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Donnerstag, 20. Oktober
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1898.
IZ Es ivell etrvers Neues «oe<r-eie.
In allen Staaten rührt's sich und regt's sich, nicht immer in einem Erfreuliches verheißenden Sinne, cs will allenthalben etwas Neues werden. In den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen der einzelnen Nationen hat sich in den letzten zehn Jahren schon recht viel geändert.
Deutschland ist einer von den wenigen Staaten, die erfreulicherweise sagen können: Wir bauen fest aus den Frieden nach Außen und brauchen vor inneren Feinden nicht zu bangen, wenn wir sie auch nicht außer Acht lassen dürfen. Wenige Staatswesen sind so gut daran. Unsere beiden nächsten Verbündeten, Oesterreich-Ungarn und Italien, haben in Bezug aus die innere Gestaltung ganz andere, viel schwerere Besorgnisse. Daß die sozialen Zustände in Italien recht traurige sind, daß die Liebe zur Monarchie und der Patriotismus stark abnrhmcn, hat sich in so vielen Erscheinungen gezeigt, daß es hier nichts mehr zu vertuschen grebt. Dem schönen Lande fehlt ein staatsmännischer Arzt von der Erprobtheit eines Bismarck, der nicht die äußeren Erscheinungen der Krankheit allein bekämpft, sondern der Wurzel des Uebels nachgeht. Und der unstillbare Nationalitätenhader in der habsburgischen Monarchie? Es rst ein außerordentliches Glück, daß unter all' den Schicksalsschlägen wenigstens die Person Kaiser Franz Joseph'S ungesckwächt geblieben ist. Ein Tod des Kaisers unter den heutigen Gegensätzen könnte leicht zu Folgen führen, die beim Namen zu nennen man sich scheut.
Mit Gewalt zeigt sich der Zug nach dem Neuen in Frankreich und in den Vereinigten Staaten von Nordamerika. In Paris hat die alte parlamentarische Republik abgewirtschaftet, mag der Exkapitän Dreyfus freigesprochen werden oder nicht, die Bevölkerung ist der Regierung der Herren im Frack, all' der Skandale und Schmutzgeschichten müde geworden, sie verlangt nach Anderem. Die französische Republik ist über die schwere Krisis, in welche sie geraten, bei weitem nicht heraus, von allen Ueberraschungen, die an der Seine möglich sind, stehen die größten erst noch bevor. Und die nordamerikanische Union? Was man drüben republikanische Schlichtheit und Zurückgezogenheit nannte, ist verschwunden, im Namen der Menschlichkeit schreitet die freie Republik in klirrenden Waffen gerade so daher, wie die früher von ihr so viel geschmähten europäischen Staaten.
Und daß es im Osten, im Lande der Kaiserreise, etwas Anderes werden will, kann Niemand verborgen sein, der die Geschichte genau verfolgte. Es wäre dort schon Alles neu, wenn nur der Erbe für das Alte festftände. Und damit kommen wir auch zu dem Lande, von wo uns jüngst die Friedens-Posaune erklang und zu seinem Gegner. Näher und immer näher sind einander Rußland und England ge
rückt, so nahe, daß der Zar seinen bekannten Ruf erhob. Ist er auch nicht verhallt, so sind doch die Verhältnisse und die politischen Erfordernisse, selbst dis Rußlands, mächtiger, als aller guter Wille eines Einzigen. Denn nicht die guten oder schlimmen Gedanken eines Fürsten oder einer Regierung sind heute das Ausschlaggebende im Wirrwarr der Zeitläuse, sondern die Erfordernisse der Völker. Die Zeit meistern kann Niemand, das hat auch Fürst Bismarck weder unternommen noch vermocht. Aber er hat die Zeit verstanden, und das ist nicht Jedem beschieden.
Tt»sesjpslitik.
Einen Mann gab es, der die Gefahr des Polentums frühzeitig erkannt hatte: Bismarck. Schon 1848 schrieb er in die Magdeburger Zeitung einen Artikel, der darauf hinwies, daß das einzige Ziel der Polen die Wiederherstellung des Königreiches sei. Im Jahre 1872 machte er sich an die Arbeit, diese Gefahr zu bekämpfen. Durch das Schulgesetz, die Ausweisung, die Sperr« gegen Rußland, die Versetzung der polnischen Beamten und Rekruten nach dem Westen und durch energisches Vorgehen gegen den Klerus gelang ihm viel Erfolg. Durch die Schaffung des 100 Mlllionenfonds und die Ansiedelungsarbeit wurde auch viel erreicht; jedenfalls wurde ein äußerlich gutes Verhältnis zwischen Polen und Deutschen hergestellt. Ein Vorgang aber, der leider meist übersehen wird, konnte jedoch dabei nicht aufgehalten werden: Die polnische Infizierung der deutschen Rasse als Ganzes. Es geschieht überall, daß Nationen, die durcheinander zerstreut wohnen, sich mit einander vermischen und es kommt bei dem Resultate dieses Prozesses darauf an, daß dasjenige Volk, welches sich dabei behaupten will, eine nationale Zähigkeit besitzt. Der Deutsche hat in unverständiger Schwäche, wo er auch auf der Erde mit anderen Völkern in Berührung kam, seine Nationalität aufgegeben und eine fremde angenommen. Das lag früher in der äußerlichen Schwäche Deutschlands begründet, heute machen wir dir erfreuliche Beobachtung, daß die Deutschen in den fremden Niederlassungen Deutsche bleiben. In den polnischen Gegenden müssen wir aber beobachten, wie Familien deutscher Herkunft und deutschen Namens polnisch geworden sind. Der Klerus, der die Fähigkeit der slavischen Rasse und seine Macht über sie wohl kannte, hat durch die Begünstigung der Mischehen seinen schlimmen Einfluß sehr fühlbar gemacht. Hat sich ein Deutscher mit einer Polin verheiratet, dann beginnt seine Arbeit, dir den Deutschen derartig erschöpft, daß er sein Deutschtum aufgeben muß. Zuerst wird die Frau mit allen Mitteln, die dem Klerus zu Gebote stehen, dazu bewogen, auf die katholische Taufe des Kindes des protestantischen Deutschen zu dringen. Es
gelingt ihr fast immer, dies durchzusetzen, und dann bleibt der Vater als „Ungläubiger" in der Familie, um schließlich den stummen Vorwürfen seiner Frau und seiner Kinder zu erliegen und katholisch zu werden. Und da Katholizismus und Polentum in den Ostprovinzen — mit Ausnahme weniger Gegenden — identisch sind, so wird aus dem Deutschen ein Pole. In dieser Weise sind namentlich in Westpreußen und Posen jene vielen Familiennamen entstanden, bei denen der deutsche Stamm eine polnische Endung trägt. Aber auch Familien mit rein deutschem Namen finden sich unter den Stockpolen. Damit scheiden Deutsche einfach aus ihrer Rasse aus. Das Polentum schwächt das Deutschtum, wo eS kann. Darum müssen wir uns wehren, wie wir können. Es ist gut. daß unsere Politik die Wege schwächlicher Duldsamkeit verlassen hat. Denn mit Güte und Freiheit können die Polen nicht zu Deutschen, nicht einmal zu Freunden der Deutschen gemacht werden. Die Regierung hat das eingesehen und seit dem Rücktritt Caprivis wieder eine Politik befolgt, die dem Deutschtum nützen wird. Man kennt diese Maßnahmen wohl allgemein und hat sie gebilligt. Vielleicht ist es nock nicht genug, was man gethan hat, um das Deutschtum zu schützen. Insbesondere muß die Thätig- keit der Ansiedelungkommission und der Rentenzüterkommission noch mehr auf das Ziel „Rückdrängung der Polen" gerichtet werden.
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Ueber die Marineforderungen für das Etatsjahr 1899 schreibt man den B. N. N. von „unterrichteter Seite" : Die einmaligen Forderungen des ordentlichen Etats werden sich um 3,6 Mill. Mk. höher stellen als für das lausende Jahr; denn sie werden 55 Mill. Mk. betragen. Von dieser Summe werden aus die restlichen und die weiteren Raten der heute schon im Bau befindlichen Schiffe 41,3 Millionen entfallen, während 13,7 Mill. Mk. aus die ersten Raten für die neuen weiter auf Stapel zu legenden Schiffe kommen. In diesen Forderungen werden auch jene für die Torpedoboote und die artilleristische Armierung liegen.
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Ueber den Konflikt zwischen der preußischen Negierung und dem Vatikan und seine Beilegung lausen noch immer widerspruchsvolle Meldungen; es scheint aber am Ende doch, daß die Curie sich noch nicht veranlaßt gesehen hat. die Hand zur Versöhnung zu bieten und daß Rampolla dem Vertreter des Herrn v. Bülow in Rom noch keinen Besuch abgestattet hat. Viel beachtet worden ist der iVs stündige Besuch des Großherzogs von Baden bei dem Kardinal Kopp in Breslau, dessen Einfluß beim Vatikan ein sehr großer ist. England und Italien stehen bei dem Streite ganz auf Seite Deutschlands.
SpelLennis Luftfahrt mit der Wega.
(Schluß.)
Unterdessen sind unser Ballonches Speltersin und die beiden anderen Herren unablässig bemüht, die reizvollen Bilder der ganzen Umgebung durch die Sutrrschen Moment- Apparate auf der Platte zu fixieren. Prof. Heim notiert und zeichnet daneben eifrig; er befindet sich, auch ohne Sauerstoffatmung, verhältnismäßig ganz wohl; sein Bart ist voll Eiszapfen, wachsgelb sein sonst so rosiger Teint. Ueber Spelterinis energische Züge legt sich eine tiefdnnkle, schwarzbraune Färbung, seine sonore, kräftige Stimme klingt hohl, dumpf wie aus überirdischer Welt. Jetzt erst werde ich der unheimlichen, geisterhaften Stille gewahr, die uns alle um- giebt, jener eisig-stillen, ewigen Ruhe der höchsten Schichten des Lustmeers, zu denen kein Geschöpf und kaum noch ein Laut der Erde hinausdringt. Das schwache Surren des Uhrwerks am Aspirationsthermometer, das Ticken der Uhren in unseren registrierenden Barometern unterbrechen kaum hörbar die feierliche Stille dieser hohen Regionen. Die Wega zieht ruhig ihres Weges gen Nordwesi; 1 Uhr 15 Minuten stehen wir über Averdon, dann über St. Croix, dem Jura, fliegen weiter bis gen Besan?on. das wir in steilem Absturze in ungefähr 2500 Meter Höhe um V?3 Uhr erreichen.
Der Ballon hebt sich neuerdings in raschem Fluge auswärts, um halb vier — über Gray — gelangt er in die maximale Höhe zwischen 6300 und 6400 Meter. Spel- terim möchte noch höher, bedeutend höher gehen; er fühlt sich immer noch im Vollbesitz seiner herkulischen Körperkraft, trotz der bedeutenden Höhe und ohne jegliche Sauerstoffatmung. Die Situation wird kritisch; Spelterini verlangt gebieterisch von mir den Schlüssel zum Oeffnen der neben chm stehenden Sauerstoffflasche. Er will unter Einwirkung des belebenden Gases unbedingt höher gehen. Ich widerspreche energisch; denn über 7000 Meter weiß ich bestimmt, daß
mir unter den obwaltenden Umständen höchste Lebensgefahr droht, wahrscheinlich ebenfalls den beiden anderen Begleitern, während die elastische Lebenskraft unseres gestählten Chefs vielleicht 8000—9000 Meter ertragen hätte. Prof. Heim legt sich ins Mittel, auch er fühlt den Ernst der Situation; der dämonische Wunsch des Kapitäns blieb trotz seinem drohenden Veto unerfüllt, den Schlüssel zum Himmelreich hielt ich im Stiesel wohl verborgen. Also Ventil los! Die Wega wird durch Gasverlust rasch zum Fallen gebracht. Jetzt erst merke ich — trotz der starken Sonnenstrahlung am tiefblauen Himmel — die heillose Kälte, die mir die Finger fast zum Erstarren gebracht. Gott sei Dank, wir fallen fortwähreno stark, die steilabfallende Kurve des Rsgistrier- barometers läßt darüber keinen Zweifel mehr aufkommen. Ein, zwei Säcke Ballast werden hinausgefeuert und überschütten alle Insassen und Instrumente mit einem dichten Staubregen; denn unsere Wega fällt weit rascher als der fein geschlemmte Flußsand der Rhone, der unsere Ballastsäckr füllte.
Doch wo sind wir? Weite Strecken Wald mit kleinen Lichtungsflecken sind erkennbar. Da heißt es höchste Vorsicht. Wir machen uns zur Landung klar, die wegen des ziemlich starken Unterwindes durchaus nicht leicht erscheint.
Jeder, der einige Kenntnis in aeronautischen Dingen besitzt, weiß, daß die Landung oft wert schwieriger und gefährlicher ist als die meist gefahrlos und glatt verlaufende Abfahrt. Wie sein Gefährte zu Wasser, so geht auch das Luftschiff vor Anker, wenn es seine Fahrt vollendet hat, und es unterscheidet sich auch das dazujbenutzte Instrument meist in keiner Weise bei beiderlei Arten von Fahrzeugen. Ein Schiff, das in den Hafen läuft, kann aber seine Fahrt mehr und mehr verlangsamen, bis der Anker gefaßt hat, nicht so der Ballon, der ja mit voller Windgeschwindigkeit dahinsaust. Wenn sich da der Anker in das Erdreich einsrißt, so erhält die Gondel einen gewaltigen Ruck, sie schlägt aus den Boden auf, der so entlastete Ballon schnellt empor und reißt Gondel und Anker mit sich herauf; wieder sinkt er,
wieder faßt der Anker, wieder der Aufprall, wieder das Emporschnellen, und so kann der Ballon in riesenhaften Sätzen manchmal über das Land dahinspringen, indessenden umhergeschleuderten Insassen gar oft das Hören und Sehen vergeht.
So ungefährwar das Bild, dasich unmittelbar vorunserer Landung im Kopse hatte. Die Erde kommt uns in rasender Eile immer näher, scheint auf uns zuzufliegen. Das scharf spähende Auge des Kapitäns hatte ein günstiges Brachfeld entdeckt, der Anker fällt. Ich berge noch mit Blitzesschnelle so gut es geht, meine mobilen Instrumente im Korbe. Achtung! Klimmzug! Mein blonder Nachbar zur Rechten und ich fassen nach oben und ziehen uns mit den Armen an den Korbseilen in die Höhe; Professor Heim hängt sich mit Leibeskräften an die Ventilleine; während Spelterini, zum Sprunge bereit, nach der Reißleine greift, die den Ballon durch Aufreißen zum raschen Stillstand bringen soll. Da schlägt die Gondel mit Gewalt auf den Boden auf, die Ballonkugel erhebt sich noch einmal und schleift weiter. In todesmutigem Satze springt unser Ballonführer Spelterini aus der Gondel in das Netzwerk und faßt glücklich wieder die ihm aus den Händen entschlüpfte Reißleine. Zum zweitenmal ein starker Ausstoß, dann ein kräftiger Zug, der Anker hat fest gefaßt, der Ballon neigt sein stolzes Haupt und schmiegt sich der Erde an. Alle sind unversehrt, auch die metereologischen und photographischen Apparate haben kaum nennenswert gelitten dank der ausgezeichneten Führung und wunderbaren Geschicklichkeit unseres Chefs Spelterini, der bis zum letzten Moment seine eiserne Ruhe und Geistesgegenwart voll bewahrte. Wir waren bei dem kleinen Dörfchen Rivisre um Vs5 Uhr niedergegangen, auf der Grenze der Haute Marnö und des Departements Cote d'Or zwischen Dijon und Langres.
Damit endete für die Teilnehmer eine großartige Episode, die zeitlebens uns allen in unauslöschlicher Erinnerung bleiben wird.