wo suchen. Das Bedenklichste sei, daß Konservative imperative Mandate annehmen und anderen auf- zwingen; das widerspreche nicht nur der Verfassung, sondern dem ganzen Sinne der Volksvertretung, und drücke deren Ansehen und das jedes einzelnen Volksvertreters herab. Die Konservativen wollten die Massen nicht mehr leiten, sondern sich von ihnen treiben lassen. Wenn die Wührmigsftage die letzte Patrone sei, welch: die Konservativen gegen ihn verschießen, könne er die Sache noch mit ansehen. Er habe sich von der Notwendigkeit einer Aenderung d;r Goldwährung no>- nicht überzeugen können, aber das preußische Finanz- und Handelsministerium studierten die Frage unablässig wie auch das Reich. Man warte doch - b, was heraus komme. Anderes als Studieren und Abwarten rönne man doch jetzt nicht thun. Keine Macht der Welt sei im stände, die Währung jetzt zu ändern. Staatssekretär v. Marsch all verwahrt sich gegen den Vorwurf, daß er Freihändler sei. Die Befolgung der Politik Manteuffels würde die Schutzzollpolitik in Deutschland aufs Aergste diskreditiren. Schultz-Lupitz (Reichsp.) bestreitet, daß die Mehrheit der Landwirte hinter den Konservativen stehen die meisten seien nur irregeleitet durch die beispiellose Agitation. Die Zollherabsetzung bedeute keine Schädigung der Landwirtschaft. Freiherr v. Hehl (nat.- lrb.) spricht sich namens der großen Mehrheit der Nationalliberalen tür den Vertrag aus im Interest: der Exportindustrie, desgleichen Frhr. v. Stumm (Neichsp.) und ebenso Rickert (freis. Ber.) der gegen die Konservativen polemisiert, und die Regierung auffordert, den Agrariern nicht nachzugeben, sondern eine volkstümliche Politik zu treiben. Nach weiteren Ausführungen der Abgeordneten von Kro putsche!, Dr. Lie b er und Graf Limburg-Stirum wird der spanische Handelsvertrag mit großer Mehrheit angenommen. Es folgt die zweite Lesung des serbischen Vertrages. Der Vertrag wird nach kurzer Empfehlung durch den Abg. Münch Ferber (nat.-lib.) ebenfalls angenommen. Morgen dritte Lesung der Handeslverträgc.
* Berlin, 15. Dez. Die heute erfolgte dritte Lesung der Handelsverträge brachte in der Debatte an Sachlichem nichts mehr zu Tage, denn die zweite Lesung hatte bereits alle Gründe und Gegengründe in breitester Weise zu Worte kommen lassen und das Interesse des Hauses war erschöpft. Desto „interessanter" waren die durch die ganzen Debatten sich hinziehenden persönlichen und nicht streng zur Sache gehörenden Bemerkungen, wegen welcher auch oer Abg. Richter die Disziplinargewalt des Präsidenten empfinden mußte. Schließlich wurden die Verträge mit Spanien, Rumänien und Serbien angenommen, wo rauf sich das Haus bis zum 9. Januar vertagte.
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* Freudenstadt, 16. Dez. Bei der Gemeinde ratswahl standen sich die Volkspartei und der „nationale Volksverein", unter welchem Namen die deutsche Partei sich hier vor kurzem neu organisiert hat, mit ihren Vorschlägen gegenüber. Gewählt wurden vier Kandidaten des nationalen Volksvereins, einer der Volksparte;, erstere frühere Gemcinderatsmitglieder, letzterer btsher Obmann des Bürgerausschussts.
* Tübingen, 13. Dez. In der gestrigen Sitzung des Schwurgerichts wurde der 57 Jahre alte verheiratete Franz Köhler von Poltringen wegen Mordversuchs an seiner Geliebten zu 3 Jahren Zuchthaus verurteilt.
"Tübingen, 16. Dez. (Schwurgericht.) Im fünften Fall bildete das Verbrechen des Totschlags den Gegenstand der Anklage. Dieses Verbrechen ist der ledige 25 Jahre alte Bauer Wilhelm Theodor Bräu ning von Wildberg an seinem leiblichen Bruder Louis Bräuning beschuldigt. Die beiden Brüder waren tm väterlichen Hause und besorgten daselbst gemeinschaftlich mit dem Vater dessen Landwirtschaft, die Mutter ist schon einige Jahre gestorben. Der Angeklagte gab an, er bemerke schon längere Zeit, insbesondere seit sein Bruder Louis vom Militär, wo er drei Jahre gewesen, zurück sei, daß er, sowohl vom Vater als vom Bruder zurückgesetzl werde, der Louis habe ein Pferd gehabt, mit dem er Geld für sich habe verdienen können, während er nie einen Kreuzer für sich gehabt habe und doch habe er auch für den Vater schaffen müssen wie sein Bruder. Dieses Mißverhältnis Hab: ihn des öfteren empört uns sei es öfters zu Streitigkeiten zwischen ihm und seinem Bruder gekommen. Am 18. Oktober abends habe er mit seinem Bruder gevespert, nach dem Vesper habe er (Angeklagter), da es Abend gewesen sei, einen Ausgang machen wollen, sein Bruder habe ihn zurückhalten wollen und ihn gepackt, er habe nun seinem Bruder einige Tritte versetzt, worum dieser ihn za Joden geworfen, am Boden geschlagen und gewürgt habe, so daß er geglaubt habe, er sei sein Letztes. In dieser Bedrängnis Habs er ein Tranchiermesser, das neben ihm am Booen gelegen sei, ergriffen und seinem Bruder damit einen Stich beigebracht, er habe sich im Zustande der Notwehr befunden. Durch diesen Stich in den Unterleib erhielt der Bruder des Angeklagten, Louis Bräuntng derartige Verletzungen, daß schon am nächsten Tag dessen Tod eintrat. Der Getötete hat sich zu seinen Lebzeiten zur Zeugnisablegung nicht herbeigelaffeu, dagegen hat er verschiedenen Personen gegenüber geäußert, daß sein Bruder nicht in Notwehr gehandelt habe, denn er habe sich bereits etwas von ihm erhoben gehabt, als sein Bruder den Stich geführt habe. Im weiteren ist erhoben worden, daß der Angeklagte vor der That verschiedene Drohungen über seinen Bruder ausgestoßen hat, auch har er einige dieser Drohungen damit bekräftigt, daß er dem Betreffenden sein Taschenmesser zeigte, mir dem er den Brueer erstechen werde. Der erste Staatsanwalt Fetzer begründete die Anklage auf Totschlag und beantragte mildernde Umstände auszuschließen, der Verteidiger Rechtsanwait Bohnenberger trat für Mildernde Umstände ein. Die Geschworenen, welche als ihren Obmann Turnlehrer Wüst hier berufen hatten, bejahten sowohl die Frage nach Totschlag, als diejenige nach mildernden Umständen, worauf vom Ger cht eine dreijährige Gefängnisstrafe ausgesprochen wurde.
* Stuttgart, 14. Dezbr. S. M. der König haben laut St.-A. den wirk!. Staalsrat von Pischek zum Staatsminister des Innern allergnädigst zu ernennen geruht.
WeißnachlsMfchen.
Skizze nach dem Leben. Von Jda Barbe r.
Unberechtigter Nachdruck wird verfolgt.
Es war an einem jener eisig kalten, sternenhellen Winterabende, als ein ärmlich gekleidetes, ungefähr sechsjähriges Mädchen zitternd und frierend an einem Eckhause der Königsstraße in Berlin lehnte und, ach wie oft vergeblich, feine kleinen Schäfchen den Passanten anbot.
„Kaufen Sie, lieber Herr," bat sie, „die Mutter ist krank und har heute noch nichts gegessen!"
Niemand schien ihre Worte zu beachten.
War es ja heute heiliger Abend; jeder hatte mit sich selbst, seinen Einkäufen unv Geschenken so viel zu thun, wie sollte man da auf die ärmliche Kleine acht haben können!
Bald kam auch ein Schutzmann, der sie zum Weitergehen antrieb, da er sie sonst arretieren müsse. Unter Thräuen nahm das Kind die schön aufgebauten Schäfchen in einen Korb und wanderte weiter, die Kurfürstenbrücke entlang; sie sah sich um, ob ihr der Polizist folge; gottlob nein, er hatte Kehrt gemacht; noch einmal wagte sie es, an einer Stufe der Brücke Halt machend, ihre Schäfchen auszupacken und sie den Vorübergehenden anzubieten; zwanzig Pfennige hatte sie eingenommen und doch war sie schon seit 2 Uhr vom Hause fort. „Wenn ich sie alle verkauft hätte," seufzte sie, „könnte ich der Mutter einen Christ stollen kaufen! Ach, wie würde sie sich freuen!" und
, in der Vorstellung dieser Freude begann sie wieder mit neuem Mute, wenngleich mit halbheiserer Stimme:
„Kauft Schäfchen! Kamt Schäfchen ft Tie hielt die erstarrten Hände an den Mund, um sie mit ihrem Hauch zu erwärmen; sie trappelte mit den kleinen Beinchen, als wollte sie den Boden zerstampfen — bald ward es ihr unmöglich, ihren zarten, dürftig bekleideten Körper gegen die rauhe Winter!uft zu schützen. Da kam auch noch ein eisiger Nordwind, der ihre kleine Herde, die sie so zierlich auf einem Brett postiert hatte, vor sich herfegte. Laut weinend sank üe zusammen und rief mit gefalteten Händen: „O Gott, nun sind wir ganz arm!"
„Beruhige dich, Kleine!" hörte sie in ihrem Herzeleid die volltönen e Stimme eines Mannes, der eifrig bemüht war, ihr einige der hier und dort zerstreut auf dem Pflaster liegenden Schäfchen einzusammeln. „Wie viele hattest du denn?"
„Zwölf Stück, Herr!" rief die Kleine unter Schluchzen.
„Und was kostet ein solches Stück?"
„Drei Pfennig!" entgegnete das Kind, ihre thränenumflorten Augen zu dem Manne aufschlagend, der so freundlich mit ihr sprach.
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„Wie heißest du-" fragte er endlich.
„Anna Masson!" erwiderte die Kleine zaghaft.
„Hast du Eltern?"
„Eine Mutter, Herr!" entgegnete das Kind.
Der Fremde wurde immer aufmerksamer. „Ganz
* Von den 17 württ. Retchstagsabgeordneten haben am 13. Dez. für den rumänischen Handelsvertrag gestimmt 12, nämlich Bantleon, Braun, Ehnt, Galler, Gröber, Haag, Hartmann,Haußmann, Payer, Schnaidt, Siegle, Speiser; 3 dagegen, nämlich v. Gültlingen, Rembold, Wsng.rt. Es fehlten 2: Kercher (krank), Pflüger (ohne Entschuldigung).
Göppingen, 15. Dez. Der Handels- und Gewerbeverein laßt ähnlich wie in Stuttgart, Eßlingen und Tuttlingen, einen Unterricht-rkurs für Schuhmacher geben. Der Verein hat einen hies. Meisters - sohn auf der Schuhmacherschule oder Akademie in Arier in Thüringen aasöilden taffen und dics.r gibt jetzt den Unterricht m Maßnehmen. Musterzeichner! und Schnitt, an dem sich 14 Gehilfen beteiligen. Der Unterricht sinder an 2 Tagen in jeder Woche statt und dauert bis Ostern.
* Ulm, 15. Dez. Hier geht das Gerücht, daß 124 würftembergische Offiziere nach Preußen abkom- maudiert werden sollen.
* Leipzig, iS. Dezbr. (Landesverratsprozeß.! Die Vernehmung der Sachverständigen war gestern nicht beendet und wurde heute bis I Uhr unter Ausschluß der Oesferttl-.chkeit fortgesetzt, dann trat eine Pause ein. Um 2 Uhr nachmittags wurde dis Oefscntlichkeit wieder hergestellt. Die Angeklagten gestehen die Absicht ein, das gesammelte Material ihrer Regierung zu geben. Sie hätten von dem Chef die Instruktion erhalten, keine deutschen Unterthanen zu bestechen, keine Zeichnungen am Lande anzuferti- gsn und die größte Vorsicht zu beobachten. Das einzige, was der Chef thun könne, sei, nichts zu wissen. Es so gen dann dis Plaidopers. Reichsanwalt Treplin führt aus, es sei mit verblüffender Klarheit erwiesen, daß die Zeichnungen und Pläne in der Absicht des Gebrauchs gegen die Sicherheit des deutschen Reichs angefertigr worden seien. Es Hanoi« sich nicht um eineu speziellen Spionagesall, sondern um ein Glied in der Kette. Achtmal habe das Reichsgericht schon französische Spione verurteilt. Neu sei, daß jetzt französische Offiziere deutsche Gewässer befahren, um die Karten zu korrigieren. Ferner sei die Geheimhaltung der anzefertigten Zeichnungen von den Befestigungen deS Kieler Häsens, Helgolands, von dem Fahrwasser, den Kabeln und dem Schußmaterial militärisch geboten und der Verrat nach dem neuen Reichsgesetz vom 8. Juli 1893 strafbar. Er beantrage daher gegen Degoup fünf, gegen Dazuet-Malavas vier Jahre Zuchthaus, sowie die Vernichtung der sämtlichen Vorgefundenen Schriftstücke, Zeichnungen und Abbildungen. Auf die Bitte des Verteidigers, welcher erklärt, wegen Erschöpfung seine Verteidigungsrede nicht halten zu können, wird die Sitzung auf morgen 9 Uhr vertagt.
" Ein sehr trauriges Bild bietet dt: kürzlich veröffentlichte vorläufige deutsche Krimiualstatistik für 1892. Es hat sich danach die Zahl der Personen, die wegen Verbrechen und Vergehen gegen die Reichsgesetze verurteilr sind, gegen das Vorjahr sehr erheblich vermehrt; sie betrug 422,326 gegen 391.064 im Vorjahre. Es ergieöt dies eine Zunahme um 31,262 Personen oder nahezu 8 Prozent. Diese Zunahme erstreckt sich aus alle Gattungen von strafbaren Handlungen.
* Berlin, 16. Dez. Professor Michelet, der letzte Hegelianer, ist 92 Jahre alt, gestern gestorben.
* Der Kaiser hat aus Anlaß der Annahme des Handelsvertrages mit Rumänien an den Reichskanzler Grafen v. Caprivi und an den Staatssekretär des Auswärtigen Frhrn. v. Marschall in sehr warmen Worten Beglückwünschunzsdepeschen gesandt und gleichzeitig seine Genugthuung über die geschickte Verteidigung der Handelsverträge vom Regierungstische ausgesprochen^
Leraiuwortlicher Redakteur: W. Riet er, Attensteig.
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seine Augen, seine Stirn!" sagte er halblaut vor sich hin. „Wo wohnt deine Mutter?" fuhr er dann teilnehmend fort. — Sie nannte ein Haus in der Linienstraße.
„Willst du mich zu deiner Mutter führen?" fragte der Fremde, nachdem er sie noch eine Weile aufmerksam betrachtete.
„O, Herr, ich mag ohne Geld nicht nach Hause kommen!" entgegnete Anna, der nun wieder die ganze Schwere des erlittenen Verlustes auf die Seele fiel; „die Mutter ist so krank, und —"
„Hier hast du Geld!" unterbrach sie der Fremde, ihr einen blanken Thaler in die Hand trückend, „doch nun komm'!"
Anna aber stand wie festgewurzelt. Ein Strom Freudenthränen entquoll ihren Augen und während sie mit der einen Hand nach ihrem Körbchen griff, legte sie die andere in die dargebotene Rechte ihres Wohltäters, der sie eilig mit sich fortführte. Bald schien er einzusehen, daß die Kleine zu schwach sei, ihm zu folgen, er nahm einen Wagen und hob das zitternde Kind hinein.
„Du wirst Hunger haben?" fragte er, sich plötzlich besinnend. „Leit wann hast du nichts gegessen?"
„Seit heute morgen, Herr!" entgegnete das Kind verlegen. (Fortsetzung folgt.)
Z-V
SN ^2
c l c s r ü ch t e.
Wenn die Lasier uns verlassen, schmeicheln wir uns mit dem Glauben, daß wir sie verlassen haben.