halten werden gegen die wirtschaftlich vorteilhaftere Ver­wertung der Arbeitskraft in gewerblichen Betrieben, möchte um so zweifelhafter sein, als der Zug aus den rein landwirtschaftlichen Gegenden in die großen Städte und Industriegebiete sich immer mehr als unaufhaltsam erweist." Es werden dann weiterhin Vorschläge für die Kräftigung des Kleingrundbesttzes gemacht.

Ausländisches.

* Wien, 9. Aug. ImN. W. Tgbl." lesen wir: Ein Dorflehrer in L., der als Nebengeschäft das Aus­ziehen von Zähnen betrieb, glaubte, zur Unzufrieden­heit mit acht Schülern Grund zu haben, und zog die­sen zur Strafe je einen bis drei Zähne aus. Wegen Körperverletzung angeklagt, erklärte er bei der gericht­lichen Vernehmung, daß er nur Milchzähne oder ganz hohle Zähne ausgezogen habe, und daß er hiermit den Kindern keinen Schaden, sondern vielmehr eine Wohl- that erwiesen habe. Das amtseidltche Gutachten des Sachverständigen lautete dahin, daß den Kindern durch die Operation kein Schaden an der Gesundheit erwachsen, zum Teil eher eine Wohlthat geschehen sei. Infolge dessen wurde die gerichtliche Untersuch­ung gegen den Lehrer eingestellt.

* Wien, 10. August. Aus Mailand wird ge­meldet: Hiesigen Blättern zufolge begaben sich die Mutter Caserios und dessen Bruder Luigt, der Wein­wirt in Mailand ist, nach Parts, um die Damen Casimir-Perier und Carnot anzuflehen, ihren Einfluß zu Gunsten einer Begnadigung Caserios geltend zu machen.

* Krakau. Polnische Blätter berichten, daß der ehemalige Finanzkommissar Michael Tebinka, der im Bukowianer Zollprozesse vom Wiener Schwurgerichte zu 4 Jahren schweren Kerkers verurteilt worden war, vom Kaiser Franz Joseph begnadigt wurde. Letzt­hin hat der Direktor der Lemberger Strafanstalt, in der Tebinka seine Haft abbüßte, dem Begnadigten Mitteilung von der kaiserlichen Entschließung ge­macht. Nach einem kurzen, mit tiefgerührter Stimme hervorgebrachtcn Dankeswort bat Tebinka den Direk­tor, er möge ihm gestatten, noch eine Nacht in der Strafanstalt zu verbringen. »Sie sind frei und wollen nicht sofort von hier Weggehen?" fragte der Direktor. Tebinka erklärte, daß er in der Welt ver­einsamt stehe, ohne Familie und Freunde und nicht wisse, wohin er sich wenden solle. Er brauche noch diese letzte, ruhige Nacht, um zu überlegen, was er nun anfangcn werde .... In jener letzten Nacht hat sich der Unglückliche erhängt.

* Einesiziüanische Vesper." Im erzbischöflichen Palais in Palermo ereignete sich am 7. d. Mts. eine blutige Tragödie. Giuseppe Lamonica, der Kut­scher des Kardinals Celesta, geriet mit dem Kutscher Bosco wegen alter Zwistigkeiten in Streit. Im Verlaufe desselben bedrohte er Bosco, welcher mit einem Beile bewaffnet war, mittelst eines scharf­geschliffenen Dolchmessers. Auf das Geschrei der er­schreckten Dienerschaft eilte der Kardinal Celesta her­bei, welcher den wütenden Lamonica besänftigen wollte. Allein Lamonica bedrohte nun den Kardinal, welcher vor dem Tobenden flüchten mußte. Die Frau des

Kutschers BoSco, welche ihren Mann schützen wollte, wurde schwer am Kopfe verwundet. Dann fiel La­monica über den Kutscher Bosco selbst her. dem er das Beil entwand und richtete denselben entsetzlich zu. Bosco blieb, aus 27 Wunden blutend, tot liegen. Nur mit Mühe konnte Lamonica entwaffnet und ver­haftet werden.

* Paris, 10. August. Turpin erklärte dem Redakteur des Temps, die ihm widerfahrenen Unge­rechtigkeiten zwingen ihn, seine Erfindung vom Vater­land zurückzuztehen. Er werde Deutschland seine Er­findung anbieten und will sich direkt an Kaiser Wilhelm wenden.

* Paris, 11. August. »Libre Parole" veröffent­licht heute einen Artikel, worin Drumont die Re­gierung auf das heftigste angreift. Es war nötig, sagt Drumont, daß ich mich von den Schuften ent­fernte, die jeden Tag neue Infamien begehen. Dru­mont beglückwünscht sodann Belgien wegen seiner Gast­freundschaft, welche es ihm erlaube, ruhige Tage in Brüssel zu erleben und frei denken und schreiben zu können.

* Paris, 11. Aug. In den letzten Tagen hat zwischen Paris und St. Petersburg ein reger Äe- peschenwechsel stattgefunden. Es heißt, zwischen beiden Regierungen sei eine Verständigung dahin erzielt, daß die Flotten beider Länder gemeinsam in Korea Vor­gehen, wenn eine andere Macht die gegenwärtige Lage zum Nachteil Rußlands ändern sollte.

* Der Schwurgerichtshof zu Dijon verurteilte drei Anarchisten wegen Verherrlichung Caserios und wegen anarchistischer Propaganda zu Strafen von drei Jahr Gefängnis bis zu fünf Jahr Zwangsarbeit.

* Petersburg, 12. Aug. DerRegieruugs- anzeiger" veröffentlicht einen Mas, worin es heißt: »Wir haben für gut befunden, um den Tag der Hochzeit Unserer geliebten Tochter, der Großfürstin Xenia, durch ein nützliches Werk zu kennzeichnen, eine neue weibliche Lehr- und Erziehungsanstalt zu gründen, worin die Töchter Unserer treuen Unterthanen, die durch Staatsdienst oder Geburt das Recht des Adels erworben haben, aber nicht die zur Erziehung ihrer Kinder nötigen Mittel besitzen, eine abgeschlossene Allgemeinbildung empfangen und unter erfahrener Leitung diejenigen praktischen Kenntnisse erwerben können, welche die Fra« in der eigenen Familie nütz­lich machen kann, und die bei der heutigen Nachfrage nach weiblicher Arbeit den Frauen, die nicht durch ein Familienleben beglückt sind, ehrlichen Erwerb schaffen." Das neue Institut wird für 350 Halb­waisen eröffnet; 175 Zöglinge werden darin unent­geltlich ausgenommen, die andern 175 für eine Zahl­ung von 250 Rubel jährlich. Für das Institut ist das Palais des ff Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch des Netteren zur Verfügung gestellt; für dessen Um­bau sind 400,000 Rubel angewiesen und weitere 500,000 Rubel, um für die Angestellten des neuen Instituts einen Pensionsfonds zu bilden. Endlich werden jährlich 125,000 Rubel für den Unterhalt des Instituts aus der Reichsrentei gezahlt. Das Institut wird den Namen Xenia tragen.

* Auf 20 Millionen Dollar werden für die Ver. Staaten die Verluste und Kosten des letzten großen Streiks und Aufruhrs veranschlagt. Für den an

Eisenbahn- und anderem Eigentum in Chicago ange- richt^en Schaden, wirdi genannte Stadt aufzukommen haben.

Kaus- und Landwirtschaftliches.

" (Wauzeuwechsel im Gemüsegarten.) Wie oft hört man, daß dieses oder jenes Gemüse in einem Garten nicht mehr gedeihen will trotz guter Düngung und schwarzer Humuserde. Wer solche Gärten jahre­lang beobachtet, wird meist gefunden haben, daß jahr­aus jahrein dasselbe Gemüse auf derselben Stelle gebaut wurde. Wo Pflanzenwechsel stattfindet, ist derselbe in der Regel völlig ungenügend. Die meisten Pflanzen find krautartig: Kohl, Spinat, Salat u. s. w., deren Nahrungsbedürfnifse eine große Aehnlichkett auf­weisen. Der Wechsel derselben unter sich ist daher kaum von Belang. Ein solcher mit Bohnen, Erbsen, Rüben oder Zwiebeln wird günstigere Resultate auf­weisen. Wie eine Wiese »kleemüde" wird und der Klee die ihm zusagende Nahrung nicht mehr findet, obschon der Boden andere Nahrungsstoffe in Fülle aufweist, so geht's auch mit dem Garten und zwar um so früher, je weniger die Erde «mgegraben wird. Die meisten Gemüsepflanzen haben nur kurze Wur­zeln. Eine Ausnahme davon machen nur Spargelk und Rüben. Die tiefen Erdschichten, wenn sie nicht durch tüchtige Bearbeitung auch einmal an die Ober­fläche gelangen, bleiben deshalb unbenutzt, sind totes Kapital. Mau fürchte-.sich nicht davor, daß einmal auch etwa eine Handvoll »wilde" Erde an's Tages­licht gerät. Das schadet durchaus nicht. Wird die Furche jedesmal beim Umgraben mit gutem Stall­dünger gefüllt, so wird der Boden von einem Jahr zum andern tiefgründiger, was von großer Wichtig­keit ist. Wo dieses tiefe Umstechen selten oder nie vorgenommeu wird, da ist obengenannte Thatsache schon nach wenig Jahren da. Man beachte also: 1) regelmäßig tiefes Umgraben, namentlich vor dem Winter; 2) reichliche Düngung mit Stalldünger, Asche, Knochenmehl, Guano und geeignetem anderem Htlssdünger; 3) richtige und stetige Abwechslung in der Bepflanzung.

Handel «nd Verkehr.

* Deckenpfronn (Calw), 10. Aug. Seit einigen Tagen hat man mit der Ernte des Dinkels, der Hauptfrucht in unserer Gegend, allgemein begonnen. Bald werden die Scheunen vollgesüllt sein von reichem Segen der Dinkelfelder. Auch das Haberfeld ver­spricht schöne Erträge. So wird, da auch Futter sürs Vieh in Menge wächst, die Not des vorigen Jahres wohl vergessen sein, obwohl die Wunden, die dasselbe geschlagen hat, noch lange nicht ganz ver­narbt find. Die vielen Hopfenanlagen der Gegend stehen recht gesund und find in ihrer Entwicklung verhältnismäßig weit vorangeschritten, so daß mau mit Recht auf eine schöne Ernte hofft. Nur die vielen Obstbäume erfüllen die Hoffnung nicht, die man während der schönen Blütenzeit auf sie setzte: wir bekommen nur wenig Obst, so daß der Bedarf wett nicht gedeckt werden wird.

Verantwortlicher Redakteur: W. Rieker, Altensteig«

noch einige Minuten sinnend da und dachte über das Mitgeteilte nach.

Es ist die alte Geschichte," sagte sie mit einem Lächeln.Liebe, welche glaubt, daß die Rosen der Frühlingszeit niemals verwelken. Jugend, die bet dem geringsten Kräuseln der heiteren Flut ihrer Glück­seligkeit ausbraust. Aber zwischen zwei Herzen, so wahr und edel, wie seines und das ihrige, kann nur ein kurzer Schatten fallen." Sie stand auf und klingelte.

»Sorgen Sie, daß angespannt wird, Ellen," sagte sie zu der eintretenden Kammerfrau, »und dann will ich mich ankleiden."

So früh, Frau Gräfin?"

Ja, Ellen, ich habe ein eiliges Geschäft."

Es schlug gerade zwölf, als der Wagen abfuhr.

Das Herz der Gräfin Avioli war bet ihrer Auf­gabe und sie fühlte, daß sie nicht eher werde ruhig werden können, als bis sie ihr Werk vollbracht habe.

Als das leichte offene Gefährt durch die Straßen rollte, fiel zufällig das Auge der Gräfin auf eine Menschengruppe, die sich vor einem Schaufenster an­gesammelt hatte, um die dort ausgestellten Waren zu betrachten, und aus der Mitte derselben starrte sie ein Gesicht an, das Gesteht eines Mannes in mitt­leren Jahren, der die Hände in den Taschen, an einem Laternenpfahl gelehnt, ein Liedchen zu pfeifen schien.

Die Augen des Mannes und der Gräfin be­gegneten sich, er zog den Hut und verbeugte sich mit

spöttischer Unterwürfigkeit vor der vornehmen Dame im Wagen.

Diese saß stumm und bleich da, als sei sie plötz­lich in ein Steinbild verwandelt, «nd erwiderte den Gruß weder durch Wort noch Blick.

Fahren Sie zu," rief sie dem Kutscher heftig zu. »Wir kriechen ja wie die Schnecken durch die Straßen. Fahren Sie schneller!" Und als der Mann die Pferde zu rascherem Trab antrieb, rief sie wieder: »Nach Hause, Sebastian."

»Ich glaube, Madame"

»Gleichviel, was Sie denken. Nach Hause, sage ich?"

Als der Wagen umwendete und die sonnige Straße hinabfuhr, lehnte sich die Gräfin bleich «nd nach Atem ringend in die seidenen Polster zurück.

Ich kann jetzt nirgends hingehen," murmelte sie tonlos vor sich hin.

Der Mann unter dem Laternenpfahl hatte den Wagen mit gierigen Blicken verfolgt.

Eine schöne Equipage I" sagte er zu einem neben ihm stehenden Bummler. »Ich möchte wohl wissen, wem sie gehört."

Die dunkelblaue mit den Rappen? Hm!" sagte der Angeredete in allem Stolz seines überlegenen Wissens,das ist die Equipage der Frau Gräfin Avioli."

»Der Frau Gräfin Avioli?" wiederholte der Mann langsam. »Frau Gräfin Avioli! Ein hübscher Name und eine hübsche Equipage. Ja, ja, es ist ein schönes Ding, reich zu sein."

15.

Jda hatte freier aufgeatmet, als gleich, nachdem das ungemütliche, gemeinsame Frühstück beendet, ihr Gatte ausgegangen war. Sie wußte, daß Giuseppe Antonardt jeden Augenblick erscheinen konnte, «nd es mangelte ihr an Kraft und geistiger Elastizität, um einen Plan zu ersinnen, wie sie dessen Besuch vor ihrem Gatten verbergen könne, dessen Argwohn schon in so hohem Grade erweckt war. Aber die Morgen­stunden vergingen, und Giuseppe ließ sich nicht blicken.

»Ich kann diesen ungleichen Kampf nicht länger fortsetzen," dachte sie niedergeschlagen, als sie gegen zwei Uhr in ihrem Boudoir saß, jeden Moment ge­wärtig, daß Mathilde erscheinen werde, um den schleichenden Italiener zu melden.Reginald liebt mich nicht mehr! Wunder nimmt es mich nicht. Ich selbst bin meiner und jenes Gewebes von Lügen «nd Verstellung müde und überdrüssig. Ich sehe, wie täglich meine Schönheit abntmmt, jene Schönheit, die mir einst so schnell sein Herz gewann. Ja, es wäre besser gewesen, wenn wir uns nie gesehen hätten oder uns nie Wiedersehen. Ehescheidungen haben doch auch ihre guten Setten. Aber woran denke ich?" Sie hielt beklommen inne, als Mathilde geräuschlos die Thür öffnete.

»Giuseppe Antonardt ist hier, Madame."

»Gut, Mathilde, bleiben Sie im Vorzimmer und haben Sie acht, daß uns niemand stört."

Mathilde zog sich zurück und im nächsten Augen­blick trat Giuseppe ein.

(Fortsetzung folgt.)