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Ärschemr Dienstag Donnerstag, TmnStag und Sonntag mit der GratiS-Beilage .Der SonntagS- Gast.'
Besteüprets pro Quartal im Bezirk Nagold 90 ^
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Nr. 143.
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Samstag, 17. Septor.
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1898.
Unterm 12. ds. Mts. hat S. M. der König die erledigte Hauptlehrstelle an Klasse UV des Gymnasiums in Cannstatt dem Oberpräzeptor Gut (früher in Altensteig) an der Lateinschule in Freudenstadt übertragen.
ViW»' Aus Anlaß der bevorstehenden Weinlese wird Folgendes bekannt gemacht: 1) Die Begleitung von Weinsendungen in Wagenladungen durch die Versender beziehungsweise durch deren Leuts ist allgemein zulässig. Der Begleiter hat zutreffendenfalls eine Fahrkarte III. Klasse zu lösen und Aufstellung im Innern des Wagens, also nicht auf der Plattform, zu nehmen. 2) Die Güterstellen sind angewiesen, zur Vermeidung von Verwechslungen und Verschleppungen nur solche leere und gefüllte Weinfässer zur Beförderung anzunehmen, welche an einer der beiden Bodenseiten mit weißer Oelfarbe genau gezeichnet sind. Es empfiehlt sich jedoch, die zum Versandt kommenden Gebinde womöglich an beiden Bodenseiten und mit dem vollständigen Namen zu bezeichnen. 3) Im Interesse einer regelmäßigen und raschen Abfertigung wird den Versendern von neuem Wein dringend empfohlen, jeder Auflieferung, wenn thunsich, stets den Frachtbrief beizugeben ooer dis Güterstellen bei der Anfuhr wenigstens mit einer Notiz zu versehen, aus welcher zu entnehmenist, nach welcher Station die Sendung bestimmt ist und ob solche als Einzel- oder als Wagenladungsgut Beförderung finden soll.
Durch Verfügung des Ministeriums des Innern ist die Einfuhr und Durchfuhr von Klauenvieh aus der Schweiz verboten worden.
^ Attlitcir segeir
In Paris werden die Dinge von Tage zu Tage ernster. Heute ist die Frage nicht mehr allein: Revision des Dreyfus- Prozesses oder nicht?, es bat sich bereits dazu ein ernster Zwist zwischen der Armee und den bürgerlichen Gewalten gesellt. Nach den Geständnissen des Oberstlisutenants Henry ist das Ministerium Brisson bis auf den Kriegsminister General Zurlinden für eine Revision des Dreyfus-Prozesses, mit dem Kriegsminister sind aber die leitenden Kreise der Armee, und auch der Präsident Foure dagegen. Die Stimme des Präsidenten der Republik will in diesem Zwist am wenigsten besagen, es kommt auf den offenen Gegensatz zwischen den militärischen und bürgerlichen Gewalten an, der unter der gegenwärtigen Republik noch nie so scharf zum Ausdruck gelangt ist, wie heute.
Das Ministerium Brisson ist ausnahmslos aus sehr weit links stehenden Politikern zusammengesetzt. Präsident Faure hat es nach dem Rücktritt des gemäßigten Kabinetts Mölmes nur ungern angenommen, aber es waren eben keine anderen Leute damals zu finden. Das Ministerium Brisson weiß sehr wohl, daß es die Neigung des Herrn Faure nur in geringem Grade besitzt und hat sich darüber kein Hehl gemacht, daß der Präsident der Republik einen sich bietenden Anlaß zur Berufung neuer Minister nur zu gern benützen würde; aber da die Volksvertretung vertagt ist, hat man es nickt gerade nötig, des Präsidenten wegen sich große Sorgen zu machen. Mit Faure würde Premierminister Brisson fertig, doch nun kommt die Armee, und da gewinnen die Dinge ein neues Gesicht.
Ministerpräsident Brisson hat ausgesprochen oder aussprechen lassen, daß er nötigenfalls die Revision des Dreyfus- Prozesses zu erzwingen wissen werde, indem er selbst so lange das Kriegsministcrium übernehme, bis der neue Prozeß durchgeführt sei. Brisson kann das wagen, ob es ihm aber gelingen wird, und vor Allem, ob irgend ein Franzose es ihm zum Schluß danken wird, das ist eine andere Sache.
Gefährlich ist es schon, gegen dle Ansicht aller hohen Offiziere den Prozeß zu beginnen. Wird aber im Verlauf des Prozesses die französische Armee unheilbar blosgestellt, dann wird kein Franzose es Brisson Dank wissen. Der schwere Fehler, das Recht nicht allezeit hochgehalten zu haben, rächt sich jetzt fürchterlich.
Der Durchschnittsfranzose von heute ist kein so überzeugter, durch und durch demokratischer Republikaner, daß er nicht lieber einen glänzenden General an der Spitze des Staates sähe, als einen Mann im Frack. Wäre Boulanger kein Schwachkopf gewesen, er würde sicher die Diktatur über Frankreich erreicht haben; er, der sich später selbst erschoß, fürchtete in der kritischen Stunde die mögliche Kugel. Wer will sagen, ob nicht ein General über Nacht Boulanger's Werk aufnimmt, wenn der Zwiespalt zwischen der kürzer- lichen Regierung und der Armee sich immer mehr zuspitzt?
Hat der Franzose zwischen der republikanischen Re- gierung in Paris und dem Ansehen seiner Armee zu wählen, so wird er seine Regierung eher im Stich lassen, wie eine Minderung der Autorität der Armee dulden. Darauf hin spitzt sich nun die Frage der Revision des Dreyfus-Prozesses zu. Ohne volle Klarheit ist sie nicht möglich, und giebt es diese Klarheit, so folgt die Landeskrisis. Die Armeeführer sind in eine Sackgasse hinein gerannt, sie können nicht vorwärts, sie wollen nicht zurück.
Als die Verurteilung von Dreyfns nach allerlei Machinationen und Jntriguen erfolgte, um Andere zu retten, da noch hätten die Spitzen der Armee einen Ausweg suchen können, es handelte sich immer nur um das Wohl und Wehe von einzelnen Personen. Heute ist die Armee als solche gefesselt, darum haben sowohl der Civilkriegsminister Cavaignac wie der General Zurlinden die Revision des Prozesses schroff abgelehnt. Sie schlagen der Gerechtigkeit ins Gesicht, um Republik und Armee zu halten.
So stehen die Dinge! Das Ministerium Brisson mag nun zusehen, wie es fertig wird, denn die Ereignisse sind auf dem besten Wege, aus dem Dreyfus-Prozeß eine Landeskrisis zu machen. Das ist die Folge der republikanischen „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit". Wir können in diesem seltsamen Jahr 1898 noch merkwürdige Dinge erleben, kommt in Paris der Stein des Verhängnisses ins Rollen, dann kann er Manchen und Manches zerschmettern.
Tsrsespslitik.
Was bezwecken die Greuelthaten der Anarchisten? Revolutionäre Bestrebungen mit grundsätzlicher Billigung der Attentate sind m der Geschichte öfter vorgekommen, wir erinnern nur an die blanquistischen Verschwörungen in Frankreich und an die „Unbedingten" unter den deutschen Burschenschaftern. Aber stets war das Attentat nur empfohlen worden, um die hauptsächlichsten Widersacher unschädlich zu machen. Der Anarchist Netschajew war der erste, der Attentate, Putsche rc., ganz abgesehen von jenem Zweck, ausschließlich zur Verbreitung der Idee des Anarchismus ins Werk zu fetzen anriet. Diese scheußliche Lehre
wurde unter dem Namen „Propaganda der That" fast von der gesamten Anarchistenpartei der Welt angenommen. Netschajew verkündete u. a.: „Ohne unser Leben zu schonen, müssen wir mit einer Reihe verwegener, ja übermütiger Unternehmungen in das Leben des Volkes einbrechen und ihm den Glauben an seine eigene Macht einflößen, es erwecken, vereinigen und zum Triumpf seiner eigenen Sache hinführen." Eine jede solche That, sagen die Anarchisten, werde bei dem heutigen Zeitungswesen binnen weniger Stunden in der ganzen Welt bekannt, man spreche in jeder Werkstatt, in jedem Wirtshanse, in jeder Hütte darüber; die Gründe der That würden erwogen; man käme auf den Thäter und damit auf die Grundsätze zu sprechen, denen zu Liebe er die Handlung vollbracht. Das sei eine Agitation, wie sie durch Schriften und Reden nimmermehr erzielt werden könnte. Besonders energisch trat Paul Brousse für die Propaganda der That ein; sein Blatt „Avantgarde" verherrlichte die Hödel und Nobiling und bedauerte nur, daß man immer zur unsicheren Pistole anstatt zu dem besser treffenden Dolche griff. Als Präsident Carnot erdolcht worden war, wurden allgemein internationale Maßregeln gegen die Anarchisten gefordert. Aber mit der Erregung über die Schandthat verschwand nach einigen Wochen auch diese Absicht. Jetzt erschallen wieder dieselben Rufe; hoffentlich faßt man diesmal die Sache energischer an. Bereits verlautet von einer Konferenz in Brüssel. Ob freilich dieses Beginnen Erfolg haben wird, das will abgewartet sein. Es ist nämlich eine unleugbare Thatsache, die seit Jahren dem Kriminalpsychologen viel zu dcnken giebt, daß die verruchtesten Mörder eine geradezu krankhafte Eitelkeit verraten. Sie schreiben noch aus dem Gefängnis die schwülstigsten Briefe, worin sie ihre That verherrlichen, sie spielen mitunter selbst auf dem Gang zum Schaffst noch Komödie, sic wollen ob ihrer unerhörten Frevelthat angestaunt werden. Heute nennt man solche Verbrecher Anarchisten, aber im Jahre 256 vor Christi Gebürt wurde der berühmte Artemis-Tempel von Ephesus angezündet und der Brandstifter gestand ein, daß ihn zu einem Verbrechen nur die Sucht verleitet habe, durch eine unerhörte That seinen Namen auf die Nachwelt zu bringen. Herostratus handelte ganz so wie Santo Caserio oder Luccheni. Der Name Anarchist war damals noch nicht erfunden. Aber im Wesen gleichen sich die Thaten dieser Verbrecher vollkommen. Und derartig eitelhaft kranke Menschen wird es immer geben,, auch wenn die Bänder, die jetzt die Anarchistenpartei umschlingen, durchschnitten sind. Eines wird sich freilich unterdrücken lassen, die anarchistische Agitation durch Zeitungen, Flugschriften und Reden, und schon damit wird etwas gewonnen sein.
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Im Vordergründe der Erörterungen steht die Frage der Auslieferung des Mörders Lnccheni an Oesterreich, sowie die Einleitung internationaler Maßregeln gegen den Anarchismus. In letzter Beziehung ist die gesamte Presse einig, daß etwas geschehen müsse, und man verweist darauf daß die That Lucchenis nicht etwa die eines Wahnsinnigen,
Die Kerrin von WoLsenshcrgen.
(Fortsetzung.)
Als er die Treppe hinaufeilte, lag ein böser, grausamer Ausdruck in seinen Zügen. „Die Lösung ist vollbracht und ich kann ruhig sein, der Mord blieb mir doch erspart. Heinz ist ein brauchbarer Kerl und hat manchmal die besten Einfälle!"
Bei dem Zimmer Rittas machte er Halt, ging hinein, sich eine Tasse Kaffee auszubitten. „Der Morgenritt war so angreifend. Ich war herzlich froh, dich nicht dazu veranlaßt zu haben, teuerste Ritta," sagte er liebenswürdig. „Du erlaubst schon, daß ich ein wenig ausruhe bei dir?" Er lehnte sich behaglich in ein Sopha zurück, dabei eine feine Havanna anbrennend, deren Aroma er mit sichtlichem Behagen einsog. Dann erzählte er ihr von den letzten Reichstagsverhandlungen, sich genau an das haltend, was für sie anziehend sein konnte.
Mit gemischten Empfindungen lauschte Ritta ihres Gatten Erzählungen, noch immer blieb das Gefühl des Fremdseins. Ihre vornehme, rechtliche Natur hieß sie unlautere Mittel verwerfen, sie wollte und mußte der Pflicht weiterleben, wenn der Weg auch ein noch so steiniger, dornenvoller sein sollte. Mit Mühe zwang sie sich, seinem Jdeengang zu folgen, doch zur Heuchelei sich erniedrigen — nimmermehr. Der grausame Egoismus, der immer wieder aus seinen Worten leuchtete, legte sich erkältend auf die warmen Triebe freundlichen Entgegenkommens.
Er blieb eine Stunde: sich verabschiedend sagte er leichthin: „Es wird schicklich sein, unfern Nachbarn ein An- trittssest zu geben, liebste Ritta, sinne auf etwas Passendes und laß die Einladungen ergehen, du hast in diesen Dingen so viel Feingefühl. Da wir nun doch einmal bis zu unserer
Abreise in Wolfenshagen zu bleiben gedenken, müssen wir> auch der Geselligkeit Rechnung tragen!"
Sie nickte zustimmend, ein müder, abgespannter Zug lag in ihrem herrlichen Angesicht. Wie sollte sie die frohe Festesstimmung finden, während es in ihrem Innern so todestraurig aussah?
„Ich hoffe dich beim Mittagstisch etwas umgänglicher zu sehen," sagte er verstimmt, „ich meine, du bist sehr verändert und launenhaft geworden!" Er ging, die Thür unsanft ins Schloß werfend.
Ritta blickte ihm tief aufseufzend nach, es war ein harter, schwerer Kampf, die Zeit mit ihrem heilsamen Einfluß mußte auch hier eine Wandlung bringen.
Beim Mittagsmahl saßen sie sich einsilbig gegenüber. Dehnhardt beobachtete sie mit finsteren Blicken, dann gefiel er sich in beißendem Spott aus seinen Erlebnissen in der Residenz zu erzählen und all die kleinen Tagesereignisse in den dunkelsten Farben zu malen. Später forderte er sie auf, mit ihm nach Rotenstein zu fahren, um Besuch zu machen.
Im freundlichen Ton lehnte sie dies ab. „Ich will nach Finkenstein hinüber, ich sah den Onkel schon einige Tage nicht!"
„Eure Liebe hat wirklich etwas Rührendes," in kaltem Spott kam es von Dehnhardts Lippen, „noch dazu, wenn man bedenkt, daß ihr nicht einmal Blutsverwandte seid!"
Flammende Röte kam und ging in ihrem bleichen Antlitz. Ein herber Zug flog um ihren Mund, doch gelassen erwiderte sie: „Seit meines Vaters Tode nahm er dessen Stelle ein im äußern und inneren Leben, er war der Beschützer meiner Jugend, mein Freund, Lehrer und Berater alle Zeit. Das Gute in meiner Erziehung kam von ihm, er lehrte mich die Menschen lieben und achten, lehrte mich für alles Schöne glühen, nie kann ich ihm den Dank voll
abtragen! Daß er meinem Herzen am nächsten steht, ist die Folge seines edlen Wirkens."
Dehnharvl preßte die Zähne in die Lippen, daß ein Heller Blutstropfen hervorquoll. Dann sagte er stolz: „Mit deiner Vermählung erlosch die Vormundschaft, der Mann ist der natürliche Beschützer seiner Frau; doch fällt es mir nicht ein, dich irgendwie in deiner Vorliebe für den alten Herrn beeinflussen zu wollen, um so mehr, als sie ganz gegenseitig zu sein scheint! Schon beim Morgengrauen war ein Bote von ihm da, der dein Erscheinen fordert!"
„Du sagtest mir heute morgen nichts davon!" erwiderte sie mit ernstem Aufblick.
Weil ich nach langem Fernsein auch eine traute Stunde mit meiner Frau verleben wollte und mir die Vorrechte des Gatten nicht ganz entziehen lasse. Auch fand ich den Grund, der dein Kommen bedingte, geradezu lächerlich!"
„Ist etwas vorgefallen in Finkenstein?" fragte Ritta tonlos.
„Der junge Herr soll seinen Spazierritt zu weit ausgedehnt haben, nun ist der Onkel voll Besorgnis und befürchtet, der Himmel weiß was. Bah, als ob man sich im reifen Alter noch am Gängelband leiten ließe und über jeden Schritt Rechenschaft geben müsse! Heutzutage fällt ohne groß Geschrei kein Spatz vom Dach, geschweige daß ein Mensch auf eigenem Grund und Boden sich verliert!"
Sie starrte ihren Gatten mit weit geöffneten Augen und schreckensbleichem Antlitz an. „Ich muß hinüber! sofort! Des Onkels Befürchtungen sind gewiß nicht grundlos. Oswald ist noch Genesender, hat für seine Gesundheit noch zu sorgen, sein Ausbleiben erregt auch meine Sorge!"
Er erfaßte ihre Hand und hielt sie mit schmerzendem Drucke fest: „Ritta, diese Gefühlsäußerung ist mir rätselhaft!"