* Nendingen, 2. Febr. Ein halbe« Jahr ist nun verflossen, seitdem das „schlafende Mädchen," Johanna Mattes hier, nachweisbar die letzte Nahrung zu sich genommen hat. In letzter Zeit jedoch mehrten sich die Zeichen, welche eine, wenn auch unregelmäßige und dürftige Nahrungsaufnahme als denkbar erscheinen lassen. Die Kranke ist wiederholt von ihren Angehörigen außer Bett oder in Augenblicken, als sie aufzustehen sich anschickte, überrascht worden. Auch soll man einmal Brosamen in ihrem Bett entdeckt haben. Des weitern fand man im Krankenzimmer zwei fertige, ganz korrekt gestrickte Pnppenstcümpse auf. Ein dritter war noch unvollendet. Die nötige Zahl und Größe der erforderlichen Stricknadeln wußte das Mädchen durch Entzweibrechen von normalen Nadeln sich zu verschaffen. Die Zimmerthür, die vor Abwesenheit der Eltern verriegelt worden, fanden diese nachher gewaltsam geöffnet. Die Möglichkeit ist also nicht ausgeschlossen, daß das Mädchen in unbewachten Stunden — lassen es doch die Eltern, wenn sie der Arbeit nachgehen, meistens allein — Nahrung zu sich genommen hat. Könnte als Folge der Krankheit nicht Menschenfurcht, Mißtrauen, Starrsinn rc. das Kind veranlassen, gegenüber der von Menschenhand gereichten Nahrung sich völlig passiv zu verhalten? Unter solchen Umständen erscheint ein Verbringen der Patientin in eine Anstalt zu genauer Ueberwachung gewiß sehr angezeigt.
* VonderDonau,2. Febr. Obwohl im Futterhandel wenig Leben ist, trafen doch in den letzten Tagen einige größere Fuhren Heu ein, die aus der badischen Nachbarschaft kamen und die zum Preis von Mk. 3 pr. Ztr. verkauft wurden.
* Berlin, 1. Febr. Der „Reichsanzeiger" veröffentlicht einen Erlaß, worin der Kaiser für die Glückwünsche zu seinem Geburtstage auf das Wärmste dankt und sagt: „Die große Anzahl der schriftlichen und telegraphischen Kundgebungen giebt Mir beredtes Zeugnis, daß das Band, welches Mich mit dem deutschen Volk verbindet, auf treuer Anhänglichkeit und zuversichtlichem Vertrauen begründet ist. Ich habe aus den begeisterten Kundgebungen aber auch mit Befriedigung ersehen, welchen freudigen Widerhall die jüngsten Erfolge unserer Bemühungen, den deutschen Interessen auch im Anslande ausreichenden Schutz und gesunde Weiterentwicklung zu sichern, in den Herzen aller Patrioten, besonders auch bei den fern vom Vaterland lebenden Deutschen gefunden haben. Mein Sinnen und Denken wird im Aufblick zu Gott dem Herrn auch ferner darauf gerichtet sein, die Sicherheit und Wohlfahrt des Reichs zu fördern und zu heben."
* Hamburg. Die Hamburg-Amerika.Linie bestellte bei dem Vulkan in Stettin einen vierten neuen Passagierdampfer von 560 Fuß Lange, für 300 Kajüten- und 1000 Zwischendeckspassagiere.
SluständtsHes
* Rom, 1. Febr. Infolge des stürmischen Wetters sind heute in der Umgebung zwei Spinnereien eingestürzt. Beim Einsturz der einen in Oggiono wurden fünf Arbeiterinnen getötet, auch sollen noch mehrere unter den Trümmern begraben liegen, während bei der zweiten Spinnerei in C.sana di Brianza zwei
Arbeiterinnen ums Leben kamen. Nach beiden Orten ist Hilfe abgegangcn.
* Mailand, 1. Febr. In der Provinz Como richtete ein heftiger Sturm schweren Schaden an. In Oggiono stürzte der Kirchturm ein. Es gab fünf Tote und viele Verwundete.
* Mailand, 2. Febr. Der durch den gestrigen Sturm in den Provinzen Como und Bergamo angerichtete Schaden ist sehr bedeutend. Bisher wurden 17 Gote nnd gegen 10V Werrvundete festgestellt. In Cadenabbia am Comersee sanken vor den Hotels Cadenabbia und Bellevu55 Meter Straße und Hafenanlagen in den See. Wieke Aaöriken sind zerstört und geschlossen.
* Paris, 30. Jan. Der Expolizist Rodot scheint eine große Anzahl von Mädchenmorden aus dem Gewissen zu haben. Nebst der eingestandeneu Erdrosselung eines Mädchens Namens Jouin liegen Beweise dafür vor, daß er vor zwei Monaten auch ein Mädchen Namens Marie Bigot durch einen Revolverschuß in den Nacken ermordet hat. Endlich lassen ihn viele Momente auch als Mörder der Luise Lamier, die in der Rue Saint-Lazare wohnte, erscheinen; die Ermordung derselben erfolgte vor einigen Jahren. Die Polizei durchforscht nun die Akten über die während der letzten zwanzig J chre begangenen Mädchenmorde, welche alle einen gemeinsamen Typus zeigen, wie er im Falle Jouin vorliegt. Gegen Rodot spricht, daß man bei ihm eine Liste alleinwohnender Mädchen fand, daneben Notizen über ihr Vermögen, ihre Gewohnheiten und die Beschaffenheit ihrer Wohnungen. Dann fand man bei ihm alle Journale mit Berichten über Mädchenmorde rot angestrichen. Rodot hat sein Mordgewerbe systematisch betrieben; er ist 44 Jahre alt und wohnt seit Jahren mit der 75jährigen Marquise Manoury d'Ectot zusammen. Er verließ unter Grsvy's Präsidentschaft den Polizeidienst.
* Paris, 2. Febr. In den Kreisen der Dreyfus- Anhänger herrscht eine sehr zuversichtliche Stimmung. Man erwartet unbedingt eine Revision des Prozesses, wenn auch erst nach den Wahlen.
* Paris, 2. Febr. Die „Aurore" verweist darauf, daß vor einigen Tagen der russische Militärattaches, General Fredericks, aus Petersburg zurückkam und sich sofort nach dem Elysee begab. Die „Aurore" glaubt, Frederiks, der lange Jahre Doyen der Pariser Mili- tärattachees gewesen und darum über die Affaire Dreyfus durchaus im Klaren sei, habe den Zaren z« einer offiziösen Intervention zn Hnnstea des unschuldige« Zreyfns bestimmt. So erkläre sich der ungewöhnlich eilige Besuch Frederick's im Elysee. über den die Offiziösen des Elysee ein unbegreifliches Stillschweigen beobachten.
* London, 1. Februar. Die „Evening News" meldet aus Shanghai: Die Abmachung nnt Deutschland wegen Kiao Tschau war gerade beinahe fertig, als der Matrose Tsimo ermordet wurde. Infolge dessen wurden die Verhandlungen zwischen dem deutschen Gesandten und dem Tsung-st-Aamen suspendiert. Einer Nachricht des Bureau R uter aus Peking zufolge verlangte Deutschland als Kompensation für die Ermordung des Matrosen weitere Eisenbahn-Konz ffsionen in Shantung.
* Newyork, 1. Febr. Ein entsetzlicher Schnee- sturm, der dem orkanartigen Schneesturm vom 12. März 1888 außerordentlich ähnlich war, hauste in Newyork und New-Eugland. Er deckte Straßen und Bahnlinien zu und begrub Eisenbahnzüge. Besonders heftig war der Sturm in Boston, das vollständig vom Verkehr obgeschnitten ist. 200 Pferde kamen in der letzten Nacht um, indem sie über die Leitungsdrähte der Straßenbahn strauchelten und niederstürzten. Die Kadaver sind noch unverscharrt.
Handel und Verkehr.
* Ulm, 1. Febr. (Häute- und Fellversteigerung.) Bei der gestern stattgehabten Versteigerung der an- gesallenen Häute und Kalbfelle wurden folgende Preise erzielt: Ochsenhäute 38^/2 bis 42 Pfg. Stierhäute 34 Pfg., Kuhhäute 370s bis 391-s Pfg., Kalbelhäute 3?Vs bis 421/2 Pfg,, Farrenhäute mit Kopf 291/2 bis 30 Pfg., ohne Kopf 30 bis 33 Pfg., Kalbfälle mit Kopf 54 Pfg., ohne Kopf 651 / 2 - 67 Pfg.
* Murrhardt, 2. Febr. Dem gestrigen Vieh- Viehmarkt wurden 650 Stück Vieh zugeführt und zwar 95 Paar Ochsen, 75 Paar Stiere, 126 Stück Kühe. 80 Kalbeln, 54 Stück Kleinvieh und 30 Stück Mastvieh, außerdem 150 Stück Schweine. Letztere fielen im Preise um ein geringes. Mastvieh ging reißend ab zu steigenden Preisen, auch der Handel in Kühen war lebhaft, ganz flau dagegen der Handel in Zugochsen.
Reneste Nachrichten.
* Berlin, 3. Febr. Nach zuverlässiger Information ist der Mörder des Matrosen Schulze in Kiao-Tschau ergriffen und nach chinesischem Gerichtsspruch hingerichtet worden.
* Hamburg, 3. Febr. Auf Veranlassung des französischen Generalkonsuls ersucht die Polizeibehörde den Direktor des Eentralballen-Theaters, Drucker, von der Aufführung des bereits angekündigten Sensationsschauspiels „Capitäu Dreyfus" Abstand zu nehmen, weil sie sonst gezwungen sei, diese polizeilich zu untersagen. Drucker verweigerte vorläufig eine Zusage.
* Wien, 3. Febr. Im Laufe des vormittags kam es in der Aula zwischen deutschen und czechischen Studenten zu Zusammenstößen, nachdem dort die Affichen der czechischen Verbindungen von den deutschen Studenten herabgerissen worden. Bei einem Zusammenstöße zogen drei Czechen Messer, die ihnen entwunden wurden; die Czechen wurden hinausqedrängt. Mittags 12 Uhr verfügte der Rektor die Sperrung des Universitäts-Gebäudes, worauf Ruhe eintrat.
Verantwortlicher Redakteur: W. Rieker, Altenkeig.
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Schweigend und mit gebeugtem Nacken hatte sie vor ihm gestanden. Jetzt sah sie zu ihm auf und sagte traurig:
„Ach, Heinz, ich weiß nur zu wohl, daß ich schlecht an Ihnen gehandelt habe, aber dafür dürfen Sie mich allein nicht verdammen. Ich bin ja so erzogen worden, daß ich damals nicht andcis denken und handeln konnte . . . Was wußte ich von der Liebe nnd vom Leben! Ich, das einzige Kind eines steinreichen Mannes, dem man von frühester Jugend an eingeprägt hatte, daß für Gold alles zu haben sei — konnte ich dafür, Heinz?"
„Ich glaube Ihnen, Frau Baronin," entgegnete er einst, „und ich will Ihnen auch keinen Vorwurf machen."
„Und . . . Sie erlauben mir, Heinz — ?"
„Nein, Frau Baronin," — er schüttelte kurz den Kopf — „das ist vorbei. Unsere Wege dürfen sich nie mehr kreuzen. Darum bitte ich Sie dringend, Frau Baronin."
Schweigend und Prüfend sah sie in sein bleiches Gesicht.
„Leben Sie wohl," sagte er.
Sie fragte: „Kein „auf Wiedersehen?"
„Nein, es ist besser so."
Mit stummem Gruße schieden sie.
*
* *
Zn Hause schrieb nun die Baronin sofort an den Grafen Brockhoff, daß sie seinen Antrag ab- lehnen müsse, da sie nicht gesonnen sei, in eine zweite Ehe zu treten.
Dann sank sie hin und barg schluchzend ihr Gesicht in den weichen seidenen Kissen, denn nun fühlte sie, daß das Glück für immer an ihr vorübergegangen sei . . .
Vermischtes.
* Eine Mutter, die ihr 8jähriges Töchterchen er- mordete, stand am Montag vor dem Dresdener Schwurgericht. Die Maurersfrau Ulbrich lebte mit ihrem Manne in unglücklicher Ehe. Er ist ein Trunkenbold und ein sittlich ganz verkommener Mensch. Sie ist nickt weniger roh als er. Alle Tage kam es zu wüsten Szenen, unter denen besonders die kleine Martha zu leiden hatte. Sie wurde in rohester Weise mißhandelt. Am 10. November fand man das Kind auf einem Steinablagerungsplatz. Es war erwürgt nnd der Unterleib war ihm aufgerissen. Am Tage vorher hatte di? Mutter das Kind aus der katholischen Schule abgeholt und war dann auf langen Umwegen mit ihm umhergegangen, um zur Ausführung des Verbrechens die volle Dunkelheit abzuwarten. Noch ein Funken von Gefühl und Mitleid war bei ihr vorhanden, als sie den Appetit des bittenden Kindes mit einigen Aepfeln stillte, welche sich die Kleine auf Geheiß der Mutter aus einem Produktengeschäft holte, und sie mag auch wohl noch in einer gewissen seelischen Aufregung sich befunden haben, als sie auf dem menschenleeren Schauplatze der That dem erschrockenen Mädchen im Flüstertöne zurief: „Martha, wir wollen mit einander sterben, weil der
Vater gar so garstig mit uns ist." Die Entgegnung des Kindes: „Ach nein, Mutter, mach das nicht," rührte die Verbrecherin nicht mehr. Unter den Würggriffen der Mörderin hauchte das arme Wesen den letzten Atemzug aus, worauf die entmenschte Mutter den kleinen Leichnam platt auf den Erdboden legte, den für immer stillen Mund mit frischgepflücktem Gras verstopfte und den Leib des Kindes verstümmelte, um den Verdacht zu erwecken, das Kind sei das Opfer eines Lustmordes geworden. Dann ging das entsetzliche Weib nach Hause, um sich mit ihrem betrunkenen Mann und anderen Leuten über den Verbleib des Kindes — zu wundern. Von einem sofortigen Geständnis war kein Rede. Erst dann, als man Schritt für Schritt nachwies, daß ihre Alibi-Angaben erfunden seien, gestand sie die That zu. Seitdem ist kein Funken ernstlicher Reue über die Lippen der Angeklagten gekommen, obschon sie hin und wieder unter dem Eindruck ihrer Vernehmung geweint hat, und es erscheint wie ein Hohn auf den gesunden Menschenverstand, daß sie behauptet, der angeblich von ihr beabsichtigte Selbstmord sei von ihr nur deshalb aufgeschoben worden, um noch eine dringende Blumenarbeit anzusertigen. Von der kaum glaubhaften Ge- mütsverrohung des Mannes der Ulbrich zeugt, nebenbei bemerkt, der Umstand, daß er nach dem Begräbnis seines Kindes in einem Schnapsladen lachte und scherzte, sodaß die bodenlose Gleichgültigkeit Ulbrichs seinen Zechgenoffen unerhört war und sie ihn durch - prügelten. Das Schwurgericht verurteilte die Ulbrich zum Dode.