wählen, der Wahlkampf beendet. Dienstag üver a Tage tritt der Reichstag zusammen. Bis jetzt ist es noch unentschieden, ob ihm außer der Militärvorlage anderer Arbeitsstoff zugeht. Es wird wohl davon abhängig bleiben, ob die Militärvorlage kurzer Hand im Plenum erledigt oder einer Kommission überwiesen wird. Im letzteren Falle dürfte das Seuchengesetz wieder eingebracht werden.
* Erfurt, 21. Juni. Ueber eine neue Soldaten- mißhandlung berichtet die „Thür. Tribüne", der wir die Verantwortung über das Mitgeteilte überlassen müssen. Danach hat der Unteroffizier Hoher der 6. Kompagnie des 71. Regiments, geboren zu Erfurt, einen Gemeinen derart mit Fußtritten mißhandelt, daß ihm die Eingeweide am Unterleib iu erheblichem Maße hervortraten, was eine Ohnmacht zur Folge hatte, die aber als Verstellung betrachtet wurde. Hoher verging sich dann soweit, daß, als er den Mißhandelten zum Aufstehen aufgefordert und selbiger selbstverständlich keine Folge leisten konnte, ihn bet der Binde faßte und den Gemeinen derart mit der Faust ins Gesicht schlug, daß das Blut aus Mund und Nase floß. Der Mißhandelte wurde nicht ins Revier zugelassen, er sollte auch nicht ins Lazaret geschickt werden und aus Angst vor ferneren Mißhandlungen wagte er es auch nicht, dies zu melden (er wurde sogar auch noch aufgefordert, Dienst zu thun), bis er endlich von Schmerzen überwältigt gezwungen war, ins Lazaret zu gehen, wo er dann mit dem Bemerken, „er ist umgefallen", ausgenommen wurde. Bemerkt muß noch werden, daß der Verletzte einige Tage nach seiner Mißhandlung keine andere Nahrung als nur für 5 Pf. Zucker zu sich nehmen konnte. Die Untersuchung des Falles ist eingeleitet.
* Kassel, 23. Juni. Der ungewöhnliche Tiefstand des Fuldaflusses unterhalb Kassel hat ein massenhaftes Absterben der Fische zur Folge. Zentnerweise liegen tote Fische am Ufer. Fischfachmänner schätzen den Verlust auf 200 Ztr. Man befürchtet eine Gesamtvernichtung des Fischbestandes.
* Köln, 23. Juni. Ein hiesiger Sattler schlitzte in betrunkenem Zustand seinem 26jährigen Sohn Karl bei einem Wortwechsel den Unterleib auf. Der Schwerverletzte liegt hoffnungslos darnieder. Der unnatürliche Vater ist verhaftet.
* Lübeck, 22. Juni. Bei der heutigen Stichwahl wurde Görz (freis. Vereinigung) durch die vereinigten Ordnungsparteien gegen den Sozialdemokraten Schwartz, den bisherigen Abgeordneten, gewählt.
Ausländisches.
* Paris, 23. Juni. Norton, welcher die Mille- voyes Akten bildenden Dokumente aus der englischen Botschaft entwendet hat, wird sich heute zur Haft stellen; übrigens ist bereits ein Haftbefehl gegen ihn erlassen. Die Blätter tadeln ohne Unterschied die Leichtfertigkeit, womit so schwere Anklagen öffentlich gegen Politiker Frankreichs erhoben werden.
* London, 23. Juni. Das britische Panzerschiff Viktoria, zum Mittelmeergeschwader gehörig, ist infolge eines Zusammenstoßes mit dem Panzerschiff Camper- down bei Tripolis untergegangen. Der kommandierende Admiral Tryon mit 400 Mann ist ertrunken.
* London, 24. Juni. Dem ersten Lord der
mtralitat ging folgendes Bmetvslete,
Kaisers Wilhelm zu. Kiel, 23. Juni: Soeben ist Mir die Nachricht vom Untergang des Schiffes „Viktoria" mit dem Admiral Tryon und 400 tapferen Seeleuten zugegangen. Worte können Meinen Kummer über den Verlust eines so edlen Mannes und eines so schönen Schiffes nicht ausdrücken. Als Admiral der Flotte bedauere Ich aus tiefstem Herzen den Schlag, welcher die britische Marine betroffen hat, es ist ein nationales Unglück. Meine Offiziere und Meine Seeleute lassen durch Mich ihren Kameraden in der britischen Flotte ihr wärmstes Beileid auSdrücken. Zam Zeichen der Trauer habe Ich Befehl gegeben, auf Meinen Schiffen die britische Flagge nebst der unsrigen auf Halbmast wehen zu lassen. Wilhelm, Deutscher Kaiser, König von Preußen, Admiral der Flotte.
* Der soeben aus Chicago nach London zurückgekehrte Ausstellungs-Kommissar Ernstv.Heffe-Wartegg hielt im deutschen Athenäum zu London einen Bortrag über die Weltausstellung. Er betonte darin, daß nach dem einstimmigen Urteil der amerikanischen wie europäischen Kommissare der deutschen Abteilung der Ehrenplatz gebühre; die deutsche Industrie und Kunst feiere große Triumphe, die noch durch eine Erweiterung der Handelsbeziehungen und die Stärkung des Ansehens und der Machtstellung des Reiches Ausdruck finden werden.
* Petersburg, 22. Juni. Aus Romanow (Borrtsoglebsk) wird gemeldet: In der Auferstehungskathedrale entstand bei der Prozession, an der eine zahlreiche Menge teilnahm, durch plötzliche Feuerrufe ein großer Schrecken. Eine Ausgangsthür war verschlossen. Hier entstand ein furchtbares Gedränge, bei dem viele erstickten; andere sprangen aus den Fenstern und fanden dabei den Tod. Insgesamt zählt man 136 Tote und zahlreiche Verwundete. Es ist bisher unaufgeklärt, wer das Unglück verschuldet hat. Der Feuerruf war unbegründet.
* Die Moskauer Ztg/ läßt sich anläßlich deS soeben erfolgten Abschlusses des russisch-französischen Handelsvertrages folgendes aus Petersburg telegraphieren: „In maßgebenden Kreisen wird der russisch-französische Handelsvertrag als ein Beweis des ernsten Willens Rußlands aufgefaßt, seine Zollpolitik durch Verträge mit den mitteleuropäischen Staaten zu regeln.
* Eine interessante Flugschrift ist.soeben in russischer Sprache unter dem Titel „Die von Graf Loris Melikow geplante russische Verfassung" in London veröffentlicht worden. Die Schrift besteht aus Auszügen von Dokumenten, die den Privatpapiererl des verstorbenen russischen Ministers entnommen worden sind. Darunter befindet sich auch ein Brief des Kaisers Wilhelm I., worin der letztere dem Zaren anrät, daß, falls er geneigt sei, eine Verfassung zu gewähren, darauf Bedacht haben möge, seine wirkliche Macht nicht aus den Händen zu geben.
bis 55 M. das Paar.
* Die Vtehpreise sind ungeheuer gedrückt. Auf dem letzten Btehmarkt inPfullendorf wurde das Vieh rein verschenkt. Eine Frau gab im Zorn über die Futternot ein Rindle um 10 Mark weg.
*AuSAem Höhgau, 22. Juni. Auch die Schweinepreise sind bei uns stark im Rückgang. Für das Paar Ferkel wird nur noch 7—15 Mk. bezahlt.
Zur Fütterung von Kraftfuttermittelu.
Durch die geringe Heuernte ist mancher Viehbe- sttzec genötigt, um sein Vieh über den Winter zu bringen, Kraftfuttermittel zu füttern. Um nun keine Verschwendung in dem einen oder andern Futtermittel zu begehen, erlaubt sich Einsender einige Futterrationen, deren Zusammensetzung in richtigem Verhältnis der einzelnen Futterstoffe, nämlich wie Eiweiß, Fett und Kohlenhydrate zu einander stehen, mitzuteilen. Eine Kuh mit etwa 10 Zentner lebend Gewicht braucht pro Tag:
». bei Sommerfütterung:
Wiesengras 75 Pfd., Stroh 6 Pfd., trockene Bier- träber oder Malz 4 Pfd.
oder Grünklee 50 Pfd., Wickhaber grün 50 Pfd. und Stroh 4 Pfd.
oder Grünhaber 60 Pfd., Gras 25 Pfd., Heu 8 Pfd. und Roggen- oder Maisschrot 5 Pfd. b. Wtnterfütterung:
Wtesenheu 5Pf.,Angersenod.Rüben 50 Pf., Stroh 9 Pf.
und trockene Bterträber oder Malzkeime 6 Pfd. oder Wiesenheu 5 Pfd., Angersen 50 Pfd., Stroh u.
Spreu 10 Pfd., und Erdnaßkuchen 4 Pfd. oder Kleeheu 4 Pfd., Rüben 50 Pfd., Stroh 10 Pfd., Bohnen- oder Maisschrot 6 Pfd. oder Wiesenheu 5 Pfd., Kartoffeln 25 Pfd., Stroh 8 Pf.. Mais od. Roggenschrot 3 Pf., Ackerheu 3 Pfd.
Günstig wirken die konzentrierten Futtermittel nur, wenn sie mit lauem Wasser als etwas dicke Suppe mit etwas Kochsalz unter dem Häcksel gereicht werden. Bet Pferden haben sich, wenn Haber und Heu schwer erhältlich sind, folgende Mischungen bewährt:
Haber 10 Pfd., Mais 6 Pfd., Häcksel 10 Pfd. oder Mais 17 Pfd., Heu 8 Pfd., Stroh 2 Pfd. oder Mais 10 Pf., Weizenkleie 3 Pf., Häcksel 10 Pf. oder Bohnenschrot 3 Pf., Mais 15 Pf. und Kleeheu 8 Pfund.
Anstatt Bohnenschrot kann auch Gersten- oder Roggeaschrot und anstatt Häckjel auch 3 Teile Erbsen- stroh und Spreu u. s. w. gereicht werden. 'W. -
Verantwortlicher Redakteur W. Rteker, Altenneig.
Handel «nd Verkehr.
-r. Eb Hausen, 25. Juni. An unserem diesmaligen Viehmarkt war nicht ein Stück zum Verkauf aufgestellt. AuS den Stallungen wurden einige Stück zu Schleuderpreisen abgesetzt. — Der Schweinemarkt war ordentlich beschickt und gieng auch der Handel
Die Seideu-Isavrik H. Keuneverg (k. u. k.
Hofl.), Zürich sendet direkt anPrivate: schwarze, weiße und farbige Seidenstoffe von 75 Pf. bis Mk. 18.65 p. Mtr. — glatt, gestreift, karriert, gemustert, Damaste rc. (ca. 240 versch. Qual, und 2000 versch. Farben, Dessins rc.) porto- und zollfrei. Muster umgehend.
Garantiert waschächte Sommerstoffe L 75 Ps.
bis Mk» 2.65 p» Mtr. in ca. 2800 verschiedenen neuesten Dessins und besten Qualitäten. WttMin,
Kammgarne L ßheviots si M. 1.75 Pf. pr. Mt.
versenden jede beliebige einzelne Meterzahl direkt an Private BurkiivFabrik-Depot OsdtinAsi- L Oo., ibrunL- kurt ». ül. Neueste Musterauswahl froncoins Haus.
„Dazu Huben Sie keine Berechtigung —"
„Madame, verkennen Sie den Ernst der Sachlage nicht! Ich bin berechtigt. Sie augenblicklich in Untersuchungshaft bringen zu lassen, dort würden Sie bleiben, bis der Prozeß beendet und das Urteil gesprochen ist."
„Und das Geld? Ich reklamiere es als mein Eigentum."
„Alles?"
„Jawohl, mein Bruder nannte nichts sein Eigen."
„Auch dieser Punkt wird untersucht werden, was Ihr Eigentum ist, wird man Ihnen zurückstellen."
„Wann? Ich wünsche Luzern bald zu verlassen, hier habe ich so bittere Erfahrungen gemacht, daß man mir diesen Wunsch nicht verargen kann."
„Sie werden trotzdem bleiben müssen, bis das Gericht Ihnen die Abreise erlaubt. Halten Sie sich streng an meine Anordnungen, Madame, wenn Sie auf freiem Fuße wenigstens in Ihrer Wohnung bleiben wollen."
Der Richter grüßte nach diesen Worten kurz und als Elisabeth einige Minuten später auf die Straße hinunterblickte, sah sie vor dem Hause einen Polizeibeamten, der von einer dichten Gruppe Neugieriger umringt war.
„Du magst es noch hartnäckig leugnen, ich bleibe dabei, Paula hat dich hierher geschickt und ihr Mißtrauen gegen mich war die Triebfeder, die sie dazu bewog," sagte Gustav Varnay, während er langsam
die Asche von seiner Zigarre abstrich; „gestehe es nur, ich kenne ja den Grund dieses Mißtrauens."
„Weshalb sollte ich es nicht zugeben, wenn deine Vermutung begründet wäre?" erwiderte der Premierleutnant, dessen Blick sinnend auf den See hinüberschweifte. „Paula weiß ja nicht einmal, daß ich hier bin. Aufrichtig gesagt, hättest du allerdings besser gethan, ihr deine früheren Beziehungen zu jener Frau Griesheim mitzuteilen, aber ich verkenne auch nicht, daß Gründe vorhanden sind, die diese Unterlassungssünde entschuldigen."
„Gründe, die auch Paula kennt."
„Und die sie gewiß gelten lassen wird, wenn du nur jetzt, nachdem du deinen Zweck erreicht hast, heimkehren wolltest."
„Habe ich ihn erreicht?"
„Was willst du noch mehr? Grüner ist seit vorgestern verhaftet, die Frau wird in ihrem Hause bewacht, die Beweise sollen überführend sein —"
„Und dennoch muß ich bleiben, um jenes Verbrechen zu ahnden, durch das Paula um ihr Vermögen betrogen wurde," sagte Gustav, mit der Hand über die Stirn streichend.
„Paula legt auf die Rettung dieses Vermögens keinen Wert."
„Das Geld selbst ist mir gleichgültig, aber jene Frau hat es gewagt, uns in gehässiger Weise zu verleumden und das kann ich nicht hingehen lassen."
Sie saßen auf dem Balkon des Zimmers, das Gustav im „Schweizerhof" bewohnte, die letzten Strahlen der sinkenden Sonne breiteten goldene und
purpurne Tinten über den See. Friedrich erhob das volle Glas und trank es hastig aus.
„Kennt man den niedrigen Zweck solcher Verleumdungen, so kann man leichter über sie hinweggehen," sagte er, „der bösen Zunge ist nun für lange Zeit Schweigen geboten."
„So sicher läßt sich das nicht behaupten," erwiderte der Advokat kopfschüttelnd. „Ihre Mitschuld an der Ermordung Griesheims ist keineswegs bewiesen, im Gegenteil, die Dinge liegen so, daß man keine Anklage gegen sie erheben kann."
„Wenn auch — mit dir wird sie nicht mehr anbinden l"
„Und thäte sie es, ich fürchte es nicht; wenn nun unter den beschlagnahmten Papieren diejenige Paulas sich befänden, würdest du darauf verzichten, sie zu reklamieren?"
„Gewiß nicht!" sagte Friedrich. „Das wußte ich freilich nicht."
„Ich erfuhr es erst heute als ich mit dem Untersuchungsrichter konferierte," sagte Gustav. „Ich habe ihm das Verzeichnis jener Papiere übergeben, er will beantragen, daß die Siegel gelöst werden und dann Nachsehen. Sodann erwarte ich jetzt täglich Nachrichten aus der Heimat; von Jnterlaken aus hat der Agent mir geschrieben, daß er ohne Verzug die Rückreise antreten werde. Bei seiner Heimkehr findet er meine Briefe, sie werden den Staatsanwalt veranlassen, die Untersuchung zu beschleunigen."
(Fortsetzung folgt.)
Auflösung drs Rätsels in Sir. 73: Lena — Lenz — ecnau.