ihr Charakter als Wertsteuer. Auf die Quittung- und Frachtbriefsteuer solle man in Zeiten hoher Not zurückgreifen. Ein großer Teil seiner Freunde verwerfe die ganzen Steuerprojekte und halte andere Steuern für bester, wie die Erbschafts-, Wehr- und Luxussteuer. Haußmann (südd. VolkspJ betont, daß die Spannung der wirtschaftlichen Verhältnisse Europas durch die Militärvorlage nicht vermindert worden sei. Unangebracht sei es daher, wenn deutsche Blätter Italien gegenüber drohen, weil dort die Stimmung zu Gunsten einer Verminderung der Heeresausgabe wachse. Leiter konnten wir, als Frankreich der italienischen Rente den Krieg erklärte, Italien nicht helfen wegen unserer wirtschaftlichen Lage und der Militärvorlage, deren Einbringung also ein politischer Fehler war. Redner wendet sich gegen die Kolonialpolitik, worin wiederum eine Wandlung der Regierung bemerkbar sei. Ist der Kaiser mit der Haltung der reichsländtschen Bevölkerung zufrieden, warum beschränkt man ihre politischen Rechte? Weiter tadelt Haußmann das neuliche Auftreten des Kriegsministers und wendet sich dann gegen die Reichsfinanzreform und die neuen Steuern und verlangt Beseitigung der Steuerprivilegien. Genüge das nicht zur Deckung der Kosten der Militärvorlage, so möge man die Matrikularbeiträge heranziehen. General Spitz rechtfertigt die Haltung des Kriegsministers. Nach Erwiderungen Posadowsky's und Miguel's nimmt das Wort v. Kardorff(Reichsp.), der der Handelsvertragspolitik die Schuld an den finanziellen Verlegenheiten beimißt, und die offiziösen Angriffe gegen den Bund der Landwirte zurückweist. Er verteidigt die Liebesgabe und die Finanzreform, Ri cker r (Freis. Ver.) kritisiert abfällig die ganze Finanzreform mitsamt den Steuerplänen und tadelt die Regierung, daß sie keine runde Absage an den Bund der Landwirte richtet. Nach kurzer Erwiderung Miquel's tritt Vertagung ein. Morgen Fortsetzung.
* Berlin, 30. Nov, Fortsetzung der 1. Etatsberatung. Zimmermann (Antis) meint, die Regierung vernachlässige die Interessen des Mittelstands, und bekämpft die vorgelegten SLeuerentwüne. Er befürwortet die stärkere Heranziehung der Börse, eine progressive Erbschafrs- und eine Einkommensteuer. — L i e b k n e ch t (Soz.) wendet sich gegen die Antisemiten. Nicht die Juden, sondern das Kapital sei der Feind der Bauern und Handwerker. Redner wird zur Ordnung gerufen, als er die Äußerungen des Kricgsministers anläßlich des Spielerprozesses in Hannover verhöhnt. Er fährt fort: Mil den Alten taten gegen den Reichskanzler und den Kaiser habe die Sozialdemokratie nichts zu thun, denn sie betrachte jedes Attentat als Wahnsinn oder gemeines Verbrechen. Der Anarchismus komme nur in solchen Ländern vor, wo eine gesunde sozialistische Bewegung nicht existire.
LaideSvschrichtev.
* Altensieig, 1. Dezbr. Gestern abend beging der hiesige Kriege rver ein in der Bahn- hofrestauration die Champignyfeier. Nach dem einleitenden Gesang der „Wacht am Rhein" hielt He. Schullehrer K-ößler eine der Bedeutung jenes ruhmreichen Waffenerfolges der schwäbischen Truppen ge
weihte kernige Ansprache, in welcher er nebenbei hervorhob, daß wie der Deutsche als nationalen Festtag den Sedantag hochhält, wir Württemberger ein Recht hätten, die Schlachttage von Champigny und Vtlliers als teures Andenken zu feiern. Sein am Schluffe der Rede ausgebrachtes Hoch galt der guten deutschen Gesinnung, Sr. Majestät dem deutschen Kaiser und Sr. Majestät unserem König Wilhelm. Der Toast fand lebhafte Aufnahme. Es wurde manches patriotische Lied, wie auch mehrere Volkslieder gemeinsam gesungen und es verlief der Abend in der gemütlichsten Stimmung.
* Nagold, 28. Nov. An Stelle des verstorbenen Oberamtswundarztes und Stabsarztes vr. msä. Gmelin wurde heute Dr. Fricker in Mösstngen gewählt. Im ganzen hatten sich um diese Stelle 17 Bewerber gefunden.
* Stuttgart, 29. Nov. Die Komm sfion zur Vorberatung der Körperschaftsbeamtengesetze hat gestern nach vollzogener zweiter Lesung ihre Beratungen beendet. Mit 12 gegen 2 Stimmen wurde laut S. M. beschlossen, in die Einzelberatung sowohl des Gesetzentwurfs l etr. die Amtsenthebung dienstunfähig gewordener Körperschaftsbeamten als des Entwurfs belr. die Penfionsrechte der Körperschaftsbcamten einzutretrn. Di; Kommission schließt sich rm Wesentlichen den Grundzügen der beiden Gesetzentwürfe an und beantragt nur in einzelnen Punkten Abweichungen.
* Heilbronn, 28. Nov. Der „Franks. Ztg." wird von einem angeblich Neckarsulmer Berichterstatter die sonderbare Mitteilung gemacht, außer den bereits genannten Kandidaten wolle für die bevorstehend: Landtagswahl im Bezirk Neckarsulm auch der suspendierte Oberbürgermeister Hegelmaler kandidieren; sein Programm sei ein radikales, es lasse sich in die wenigen Worte fassen: „Kampf gegen das Ministerium Schmid bis auf's Messer." Hegelmaters Freunde seien für ihn bemüht, damit er Gelegenheit erhalte, seine Sache vor dem Landtag zu vertreten.
* (Ve rs chiedenes). In Neckarsuim spielte ein Dienstmädchen eines Mühlebesitzers im Zimmer des Mahiknechts mit einer Zimmerbüchse rm gleichen Moment, als der Mahlknecht das Zimmer betrat, ging die Büchse los und demselben die ganze Ladung durch beide Wangen. — Ja H e il bro nn wurde ein Stromer festgenommen, der mit falschen Stempeln versehene Paprere zu verkaufen suchte. — In Stimpfach blieb auf der dortigen Station ein Mann de m Aussteigen aus dem Zug hängen und fiel dadurch mit dem Kopf auf den Perron. Der Tod trat sofort ein.
* Karlsruhe. Wegen Steuerhinterziehung während der letzten drei Jahre ist der frühere badische nationalliberale Abg. Friedrich, Präsident der Budgetkommission der badischen Kammer, wie der „Badische Landesbote" Mitteilt, mit einer Geldstrafe von 9090 Mk. bestraft worden. Derselbe legte vor einiger Zeit sein Mandat „aus Gesundheitsrücksichten" nieder.
* Baden. Der des Gattenmordes beschuldigte Arzr Dr. Schelldorf aus Jhringen wird auf seine geistige Zurechnungsfähigkeit von Irrenärzten beobachte:. Da er ein hochgradiger Alkoholiker und Sohn eines notorischen Alkoholikers ist, so dürste die Sache nicht so einfach liegen, als es anfänglich
fehle des Barons erhalten — es wurde ganz begreiflich, wie es zugehen konnte, daß sie nichts wußten.
Der Assessor hatte sich zum Thee nicht halten lassen wollen; ein Blick in das Gesicht des jungen Mädchens sagte ihm, dasselbe war noch immer in der höchsten Unruhe, nahm sich aber jetzt besser zusammen.
„Armes Kind! — wenn jener Mensch, an dem offenbar ihr Herz hing, ein Verbrecher, ein gemeiner Meuchelmörder wäre."
Zwischen Vater und Tochter kam es, als er fort war, zu einer ernsten Auseinandersetzung.
Der erstere unterdrückte seine gewohnte Heftigkeit mit aller Willenskraft und dadurch wurden seine scharfen Worte und streng n Befehle so viel gewichtiger, daß Hedwig nicht wie sonst wagte, mit dem Vater zu parla- mMieren.
„Ein für allemal befehle ich dir, mich nicht wieder an die fatale Geschichte zu erinnern, vor allem aber nicht den ersten besten deinec Bekannten, wie den Herrn Assessor, der übrigens ja ein ganz netter Mann ist, davon zu unterhalten, daß wst gut Freund mit einem, Menschen sind, den man Ursache hat ins Gefängnis zu stecken! Es wird schon nicht ausbleiben, daß man mich über ihn zum Verhör fordert, derartige Ärgernisse bleiben mir nie erspart, das ist gewiß — und dann werde ich schon sagen, was ich zu sagen habe Damit basta und nun kein Wort mehr davon."
Auf dem Vorwerk Gasberg gab es trotz Willys Genesung, die freilich nur langsam fortschritt, viel stilles Herzeleid, denn Großvater Preuß war seit eini
gen Wochen wie verwandelt, und daß ihm etwas Schweres im Sinn lag, darüber hegte die alte Frau nicht den geringsten Zweifel.
Ihr Alter magerte zum Erschrecken ab, wurde hohläugig und grüblerisch und wenn er allein war, so redete er in au geregter Weise mit sich selbst.
Das üble Aussehen ihres Mannes wäre zu er klären gewesen, meinte seine Frau, wenn es sich eingestellt hätte, als Willy noch im Gefängnis saß oder totkrank im Krankenhause lag; aber jetzt gab es doch wirklich keinen Grund mehr, sich um den lieben Jungen so abzuhärmen. Und wurde nicht der Alte mit jedem Tag, der dem Willy rie Wangen rundete und röter färbte, elender und hinfälliger?
Es mußte ihm ktwas die Seele bedrücken, was er ihr nicht bekennen wollte und was er doch seinem Sohn, Willys Vater, anvertraut hatte; denn der, der stch sonst im ganzen Jahre kaum aus seiner Restauration entfernte, kam jetzt alle paar Tage angelaufen und dann gingen die besten, selbst wenn es schon spät ab nds war, hinaus ins Feld und hatten da viel Heimliches zu verhandeln.
Mit Schrecken erkannte die Mutter, daß der sonst so behäbige Sohn ebenfalls sorgenvoll und unruhig wurde.
Willy begann umherzugehen — so re-tte Genesungsfreude konnte in ihm so wenig aufkommen wie in den Seinen, denn er mußte ja wieder zurück in die Untersuchungshaft, sobald er gesund genug war, daß die Verhandlungen vor stch gehen konnten.
Der Vater Willys brachte jedesmal Kunde mit von dem Stande der Untersuchung gegen Herrn
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schien. Dazu kommt noch, daß Schelldorf Nachweisen will, seine Frau Hobe aus Verzweiflung über seine höchst zerrütteten Geldverhältniffe mit ihm gemeinsam in den Tod gehen und er ihr Gegengift reichen wollen, als er auf der Sterbenden knteend angetroffen wurde. Was die Untersuchung und Ueber- sührung des Mörders lehr erschwert, ist die unbestrittene Thatsache, daß am Unglückstage das Zusammenleben derjEhcleute ganz friedlich, ja vertraulich gewesen ist, nachdem eine mehrtägige Trennung vor- ausgegangcn war.
* Leipzig, 29. Nov. Der Landesverratsprozeß gegen die zwei in Kiel verhafteten französischen Spione beginnt vor dem 2. und 3. Strafsenat des Reichsgerichts am 14. Dezember.
* Berlin, 29. Nov. Nach dem der Polizei eingereichten Gutachten des Hott>üchseam;chers Förster war der Explosivstoff des Zündhütchens bei den gegen C-rprivi und den Kaiser gerichteten Anschlägen dem der alten Zündnadclprstone ähnlich. Der Bolzen hätte zur Entzündung ausgcreicht. Das Pulver in dem Kasten war mit Nitroglycerin gemischt. Die Gesaustlodung hätte genügt, den Ocffnenden zu zer- reitzeu und weiteren Schaden anzurichten.
* Berlin, 29. Novbr. An der 13jährigen Tochter des Kapitäns Franke in Spandau ist ein Lustmord verübt worden. Das Mädchen wurde auf einer Wiese erdrosselt aufgefunden. Der Thäter ist «nentdeckt.
* Berlin, 29. Novbr. Die Freikonservativen (Reichsp.) beantragen im Reichstage, den Reichskanzler um beschleunigte Vorlage eines Gesetzentwurfs über die organisierte Vertretung des gesamten Handwerks in Handwerkerkammeru, welchen das Lehrlings- und Hsrbergewesen, sowie den Befähigungsnachweis anzuvertrauen sei, zu bitten; ferner um Einschränkung der das Handwerk schädigenden Gefangenenarbeit.
* Berlin, 30. Nov. Telegramm der Voss. Ztg. aus Kowno: Aus Befehl der russischen Regierung sollte die katholische Kirche in Krosche, Gouvernements Kowno, geschlossen werden. Die Gläubigen füllten die Kirche. Truppen drangen unter Anführung des Gouverneurs in die Kirche und hieben auf die Menge mit blanker Waffe ein. 20 blieben tot, über 100 wurden verwundet. Eine große Anzahl ist bei der Verfolgung durch Kosaken im nahen Fluffe ertrunken. Ewige Hundert sind verhüttet und sollen vor ein Kriegsgericht gestellt werden.
* Berlin, 30. Nov. Das erste Petitionsoerzeich- nis des Reichstages führt 151 Petitionen gegen die Tabaksteuer, 128 Petitionen gegen die Weinsteuer aust
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Ausländisches.
«Mailand, 29. Nov. Beim Bahnhof Limits,
11 Kilometer von Mailand auf der Trevigliolinie, fand heute ein Zusammenstoß zwischen dem den Bahnhof Limito verlassenden Zug 25 und dem von Verona, mit 45 Minuten Verspätung kommenden Güterzug 1122 statt. Beide Lokomonve wurden zertrümmert; zwei Wagen des Zuges 25 zerquetscht; der Postwagen ist unversehrt. Die Zahl der Toten beträgt 13, 20 Verwundete wurden in die Krankenhäuser nach Mailand verbracht. Man glaubt, daß gegen 40 Personen verbrannt oder getötet worden seien.
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Lörrach; Anfang des nächsten Monats begannen di Schwurgerichtssitzungen, dann kam sein Fall mit vor der Willys wegen hatte vertagt werden müssen.
Winters Einzug.
Was klopft und pocht in stiller Nacht? „Au'gemacht, aufgemacht!"
Es ist ein Greis von derber Art Mit wirrem Haar, mit weißem Bart; Er hauchet Schnee,
Wo ist das grüne Land? o weh!
Und immer wilder heult er zu:
„Oeffne du. öffne du!"
Er stürmt ums Haus mit Wiudzebraus, Er heult und tobt mit Hellem Saus, Doch ach, o weh!
Wir fürchten weder Sturm noch Schnee!
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Klopf' nur am Tag, heul' in der Nacht, Sacht, nur sacht, sacht, nur sacht!
In Herz und Haus ist Sonnenschein,
Da soll Herr Winter nie herein!
O streu nur Schnee.
Uns thut der Winter nimmer weh!
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Als Knabe bin ich oft gegangen Hinaus mit jugendfrischem Sinn Und habe dort zum Scherz gefangen, Was ich nun selbst geworden bin. Auflösung folgt in nächster Nummer.
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