Nachmittags dem Präsidenten des Senats Loubet, dem Kammerpräsidenten Brisson, dem Ministerpräsidenten Meline und dem Minister des Auswärtigen, Hannotaux, das Großkreuzdes Alexander-Newsky-Ordens überreichen.
* Paris, 7. Okt. Der Zar kam nachmittags um Z Uhr 20 Min. im Elysve-Palaste an, wo ihn Präsident Faure mit dem Militärstaat erwartete. Aus der Freitreppe wechselten die Staatsoberhäupter einen freundlichen Händedruck und begaben sich dann nach dem Salon, wo sie eine 20 Minuten lange Privatunterredung hatten. In einem andern Saale stellte Faure die Minister vor. Sodann fand in dem großen Fest- faal der Empfang von über 500 Senatoren und Deputierten statt. Faure drückte seine Geuugthuung darüber aus, dem Kaiser die Parlamentsmitglieder vorstellen zu können. Der Zar erwiderte, er sei glücklich, inmitten der Erwählten der Nation sich zu befinden. Der Senatspräsident Loubet stellte zahlreiche Senatoren vor. Der Zar unterhielt sich mit ihnen, besonders mit Freycinet. Kammerpräsident Brisson stellte mehrere Deputierte vor, welche der Zar ansprach. In den anderen Sälen wurden der Erzbischof, die Generalität und die Staatswürdenträger vorgestellt. Der Zar verließ das Elysöe um 4 Uhr.
* Paris, 7. Okt. Bei dem Festmahl, das im Elysöe zu 225 Gedecken stattfand, saßen der Zar und Präsident Faure in der Mitte der Ehrentasel. Die Kaiserin neben dem Präsidenten, die Präsidentin neben dem Kaiser. Im Verlaufe des Galadiners hielt Präsident Faure folgende Ansprache an den Kaiser: „Der Empfang, mit welchem Eure Majestät beim Eintritt in Paris begrüßt wurde, beweisen Euerer Majestät die Aufrichtigkeit der Gefühle, welche auszudrücken ich mich fühlte, als Eure Majestät den Boden der französischen Republik betraten. Die Gegenwart Eurer Majestät unter uns besiegelt unter den Zurufen eines ganzen Volkes die Bande, welche zwei Länder in zusammenstimmender Thätigkeit und gegenseitigem Vertrauen zu einer Bestimmnn g verbinden. Die Union eines mächtigen Kaiserreiches und einer arbeitsamen Republik konnte schon einen -wohlthätigen Einfluß ans den Weltfrieden ausüben. Befestigt durch eine erprobte Treue wird diese Union fortfahren, überallhin ihren glücklichen Einfluß geltend zu machen. Indem ich die Gefühle der ganzen Nation ausdrücke, erneuere ich Ew. Majestät die Wünsche, welche wir für Eurer Majestät Herrschaft, für das Glück Ihrer Majestät der Kaiserin und für das Gedeihen des gewaltigen russischen Reiches haben, dessen Schicksale in den Händen Eurer kaiserlichen Majestät ruhen. Es sei mir gestattet hinznzufügen, wie sehr Frankreich ergriffen ist von dem Eifer, womit Ihre Majestät die Kaiserin geruhte, unseren Wünschen zu entsprechen. Ter gnädige Aufenthalt Ihrer Majestät wird in unserem Lande eine unvergeßliche Erinnerung zurücklassen. Ich erhebe das Glas zu Ehren Sr. Majestät des Kaisers Nikolaus und der Kaiserin Alexandria Feodorowna."
* Paris, 7. Okt. Der Zar erwiderte auf den Trinkspruch des Präsidenten : Ich bin tief gerührt von der Aufnahme, die uns, der Kaiserin und mir in dieser großen Stadt Paris, der Quelle so vielen Genies, so vielen Geschmacks und so vieler Erleuchtung bereitet worden ist. Treu den unvergeßlichen Ueber- lieferungen bin ich nach Frankreich gekommen, um in
Ihnen Herr Präsident, das Oberhaupt einer Nation zu begrüßen, mit welcher uns so wertvolle Bande verbinden. Diese Freundschaft kann wie Sie sagten, durch ihre Beständigkeit nur den günstigsten Einfluß ausüben. Ich bitte Sie, Herr Präsident, diese Gefühle ganz Frankreich ausdrücken zu wollen. Indem ich für die Wünsche, die Sie mir und der Kaiserin ausgesprochen haben, danke, trinke ich auf das Wohl Frankreichs und erhebe mein Glas zu Ehren des Präsidenten der französischen Republik."
* Paris, 8. Okt. Die Stadt war gestern abend glänzend illuminiert. An dem Festmahl in der russischen Botschaft nahmen Präsident Faure mit Gemahlin, alle Minister, Loubet, Brisson und General Saussier teil. Die Galavorstellung im Theater sran- gaise verlief aufs glänzendste. Bei dem Aufgehen des Vorhanges sah man sämtliche Künstler um die Büsteu Moliöres, Corneilles und Racines gruppiert. Mounet verlas die Huldigungsverse. Das Publikum applaudierte besonders die Worte „Von Norden kommt uns Hoffnung." Während der Vorstellung des Stückes „Caprices" von Muffet applaudierte das Kaiserpaar wiederholt.
* Paris, 8. Okt. Der Enthusiasmus der Bevölkerung hat eher zugenommen als sich abgekühlt. Die Straßen bieten überall dasselbe Bild; da, wo der Zar auf seinen Fahrten vorbeikomwen muß, ist das Gedränge am stärksten, und da die Zeitungen seinen Weg jedesmal genau angebeu, finden sich die Menschen stundenlang vorher ein. Unglücksfälle werden zahlreich gemeldet, aber immerhin weniger, als zu befürchten war, und meist ohne schweren Ausgang. Das Zeremoniell ist überall dasselbe. Der Wagen des Kaiserpaares ist von einer Schwadron Kürassiere von allen Seiten dicht umgeben und von einem Zuge Gendarmen eskortiert. Linientruppen bilden Spalier, und Polizei und Garde Republicaine besorgen die Absperrung, die meist sofort nach dem Passieren des kaiserlichen Wagens von dem Menschenstrom gewaltsam durchbrochen wird.
* Portsmout h, 6. Oktober. Während der Rückkehr der Kriegsschiffe wurden bei heftigem Sturm vier Matrosen von einer Sturzwelle über Bord geworfen, drei wurden gerettet, einer ertrank.
* Cettinje 7. Okt. Der Kronprinz von Italien traf gestern hier ein und wurde großartig empfangen. Der Volkstrubel war ein ungeheurer.
* Athen, 8. Okt. Der wegen Desertion nach Kreta angeklagte Unterlieutenant Kalomenopula wurde unter großem Beifall der Zuhörer von dem zweiten Militärgerichtshof freigesprochen. Die Menge rief: „Es lebe Kreta, es lebe Griechenland!" und geleitete den Freigejprochenen.
* K o n sta n l i n o p el, 7. Okt. In hiesigen diplomatischen Kreisen verlautet, zwischen Rußland, Frankreich und England sei ein volles Einvernehmen bezüglich des Vorgehens gegen die Türkei erzielt, so daß wichtige Ereignisse bevorstehen. In wenigen Tagen werde die russische Flotte in den Bosporus einlaufen.
* K o n st a n t i n o p e l, 7. Okt. Der russische Botschafter ersuchte im Auftrag des Zaren energisch den Sultan, sofort die Ausschreitungen gegen die Armenier zu unterdrücken, da sonst bei Fortsetzung derselben die Großmächte sich gegen die Türkei wenden und die Greuel selbst beenden würden.
Handel und Verkehr.
* Kirchheim u./T., 5. Okt. (Vieh- und Schweine- markt.) Der Handel ging etwas flau bei gedrückten Preisen. Mit der Bahn gingen ab in 25 Wagen 362 Stück Rindvieh, in 1 Wagen 70 Stück junge Schweine. Es wurden erlöst für Zuchtfarren 105—350 Mk. pr. Stück, für Mastochsen 750—900 Mk., für Zugochsen 600—805 Mark, für Zugstiere 320—580 Mark per Paar, für Kühe 140—M5Mk., für Kalbeln 160—370 Mk., für Rinder 60—280 Mk. per Stück, für Milchschweine 12—18 Mk. und für Läuferschweine 30—50 Mk. per Paar.
* Stuttgart, 8. Okt. (Kartoffel- und Krautmarkt.) Zufuhr 900 Ztr. Preis pr. Ztr. Mk. 3.50 bis 3.80. — Filderkraut: Zufuhr 1200 Stück. Preis pr. 100 Stück Mk. 16 bis 18.
Neueste Nachrichten
'Ak Berlin, 9. Okt. Grumkow Pascha erklärte einem Vertreter des Lokalanzeigers in einer Unterredung, er müsse zugeben, das Vorgehen der Knittelmänner sei äußerst brutal, aber auch die Armenier hätten mit den Dynamit-Bomben wahre Massenmorde geplant. Wie der politische, müsse auch der finanzielle Zusammenbruch der Türkei verhindert werden, denn sonst müßten die europäischen Gläubiger die Zeche bezahlen. Die Meldungen über die jungtürkischen Umtriebe seien übertrieben.
liV Paris, 9. Okt. Die Blätter schreiben dem Umstande, daß der gestrige offizielle Empfang im großen Spiegelsaal stattgefunden hat, wo vor 25 Jahren das deutsche Reich gegründet wurde, eine besonders große Bedeutung bei. Wenn auch dieser Umstand die Demütigung Frankreichs nicht verwischen konnte, so sei es doch ein großer Trost für Frankreich, daß der Zar mit größter Bereitwilligkeit diesen Punkt bewilligt habe. — Bei Ankunft des Kaiserpaares in Versailles ereignete sich ein Unfall. Infolge des Geschützfeuers sprangen die Pferde des Finanzministers Cochery mit dem Wagen aus die Seite und zerstampften verschiedene Personen. Das Zarenpaar war über diesen Vorfall sehr erregt. 7 Personen wurden schwer verwundet. Die Zahl der Leichtverwundeten ist groß. Auf Befehl des Ministers wurde der Kutscher, der durch Absteigen den Unfall verschuldete, verhaftet.
Verantwortlicher Redakteur: W. Rieker, Altensteig.
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