verflossen ist? Ja, dadurch giebst du eine ernste Wahrheit kund. Du weißt, daß die durchlebte Zeit für dich nie, nie wiederkehrt, daß sie der für dich bestimmten Lebensdauer abgeschnitten ist, daß du dem Grabe wiederum einen Schritt näher gekommen bist. Wohl dir, wenn du am Abschluß eines Zeitabschnittes nicht mit Wehmut, sondern mit Zufriedenheit auf dein Tagewerk zurückblicken kannst! Und ist dir das nunmehr zu Ende gehende Jahr nicht überall im Kampfe ein Helfer gewesen, ist es dir sogar als Gegner in den Weg getreten, nun, so benutze die Gegenwart und rüste dich unverdrossen für die Zukunft! Leben heißt Streben!
sj Alten steig, 28. Dezember. Man schreibt uns: Die prinzipiell wichtigste Frage, welche der Reichstag in dieser Session zu lösen hat, ist die vom Reichstage im letzten Frühjahr fast einstimmig geforderte und vom Reichskanzler Fürsten Hohenlohe auch zugesagte Reform des Militärstrafprozesses. Auch der Kriegsminister Bronsart v. Schellendorf hatte sich s. Z. ausdrücklich für das Einbringen einer solchen Vorlage verbürgt und als er im letzten Sommer aus seinem Amte schied, wollte man vielfach annehmen, die Gegner einer Aenderung des Militärstrafprozesses ! seien mächtiger, als deren Freunde. Die Befürchtung, es könnte in der Folge auch zu einem Kanzlerwechsel und zu einem Rücktrittsgesuch des gesamten preußischen Staatsministeriums kommen, ist nun freilich widerlegt, denn es ist amtlich erklärt, der Kaiser sei mit der in Rede stehenden Reform des Strafprozesses einverstanden, und der Reichskanzler werde eine entsprechende Vorlage dem Parlament unterbreiten. Der betreffende Gesetzentwurf ist auch jetzt zu erwarten, nur dürfte es zweifelhaft sein, ob derselbe allen Wünschen im Reichstage, die in dieser Beziehung bestehen, genügen wird. Eine Mehrheit im Reichstage will nicht nur eine Oesfentlichkeit des Militärstrafprozesses, wie sie in Bayern bereits besteht, sie will auch anderweitige Aenderungen, von welchen kaum anzunehmen sein wird, daß die oberste Militärbehörde hierauf eingehen wird.
Bekanntlich besteht in manchen Kreisen des Publikums die Unsitte, zum Jahreswechsel seinem Nächsten Neujahrskarten mit mehr oder weniger beleidigendem Inhalt durch die Post zuzusenden. Um solche Leute vor unnützen Kosten zu bewahren, möchten wir darauf aufmerksam machen, daß die Postverwaltung derartige Karten, wenn der beleidigende Inhalt bemerkt wird, überhaupt nicht bestellen, sondern den Absendern zurückgeben oder vernichten läßt. Wie wir hören, sind die Postbeamten besonders angewiesen worden, zur Beseitigung der gedachten Unsitte derart mitzuwirken, daß sie auf Karten beleidigenden Inhalts besonders achten und dieselben als unbestellbar behandeln.
Z Martinsmoos, 24. Dezbr. Dem Beispiele anderer Gemeinden folgend, haben sich in letzter Zeit auch hier die Veteranen und andere gediente Soldaten zusammengethan, um einen Kriegerverein ins Leben zu rufen. Derselbe hat nun gestern abend seinen Mitgliedern bei Kamerad Herter zur „Sonne" eine solenne Christbaumfeier mit Gabenverlosung veranstaltet. Obwohl der junge Verein noch über wenig Mittel verfügt, so hat er doch allem aufgeboten, um die Mitglieder vollauf zu befriedigen. Vorstand Schullehrer Schnierle beehrte die Versammlung mit einer
längeren Rede, in welcher er namentlich den Zweck der Kriegervereine hervorhob. Dieselben seien in erster Linie dazu da, ihren Mitgliedern Belehrung und Unterhaltung zu bieten und die vaterländischen Gedenktage in würdiger Weise zu feiern, dann aber auch bedürftige Mitglieder und deren Hinterbliebene in Krankheits- und Unglücksfällen nach Kräften zu unterstützen. Es sollte daher keiner, der dem Vaterlande
treu gedient habe, es versäumen einem solchen Verein
beizutreten. Die Rede schloß mit einem Hoch auf
Seine Majestät König Wilhelm II., den Protektor des württembergischen Kriegerbundes. Viel Erheiterung erregte die sich anschließende Gabenverlosung, bei welcher Fortuna ihre Gaben in launiger Weise zur Verteilung brachte. Die Feier, bei welcher auch der Humor nicht zu kurz kam, verlief in der gemütlichsten Weise, und man trennte sich mit dem Bewußtsein,
daß man auch in kleinen Kreisen etwas leisten kann, wenn die Organisation die richtige ist.
* (Der Haupttreffer der Lotterie des württ. Kriegerbundes.) Der Kriegerverein von Altdorf (Böblingen) bezog aus der Lotterie des württ. Kriegerbundes eine Anzahl Lose, wovon der Verein den
! größten Teil behielt, den Rest aber an Dritte abgab. Der Haupttreffer mit lO OOO Mk. fiel nun dem Richt- mitglied Forstwart Mayer zu. Der glückliche Gewinner vermachte der Vereinskasse 100 Mk.
* (Verschiedenes.) In Gmünd wurde der Kaufmann Reich, gebürtig aus Weil der Stadt, tot aus der Rems gezogen. Vermutlich liegt Selbstmord vor. - - Das in der Gemeinde Gosheim zur Versteigerung gekommene Stammholz wurde von Rehfuß u. Cie. in Höfen für 115 °/g des Revierpreises aufgekauft. — Am letzten Dienstag wurde in Brüchlingen, OA. Gerabronu, die Ehefrau des Gutsbesitzers A. erhängt aufgefunden. —In Göppingen ist der Postsekretär Schmid bel Ausübung seines Berufs auf dem Bahnhof verunglückt, indem er von einer Lokomotive erfaßt und auf die Seite geworfen wurde.
^ Mannheim. Die Strafkammer verurteilte den Stationsmeister Sinnebach von Wieblingen, der am 22. August im Heidelberger Bahnhof einen schweren Eisenbahnunfall verschuldete, zu 5 Monat Gefängnis.
* Bayreuth, 26. Dez. Das Defizit des Vorschußvereins wächst lawinenartig an. Aus allen Teilen Oberfrankens und den angrenzenden Kreisen der Oberpfalz und Mittelfrankens laufen Anmeldungen ein. Ohne Konkurs ist eine Regelung undenkbar, da das Defizit sich bereits auf eine halbe Million Mark bei ganz geringen Deckungsmitteln belauft.
2 In Luxemburg weiß man nicht mehr, was man mit dem vielen in der Staatskasse zusammenströmenden Gelds anfangen soll. Um aufzuräumen, hat die Kammer unter Zustimmung der Regierung beschlossen, einen Betrag von 300000 Frank unter die Gemeinden zu verteilen, und zwar die eine Hälfte nach Maßgabe der Bevölkerungsziffer, die andere im Verhältnis zur Ziffer der Gemeindesteuern. Die Regierung wird mit weiteren „Aufräumungsvorschlägen" folgen.
2 Zur Frage, ob das bei Landwirten erfolgende Aufsuchen von Bestellungen auf Waren, die, wie z. B. Düngemittel, landwirtschaftliche Maschinen rc. im Be
triebe der Landwirtschaft Verwendung finden, den Beschränkungen unterliegen, die infolge der durch die Novelle zur Gewerbeordnung vom 6. August getroffenen Bestimmungen für die Detailreisenden eingetreten sind, wird offiziös betont, daß nach der Auffassung der maßgebenden Stellen der Verwaltung diese Frage zu verneinen ist, da die Verhandlungen des Reichstages über diese Novelle kaum einen Zweifel darüber zulassen, daß der Betrieb der Landwirtschaft als ein „Geschäftsbetrieb" zu gelten hat.
* Das Kanonenboot „Hyäne" hat Befehl erhalten, von Kamerun eine Rundreise nach den westafri- konischen Schutzgebieten anzutreten, die sich bis nach Kapstadt ausdehnen wird. Dabei wird das Kanonenboot auch Deutsch-Südwestafrika anlaufen, wobei sich, wie die „Post" erfährt, Gelegenheit finden dürfte, den von Dr. Esser neu entdeckten Augusta- Viktoria-Hafen südlich von der Mündung des Kunene- flusses zu untersuchen und durch Peilungen u. s. w. festzustellen, ob und wieweit sich jene Bucht zu Hafenzwecken wird verwerten lassen oder ob auch ihr die Gefahr, binnen kurzem vollständig zu versanden, droht. Die „Hyäne" befindet sich bereits von Kamerun nach dem Süden Afrikas unterwegs.
* Döbeln. Einer, der's nicht nötig hätte, ein wohlhabender Wirtschaftsbesitzer aus Niederanschütz, entwendete wiederholt einem Gastwirt, bei dem er früh einkehrte, Zigarren, ohne daß der Wirt den Dieb ermitteln konnte. Endlich wurde letzterer jedoch vom Dienstmädchen des betreffenden Gastwirts beobachtet, als er abermals Zigarrenkisten leerte. Der Wirt ließ den Wirtschaftsbesitzer verhaften. Man fand in seinen Taschen gegen 150 Zigarren, die gestohlen waren.
Ausländisch-«.
* Rom, 24. Dez. Heute nach 12 Uhr empfing der Papst das Kardinalskollegium, das ihm seine Weihnachtswünsche darbrachtc. Der Papst hielt eine längere Ansprache, in der er der Armenier gedachte und ferner es bitterlich beklagte, daß seine gute Absicht, als geistiger Vater Italiens tausenden tapferer Gefangenen in der Ferne Hilfe zu bringen, falsch verstanden, übel ausgelegt und sogar dem Hohne preisgegeben worden sei. Der Papst schloß, er hoffe zu Gott, daß eine Stunde der Erbarmung den Völkern Heilung bringen werde.
D Rom. Da die Fonds für das in Rom zu errichtende Viktor Emanuel-Denkmal fast völlig erschöpft sind, will die Regierung bei der Kammer die Aus- werfung von weiteren 16 Millionen beantragen. Das Nationaldenkmal dürfte dadurch etwas sehr teuer werden. Anfangs votierte das Parlament für das Denkmal 9 Millionen, zu welchem noch 1 200 000 Lira kamen, die durch private Sammlungen gesammelt waren. 10 200 000 Lira für ein Denkmal waren doch wirklich nicht zu wenig, und dabei sollte es denn auch bleiben. Aber die zehn Millionen genügten kaum für den Anfang, ja, es giebt Leute, welche behaupten, daß auch die noch kommenden sechzehn Millionen nicht genügen werden, weil die Architekten sich stark „verrechnet" haben.
* Paris, 24. Dezember. Der Figaro meldet, daß der oberste Kriegsrat sich in seiner vorgestrigen
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bewegung nach dem nahen Waldbach: „Ich wollte Lethe trinken!"
Johanna nickte enttäuscht: „Ja, das ist freilich nur reines Wasser! — Es ist wirklich komisch," dachte sie, „seit drei Tagen sagt er mir allerhand Dummheiten, und gähnt mich dazwischen immer an."
Alfons hatte die letzte laute Bemerkung des Mädchens sehr geringschätzig ausgenommen. Wie konnte das Kind auch wissen, was „Lethe" sei. Wie belehrend sprach er daher weiter: „Ich wollte versuchen, Handlungen zu vergessen, die von der denkbarsten Hinterlist und Tücke gegen mich ausgebrütet wurden."
„Ach, davon müssen Sie mir erzählen!" rief Johanna; „solche schaurige Geschichten höre ich gern!"
Mit stolzer Wehmut ließ sich Alfons höchst elegisch auf dem Holzstuhl nieder.
„Mein Kind!" begann er mit weich schnarrendem Tonfall, „Sie kennen die Menschen nicht! — Mit Schmerz denke ich an jene Stunden zurück, die mir den bittersten Kelch meines Lebens kredenzten. Fabel- Haft grausam war das Spiel, das man da mit meinem Herzen trieb."
Johanna legte die Hände zusammen: „Da bin ich wirklich neugierig!"
„Wer spricht wohl von seinem Unglück gern! doch es sei! — so hören Sie!" — Alfons trocknete sich die glatte Stirn mit dem sauberen Taschentuch; — „ich liebte ! liebte kolossal! — Sie können sich dies natürlich nicht vorstellen!" — seine Hand fuhr an das Lorgnon: „Netzte da nicht eine Thräne mein Augenglas?"
„Es ist Ihnen vielleicht ein Tropfen Wasser darauf gespritzt!" neckte Johanna.
Alfons wischte langsam sein Glas ab, und sprach dann pathetisch weiter : „ich liebte ein herrliches Mädchen, wenigstens hielt ich sie bis vor kurzem dafür. — Ich wurde fabelhaft getäuscht!"
„Ja," nickte Johanna.
„Ich glaubte mich wiedergeliebt, und dieses pyramidale Vertrauen war mein Verderben. Leichtsinnig vertraute ich dem Rate eines sogenannten Freundes, welcher aus Mangel sonstiger Existenzmittel das ärztliche Fach erlernt hat, und besuchte zur Aufbesserung meines angekränkelten Gemütes ein entferntes Seebad."
„Ja!"
„Während meiner Abwesenheit nun impfte dieser medizinische Heuchler dem Mädchen seines Herzens seine homöopathische Liebe ein, und — das schändliche Paar sandte dem sorglos Badenden eine Verlobungskarte."
„Ja."
„Natürlich flog ich sofort wütend nach der Heimat; zorngeröteten Antlitzes trat ich vor den Verräter, um ihn mit einem Wort niederzuschmettern."
„Ja."
„Doch Sie können die wunderbare Tiefe der scheinheiligen Arroganz nicht ermessen, welche mir zu teil ward. — Dieser sogenannte Doktor entschuldigte sich kaltblütig damit, daß seine frühere Prognose sich nur insofern geirrt habe, als der Sitz meines Leidens nicht im Herzen, sondern im Kopfe zu suchen sei. Doch habe mich die Seeluft bereits sehr erfrischt, und etwas
mäßige Diät, sowie Selterswasser sei alles, was er mir noch verordnen könne."
„Ja!"
„Und denken Sie! — dieser Mensch, der sich erst durch seine Arbeit eine Existenz geschaffen hat, war von mir in die Familie des Mädchens eingeführt worden, welches sich so weit vergessen konnte, einem Individuum ihre Hand zu reichen, das nur darauf angewiesen ist, von seiner Arbeit zu leben. — Beweis genug, welch' niedrig denkende Seele in ihr wohnen muß!"
„So!"
„Nie mehr werde ich wieder lieben, ich fühle es!"
Johanna unterdrückte mühsam ein lautes Auflachen: „So, so! Sie sind aber doch noch so jung! — Ihnen müssen ja alle Herzen offen stehen!"
„Kein gleichfühlendes!" schnarrte Alfons.
„Warum nicht!" lachte das Mädchen; „es müßte allerdings ein solches sein, das sich auch nicht zur Arbeit geboren fühlt!"
In der Thüre des Müllerhauses erscheint Dörthe, die vierschrötige Magd.
„Johanna! Sie sollen mal gleich zum Vater rem kommen!"
Alfons wandte sich bei dieser Störung um. Doch Johanna winkte leicht mit der Hand. „Bitte, bleiben Sie ruhig sitzen! ich komme bald wieder! —Dörthe, schäle doch einstweilen weiter."
Während Johanna in das Haus gegangen ist, setzt sich Dörthe breit auf den niedrigen Schemel, Alfons verliebt angrinsend. (Forts, f.)