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Dienstag dm i. Mai

Bekanntmachungen aller Art finden die erfolg­reichste Verbreitung.

Einrück- ungSpreiS f. Mtensteig und nahe Umgebung bei Imal. Einrückung 8^, bei mehrmal je «

auswärts je 8 ^ die Ispalt-Zeile

1894.

Ge storben: Kaufmann Gmelin, Neu-Jsendorf; Apotheker Mayer, Stuttgart; Karl Weihreter, Aalen.

D Der Zug der Arbeitslosen iu Nordamerika.

Endlich einmal bekommt der alte Ben Akiba mit seinem »Es gibt nichts Neues unter der Sonne* unrecht, denn das, was gegenwärtig in den Ver. Staaten von Nordamerika vorgeht, ist wirklich neu und noch nicht dagewesen. Nordamerika leidet unter einer großen gewerblichen und Handelskrise, die es wesentlich der Mac Kinley-Bill und der Chicagorr Ausstellung zu danken hat. Die enormen Schutzzölle des Mac Ktnleytariss, die die europäische Konkurrenz säst ausschlossen, hat die amerikanische Industrie fast schwindelhaft in die Höhe schießen lassen und eine Ueberproduktion von Waren erzeugt, zu deren Ver­brauch vielleicht Jahrzehnte normaltr Entwicklung gehören. Die Ausstellung in Chicago aber hat Hunderttausende von Arbeitern nach dieser Stadt ge­lockt und jetzt ist diese Menge beschäftigungs- und brotlos, ohne Aussicht, anderweit ein auskömmliches Dasein fristen zu können.

Natürlich müßte ein solcher Zustand der Dinge jedem Menschenfreunde das Herz bluten machen; denn welcher Millionär vermöchte etwas gegenüber diesem Massenelend. Aber Amerika hat anschlägige Köpfe! Es fand sich einGeneral* Coxey in Pittsburg, der den Gedanken anregte, die Arbeitslosen sollten nach Washington, dem Sitz der Zentralregierung, mar­schieren und dort vor dem Kapitolgesetzlich" demon­strieren. Der Gedanke fing Feuer in den Massen, die nichts mehr zu verlieren haben und so kam die Sache in den Gang! Vom Westen und vom Süden her marschieren gegenwärtig zahlreiche Schwärme Arbeitsloser nach Washington zu, denen sich unterwegs natürlich neue Mafien anschließen, darunter nicht zu wenig Gesindel, das überhaupt nicht arbeiten will und de« es emzig und allein auf den Spaß ankommt.

Die einzelnen Staaten und Ortschaften, die die Züge zu passieren haben, empfangen die Ankömmlinge sehr freundlich, bewirten ste und das ist die Haupt­sache ! muntern sie zum fröhlichen Weiterzuge auf. Die Milizen wärm gegenüber den Massen ohnmäch­tig, das reguläre Militär ist zu gering und wenig verläßlich. Und so sagt sich denn ein Jeder:Die hochgebietenden Herren in Washington mögen sehen,

wie ste mit den Arbeitslosen fertig werden; wir haben uns auch mit ihnen abfinden müssen*. Der Gouver­neur des Staates Colorado erklärte dieser Tage ge­radezu: Die Sache jener gerechten Menschen müsse unterstützt werden. Meldungen New-Aorker Blätter besagen, daß die Zahl der aus allen Teilen Nord­amerikas nach Washington Wandernden sich zusammen mit den Streckenden in den Industrie-Orten auf etwa 350000 Mann beläuft und daß infolge der Unzu­friedenheit dieser Mafien über die von der Polizei getroffenen Maßregeln Konflikte unvermeidlich seien. Die Befürchtungen für den 1. Mai nehmen daher in der Bevölkerung zu.

Gegenüber diesem Maffenstrom wären die schlimm­sten Befürchtungen gerechtfertigt, wenn ein einheitlicher Wille die Wandernden lenkte. Was man aber von den Führern und deren Eifersüchteleien hört, imponiert nicht sehr und verspricht den Demonstrierenden keinen Erfolg. Da ist zunächst derGeneral* I. S. Coxey, der im Holzgeschäft und Kiesclerdehandel Schiffbruch erlitten hat, eine große Brille trägt, sonst aber klein und unansehnlich ist; ferner derGeneralfeldmarschall" Karl Brown, starker Fünfziger mit sanftem Gesicht, Abenteurer aus Kalifornien; einUnbekannter", der viel Geld und eine Koppel Bluthunde mit sich führt; ein Dr. Kirkland, Arzt, Astrolog und Prophet der Armee", der täglich am Himmel erfolgversprechende Zeichen entdeckt; dann noch eineverschleierte Dame", die per Eisenbahn reist und auf jeder Etage wartet, bis der Zug, zu dem ste gehört, herangekommen ist. Das sind so die Spitzen und Führer der Armee.

Was uun aus der Sache werden soll, kann noch niemand sagen. Der amerikanische Senat hat es ab­gelehnt, eine Deputation der Demonstranten zu em­pfangen. Was wollen die Leute auch? Brot? Man kann nicht 300000 Menschen dauernd ernähren! Ar­beit ? Ocffentliche Arbeiten auszuführen ist die Sache der Einzelstaaten! Aenderung der Gesetzgebung, der Finanz-, der Zoll- oder Monopolgesetze? Das läßt sich nicht übers Knie brechen und würde auch nicht sogleich wirksam sein!

Soviel Sympathie man auch mit den wirklich Notleidenden und vom Hunger Getriebenen haben mag, so ist ihr Beginnen doch unverständig. Nimmt man selbst den Fall an, daß sie Washington besetzen,

ja plündern und sich zuHerren der Situation" machen ihre Lage würde nach kurzer Zeit ebenso traurig sein, wie heute, da ihnen, wie schon bemerkt, ein gemeinsames Ziel und verständige Führer fehlen. Es sollen ihnen einige Regimenter regulärer Truppen von Washington aus entgegengesandt werden; aller­dingsblaue Bohnen" stillen den Hunger für immer.

Laudesuachrichteu.

* Altensteig, 30. April. Eine Helle Freude ist gegenwärtig ein Gang durch die Fluren und Felder nicht nur für den Laien, sondern ganz besonders für den Landmann, der von dem vorjährigen trockenen Sommer und von der anhaltenden Trockenheit im Vorfrühling schlimme Folgen befürchten mußte. Aber die paar Tage Regen haben Wunder gewirkt: in dunklem saftigem Grün stehen die Wiesen, nament­lich die von ihren Besitzern gut im Stande gehal­tenen, da und auch der Klee wächst rasch heran, so daß in den letzten Tagen schon da und dort ge­schnitten werden konnte. Die Winterfrucht steht gut und auch die Sommerfrucht keimt gut an; überall kommen die grünen Spitzen aus dem Boden hervor und wenn je einePlatte* sich zeigt, befördert An­geführte Gülle rasch den Nachwuchs. Die Obstbäume zeigen zum Teil reichen Blütenansatz, zum Teil stehen ste in Blüte da, wie ste üppiger und schöner kaum gedacht werden kann, so daß wir auch Heuer uns auf eine reiche Obsternte freuen dürfen, wenn nicht, was Gott verhüten möge, elementare Ereignisse diese Hoffnungen zu Nichte machen.

* Stuttgart, 26. April. Zur Verfaffungs- revisionsfrage. Heute haben die beiden Minister Frhr. v. Mittnacht und v. Pischek in der Kommission der zweiten Kammer für die Verfaffungsreviston eine Erklärung abgegeben, die etwa dahin geht: Die Regierung werde in der Kammer in erster Linie die Vorschläge der Regierung vertreten. Sollte sich eine Stimmenmehrheit dafür jedoch nicht ergeben, so sei sie auch bereit, auf der Basis der Kommissionsvor­schläge zu verhandeln. Dem Vorschlag einer reinen Volkskammer gegenüber müsse sich die Regierung ab­lehnend verhalten. Dem Vernehmen nach gehen die Kommissionsvorschläge, was die Zusammensetzung der ersten Kammer avbelangt, dahin, daß S. M.

Der SLcrctLsclnwcltt.

Kriminal-Roman von Paul Blich aelis.

(Nachdruck verboten.)

1.

Ein wundei schöner Aprilwo-gen war über der Stadl aufgegangen. Die Frühlingssonne hatte die Moigcnnebel, die sich ihr entgegenbalten, siegreich überwunden und lagerten nun glänzend und leuchtend auf den Dächern der hohen Häuser, drang hinab in die breiten Straßen und engen Gassen und spiegelte sich in den zahllosen Fensterscheiben. In den Allee- bäumen und den Gebüschen der freien Plätze, die sich bereits mit einem frischen grünen Hauche wie mit einem Schleier bedeckten, regten sich die Vögel und sangen ein jubilierendes Mo-gen lies. Und die Ar­beiter und die Arbeiterinnen, die durch die Straßen hastiten, um möglichst schnell ihre Arbeitsstelle zu erreichen, schienen von der Heiterkeit des Frühlings - morgens gleichfalls angesteckt zu sein und riefen sich fröhliche Worte und G.üße zu. Ueberall war ein neues Leben und Wirken, in der Natur wie im Menschenleben, und alles drängle sich, an dem großen Tagewerke mitzuschaffen, das der Erde anfgetragen ist.

In dem Famistenzimmer des Staatsanwalts Retlberg ordnete die Magd das Kaffeegeschirr auf dem sauber gedeckten Tische, stellte die große Kanne und den Korb mit den frischen Brötchen in die Mitte und ringsherum die Tassen nach bestimmter Reihenfolge; die große geblümte mit der Aufschrift Zum Geburtstag" für den Hausherrn, diese andere.

dieMama" heißt, für die Frau, und diese beiden kleinen für Erna und Wolfgang. Dann schien sie einen Augenblick zu überlegen, denn da ist noch eine Tasse. Soll sie dieselbe aufstellen oder wieder mit hinausnehmen.Er kommt doch nicht," murmelte sie vo sich hin. Dann aber besann sie sich eines anderen und stell:e sie mit in die Reihe, worauf sie noch einmal ihr Werk wohlgefällig überschaute.

Erna und Wolsgang, jene etwa neun, dieser elf Jahre alt, machten sich an ihren kleinen Tischen zu schaffen, überlasen schnell noch einmal ihre Auf- gäbe, memorierten mit halblauter Stimme einen Lieder- vers, den sie auswendig zu lernen hatten und packten dann e.lferttg ihre Schulbücher in den großen Tor­nister, denn sie mußten früh zur Schule und hatten es in diese- Morgenstunde vor dem Kaffee immer sehr eilig. Das hinderte indessen die kleine Erna, die für alles offene Augen und Ohren hatte, nicht, zu bemerken, wie das Dienstmädchen einen Augenblick bei dem Taffenverteilen gezögert hatte und sie begriff auch sofort den Grund dafür.

Du, Minna * fragte sie geheimnisvoll,Wil­helm kommt wohl heute wieder nicht?"

Ach, was weiß ich!" erwiderte Minna kurz. Darum brauchst du dich nicht zu kümmern." Da­mit ging sie zur Thüle hinaus.

Siehst du, Wolsgang", sagte jetzt die Kleine zum Bruder,er wird wahrscheinlich wieder bis zum Mittag schlafen. Vorgestern lag er auch noch im BAt, als ich aus der Schule kam."

Wenn ich dürfte, ich schliefe noch viel länger,"

erwiderte Wolfgang, der ein Bedürfnis fühlte, den Bruder zu verteidigen und der als neugebackener Quartaner schon von der schönen Studentenzeit träumte.

Pfui, wie du nur so was sagen kannst", be­merkte Erna altklug,de. Papa hat doch schon an OE einen Kummer genug."

Aber Wolfgang hatte für diese Erwägung keine Ohren.Wenn ich nur erst einmal Student bin, dann sollst du mal sehen", sagte er stolz.

In diesem Augenblick 1-at die Mutter herein, eine zierliche kleine Frau mit sanften Zügen und guten freundlichen Augen, um die es indessen wie eine beständige Wolke von Kummer und Sorgen zu legen schien. Die Kinder liefen ihr entgegen und küßten ste.

Nun, seid ihr auch mit den Schularbeiten fertig?" fragte ste gütig, und als beide mit einem stolzenJa, Mama", antworteten und sich um den Kaffeetisch drängten, wehrte sie ab:Ihr warllt! Der Papa wird gleich kommen, und ihr wiß: doch, daß ihr nicht vorher anfangen sollt." Worauf dann die beiden sich beschieden, doch mit sichtlicher Ungeduld, und begehrliche Blicke nach den schönduftenden Bröt­chen warfen.

Der Staatsanwalt, der jetzt hereinkam, war ein großer stattlicher Mann von etwa fünfundvier­zig Jahren, aber hager und von der Arb.it etwas gebeugt. Seine Gefichtszüge hatten etwas Strenges, fast Finsteres, und auch in seinem Blicke war eine gewisse Schärfe. Dieser Eindruck wurde noch ver­stärkt durch den langen und dichten Schnurrbart der.