ein Fehler geworden ist: Wir vergessen leicht! Wir haben er, um nur ein Beispiel zu erwähnen, den Franzosen schon längst nicht mehr als Schuld angerechnet, daß ihr Chauvinismus es vor allen Dingen war. welcher uns den blutigen Krieg von 1870/71 brachte. Denn ob nun Napoleon III. oder sonst Jemand das Staats- Oberhaupt von Frankreich war, der französische Chauvinismus, die unbesiegbare gallische Eitelkeit strebte nach neuen Triumphen. Die Minister Napoleons waren nur Franzosen, wie es damals die weitaus große Mehrheit war. Den Franzosen gegenüber haben wir schnell vergessen, was auf ihrem Schuldkonto bei uns stand, aber wir wollen auch daran denken, wie nicht wenige Deutsche in der Fremde sehr eifrig bemüht waren, ihre Nationalität und selbst ihre Sprache zu vergessen. Fürst Bismarck hat hierüber im Reichstage mehr als einmal eine sehr beredte Klage geführt, und seine Klage war begründet. Inzwischen hat sich Manches gebessert, aber wir wollen nicht sagen, mehr brauchte sich nicht zu bessern. Das deutsche Nationalitätsgefühl reicht bei Weitem nicht immer an das heran, welches Franzosen, Engländer und Nord-Amerikaner umschließt. Bei denen giebt es dem Auslande immer nur ein einziges Urteil, das gar nicht einmal zutreffend zu sein braucht, aber es fehlt jeder Zwiespalt der Meinungen. Wir können bekanntlich nicht sagen, daß es bei uns stets so ist, wir würden dann die im Anfang unvermeidlich etwas schmutzige Kolonialwäsche nicht so unverhüllt vor Aller Augen gewaschen haben. Wie viele wenig heldenmäßige Thaten haben die amerranischen Soldaten nicht in dem spanischen Kriege vollbracht? Aber darum bleiben doch Alle Muster soldatischer Tugend und Tapferkeit!
Wir vergessen leicht! Aber wir machen uns allerdings auch nicht sehr leicht Illusionen. Die nüchterne Anschauung der meisten deutschen Stämme vor 1870/71 ist nachher nicht so ohne Weiteres im Reichs-Ideal untergegangen. Diese hausbackene Lebensauffassung bat ihr Recht in der Entwicklung der wirtschaftlichen Zeitverhältnisse neu gewonnen, seit der Kampf um die Sicherung der eigenen Existenz härter und dorniger wurde, konnte der Deutsche weder der Schlafmützen- Michel, noch ein phantasievoller Idealist sein. Zu wünschen wäre es gewesen, die rauhe Zeit hätte die Ideale nicht so verblassen lassen, aber sie sind doch, wie uns eine ganze Reihe von nationalen Festlichkeiten zeigte, nicht vergessen. Aus dem Ringen nach einer wirtschaftlichen Selbständigkeit wird auch von selbst wieder die ideale Sehnsucht erwachsen. Ohne das deutsche Gemüt möchte die deutsche Nation im Kampf um den Mammon verknöchern» wie die nordamerikanische, aber der Kern unsere- Wesens schützt unS.
Wir machen uns keine Illusionen, auch über die sogenannte „neue Freundschaft" mit Frankreich nicht. Wir mögen uns freuen, wenn der auf französischem Boden anwesende Deutsche sich wirklich einmal vollständig der Beklemmung entschlagen kann, als Spion nur um deswillen verhaftet zu werden, weil er deutsch spricht, wir mögen uns freuen, wenn die Mehrzahl der französischen Zeitungen einmal mit Achtung von uns spricht, statt zu schimpfen, aber wir geben uns gar keinen Täuschungen darüber hin, daß die neue Freundschaft zu einem festen politischen Zusammenschluß nicht führe. Auch dann, wenn die Franzosen das leicht« Vergessen der Deutschen lernen würden, würden sie Franzosen, nichts als Franzosen sein wollen, während wir höchsten- auf die schiefe Bahn der Kopierung von gallischen Manövern, die wir gegen früher doch so ziemlich verlassen haben, zurückgelangen würden.
Aber die neue Freundschaft kann für uns doch einen Nutzen haben, einen recht praktischen Nutzen sogar, und indem wir für den betrrffendrn Punkt einmal dar Vergessen aufstecken, uns im Gegenteil des Geschehenen recht deutlich erinnern, vermögen wir auch bald zu erkennen, ob es den Franzosen mit ihrer uns gegenüber etwas geänderten Haltung nicht blos eine Phrase ist. Was wir nicht vergessen sollen und woran wir deshalb ganz bestimmt erinnern wollen, ist Folgendes: Bis zum Kriege von 1870/71 waren bekanntlich Zrhntausende von Deutschen aller Art in Paris thätig; sie waren in allen Zweigen des Erwerbsleben- thätig, häufig gesuchter und besser bezahlt, wie die Franzosen, eine Thatsache, die man, beiläufig gesagt, in anderen Ländern, selbst in Großbritannien, noch heute konstatieren kann. 1870, als der Krieg begann, wurden die Deutschen auSge- wiesen, doch kehrten schon bald nach dem Kriege Tausende retour, und die Anzahl der in Paris und in den französ. Departements arbeitenden Deutschen vermehrte sich bis in die achtziger Jahre unausgesetzt. Namentlich als Werkmeister, Monteure, sowie in anderen höheren und gut bezahlten Posten sind zahlreiche Deutsch« in Frankreich bis vor fünfzehn, sechzehn Jahren thätig gewesen.
Dann kam die Deutschenhetze, und als Spezialität davon die Spionenriecherei, sowie der Brodneid der franz. Arbeiter. Die Bewegung zog im Nu weite Kreise: Im Namen des Vaterlandes wurde den französischen Industriellen, die deutsche Leute in irgend welcher Stellung in ihren Betrieben beschäftigten, erklärt, ein guter Franzose könne nicht mit einem Deutschen Zusammenarbeiten, am allerwenigsten aber sich von ihm etwas befehlen lassen. Es seien ja doch blos Spione. Also: Hinaus mit den Deutschen! Der Wahrheit gemäß soll gesagt werden, daß verschiedene franz. Fabrikanten sich entschieden gegen solche Zumutungen wehrten, aber was wollten sie gegen ihre Arbeiter, für die auch Presse und Publikum in flammenden Worten Partei nahmen, aus- richten! Die Deutschen mußten fort, es ist so bisher im Großen und Ganzen geblieben. Wird das nun unter der „neuen Freundschaft" wieder anders werden, oder bleibt
der Deutsch«, der in Frankreich sich umschauen und arbeiten möchte, nach wie vor „wehrlos und rechtlos."
Was die Arbeiter ihnen vorgemacht, haben sehr viele französische Großindustrielle nachgemacht! Im Namen des Vaterlandes protestierten siegegen den Verkauf von deutschen Waren 'n französischen Geschäften, gleichviel ob die deutschen Artikel besser oder billiger waren. Wer deutsche Waren kaufte, war ein Verräter, und wer sie verkaufte, erst recht. Wollte man doch sogar dem in Paris jährlich zu Tausenden eingeführten deutschen Hammel den Garaus machen, nur national-französische Hammel-KoteletteS, ein Lieblingsessen der Pariser, sollten an der Seine noch verzehrt werden dürfen. Na, daraus wurde nun nichts, aber viele sonstige deutsche Exportartikel sind aus Frankreich fortgebissen. Lin Teil der französischen Geschäftswelt ward inzwischen vernünftiger, aber große Posten müssen noch von deutschen Waren den Weg über ein sonstiges, französisches Nachbarland gehen, worauf sie neu etikettiert in die Hände des Publikums übergehen. Es giebt aber heute noch streng nationale franz. Firmen, die zur Reklame Mitteilen, daß auf ihrem Lager sich nicht- Deutsches befindet. Das hat freilich nicht verhindert, daß sie Kauf-Offerten nach Deutschland an das Privat- Publikum sandten.
Wird es sich ändern? Die Frage ist um so mehr berechtigt, als anno 1900 die Pariser Weltausstellung von einem nicht geringen Teile der deutschen Industrie beschickt wird. Deshalb wäre es sehr gut, klar zu sehen bald, ob Deutsche und deutsche Waren jenseits der Vogesen wieder vollberechtigten Kur- erlangen. Das wäre rin Nutzen, ein praktischer Nutzen der „neuen Freundschaft" für uns!
TcrKesH-olitik.
Eine ebenso interessante wie bedeutungsvolle Mitteilung macht die Neue Bayer. LandeSztg. Noch nie war Kaiser Wilhelm über die Engländer so erzürnt, als jetzt. Die Veranlassung dazu bot, abgesehen von andern Zwischenfällen von geringerer Tragweite, das geradezu völkerrechtswidrige Gebühren der Engländer auf den Samoa-Inseln, wo sie in Mißachtung bestehender Verträge ohne Grund mit Gewalt alles niederdekretierten und niederwarfen, was ihrem Willen zuwider war. Die Amerikaner hatten sich von ihnen verleiten lassen, gemeinsame Sache gegen die deutsche Vertretung zu machen, auch wurde die amerikanische Presse seit Jahren von England aus in deutschfeindlichem Sinne inspiriert. Angesichts dieser Erfahrungen sah endlich sogar unser Kaiser, dessen Freundschaft und Hinneigung zu England ihm viele Sympathien im eigenen Volke verdorben hat, seine Geduld erschöpft und sein Unwille brach bei der Kenntnisnahme der englischen Treibereien auf Samoa derart durch, daß er bei der großen Berliner Parade dem anwesenden englischen Militärbevollmächtigten seine Meinung über das infame Benehmen der Engländer derart deutlich sagte, daß der englische Bevollmächtigte nach Anhörung des kaiserlichen Urteils sofort den Exerzierplatz verließ und zur Bot-
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u Seit eiireur Isrtzv.
(Nachdruck verboten.)
Der ersten Wiederkehr des Todestages des Fürsten Bismarck ist am 30. Juli in weiten Kreisen gedacht worden; auch dort, wo im Leben mancherlei Gegensätze zu den Anschauungen des großen Toten bestanden, der bis zu seinem Lebensende blieb, was er war, eine knorrige und unbeugsame Mannesgestalt, hat das Grab den einstigen Hader in ein stilles Gedenken umgewandelt, und es wird dem Alten vom Sachsenwalde wohl allgemein zuerkannt sein: Das deutsche Reich wäre nicht so geschlossen und so wuchtig in so kurzer Zeit geschaffen, wenn Bismarck nicht seine ganze unendliche Willenskraft in die Wagschale geworfen, wenn er nicht gerade bei dieser Gelegenheit sich dazu als ein Meister von staatSmännischer Mäßigung gezeigt hätte. Der Zug der Zeit ging nach einer Einigung der deutschen Stämme, Führer würden sich gewiß auch für die Bewegung eingestellt haben, wenn Bismarck nicht war, aber wenn wir die Schwierigkeiten recht würdigen, die schon ein Bismarck, der das volle Vertrauen des greisen Königs Wilhelm I. von Preußen genoß, zu überwältigen hatte, so können wir uns des Gedanken- nicht entschlagen, daß wohl kaum die Wiedererrichtung des Reiches sich so früh und so triumphvoll vollzogen hätte, wie es geschehen ist. Bismarck war 1871 ein Meister der That, wie ihn die Geschichte nur sehr, sehr selten uns gezeigt hat. Der ist Zeuge, wer jene Zeit denkend miterlebte.
Des alten Bismarck größte Sorge war die Erstarkung der Reichs-Einrichtungen, «in Uebergehen der ReichSgedankens ins Fleisch und Blut aller derjenigen, die eS mit dem Vaterlande ehrlich meinen, wenn sie gleich im Einzelnen ab
weichender Meinung sein mögen. Bismarck war kein Idealist, der die Zukunft im rosenroten Schimmer höchsten Glücks erblickte, er war ein nüchterner Praktiker und ein unerreichbarer Menschen- und Völker-Kenner, der nur nach That- sachen und Erfahrungen urteilte. Er behandelte die politischen Geschäfte in ihrer natürlichen Folgerichtigkeit, ein Feind von allem Kleinlichem hielt er den Blick auf das Große und Ganze gerichtet. Nie hat Bismarck den Kampf gesucht, aber er hat ihn auch nicht vermieden, wenn er nötig war. Was seine Person in einer Sache bedeutete, war ihm gleich- giltig, niemals gleichgiltig war ihm das Schicksal seiner nun einmal als zutreffend erkannten Anschauung.
Der alte Praktiker in der Staatskunst würde über Manches, was seit seinem Tode geschehen, still gelächelt haben, wenn er eS miterlebt hätte. Die Friedenskonferenz im Haag hätte er sicher mit einem treffenden Wort als das bezeichnet, was sie war, als eine Melodie von Wohlklang ohne Thaten, die dem süßen Ton entsprechen. Denken wir an den Berliner Kongreß von 1879 im Reichskanzlerpalais, der doch verhütete, daß Europa ein einziges Kriegsfeuer bildete; was will dagegen die Haager Konferenz besagen? Nichts Großes zum Schein anfangen, wenn man dar Große nicht in Wirklichkeit umsetzen kann, hätte Bismarck vielleicht gesagt. Und er würde auch zu manchem anderen Vorgang in der fremdländischen Politik gelächelt und gemeint haben, daß nicht nur in seinen Jugendjahren die Diplomaten Komödie trieben.
Fürst Bismarck wäre mit dem Gange der deutschen Politik während de- letzten Jahre- gewiß im Großen und Ganzen einverstanden gewesen, aber mit zweierlei wäre er entschieden nicht zufrieden gewesen: Und das sind zum
Ersten diverse, unpraktische Gesetzesbestimmungen, die dem Reichstage vorgeschlagen werden, zum Zweiten mit der in so manchen wichtigen Fragen herrschenden Unklarheit. Bismarck wollte eS, daß ihn Jeder verstand, daß Freund und Feind wußten, woran sie mit ihm waren. Und darin hapert es! Wir haben im Reichstage, wie im preußischen Landtage außerordentlich wichtige Gesetze, von denen ein jeder weiß, daß sie im Entwurf vorliegen, von welchen aber niemand genau sagen kann, was au- ihnen einmal werden wird.
Deutschland und Deutschland'- Interessen über aller! Das galt für BiSmarck. Und auch sein größter Feind giebt zu, daß hierin die Triebfeder für die ganze Bismarck'sche Politik lag. Er hat nicht immer Recht gehabt, das Eingeständnis seiner Jrrtümer war ein freimütiges, aber er hat nach seinen eigenen drastischen Worten nie und nimmer geduldet, daß Jemand Deutschland „in die Suppe" spuckte. Gerade bei der ersten Wiederkehr des Todestages des Altmeisters deutscher Staatskunst erscheint es wichtig, aus Eins hinzuweisen: Wiegen wir un« nicht in dem schönen Traum, daß alle Staaten in uns verliebt sind! Die Zeit der Erneuerung der Handelsverträge rückt näher und näher, und dann können wir die sogenannte Freundschaft nur zu sehr auf Herz und Nieren prüfen. Wir gedenken Bismarck's darum vor Allem als eines Meisters praktischer deutscher Politik. Recht hat er nicht immer gehabt, aber nach dem Rechten hat er stets auf dem Wege der praktischen Interessen gestrebt! Er hat gedacht: Das deutsche Reich ist geschaffen, daß seine Bürger sich in ihm wohl fühlen; nichts kühlt den Patriotismus so ab, wie unverdiente Sorgen. Deutschland muß stolz dastehen nach Außen, aber auch der deutsche Bürger muß sagen können: Ich merk's, daß ich ein Deutscher bin!