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1898 .
^ Deutschland und Kreta.
Die Vorgänge in Ostasien haben das Interesse für die wichtige und immer noch nicht erledigte Kretafrage so ziemlich in den Hintergrund gedrängt. Die Kandidaten für den Posten eines Gouverneurs für Kreta haben oft und schnell gewechselt; der Name des Prinzen Georg von Griechenland aber hält sich hartnäckiger aus der Tagesordnung.
Für Deutschland hat die Person des Gouverneurs eine untergeordnete Bedeutung. An sich ist es für Deutschland gleichgültig, wie die Dinge sich auf der Insel Kreta gestalten, solange sie nicht mit ihrer Wirkung über die Grenzen der Insel lsinausgreifen. Selbst wenn die aufständische christliche Bevölkerung noch mehr, als dies bisher der Fall war, sich zu Unterdrückungen und Greuelthaten gegenüber der mohammedanischen Bevölkerung auf der Insel aufreizen lassen'sollte, so wäre das nicht genügend, das Leben nur eines braven deutschen Seemannes dafür aufs Spiel zu setzen. Demzufolge kann es auch für Deutschland an sich ganz gleichgültig sein, wer dort Gouverneur der Insel wird, vorausgesetzt, daß die Ernennung des Gouverneurs nicht Folgen nach sich ziehen müsse, die weniger die Insel beruhigen, als den europäischen Frieden bedrohen Würden.
Wenn alle europäischen Mächte sich mit dem Sultan über die Ernennung eines griechischen Prinzen zum Gouverneur auf Kreta verständigen sollten, so hat Deutschland nicht das geringste Interesse, dieser Verständigung entgegen zu sein. Daß aber eine solche Verständigung der Großmächte mit dem Sultan ohne Anwendung nachdrücklicher Gewaltmittel ausgeschlossen erscheint, muß von vornherein für jeden unbefangenen Beobachter der jüngsten Ereignisse klar sein. Dem Sultan ist der letzte Krieg sehr gegen seinen Willen von Griechenland geradezu aufgezwungen worden; die eigentliche Ursache der Entstehung dieses Krieges war in erster Linie die beabsichtigte Vereinigung der Insel Kreta mit Griechenland und ihre Loslösung von der türkischen Herrschaft. Dieses Ziel haben die Griechen im Kriege nicht erreichen können; der Sultan hat es ihnen mit seinen siegreichen Truppen gründlich zerstört.
Wenn er jetzt freiwillig den griechischen Prinzen zum Gouverneur ernennen und damit von selbst alle griechischen Aufständischen anregen würde, ihre bisherigen Abtrennungsbestrebungen nachdrücklich fortzusetzen, so würde er mit einem Schlage den ganzen militärischen Erfolg seines Heeres zerstören und in den Augen aller seiner Unterthanen sich in der gefährlichsten Weise bloßstellen. Aber damit wäre es noch nickt genug. Die Ernennung des griechischen Prinzen zum Gouverneur von Kreta wäre eine derartige Krönung der griechischen Loslösungsversuche, daß sie eine Brandfackel in die übrigen Balkanstaaten sowie in Macedonien und Albanien werfen und sie zu dem gleichen Ziel der Zerreißung des türkischen Reiches Hintreiben würde. Derjenige Sultan, der freiwillig zu einer Annäherung der Insel Kreta au Griechenland das Zeichen gibt, würde damit zugleich den Zusammenfall des türkischen Reiches herbeiführen und damit selber die Erhaltung des europäischen Friedens aufs ernsteste gefährden.
Die Sachlage ist so klar, daß, wie gesagt, eine freiwillige Mitwirkung des Sultans zu diesem Ziele von vornherein ausgeschlossen erscheint. Es müßte also ein entsprechender gewaltsamer Druck auf den Sultan seitens der Großmächte ausgeübt werden, um ihn zu zwingen, gegen das Lebensinteresse seiner Herrschaft und seines Reiches zu handeln. Dieser Druck würde zum mindesten mit dem Einlaufen verschiedener fremder Geschwader in die Meerengen verbunden sein. Bei einigem ruhigen Erwägen wird man zur Ueber- zeugung gelangen müssen, daß die Einheit der Mächte, die einen derartigen gewaltsamen Druck gemeinsam in Szene setzen würden, wegen der Verschiedenartigkeit ihrer eigenen Interessen sehr bald in die Brüche gehen würde.
Dem gegenüber erscheint die Politik der deutschen Regierung eine von selbst gegebene zu sein. Deutschland hat schon allein mit Rücksicht auf seinen ausgedehnten Welthandel ein dringendes Bedürfnis, daß der europäische Friede thunlichst erhalten bleibt und daß, wo ein Kriegsausbruch unvermeidlich ist, der Kriegsschauplatz so eingeschränkt wird, daß dadurch thunlichst wenig deutsche Interessen beeinträchtigt wer
den. Deutschland hat bisher kein Hehl daraus gemacht, daß seine Mitwirkung in dem kretischen Streite ausschließlich der Erhaltung des europäischen Friedens dienen sollte. Es hat mit allem Eifer dazu beigetragen, die Eintracht unter den Mächten zu fördern und zu kräftigen; es hat in dieser Aufgabe um so nützlicher wirken können, weil es nicht das geringste Interesse an der örtlichen Gestaltung der Dinge auf Kreta zu nehmen hat. Demgemäß hat es von Anfang an von einer größer» Machtentfaltung abgesehen und ausschließlich ein Kriegsschiff nach Kreta gesandt, das genügen mußte, um dadurch auch äußerlich die Einheit der Großmächte zu bekunden. Ein Fernbleiben von diesem gemeinsamen Vorgehen der Mächte würde die deutsche Politik in die Gefahr gebracht haben, daß sie verdächtig worden wäre, im Trüben fischen zu wollen. Deutschland kann und muß bei diesem Verhalten bleiben, so lange irgendwie die Aussicht vorhanden ist. daß die Einheit der Mächte erhalten bleibt.
Deutscher Reichstag.
* Berlin, 1. Febr. T.-O.: Fortsetzung der Etatsberatung der Reichsjustizverwaltnng. Kapitel: „Staatssekretär". Abg. Pieschel (natl.) wünscht, daß den Amtsrichtern u. s. w. mehr Zeit gegeben werde, um sich energisch dem Studium des Bürgerlichen Gesetzbuches und der anschließenden neuen Gesetze widmen zu können. - Staatssekretär Ni eberding erkennt die dem Richterstande erwachsenden umfangreichen und schweren Aufgaben an und bemerkt, die richtigen Adressen für die geäußerten Wünsche wären die einzelnen Landtage. — Abg. Herbert (Soz.) bemängelt die Rechtsentscheidungen, welche Verbreitung von Aufrufen betreffend Geldsammlungen für strafbar erklären und bringt weitere Beschwerden vor und Abg. Barth (freist Ver.) bittet um Beschleunigung der Arbeiten bezüglich der Novelle über den Strafvollzug bei Vergehen ohne gemeinen Charakter (Preßvergehen). Diese Bestimmungen müßten sinngemäß angewendet werden. — Abg. Frhr. v. Stumm (Reichsp.): Humanität sei eine schöne Sache, aber man dürfe darin nicht zu weit gehen; seien doch selbst
Jas tägliche Prot.
Novelle von P. B.
Die Baronin-Witwe saß in ihrem Boudoir und blickte traumverloren in die Glut des Kamins; ihr gegenüber saß der Kommerzienrat Weber, ihr Vater, und sprach ernst und eindringlich auf sie ein.
Ohne ihn zu unterbrechen, hörte sie ihn an, und erst als er geendet hatte, entgegnete sie ruhig in ihrer klaren Art: „Lieber Papa, ich kann dir nur, wie schon so oft, wiederholen, daß alle deine vielen Bemühungen ganz vergeblich sind, — ich heirate den Grafen nie und nimmer, — das ist mein letztes Wort!"
Nun wurde der alte Herr erregter: „Dein Sträuben, liebe Hilde, ist mir ganz unfaßlich! Graf Brockhoff ist eine geradezu glänzende Partie ! Er ist jung, elegant, reich, von altem Adel, und er ist wie toll in dich verliebt."
„Jedes Wort ist vergebens gesprochen, Papa — ich heirate überhaupt nicht wieder."
„Hilde!" rief er jetzt ganz entrüstet, „nein, liebes Kind, das war nicht im Ernst gesprochen!"
Doch sehr ernst antwortete sie nun: „Und wenn ich doch je wieder heiraten sollte, so würde ich jetzt nur den Mann nehmen, den ich liebe."
Fragend sah er sie an.
„Ja, Papa, einmal war ich blind genug, mich durch Rang und Namen blenden zu lassen, und glaub es mir nur, wenn schon mein verstorbener Gatte alles gethan Hot, mich glücklich zu machen, gelungen ist ihm das nie, denn innerlich war ich ihm entfremdet, und nicht nur ihm, nein, auch den' ganzen Verhältnissen, in denen ich leben mußte, — man sah in mir
immer wieder den bürgerlichen Eindringling, der sich durch seine Millionen den Titel und Rang erheiratet hat, — das Hab' ich immer herausgesühlt, trotz all der Höflichkeit, die man mir entgegenbrachte, — einmal bin ich so blind gewesen, zum zweiten Mal geschieht mir das nicht wieder."
So ging der Kommerzienrat unverrichteter Sache, denn nun sah er ein, daß jedes weitere Wort vergeblich sein würde. —
Als die Baronin allein war, nahm sie eins der Journale, die eben neu gebracht waren, und blätterte darin. Und plötzlich wurde sie aufmerksam.
Ein Reklamebild, das die ganze Größe einer Seite eiunahm, erregte ihr lebhaftes Interesse.
Es war die Arbeit eines hochtalentierten Künstlers, das erkannte ihr kunstgewöhntes Auge sofort, aber nicht nur das allein fesselte sie, — eine Linie in der Wiedergabe der Körperformen einer Idealfigur, die war es, die sie so aufmerksam gemacht hatte. Mit wenigen Strichen, mit unglaublich einfachen Mitteln war hier das denkbar höchste erreicht worden. Und diese Art zu zeichnen interessierte sie. Einmal nur im Leben hatte sie einen jungen Maler gekannt, der so den Stift führen konnte. Das aber war schon lange her, wohl zehn Jahre lagen dazwischen.
Prüfend betrachtete sie das Blatt. Vergebens suchte sie nach dem Namen oder doch wenigstens den Initialen des Zeichners. Nichts war zu finden. Und immer mehr vertiefte sie sich in den Anblick des Bildes, — es war ihr, als hätte diese Linienführung, diese Eigenart, zu zeichnen, als hätte das alles ein Erlebnis von vor vielen Jahren wieder taghell vor ihre Seele gerückt; es war ihr, als hätte sie diese selbe
Figur schon einmal mit so einfachen klaren Mitteln dargestellt gesehen. Und während sie noch immer das Bild anstarrte, gewahrte sie plötzlich, ganz versteckt in einer Arabeske, die Initialen des Verfassers: ein verschlungenes H. L.
Ein Zittern ergreift sie, ein freudiger Schreck: wenn er es wirklich wäre, er, an den sie sofort gedacht hatte! Und plötzlich erklingt etwas in ihr, das sie mit einer heiligen Freude erfüllt, das ihr ganz märchenheimlich leise zurannt: ja! ja! er ist es wirk« lich, er, nach dem du jahrelang in fiebernder Ungeduld umsonst gesucht hast, Heinz Lechner, der ehemals um dich gc worben har, in heißer, wilder, wahnsinniger Liebe.
An den ihr unvergeßlichen Maientag denkt sie wieder, damals, vor Jahren, als dieser wilde junge Künstler vor ihr auf den Knieen gelegen und sie zum Weibe begehrte. Als sie ihm damals offen heraus erklärt hatte, daß sie nie, niemals ihm angehören könne; nicht ein Wort hatte er ihr darauf erwidert, aber angeschaut hatte er sie, mit so weit offenen entsetzten Äugen, daß sie erschreckt fortgelaufen war und ihn allein stehen ließ. Bald darauf hatte sie dann den Baron geheiratet, weil es ihr Vater so gewünscht hatte. Von dem jungen, mittellosen Maler aber hatte sie nie wieder etwas gehört, so viel sie auch nach seinem Aufentbalt geforscht hatte.
Noch immer blickte sie wie träumend auf das Blatt, plötzlich aber durchzuckte sie ein schrecklicher Gedanke: wie kam er, der einst so geniale Künstler, dessen hohem Streben mau die ruhmvollste Zukunft voraussagte, wie kam er jetzt dazu, sein Können in den Dienst solcher Handwerksarbeit zu stellen? — Nur eins gab es, was ihn dahin getrieben haben