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Dienstag dm 5. Dezember
Bekanntmachungen aller Art finden die erfolgreichste Verbreitung.
Amtliches.
Auszug aus der Geschworenenliste des Schwurgerichts Rottweil pro 4. Quartal 1893. Christian Lamport, Ge- meindipfleger in Hallwangcn, Christian Armbrust», Müller in Bescnfeld, Joh. Georg Cchleh, Bauer und Gemeinderat in Burrweiler, Christian Ü urkhart, Mechaniker in Reichenbach, Jakob Ziegler, Gutsbesitzer in Schömberg.
G estorben: Margareta Müller geb. Kopp, Mhcngstett; Landgerichtsprästdent a. D. v. Fünhaber, Stuttgart; Missionskaufmann Theodor Elsäßer, Basel-Schorndorf; Prokurist Otto Hirzel, Rottweil; Privatier Mar Rümelin, Heilbronn.
L Die „Attentate".
Sowohl an die Adresse Kaiser Wilhelms, wie an die des Reichskanzlers Grafen Caprivi sind dieser Tage aus Orleans gleichartige Sendungen eingetroffen, deren Inhalt aus einer sinnreich konstruierten Höllenmaschine bestand. Weder in dem einen noch in dem andern Fall haben sie das geringste Unheil angerichtet. Von der an den Kaiser gerichteten Sendung erfuhr man bisher nicht viel; die kanzlerische Sendung dagegen hat schon Stoff zu den eingehendsten Zeitungsartikeln gegeben.
Beide „Attentatsversuche* * — sie mögen beide dieselben oder denselben Urheber haben — zeichnen sich durch ebenso große Gemeinheit und Feigheit, wie durch Dummheit aus, ja die letztere Eigenschaft überwiegt so stark, daß man wohl bezweifeln darf, ob ein Attentat ernstlich beabsichtigt war. Die Absender konnten doch gewiß nicht annehmen, die Adressaten würden selber die gefährliche Sendung öffnen; zumal bet der Angabe eines so harmlosen Inhalts: Radieschensamen, wie sie der rctchskanzlerischen Sendung beigsfügt worden war. Der Sender scheint von den höfischen Einrichtungen und von der Dienerzahl, über die der deutsche Kaiser gebietet, eben so wenig eine Ahnung zu haben, wie er nicht im Stande ist, sich ein Bild von der Arbeitslast eines deutschen Reichskanzlers zu machen; denn sonst würde er nicht annehmen, daß etwa der Kaiser oder der Kanzler selber die an sie etntreffenden Packcte öffnen.
Es wurde also das Leben von Personen gefährdet, denen der Absender sicherlich nicht an den Leib wollte, der eigentliche Zweck des Verbrechens aber blieb unerfüllt. Unerörtert mag hier bleiben, ob anarchistischer oder chauvinistischer Verbrecherwahnsinn zu dem Anschlag geführt. Glücklicherweise ist der Mordanschlag völlig mißlungen. Daß es gelingen werde, den Attentäter zu fassen und der ihm gebühr renden Strafe zu überliefern, erscheint noch sehr zweifelhaft, selbst für den Fall, daß die Entdeckung überhaupt mö^ich ist. Uebrr die moralische Qualifikation des Schurkenstreiches ein Wort zu verlieren, dürste wohl überflüssig erscheinen.
Indessen hat die fatale Angelegenheit noch einige nicht minder peinliche Begleiterscheinungen gezeitigt: die byzantinischen und liebedienerischen Sympathiekundgebungen, die den „geretteten* beiden hohen Personen, dem Kaiser und seinem Kanzler, zu teil werden, kann man übergehen; gewisse Leute von „feinem Takt" können nun einmal den Versuch nicht lassen, aus jedem Vorkommnis politisches Kapital zu schlagen. Sie gleichen den Bienen, die auch aus giftigen Blumen Honig zu gewinnen wissen. Es ist einfach abgeschmackt, über eine wunderbare Rettung zu verhimmeln, wo nicht die geringste Gefahr vorlag, wenigstens nicht für die Personen, deren Rettung man preist. Indessen über Geschmackssachen läßt sich nicht streiten.
Aber etwas anderes ist es, wogegen entschieden Front gemacht werden muß, nämlich gewisse Unterstellungen, wonach die gemeingefährlichen Dummejungenstreiche politische Folgen haben müßten. Wir lesen da in einem Berliner Blatte: „Wenn die Untersuchung erst ergeben haben wird, daß wirklich Anarchisten die Urheber des verbrecherischen Versuchs gewesen, wird sich eine Einigung über die zu ergreifenden internationalen Maßnahmen wohl unschwer erzielen lasten."
Ist das ernst gemeint? Tie internationalen Abmachungen wegen der Anarchisten würden erleichtert, wenn sich erwiese, daß die bübischen Absender der beiden Pallete Anarchisten seien! Denkt man nicht der zahlreichen Einzelfälle, in denen ganz schuldlose und gleichgültige Personen von anarchistischen Bomben zerfetzt wurden? Denkt man nicht mehr der Thaten Ravachols und seiner Spießgesellen? Ist die Theaterkatastrophe von Barcelona schon vergessen, wo eine Bombe fünfzig Personen ntederriß? Der Reichskanzler würde seine Pflicht verletzt haben, wenn er je mit der Zusage seiner Mitwirkung zur Bekämpfung des Anarchismus gezögert hätte! Die vergleichsweise harmlosen neuesten „Attentatsversuche* können ihm kaum ein neuer Sporn sein, und Kaiser Wilhelm hat vollkommen recht mit seiner Aeußer- ung, daß die Anstifter ins Irrenhaus gehörten.
Deutscher Reichstag.
* Berlin, 1. Dez. Beratung des Zentrums- Antrags betr. Aufhebung des Jesuiten-Gesetzes. Graf Hompesch begründete den Antrag mit einfachen, kurzen Worten als eine Forderung der Gerechtigkeit. Darauf wurden drei die Ablehnung begründende Erklärungen verlesen, namens der konservativen Partei durch den Abg. Frhrn. v. Manteuffel, namens der freikonservativen Partei durch den Abg. Merbach, namens der Nationalliberalen durch den Abg. v. Mar- quardsen. Dir Konservativen wollten sich der Abstimmung enthalten. Die Antisemiten stimmten nicht fraktionell. Abg. Schradir (freis. Vgg.) sprach sich sehr entschieden für Aufrechterhaltung des Gesetzes aus, während Abg. Barth von derselben Fraktion für Aufhebung eintrat. Die Deutschhannovcraner und Polen waren für die Aufhebung desselben. Abg. Richter wollte den 8 2 des Gesetzes, der die eigentliche Ausnahme bildet, aufgehoben wissen; es empfehle sich diese Frage zu lösen im Zusammenhänge mit der Begründung einer allgemeinen Vereins- und Religionsfreiheit durch grundrechtliche Bestimmungen in der Reichsgesetzgebung. Abg. Rickert vertrat denselben Standpunkt und forderte zugleich Aufhebung der Strafgesetzbuchsparagraphen, der von dem Schutz der Einrichtungen und Gebräuche der Kirche handelt. Das Haus trat sofort in die zweite Lesung d(S Antrages ein und nahm den 8 1, welcher die Auf Hebung desJesuitengesetzes ausspricht, mit 173 gegen 136 Stimmen an. Die Sozialisten stimmten alle für Aufhebung des Jesuiten- gesctzcs.
* Berlin, 2. Dez. Beratung der Jnvaliden- gesetznovelle. Kropatschek (kons.) beantragt Korn- misfionsberatung zur Prüfung der Einzelheiten. Die Summe für die bair. Invaliden erscheine unverhältnismäßig hoch. Der bair. Bevollmächtigte Haag konstatiert, daß Baiern aus eigenen Mitteln noch 80000M!. für die Invaliden ausgebe. Fritzen (Zentr.) wünscht beschleunigte Beratung der Vorlage, v. Schöning (kons.) und Pteschel (nat.-lib.) bemängeln einzelne Bestimmungen der Vorlage. Herbert (Soz.) hofft, daß die Pensionen nicht nach der politischen Gesinnung verteilt werden. Böckel (Antis.) hält die Pen-
Generallieut. Spitz sagt die der geäußerten Wünsche in der Vorlage wird an die Budget- — Es folgt die Beratung der Zollverordnung gegen Rußland. Möller (nat.-lib.) wünscht, daß der Zollkrieg, der beiderseits Wunden schlage, bald beendet werde, sowie daß der Zuschlagszoll für Lieferungen zurückgewährt werde, die bona tläk vor Verkündigung der Zollverordnung kontrahiert waren, aber nicht mehr rechtzeitig über die Grenze expediert werden konnten. Rickert (freis.Ver.) bedauert, daß die deutschen Interessenten, die in letzter Angelegenheit petitionierten, nicht einmal eine Antwort vom Bundesrat erhielten. Staatssekretär Graf Posa- dowsky sagt die Geneigtheit des Bundesrals zu
stonen für zu gering, eingehende Erörterung Kommission zu. Die kommision überwiesen.
Zollnachläffen für bona Lcks kontrahierte Lieferungen zu, sowie für solche, die wegen niedrigen Wafferstandes oder sonstiger vis wajor die Grenze nicht rechtzeitig passieren konnten. Staatssekretär Graf Posadowsky verweist in dieser Beziehung auf den Memeler Holzhandel. v. Heereman (Zentr.) schließt sich den Ausführungen Möllers an. Schönlank (Soz.-Dem.) erklärt, die Sozialdemokraten stimmten gegen die Zoll- Verordnungen wegen Verteuerung der Lebensmittel. Nach einer kurzen Bemerkung des Grafen Kanitz- Salisch (kons.) schließt die 1. Lesung.
LasdrSiachrichteo-
* Nagold, 30. Nov. Zn der nächsten Woche werden an der Ostseile des Brandplatzes vom 18. Sept. 4 Gebäude, welche die Stadt angekauft hat, abgebrochen, um die „Hintere Gaffe" zu einer ordentlichen Straße zu erweitern.
* Pfal zgrafen Weiler, 1. Dez. Der hiesige
73 Jahre alte uoch rüstige Bürger Johannes Dieterle und seine 71jährige Ehefrau feierten am gestrigen Andreasfeiertag das seltene Fest der goldenen Hochzeit. In feierlicher Weise begab sich das Jubelpaar mit seinen nächsten Anverwandten zur Kirche, wo Hr. Pfarrer Hiller eine erhebende Ansprache hielt. Nachmittags sammelten sich die nächsten Angehörigen um das bejahrte und glückliche Ehepaar, das in häuslicher Zurückgezogenheit die Glückwünsche der Teilnehmer freudig gerührt entgegennahm. (Schw. B.)
* Simmozheim, 30. Nov. Ein Sohn unseres Ortes, der Ausläufer Gustav Kühnle in Frankfurt, ist dort vom jähen Tod ereilt worden. Er wollte gestern früh 5V, unter einem am Zollhof bei Station Fahrthor haltenden Güterzug durchkriechen. In diesem Augenblick fuhr der Zug weiter und Kühnle wurde überfahren und etwa 30 Schritte mitgeschleift. Dem Unglücklichen wurden beide Füße abgefahren und der linke Arm zermalmt, was den sofortigen Tod zur Folge hatte. Kühnle ist 1857 geboren und war verheiratet.
* Stuttgart, 1. Dez. Der Matrikularbeitrag Württembergs für 1894—95 ist auf 18 974 360 Mk. festgesetzt und weist demnach eine Steigerung von ca. 2 400000 Mk. auf.
"Die landständische Kommission zum Körperschaftsgesetz beantragte in zweiter Le- fung mit 12 gegen 2 Stimmen, in die Einzelbera- tung beider Gesetzentwürfe einzutreten und schließt sich im wesentlichen den Grundzügen derselben an, beantragt aber folgende Abweichungen: Zuständig zur zwangsweisen Dienstenthebung bei den Ortsvorstehern und den Amtskörperschaftsbeamten ist die Kreisregierung, dagegen bet den Gemeindebeamten, mit Ausnahme der Ortsvorsicher, die Gemeindebehörde. An der Entscheidung der Kretsregierung über die Amtsenthebung eines Ortsvorstehcrs sollen zwei von der Amtsversammlung gewühlte Vertrauensmänner Mitwirken.
* Stuttgart, 1. Dez. Das württembergische Landesverstcherungsamt hat dieser Tage eine Entscheidung von prinzipieller Bedeutung gefällt, die für die Landwirtschaft — es betrifft einen landwirtschaftlichen Betriebsunfall — von großem Interesse sein dürfte. Ein im landwirtschaftlichen Betrieb an- gestellter Dienstknecht war auf dem Weg nach der Schranne, wo er Haber holen wollte, ausgeglitten und hatte den Schenkel gebrochen. Es erhob sich nun die Frage, ob für diesen Unfall Entschädigung zu gewähren sei oder nicht. Zur prinzipiellen Entscheidung des Falles führte die genannte Behörde aus, daß der Entschädigungsanspruch nicht dadurch bedingt ist, daß die Thätigkeit, während der der Unfall sich ereignet, gerade nur in einer bei der Landwirtschaft vorkommenden, dieser spezifisch eigentümlichen Arbeitsleistung besteht. Auch diejenige Thätigkeit, die der Arbeiter oder Dinstbote auf Grund seines Dienstverhältnisses für den landwirtschaftlichen Betrieb ausübt, genießt