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Erscheint Dienstag Donnerstag und SamStag
Einrück ungspreiS f. Altensteig und nahe Umgebung bei Imal. Einrückung bei
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BesteUprers pr. Quartal im Bezirk Nagold 90 ^, außerhalb 1 .
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Bekanntmachungen aller Art finden die erfolg reichste Verbreitung.
Dienstag den 27. Juni
Die landwirtschaftliche Notlage.
Der „Staats-Anzeiger" enthält einen Erlaß des Ministeriums des Innern an die Kreisregierungen und die Oberämter, betreffend Maßregeln zur Abhilfe der im Lande herrschenden Futternot. Nach demselben ist sofort die Einsetzung einer aus den Mitgliedern der landwirtschaftlichen Zentralstelle, Delegierten der Ministerien des Innern und der Finanzen, sowie aus landwirtschaftlichen und kaufmännischen Sachverständigen gebildete Kommission verfügt worden, deren Aufgabe darin besteht, den Bedarf von Futtermitteln, Sämereien, künstlichem Dünger «. a. festzustellen, geeignete Bezugsquellen für diese Bedarfsartikel zu ermitteln und zur Kenntnis der Beteiligten zu bringen, soweit nötig die Vermittlung der eingehenden Bestellungen und des Bezuges der bestellten Waren zu besorgen. Die Oberämter werden ohne Verzug die Gemeindebehörden unter Zuziehung der Ausschüsse der landwirtschaftlichen Bezirks-Vereine veranlassen, den Bedarf der Landwirte an Kraft- und Raufutter, an Sämereien für den alsbaldigen Anbau von Futtergewächsen nach beendigter Ernte und an künstlichem Dünger durch Umfrage bei den Einzelnen oder auf sonstige geeignete Weise mit möglichster Genauigkeit zu ermitteln und, nach den einzelnen Kategorien gesondert, der eingesetzten Notstands-Kommission mitzuteilen. Um den Beteiligten die Mittel zur Beschaffung des notwendigen Bedarfs zur Verfügung zu stellen, wird es in weiterem Umfange geboten sein, denselben unverzinsliche oder doch nieder verzinsliche Vorschüsse mit entsvrechend weit bemessenen Rückzahlungsfristen aus öffentlichen Mitteln zu gewähren. Die Bereitstellung der dazu erforderlichen Geldmittel ist zunächst Aufgabe der lokalen Selbstverwaltungskörper, der Gemeind.n und Amtskörperschaften. Die Gemeindekollegien haben hierüber innerhalb 8 Tagen zu beschließen. Wenn sich der Eintritt der Amtskörperschaft auf Grund der gemeinderätltchen Berichte als notwendig erweist, haben die Oberämter unverzüglich die Beschlußfassung der Amtsversammlung über die Bereitstellung der dazu erforderlichen Mittel herbeizuführen. Wo Oberamts - Sparkassen bestehen, werden deren verfügbare Mittel zunächst für den angegebenen Zweck verwendet werden können. Dabei ist jedoch, wie bei der finanziellen Beihilfe der Amtskörperschaften überhaupt, an dem Grundsatz festzuhalten, daß die Vorschüsse der Amtskörperschaft nicht den Einzelnen unmittelbar, sondern nur durch Vermittlung und unter Haftung der Gemeinden verabreicht werden, welchen dann überlaffen bleibt, ihrerseits wieder die Vermittlung der etwa bestehenden Darlehenskassenvereine in Anspruch zu nehmen. Sollte sich ergeben, daß auch die Mittel der Amtskörperschaften zur Gewährung der notwendigen Vorschüsse nicht ausreichen, so wäre von seiten des Oberamts alsbald Bericht mit eingehend motiviertem Antrag hierher zu erstatten, damit von den zuständigen Ministerien des Innern und der Finanzen wegen der weiter zu ergreifenden Maßregeln Entschließung getroffen werden kann. — Da unsere Gemeindekassen in den seltensten Fällen in der Lage sein werden, ausreichend helfen zu können, so werden wohl noch andere Maßregeln und das Eingreifen des Staates in Aussicht genommen werden müssen.
Amtliches.
In Folge der Reichstagsstichwahlen haben die Reisepläne der K. OberersatzkommWonen eine wiederholte Aenderung erfahren. Es findet nun die Aushebung statt: in Nagold am l. Juli, in Calw am 4. Juli.
Uebertragen wurde die erste Schulstelle in Neuhausen ob Eck, Bez. Rottweil, dem Schullehrer Sattler in Oberwaldach, Bez. Freudenstadt.
Für Schmiede, welche eine Prüfung im Hufbeschlag erstehen wollen, finden an nachstehenden Lehrwerkstätten für Hufschmiede solche Prüfungen statt, und zwar: in Ravensburg am 3l. Juli und l. August, in Ulm am 2. August, in Reutlingen am 7. und 8. August, in Hall am S. und 10. August und in Heilbronn am 11. August. Näheres ist aus der diesbezüglichen Bekanntmachung im „St.-Anz." Nr. 14S ersichtlich.
Von der König-Karl-Jubiläumsstiftung erhielt die Gemeinde Wildberg für die dortige Handstnckereiiiidustrie(Kittelstriclerei) 150M. zugewiesen.
D Der ueue Pariser Skandal.
Auch für Frankreich stehen die Wahlen vor der Thür; die zähe und schleimige öffentliche Meinung ist durch den Panamaskandal bei weitem nicht so flüssig geworden, wie dessen heimlicher Veranstalter, Herr Constavs gehofft hatte — die Republik ist nicht in Gefahr geraten, so daß ein „Retter" notwendig geworden wäre — und so hat man denn kurz vor Thoresschluß noch ein gewaltiges Spektakel in Szene setzen wollen, um etwas „Leben in die Bude zu bringen."
Ducret, der Chefredakteur der boulangistischen „Cocarde", trat am Mittwoch seinen zweifellos aufs äußerste verblüfften Lesern mit der offenherzigen Er- klärung vor die Augen, daß „seine Freunde und er" aus der englischen Botschaft in Paris wichtige Dokumente gestohlen hätten-oder richtiger: hätten stehlen lassen, aus denen hervorgcht, daß gewisse französische Deputierte im englischen Solde stehen. Genannt wurden später Bourdeau, Clemenceau und Rochefori.
Es steht heute schon fest, daß jene Papiere nicht gestohlen, sondern von einem abgefeimten Kanadier „angeferttgt" sind, womit zugleich gesagt ist, daß sie nach Form und Inhalt gefälscht sind. Die edlen „Patrioten" Deronlede und Millivoye nahmen sich sofort der Sache an, gingen zum Minister Develle und boten diesem die „Dokumente" zur Einsichtnahme an; Develle lehnte es ab, gestohlenes Gut in Verwahrung oder auch nur Einblick in die Papiere zu nehmen; sofort aber wurde das Gericht mit dem angeblichen Diebstahl befaßt. Die sogleich eingeleitete und energisch geführte Untersuchung stellte den von dem Kanadier Nortier, der eine Zeitlang Schreiber in der englischen Botschaft war, verübten Betrug fest. Auch die englische Botschaft erklärte auf das bestimmteste, daß ihr keine Papiere fehlen; dasselbe sagte auch offiziell der Par- lamentssekrctär im englischen Unterhaufe.
Deronlede hatte am Dienstag in der Kammer einen großen Skandal hervorgerufen, als Clemenceau auf die Tribüne steigen und sprechen wollte; er hatte ihn direkt als einen Komplicen von Reinach und Herz bezeichnet und ihm vorgeworfen, daß er im englischen Solde stehe. Clemenceau hatte als gebrochener Mann die Tribüne verlassen, nachdem ihm weder seine früheren Freunde noch der Präsident gegenüber diesen fchweren Vorwürfen Beistand geleistet hatten. Für Deronlede aber kamen die gestohlenen „Dokumente" wie gerufen, um dem ohnehin schon totwunden Clemenceau den letzten Gnadenstoß zu geben. Gewaltsam brachten er und Millevoye den Doknmentendiedstahl tn der Kammer zur Sprache — die „Dokumente" wurden verlesen und — die Kammer lachte, lachte immer stürmischer, je weiter gelesen wurde, denn es war ganz offenbar, daß die Schriftstücke gefälscht und zwar sehr ungeschickt gefälscht waren. Ducret, Millevoye und Deronlede waren eben auf den faulen Schwindel des kanadischen Mestizen hineingefallen — das sahen alle ein, die den unsinnigen Inhalt mitanhörten. Derouledeu. Millevoye, die Clemenceau verderben wollten, sind durch diesen Reinfall politisch tote Männer; beide haben dann auch sogleich ihre Mandate niedergelegt.
Den Vorteil hat natürlich Clemenceau; daß er im Panamaskandal starke Flecke davongetragen hat, steht fest; daß er sich in der Kammer kurz vor den Wahlen wieder als Kandidat möglich machen wollte, ist erklärlich; daß ihm Deronlede entgegentrat, war berechtigt, aber daß letzterer sich so stark sin der Wahl der Mittel vergriff, ist bedauerlich. Er mußte an sich die Wahrheit des Sprüchleins erfahren: „Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein!"
Mit dieser Episode ist vermutlich der letzte Ansturm der verschämten Monarchisten gegen die republi kanische Staatsform in Frankreich abgeschlagen. Der Panamaskandal hat seinen Abschluß gefunden, ohne daß der Gerechtigkeit Genüge geschehen wäre.
LarrdeSsachrichtea.
* Altensteig, 26. Juni. (Vorläufiges Ergebnis der Reichstagsstichwahlen.) In Stuttgart hat "Siegle (nat.) mit 238 St. Mehrheit über den Sozialdemokraten Kloß gesiegt. Im 2. Wahlkreis (Cannstatt rc.) ist "Schnaidt, im 3. (Heilbronn) Haag, im 4. (Böblingen) *Kercher, im 5. (Eßlingen) Ehrst, im 8. (Freudenstadt) Galler, im 10. (Göppingen) Speiser, sämtlich Volkspartetler, gewählt. Ein weiteres Telegramm, das um 12 Uhr eingetroffen, besagt: Bis jetzt sind 129 Stichwahlen bekannt. Davon 19 Konservative, 7 Reichspartci, 27 Nationalliberale, 8 freisinnige Vereinigung, 19 Freisinnige, 6 süddeutsche Volkspartei, 8 Centrum, 4 Polen, 8 Antisemiten, 19 Sozialisten und 4 Welfen, i
* Berneck. Sicherem Vernehmen nach soll an hiesiger Eisenbahn-Haltestelle eine Einrichtung zum Verladen von Vieh getroffen werden, welche am nächsten Viehmarkt benützt werden kann.
-i. Nagold, 25. Juni. Heute wurde hier das Gauliederfest des schwäbischen Sängerbundes verbunden mit der 60jährigen Jubelfeier des Liederkranzes Nagold abgehalten. Tie Nagolder hatten allem auf- geboten durch Fahnen, Kränze, Tännchen der Stadt ein herrliches Festgewaud anzulegen. Um 7Vs Uhr war Tagwache durch die Tübinger Militärkapelle. Um 10Vr Uhr war in der Turnhalle gemeinschaftliche Probe, der eine Begrüßungsrede von Hrn. Stadtschultheiß Brodbeck vorausging. Das Festessen war in der Post. Um Vs2 Uhr sammelten sich die Vereine zum Festzug durch die Stadt. Auf dem Festplatze trugen die Nagolder Sänger ihren Wahlspruch und einen Begrüßungschor von E. Hegele vor. ?Hr. Stadtschultheiß Brodbeck hielt die Festrede. Frln. Hägele übergab unter poetischer Ansprache die neue Fahne an den Jubiläumsverein. Diese ist ein wahres Kunstwerk und sehr kostbar. Auf der einen Seite ist auf blauer Seide: Liederkranz Nagold 1843/1893 und ein Engel über dem Stadtwappen, auf der andern Seite auf rotem Samtgrund eine Leyer, von Lorbeer- und Etchen- laubkranz umgeben und die Worte: Wahr das Wort, rein das Lied, treu das Herz mein Leben lang. Der Vizevorstand des Vereins, Hr. Verw.-Akt. Rapp übernahm die Fahne für den Verein und brachte nach kurzer Ansprache ein Hoch auf Se. Maj. den König Wilhelm II. aus. Frl. Pfeil übergab im Namen der Festdamen eine köstliche Leyer, die als Fahnenschmuck angeheftet wurde. Die Hauptaufführung war tn der Turnhalle. Den Etnzelnvorträgen der verschiedenen Bereine gingen die Gesamtchöre: „Herr Dir ist Niemand" von Knecht und „O Schutzgeist" von Mozart mit Orchesterbegleitung voran. Nach den Einzelvorträgen wurden gemeinschaftlich gesungen: „So sei gegrüßt" von Schumann und „Deutsches Land" von I. Otto. Die Direktion der gemeinschaftlichen Chöre hatte Mustkoberlehrer Hegele übernommen. Nach dem Wettgesang sprach Professor Burkhard über den Wert des Lieds u. des Gesangs I nd Mustkoberlehrer Hegele brachte ein Hoch auf das deutsche Reich aus. An den Gesamtchören beteiligten sich die Vereine Altenstetg, Böblingen, Calw, Freudenstadt, Rottenburg, Nagold und der Männerchor des Seminars Nagold. Außer den schon genannten Vereinen waren anwesend die Gesangvereine von Herrenberg, Neuenbürg, Rottweil, Pforzheim, Bondorf, Ebhausen, Effringen, Emmingen, Eutingen, Mötzingen, Oberndorf, Oberjettingen, Oe- schelbronn, Schietingen, Unterjettingen. Als Vertreter des Schwäb. Sängerbundes war Hr. Oberpostmeister Steidle a. D., Vorstand des Stuttgarter Liederkranzes anwesend, auch Hr. Professor Burkhard von Nürtingen. Beim Bortrag der Einzelgesänge waren prächtige, wohleinstudlerte Chöre zu hören, auch nachher ans dem Festplatz, wo sich bei den herrlichen Klängen der Militärkapelle und bei gutem Stoff bald rege Geselligkeit entwickelte. Von 8 Uhr an war Bankett in der Turnhalle bei elektrischer Beleuchtung. An diesem Abend funktionierte zum erstenmal die elektrische Ein-