stehenden, wie des Hugo Loewh. (Singer ruft: Unterzeichner von verfallenen Ehrenscheinen stehen diesen Leuten naher!) Liebermann: Sie machen sich durch Wiederholung einer solchen Behauptung zum Mitgenossen von Wucherern. (Singer ruft: Unver­schämte Frechheit.) Vizepräsident v. Buol nimmt trotz großer Unruhe erst nach einiger Zeit von dem Zwischenfall Notiz und ruft den Redner zur Ordnung. Lieberwann wiederholt dann die üblichen Ausfälle gegen die Börse und das Termingeschäft und bedauert, daß die Börsensteuer, die je höher je besser sei, mit anderen Stempelsteurn verknüpft sei, von denen der Qftttungs- stempel einer durchgreifenden Modifikation bedürfe. (Nachträglich ruft Präsident v. Buol Liebermann wegen seiner Ausfälle gegen Singer zur Ordnung, gleichzeitig rügt er Singers Bemerkung:Unverschämte Frechheit.") Komierowski (Pole) versichert, daß seine Partei der Vorlage vorbehaltlich einiger Aenderungen freund­lich gegenüberstehe. Staatssekretär v. Bötticher erklärt sich bereit, der Anregung aus dem Hause Folge zu geben und das Material der Enquete-Kom­mission der Steuerkommisston zugänglich zu machen, v. Plötz (Bund der Landw.) weist auf die Börsen- steuer als Programmforderung des Bundes der Land­wirte hin und befürwortet besonders eine hohe Be­steuerung der Termingeschäfte und Emissionen, wodurch die Qnittungs- und Frachtbriefsteuer überflüssig zu machen sei. Staatssekretär Posadowsky ent­wickelte die Gründe, warum eine Emisfionsstener un­zulässig sei. Osann (nat.-lib.) verwahrt sich dagegen, daß man die nationalliberale Partei mit dem Abg. Hahn identifiziere, wegen dessen antisemitischer Ex­kurse. Die Reichseinkommensteuer halte er für durchführbar, die Entwicklung der Dinge werde schließ­lich zu ihrer Einführung zwingen, desgleichen zu einer Reichserbschaftssteuer und zur Besteuerung des Luxus, wohin auch die Tantiemen der Aktiengesell­schaften gehören. Die Börsensteuer empfehle er, ebenso die Emissionssteuer und den erhöhten Lotteriesrempel, verwerfe aber die Quittungssteuer. Meist (Soz.) entwickelt nochmals den Standpunkt der Sozialdemo­kratie. Staatssekretär von Posadowsky führt unter großer Unruhe und fortgesetzten Unterbrechungen aus, daß die Steuervorlagen den Erklärungen des Reichskanzlers durchaus entsprechen. Nach weiteren Ausführungen Gräfes, Arnims und Böttichers wird die Vorlage einer Kommission überwiesen.

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* Berlin, 8. Dez. Die Sozialdemokraten sind im Reichstag neuerdings mit so grotesken Sprüngen aufgetreten, daß wohl auch manchem Parteigenossen allmählich Zweifel über solche Seltsamkeiten aus- steigen müssen. Die Wiederzulassung der Jesuiten, wenn sie zu Stande kommen sollte, ist vornehmlich das Wer! der Sozialdemokraten und bei den Steuer- Verhandlungen sind sie mit einem Eifer für Schonung der Börse eingetreten, wie keine andere Partei, sie haben sich für solche Verirrungen eine eigentümliche Logik zurechtgelegt: es sei nicht ihre Aufgabe, Aus­wüchse und Entartungen unseres Kulturlebens zu be­kämpfen; je mehr dieselben um sich wuchern, um so eher werde die heutige Gesellschaftsordnung zusam­menbrechen. Ob wirklich diese Logik denkende Mit­glieder der Partei überzeugt, daß es vom sozial­

wesen, der, von England zu seiner Unterstützung her­beieilend energisch und praktisch alle seine Angelegen­heiten in die Hand nahm, ihn zwang, Mut zu fassen und sich wieder aufzurichten an der sicheren Zuver­sicht, daß seine Schuldlosigkeit zu Tage kommen werde.

Leuvens Einfluß vermochte unendlich viel über Fritz Lörrach, aber wie dieser sein Herzensgeheimnis in tiefstes Schweigen hüllte, so sagte auch Leuven nie eine Silbe von dem Interesse, das die schöne trauernde Schwester der Frau Harterott ihm einflößte.

Fräulein Bettina gab mir dies für dich und trug mir auf, dir mehreres mündlich zu bestellen," sagte Mr. Leuven mit keineswegs sehr teilnehmenden, sondern harten und kalten Blicken.

Was ist dir, Freund?" fragte der Gefangene, erstaunt in die so veränderten Züge desselben blickend, ohne die mindeste Eile zu verraten, den Brief zu lesen.

Es handelt sich zunächst um dich; soll ich sagen, was Fräulein Bettina mir austrug?" erwiderte jener unverändert.

Fritz Lörrach nickte, und der andere wiederholte nun wörtlich, was die junge Dame ihm gesagt.

Ja, sie ist ein liebes, ein braves Mädchen, sie brauchte mir das alles nicht zu erklären, ich wußte es wohl," war Lörrachs Erwiderung.

Und das weitere steht in dem Briefe. Und nun kann ich wohl gehen ?"

Nein, bleibe, vielleicht, daß ich eine Antwort hätte," bat Lörrach.

Der andere ließ sich auf dem alten Sofa nieder,

demokratischen Standpunkt wohlgethan ist, Jesuiten und Börse in besonderen Schutz zu nehmen?

LMdeSsaHrtchlm.

* Altensteig, 10. Dez. (Eisenbahnsache.) Die württembergtsche Staatsbahn wird vom 15. Dezbr. d. J> ab zwei neue Arten von Fahrkarten zur Aus­gabe bringen, die, was die Bequemlichkeit der Reisen­den und billigen Preis anbelangt, weitgehenden An­forderungen genügen dürsten und deshalb sich als eine wesentliche Verkehrserleichterung darstellen. Die eine Art sind Karten, die den Inhaber berechtigen, während des Zeitraums von 15 Tagen, vom Tage der Ausstellung an gerechnet, sämtliche Strecken der württembergischen Staatsöahn mit allen fahrplan­mäßigen Zügen (mit Schnellzügen ohne Entrichtung eines besonderen Zuschlags) in beliebiger Richtung und beliebig oft zu befahren. Der Preis dieser Karten, die mit der Photographie des Inhabers zu versehen sind, ist auf 20 Mk. für die III., 30 Mk. für die II. und 45 Mk. für die I. Wagenklaffe fest­gesetzt. Auch abgesehen von dieser günstigen Preis­bestimmung ist es ein in die Augen fallender Vor­teil, daß bei diesen Fahrkarten für den Reisenden alles weitere, wie das Lösen von Zuschlags- und Umwegskarten, die Abstempelung der Fahrkarten bei Unterbrechung der Fahrt rc. rc, wegfällt. Sodann kommen Fahrschetnbücher zur Ausgabe, die aus 30 einzelnen Fahrscheinen bestehend zu 30maliger Fahr: auf einer bestimmten Strecke in beliebiger Richtung berechtigen. Diese Fahrschein- bücher können auch von den Familienangehörigen und dem Geschäftspersonal des Buchbesttzers benützt wer­den, und es ist für dieselben eine Preisermäßigung von 33V, Proz. gegenüber dem Betrag der Taxe für 30 einfache Karten der betreffenden Strecke, Wagenklaffe und Zugsgattung gewährt. Soviel wir wissen, giebt derzeit keine deutsche Eisenbahnverwaltung Karten für das gesamte Bahnnetz mit so niedrigem Preise aus; auch die Fahrscheinbücher sind zurzeit nur in Sachsen und Bayern, jedoch unter weniger günstigen Bedingungen für das Publikum, Angeführt. Es ist wohl anzunehmen, daß die Neuerungen in ausgiebiger Weise werden benützt werden.

* Tuttlingen, 6. Dez. In der Gerberei von Schneider hier wird die Haut des Elefanten Peter aus Nills Thiergarten gegerbt. Die Schwere der Haut beträgt nur noch etwas über 3 Ztr., da die Fuß- und Kopfteile fehlen. Das Bearbeiten derselben erfordert aber die volle Kraft mehrerer Männer. Die Dicke der rohen Haut mißt 3 om. Die Haut wird zu gewerblichen Zwecken verwendet.

* Tübingen, 9. Dez. An der hiesigen Univer­sität befinden sich tm laufenden Winterhalbjahr 1150 Studierende, iworunter 867 Württemberger und 283 Nichtwürttemberger.

* Brenz a. Br., 8. Dez. Gestern wurde auf dem restaurierten Hauptturme der hiesigen Kirche die Kranzblume aufgesetzt, ein Ereignis, das den Einwohnern durch Böllerschüsse verkündet wurde.

* Der b a d is ch e Finanzmimster Buchenberger gab in der Kammer folgende Erklärung ab:Dem Gesetz­entwurf über die Einführung einer Retchsweinsteuer

mit welchem Lörrach für schweres Geld sich das kahle Zimmer hatte schmücken und für sich eine mehr ein­gebildete als wirkliche Bequemlichkeit hatte Herrichten lassen.

Ec nahm eine der auf dem Tisch liegenden Zei­tungen, aber er konnte trotz des festen Willens nicht umhin, einen unwillkürlichen Blick auf den Freund zu werfen.

Wie dem Armen die Kleider auf den Schultern hingen! Wie mager und leidend er aussah.

Aber es war insdiskret, ihn zu beobachten. Mr. Leuven zwang seine Augen auf das Blatt, ohne eine Silbe von dem Inhalt desselben zu lesen.

Da schreckte ihn ein sonderbarer Ton.

Was war das? Lörrach lehnte mit der Stirn an dem Eisengitter seines Stubenfensters und war das nicht ein unterdrücktes Schluchzen? Was? Und er preßte die Lippen auf das Briefchen? Und jetzt er rannte wie unsinnig, aber zugleich wie verklärt in dem kleinen Raume auf und ab; dann, des Freun­des Blicke aus sich gerichtet sehend, fiel er ihm um den Hals und rief in emem Tone, der wie Lachen und Weinen zugleich klang:Leuven! Leuven! Sie liebt mich! Sie denkt an mich, sorgt sich um mich! O, diese Hedwig! Dieser Engel von einem Mäd­chen ! Danke ihr, sage ihr, daß ich auf meinen Knieen ihr danke, daß ich lebenslang nicht vergessen werde, was ste mir gethan. Und gehe gleich zu ihr, willst du? Ach, mein Gott, mein Gott, ich danke dir!"

Und die höchste Erregung, die aus seinen letzt«

hat die großherzogliche Regierung nicht zustimmen zu können geglaubt, weil der an den Bundesrat gelangte Entwurf sowohl in finanzieller Hinsicht wie wegen der etwaigen Rückwirkungen auf das heimische Winzer- gewerbe schweren Bedenken begegnete und weil eine den Interessen unseres Landes entsprechende Einigung über die Modalitäten, unter denen eine Besteuerung des Weines von Reichs wegen einzutreten hätte, nicht zu erzielen war.

* DerFranks. Zig." wird von ihrem Stuttgarter ständigen Berichterstatter geschrieben:Die Auffassung, daß lediglich eine Differenz zwischen Ministerpräsident v. Mit:nacht und dem Gesandten v. Moser vorliege, weshalb der letztere seinen Berliner Posten verlasse, dürfte den Tatsachen nicht entsprechen, es lassen vielmehr alle Tharsachen darauf schließen, daß zwischen den Regierungen in Berlin und Stuttgart sachliche Meinungsverschiedenheiten bestehen. Trotz bestimmt auftretender anderweitigen Meldungen spricht die Wahrscheinlichkeit für die Annahme, daß es sich um Dinge handelt, die noch im Werden begriffen sind und auf militärischem Gebiete liegen. Wenig­stens lausen in Militärkreisen verschiedenartige Ge­rüchte um, nach denen eine Einschränkung der mili­tärischen Selbständigkeit Württembergs in irgend einer Form von Berlin aus erstrebt wird." Letzteres wird wohl bloße Vermutung bleibeu.

* Berlin, 8. Dez. Ahlwardt, welcher gegen­wärtig in Plötzensee seine Strafe von 5 Monaten verbüßt, will eine nochmalige Verhandlung des Juden- flinlenprozeffes herbeiführen und hat bereits einen Antrag um Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt. Er glaubt, durch nachträglich erhaltene Beweismate- rtalien die Richtigkeit der seiner Zeit erhobenen Be­hauptungen beweisen zu können.

* Berlin, 8. Dez. Der Seniorenkonvent des Reichstags beschloß gestern, von der Beratung des Wein- und Tabaksteuer-Gesetzes vor Weihnachten ab­zustehen und das Hauptgewicht auf die Durchberatung der Handelsverträge zu legen. Die Annahme des Gesetzes über die Stempelabgaben ist mit Sicherheit vorauszusetzen. Alle Parteien, mit Ausnahme der Sozialdemokraten und der freis. Volkspartei, stehen der Vorlage sympathisch gegenüber.

Ausländisches.

* Petersburg, 6. Dezember. Die russischen Finanzen erscheinen doch nicht so glänzend, wie offi­ziös versichert wird. Aus der Provinz laufen Mel­dungen über rücksichtslose Steuereintretbungen ein. DieNowoje Wremja" berichtet, ein Gouverneur habe verschärfte Maßnahmen gegen die Bauern ange­ordnet und den Steuerbehörden empfohlen, den Groß­grundbesitzern Schonung angedethen zu lassen, weil das Sinken der Getreidepretse ste in eine schwierige Lage versetzt habe.

* Madrid, 8. Dezbr. Nach Meldungen aus Melilla sind die Seitens Spaniens vorgeschlagenen Friedensbedingungen folgende: zeitweise Besetzung von Positionen im marokkanischen Gebiete jenseits des Forts Guariachs, Auslieferung von 12,000 Ge­wehren, Stellung von Geißeln, Verurteilung der An-

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Leraiuwortticher Redakteur: W. Kieker, LUtensteig.

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Worten klang, war ein Geber, war das Suchen der dankbaren Seele nach dem Geber alles Guten.

Mr. Leuven hatte sich erhoben. Er sah plötzlich sehr verändert, sehr traurig aus. Aber Lörrach, ganz mit sich und dem Briefe in seiner Hand be­schäftigt, merkte nichts davon.

Ich will gehen und deinen Auftrag bestellen," sagte er kühl.

Fritz Lörrach sah sich nicht einmal nach ihm um. Er las schon wieder, liebkoste jedes Wort mit den Augen und küß e dann in leidenschaftlicher Freude den Brief, bis plötzlich die ganze Trostlosigkeit seiner Lage, schwerer als je zuvor, ihm aufs Herz fiel.

Gefangen, verdächtig des Mordes!

Konnte ein Mann, der solches je erlebt, der im Gefängnis gesessen, jemals, auch wenn die Geschwo­renen dasNtchtschuldig" sprachen, daran denken, seine Hand auszustrecken nach der Hand dieses Mädchens?

Und wenn auch diesesNtchtschuldig" erfolgte, wenn er selbst auch tausendmal sich bewußt war seiner Schuldlosigkeit, woher sollte er den Beweis nehmen, der die Welt, seine Mitmenschen überzeugte?

O, Hedwig! Mein guter Engel! Nie, nie darf ich dir wieder nahen. Ich bin nicht unwürdig, aber diese Gefängnishaft läßt sich nicht mehr ver­wischen !"

Fortsetzung folgt.

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